Klaus-D. Heid

Unverbesserlich

„Lieben Sie Brahms?“ fragte ich die junge Frau, mit der ich erst vor ein paar Minuten ins Gespräch gekommen bin. „Wissen Sie, Brahms ist für mich so etwas wie Balsam auf meine Seele, wenn es mir mal richtig schlecht geht!“ ergänzte ich meine Frage. Bis auf ein älteres, aber intensiv flirtendes Pärchen, waren meine neue Bekanntschaft und ich die einzigen Gäste im Café. Ich weiß gar nicht mehr, weshalb wir ins Gespräch kamen – aber irgendwie schienen wir uns auf den ersten Blick sympathisch zu sein. „Brahms?“ fragte sie mich. „Wenn ich es im Kreuz habe, hilft mir nur Franzbranntwein! Kräftig einmassiert, kann ich schon eine halbe Stunde später wieder hüpfen wie ein junges Fohlen.“ Offenbar hatte sie, was den Musikgeschmack anging, andere Vorlieben. Jedenfalls konnte sie mit Brahms kaum etwas anfangen. Damit sie sich nicht vor mir blamierte, wechselte ich schnell das Thema. „Haben Sie denn öfter Probleme mit dem Rücken? Man hört ja überall, dass Rückenschmerzen äußerst unangenehm sein können...!“ Auf eine Antwort wartend, sah ich sie interessiert an. „Eher selten...“ meinte sie. „Nur vor zwei Wochen habe ich mich wohl bei meiner Schwester angesteckt. Egal was die hat – ich stecke mich immer bei ihr an!“ Während sie mir unfreiwillig zu verstehen gab, dass auch Krankheiten kein Gesprächsthema zwischen uns sein konnten, suchte ich beinahe verzweifelt nach anderen Themen, um die Gesellschaft der jungen Frau möglichst lange genießen zu können. Ich schätzte ihr Alter auf etwa dreißig Jahre. Eine sehr gepflegte und kein bisschen aufgetakelte Erscheinung. Sie trug keinen Ehering, was mir altem Charmeur natürlich sofort aufgefallen war. Wenn ein Mann wie ich, der fast sechzig Jahre seines Lebens die Gesellschaft alleinstehender Frauen gesucht hat, kein Auge für Frauen hat, war ihm ohnehin nicht mehr zu helfen. In diesem Fall war er entweder blind oder trauerte einer unglücklichen Liebe hinterher.
Wie dem auch sei – ich wollte das Gespräch mit der jungen Frau unbedingt fortführen, also startete ich einen erneuten Anlauf. „Eine wirklich sehr hübsche Jacke, die Sie da tragen. Ich mag dieses wunderschöne Blau. Es erinnert mich immer ein wenig an Urlaub, Sonne und Meer. Reisen Sie auch gerne? Bestimmt sind Sie in diesem Jahr schon verreist, oder?“ Bedauerlicherweise musste ich schon wieder in ein Fettnäpfchen getreten sein, denn sie antwortete: „Urlaub? Um Gottes Willen! Womöglich noch am Wasser? Und dann diese ekelhafte brennende Sonne...! Gegen Sand bin ich sowieso allergisch. Muss ich wohl auch von meiner Schwester haben. Hatte ich schon gesagt, dass ich mich ständig bei ihr anstecke? Ja? Und überhaupt hasse ich Trubel und zu viele Leute um mich herum. In den Ferien bin ich am liebsten zu Hause und sehe mir die Wiederholungen der Talkshows an. Und was die Jacke angeht, fühle ich mich gar nicht wohl darin. Eigentlich gehört sie ja meiner Schwester, die sie mir nur geliehen hat, weil meine Jacke ein Loch hat. Sie ist zwar Blau, aber in der Not frisst der Teufel ja bekanntlich Ziegen, nicht wahr...?“ Ich wollte ihr nicht sagen, dass der Teufel sich in Notsituationen schon mit Fliegen begnügte. Wer weiß, ob sie mir nicht böse gewesen wäre, wenn ich sie verbessert hätte. Worüber konnte ein alter Mann wie ich sich nun noch mit einer wesentlich jüngeren attraktiven Dame unterhalten? War ich schon zu alt für einen kleinen Frontalangriff in die richtige Richtung? Was konnte schon passieren. Nur der Versuch macht klug! Also ließ ich es darauf ankommen: „Sie tragen keinen Ring? Eine so hübsche Frau – und kein Mann an Ihrer Seite?“ Hoffentlich war meine Frage nicht zu forsch für einen Gesprächseinstieg. Etwas irritiert sah sie mich an und erwiderte: „Männer? Diese unausstehlichen haarigen Ungeheuer, die nie was anderes im Kopf haben, als einen in die Kiste zu zerren? Hören Sie mir bloß mit Männern auf! Bevor ich mal heirate, müsste schon ein Wunder geschehen!“ Für was hielt sie mich wohl? Für ein geschlechtsloses Wesen aus dem Himmel? Es war wirklich kein Kinderspiel, ein Thema zu finden, dass uns beide gleichermaßen interessierte. Nur meiner in vielen Jahrzehnten gewachsenen Geduld und dem verführerischen Erscheinungsbild der jungen Frau war es zu verdanken, dass ich mich nicht sofort an einen anderen Tisch setzte. In dem Moment, als ich wieder einmal zu einem neuen Gesprächsthema ausholen wollte, ergriff sie überraschenderweise das Wort. „Wissen Sie eigentlich, dass Männer nachgewiesenermaßen über weniger Intellenz als Frauen verfügen? Frauen haben viel mehr im Kopf, als Männer!“ Sie sah mich bei diesen Worten an, als sei sie die Reinkarnation der göttlichen Weisheit. Es lag mir dieses Mal tatsächlich auf der Zunge, ihr den Unterschied zwischen Intellenz und Intelligenz zu erklären. Aber was brachte es mir, wenn ich einmal von dem kurzen Glücksgefühl absah, eine wirklich dumme aber sehr hübsche Kuh verbessert zu haben? Nichts. Rein gar nichts! Also nickte ich ihr zustimmend zu und wartete darauf, weitere Weisheiten aus ihrem entzückende Mund zu vernehmen. Ich wartete. Ich wartete eine ganze Weile. Ich wartete immer noch. Nichts! Sie schlürfte in aller Gemütsruhe ihren Kaffee und schien meine Gegenwart an ihrem Tisch vollkommen vergessen zu haben. „Noch ein Versuch...!“ sagte ich zu mir und unterbrach das inhaltlose Schweigen. „Erlauben Sie mir bitte eine Frage, junge Frau...?“ Ohne ihre Zustimmung abzuwarten, fuhr ich fort: „Könnten Sie wohl mal den Felsensterbig um zwei Krupatzen umfellen? Ich würde zu gerne sehen, wie Sie im Hoppelfuhl um Gnappis zeppeln!“ Auf diesen Schwachsinn konnte sie natürlich nichts erwidern. Mir wurde es nur einfach zu dumm, das Gespräch zu banal verlaufen zu lassen. Ich war wirklich sehr gespannt, wie sie mit meiner Frage zurecht kam. Da ich meine Frage mit einem Gesichtsausdruck gestellt hatte, der bislang noch jedes tiefgefrorene Frauenherz zum Kochen gebracht hatte, würde sie mich gleich ansehen, als sei ich ein geisteskranker Außerirdischer. Dachte ich jedenfalls. Und ich dachte falsch, denn sie schenkte mir plötzlich ein überaus erotisches Lächeln, während sie sagte: „Oh, ja gerne! Allerdings mache ich es nur mit Gummi, wenn Sie verstehen, was ich meine...!“

