Brigitta Firmenich

Aufbegehren

Da stand Thomas nun. Seine Arme baumelten kraftlos zu beiden Seiten seines bebenden Körpers. Er empfand ohnmächtigen Zorn, der auch nach dem Wutausbruch noch nicht abgeebbt war. In seinem Innern fühlte er sich ausgebrannt. Bedrückende Einsamkeit machte sich breit. Er fühlte sich von Maren verraten. Wie konnte sie ihm nur so etwas antun, daß er dermaßen wütend wurde? Als kleiner Junge hatte er in Wutanfällen sein Spielzeug zerbrochen, wenn er hilflos war. Und so wie früher weinte er nun. Er weinte über sich, weinte über Maren, seine große Liebe, er weinte aus Wut über sein ganzes Leben. Die Worte seiner Mutter jagten ihm durch den Kopf: Jungen weinen nicht, das tun nur Waschlappen. Wütend rieb er sich die Augen. Er war kein Kind mehr und ein Waschlappen war er noch nie gewesen. Er stampfte heftig mit den Füßen auf dem Boden auf. Was machte er hier denn noch? Er wollte weglaufen, weglaufen wie immer. Egal wovor. Auf jeden Fall wollte er sofort weg aus dieser Wohnung, weg von Maren. Fort, nur fort. Spontane Reaktionen hatten bisher immer sein Leben bestimmt. So war er eben. Er hatte schon oft Arbeitsstellen dadurch verloren, daß er einfach nicht mehr hinging. Aber wen ging das etwas an?! Niemand! Maren hatte ihm deswegen ständig in den Ohren gelegen, er solle den Leuten Bescheid geben. Unruhig lief er auf und ab, Schweiß rann ihm über Stirn und Nacken.Vielleicht sollte er es doch einmal anders versuchen? Diesmal wollte er seinen Arbeitsplatz nicht verlieren. Diesmal nicht! Er suchte in den Trümmern der Wohnung das Telefon und fand es unter einem Zeitschriftenstapel. Ein kurzer Anruf in seine Firma und die Sache war klar. Thomas wunderte sich, wie einfach Dinge manchmal funktionieren können.
Hastig packte er das Notwendigste zusammen und bestellte ein Taxi zum Bahnhof. Er überflog mit kurzem Blick die Wohnung und kontrollierte zum letzten Mal seine Tasche. Geld, Ausweis, alles komplett. Er zog die Haustüre ins Schloß. Geschafft. Endlich Ruhe. Thomas bestieg das Taxi und atmete auf. Gedankenfetzen schwirrten ihm durch den Kopf.
Was hatte Maren zu ihm gesagt? Er sei nicht konfliktfähig. Pah! Ausgerechnet sie sagte ihm so etwas. Wer wollte denn aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen? Wer wollte denn wen verlassen? Hämisch grinste er in sich hinein. ´Jetzt weißt du, wer hier etwas zu sagen hat.´
In seinem Kopf herrschte das Chaos. Als wolle er jede Erinnerung wegwischen, fuhr er sich mit der rechten Hand über die schweißnasse Stirn. Er brauchte dringend Abstand von Maren, brauchte Tapetenwechsel. Hastig suchte er nach seiner Flasche, die er immer in schwierigen Situationen brauchte. Er nahm einen langen Schluck und verstaute die Flasche wieder.
Frankreich war ihm als Ziel gerade recht. Nicht zu warm und nicht zu kalt und niemand stellte ihm aufdringliche Fragen. Das Zugabteil war fast leer. In dieser Jahreszeit fuhren nicht mehr viele ans Meer. Thomas nahm nochmals einen guten Schluck. Das stete, gleichbleibende Dahinrauschen der schönen Landschaft schläferte ihn ein.
Er sah Maren lächelnd vor sich stehen. Ihre langen Haare schienen flügelgleich um sie zu schweben. Sie trug das helle Kleid, das er an ihr so liebte, weil es durch den tiefen Ausschnitt viel gebräunte Haut sehen ließ.
“Hallo, Thomas,“ hörte er sie sagen. “Du mußt sofort zurückkommen. Es ist wichtig.“
