Katja Knaub

Sehnsucht

Madeleine,
heute Nacht fand ich wieder einmal keinen Schlaf, lag mit geöffneten Augen in tiefer Finsternis und fühlte mich dem Tod näher als dem Leben. Jeder meiner Gedanken galt dir allein, der Zeit mit dir, die mir, weil sie mich so unbeschreiblich glücklich machte, wie ein Sekundenbruchteil im Vergleich zum Rest meines verfluchten Daseins erschien. Und immer noch habe ich dein Bild vor Augen, in all deiner atemberaubenden Schönheit, so wie ich dich zum letzten Mal sehen durfte, wirst du in meiner Erinnerung bis in alle Ewigkeit weiter bestehen. Ohne dich scheint jeder Augenblick unendlich lang, das Leben nie endend. Doch bleibt mir nichts als auf gerade dieses Ende zu warten, darauf endlich wieder mit dir vereint zu sein! Es bleibt nichts für mich zurück, nichts zu gewinnen, nichts zu verlieren, denn alles was ich verlieren konnte, hat Gott mir bereits genommen. Deine Wärme, das Licht, das du in mein Leben brachtest, die Leere in mir, die nur durch deine Liebe gefüllt werden konnte, bedingungslose Liebe, die alles übersteht, sogar den Tod. Ich liebe dich immer noch, Madeleine und in all der Zeit, in all den qualvollen, nie enden wollenden Tagen, in denen Gott meine Liebe zu dir nun schon auf die Probe stellt, gab es nicht einen Augenblick, nicht einen Sekundenbruchteil, in dem ich in Gedanken nicht bei dir war. Hab Geduld, die Zeit wird kommen, wir werden uns wieder sehen, denn meine Liebe gilt dir allein!

Ich falte den Brief und denke zurück an eine Zeit, als sich meine Augen beim Schreiben dieser Briefe noch mit Tränen füllten, an eine Zeit als ich noch Trauer empfinden konnte, als mich der Schmerz über ihren Verlust noch besinnungslos zu machen schien. Jetzt ist die Trauer zum Alltag geworden, das Gefühl zur blassen Erinnerung, der Schmerz zur Gewohnheit. Alles das geblieben ist, ist Leere. Leere in meinem Blick, Leere in meinem Herzen, Leere in meiner Seele. Kalt und ausgebrannt lebe ich in meiner eigenen Welt, ertrage mein Leid und warte sehnsüchtig auf das Ende dieser mir von Gott aufgebürgten Last. Doch es scheint nie zu enden...
Seit vier Jahren ist sie nicht mehr mein, weggerissen von den erbarmungslosen Klauen des Todes, doch vergessen habe ich sie nie. Seitdem schreibe ich ihr Briefe. Tausende müssen es nun schon gewesen sein, Tausende meiner vergossenen Tränen, die von meinen schwarzen Engeln zu ihr in Gottes strahlendes Land gebracht worden sind.
Ich nehme eine Taube und binde ihr den Brief an den Fuß, streichle sanft ihr dunkles Gefieder. Der Mond strahlt mich an, als ich das Fenster öffne und die Taube fliegen lasse, so als wolle er etwas erzählen. Eine nie endende Geschichte.

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