Ich verstand Nichts und verstand Alles. Mit nun doch etwas zittrigen Händen legte ich fünf Euro auf den Tisch, um nichts als Betrüger das Café verlassen zu müssen. Ich verabschiedete mich nicht von dieser seltsamen Frau und sah zu, dass ich so schnell wie möglich den Heimweg antrat. Überstürzt suchte ich den Ausgang, ohne dem verlorenen Flirt nachzutrauern. Die Zeiten hatten sich geändert. Ich hatte mich geändert. Die Frauen haben sich verändert! Wahrscheinlich war es tatsächlich besser, wenn ich mir in meinem Alter noch einen Hund zulegte. Mit dem kann ich dann über alles reden, was mir auf der Seele lag.

Der Köter wird zwar auch nichts von dem verstehen, was ich ihm sage – aber er wird auch nicht Brahms für eine Rheumasalbe und Urlaub für eine chinesische Folter halten. Ich bin einfach zu alt für junge Frauen, glaube ich.

Während ich eiligen Schrittes nach Hause marschierte, fiel mir plötzlich diese junge Frau auf, die so einsam und verlassen an der Bushaltestelle wartete. Ich konnte es einfach nicht lassen.

„Bitte verzeihen Sie, junge Frau... – aber lieben Sie zufällig Brahms...?“

„Nein. Mein Freund heißt Gerstenberg. Warum fragen Sie...?“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.01.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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