Thomas riß erschreckt die Augen auf. Er mußte wohl geträumt haben. Dieses schöne Biest! Sie konnte so lieb sein. Was hatte sie nur so verändert? Oder war sie schon immer so gewesen und er hatte sich in ihr getäuscht? Seit einiger Zeit stellte sie ständig Forderungen, denen er nicht nachkommen konnte, setzte ihn unter Druck. Wieso wollte sie ihn nicht verstehen? Er konnte das einfach nicht mehr aushalten! Wenn er nach Hause zurückkäme, müßte er natürlich einiges wieder in Ordnung bringen. Da war das zerborstene Bügeleisen und das eingeworfene Glas der Schrankwand. Die leeren Schnapsflaschen würde er auch noch beseitigen müssen.
Aber das alles hatte Zeit bis später. Er atmete tief bekümmert auf.
Was hatte Maren sich denn nur dabei gedacht, mit immer neuen Ansprüchen an ihn heranzutreten? Und warum wollte sie ihn ständig zum Arzt schleppen? Was sollte das denn? Er war doch kein Kind mehr, das sich an der Hand zum Arzt bringen ließ. Und er ließ sich auch nicht schicken. Er war doch kerngesund, oder? Es war sicher nicht richtig, daß er manchmal überreagierte. Er hätte sich besser zusammenreißen müssen. Aber sie hatte ihn wirklich wütend gemacht. Vielleicht war er jetzt zu weit gegangen, als er sie schlagen wollte. Als sie ihm ausgewichen war, hatte ihn das noch wütender gemacht. Aber wie konnte es passieren, daß das Bügeleisen wie von Geisterhand gelenkt durch die Luft flog und sie traf. Das hatte er doch nicht getan! Er konnte nicht verstehen, wie das passieren konnte. Er liebte Maren doch so sehr. Wen hatte er denn sonst, außer Maren?
Er verscheuchte diese Gedanken, wollte sich nicht mehr an diesen dummen Vorfall erinnern. Es würde sich später schon wieder einrenken, davon war er überzeugt. Nach dem Urlaub würde er ein neues Leben anfangen.
Das anhaltende Rollgeräusch des fahrenden Zuges ließ ihn einnicken. Und wieder sah er Maren vor sich stehen.
“Laß´ dir doch helfen,“ sagte sie. “Geh´ zurück nach Hause.“
Thomas begann zu schreien. Er erwachte schweißgebadet. Sah sich um, wo er sei. Erleichtert sah er sich allein im Zugabteil. Hastig nestelte er an seiner Tasche, entnahm ihr die Flasche und setzte sie mit zitternden Händen an den Mund. Sofort ging es ihm besser. Seine Nerven beruhigten sich. Was war das vorhin? Wieso bedrängte Maren ihn ständig? Sogar im Traum fühlte er sich von ihr verfolgt. Da mußte sie sich nicht wundern, wenn er so reagierte. Hätte sie ihn in Ruhe gelassen, wäre er nie so wütend geworden.
Der Teppich hatte ganz dunkel ausgesehen, ob das Blut war? Wo war nur all das viele Blut hergekommen? Nein, nein. Er wollte nicht denken! Er hatte jetzt Urlaub. Darauf wollte er sich jetzt konzentrieren.
Er sah die Landschaft schemenhaft vorbeigleiten. Draußen wurde es bereits dunkel.
Thomas näherte sich seiner Endstation.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Brigitta Firmenich).
Der Beitrag wurde von Brigitta Firmenich auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.02.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Brigitta Firmenich als Lieblingsautorin markieren

Buch von Brigitta Firmenich:

cover

Sinfonie von Brigitta Firmenich



Der Gedichtband Sinfonie drückt Höhen und Tiefen der Gefühle aus. Es geht um das Leben an sich, um Liebe und Leid, Vertrauen und Schmerz, Leben und Tod. Es sind zumeist besinnliche Texte, in denen man sich sicherlich wiederfinden kann.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (2)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Krimi" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Brigitta Firmenich

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Englandreise von Brigitta Firmenich (Reiseberichte)
Das Verhör von Klaus-D. Heid (Krimi)
Alpen sind nicht der Ural von Rainer Tiemann (Erinnerungen)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen