Dirk Schuh

Erfurter Winterimpressionen

Leichte Schneeböen umwehten uns, während aufgebrachte Menschen scheinbar ziellos umherirrten. Eine mitgereiste Gruppe aus Hannover ging sogar so weit, der Mauer in ihren Köpfen mit massiven Beschimpfungen Ausdruck zu verleihen.


Marcel und ich waren noch nicht einmal in Erfurt und hatten schon genug.
Der Auslöser war eine gesperrte Eisenbahnteilstrecke, die uns in Mühlhaussen abrupt aus Träumen einer problemlosen Anreise zum Erfurter Weihnachtsopen riss. Nach einer halben Stunde in einer Stadt, die ihren letzten Aufschwung im Sozialismus erlebt hatte, ging es mit dem Bus weiter durch die planwirtschaftliche Tristesse des Ostens.
Alte Vorurteile wurden neu belebt und Marcel wie auch ich, die wir Erfurt nie erlebt hatten, waren uns nicht mehr sicher, ob die Austauschbarkeit aller Grossstädte hier nicht an ihre Grenzen stiesse. Dann folgte die Erleichterung: Das Obi-Fachgeschäft erinnerte an zu Hause, erinnerte an den Kapitalismus, in dem wir gross geworden sind. Und je weiter wir Richtung Erfurt-Zentrum vorstiessen, desto wärmer wurde es. Unsere Gedanken wurden warm, unsere Stimmung wurde warm und das Wetter schloss sich an. Von Schnee keine Spur. Nur die Hannoveraner waren noch immer missmutig. Beim Gang zum Hotel hatten wir bereits vergessen, wie wir noch kurz zuvor der Schneehölle getrotzt hatten.
Beim ersten Anblick dessen, was wir in den nächsten Tagen unser Heim nennen würden, vergassen wir dann alles. Denn vor uns stand das So Abgöttisch Schöne SAS Radisson Hotel, ein 17stöckiger Tempel der westlichen Welt, der uns UNS!! Einlass gewährte und wir liessen uns ein. Nach Durchschreiten der elektrischen Schiebetür wurden wir vom Personal herzlich empfangen und fühlten uns direkt wohl. Wir checkten ein, fuhren mit dem die -Menschen-auf-den-Boden-drückenden Fahrstuhl in unser Apartment im 13. Stock und öffneten mit unseren Chip-Karten die Tür zu unserem Zimmer. Nach einer kurzen Inspektion des Zimmers- weisse, flauschige Frottee-Handtücher, Fernseher mit 4 Pay-TV-Kanälen, Minibar, 13.-Stockaussicht, aber ein nicht auseinanderziehbares Doppelbett- begaben wir uns in den Restaurantsaal und bereiteten uns auf den Urlaub vor.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.02.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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