Kristina Korus

Die Höchststrafe

Er sah zu seinem Anwalt und bewunderte ihn insgeheim , dass er immer noch kämpfte, obwohl es offensichtlich ein Kampf gegen die Windmühlen war. Der Richter war unerbittlich.
Zehn Minuten später war das Urteil gefällt: Höchststrafe.
Der Jurist schüttelte resigniert den Kopf, während sein Mandant gepackt und nach draußen gezerrt wurde, raus auf die Straße, wo bunter Trubel herrschte.
Schweigend lief er durch ein Meer lachender Gesichter, atmete tief den herb-süßen Duft frischer Erde ein. Er hatte gegen das Gesetz verstoßen - die Höchststrafe zu tragen war ihm nun auferlegt worden: Leben.
Seine Bewacher brachten ihn bis ans Tor. Er drehte sich um. Seine Kinder winkten, seine Frau stand in Tränen. Er hob ein letztes Mal die Hand und durchschritt die Tür zum Reinkarnationsraum. Er wurde an eine Pritsche geschnallt, während ein Arzt seine Frau und Kinder beruhigte: "Diese Methode ist vollkommen schmerzlos."
'Das mag schon sein', dachte seine Frau, 'doch welche Qualen würde er danach erleben müssen?'
Die mächtige Strahlenkanone senkte sich herab.
Irgendein Witzbold markierte mit einem Kreuz die Stelle, wo der Kanonier hinschießen - und möglichst auch treffen sollte.
Dann ging alles recht schnell.
Er spürte noch, wie das Belebungsmittel anschlug, sah einen grellen Blitz - und fand sich inmitten von Bergen von Müll wieder. Es stank fürchterlich. Graue Gestanksschwaden lagen schwer auf allen Dingen; auf seinen Schultern positioniert beugten sie seinen Rücken in Gram, so dass er augenblicklich kleiner wurde.
Menschen aus Haut und Knochen schlurften an ihm vorbei, ihre Augen gefüllt mit Apathie, Schmerz.... Er hatte gewusst, dass das Diesseits ein schrecklicher Ort ist, aber was sich nun seinen Augen offenbarte, ging über all seine Vorstellungen.
Er sah zerfetzte Körper und die Fliegen, die sich daraus ein Festmahl bereiteten.
Am Boden lagen Totenschädel, hämisch grinsend, als ob sie sagen wollten: "Ich bin weg. Mir kann keiner mehr was."
Er sah sterbende Kinder, die neben der Leiche ihrer Mutter kraftlos wimmerten;
ausgedörrten, von Blut getränkten Boden, auf dem nicht einmal die garstigsten Pflanzen wachsen wollten.
Als er weiter ging, bemerkte er, wie er auch schon den Schlurfgang imitierte, der so charakteristisch für das Leben war.
Er wünschte sich heim, zurück in sein Grab zu Frau und Kindern. Doch keine Märchenfee erschien - sie waren vor langer Zeit ausgerottete worden.
Er schlurfte immer weiter, nicht wissend wohin.
Im Grunde war das auch egal.
Es gab nichts mehr, worüber er lachen konnte; nichts, worauf er sich freuen konnte.
Es gab nichts mehr, außer den schrecklichen Anblick von Leben, welches die Menschen vor langer Zeit zu schätzen verlernt hatten.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.01.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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