Larissa Varbanova-Ertl

Maras Sternschnuppen (Vorgeschichte)

Vorgeschichte

..wütend riss sie CD aus dem Player und warf sie in die Luft. Nach kurzem Blinken
verabschiedete sich die Scheibe im Rückspiegel. Rauschender Fahrtwind war nun die Musik, wirbelte
Haare und Gedanken durcheinander. Wenn doch nur alles so einfach zurückzulassen war wie seine
Lieder...sein Geruch wehte noch vom Beifahrersitz auf dem er vor ein paar Augenblicken noch saß. War
dieser Impuls endgültig oder wieder nur ein kurzes Intermezzo? Mit geschlossenen Augen raste sie tief
atmend durch die Nacht...

Was bildete sich dieser Kerl ein? Wut übermannte sie. Sie ärgerte sich wieder einmal über
sich selber, statt ihren an dem Richtigen auszulassen.

Nadia verließ bei der nächsten Ausfahrt die Autobahn um die Küstenstraße weiter zu fahren.
Die frische salzige Prise gepaart mit den ersten Sonnenstrahlen des Tages zauberte ihr ein Lächeln auf die
Lippen. Wie schön doch so ein Sonnenaufgang am Meer sein kann.

*****

Fassungslos stand er da und sah dem Wagen hinterher, bis dieser vom Dunkel verschluckt
wurde. Es war alles so schnell gegangen.. Er senkte den Blick, ballte die Hände zu Fäusten. Nie war er sich
so verloren vorgekommen wie jetzt. Gedankenfetzen wirbelten an ihm vorüber, ließen sich doch nicht
fassen..
Unerreichbar...
Ein leichter Windstoß fegte über den Asphalt und wehte ein blaues Stück Stoff heran, das wohl in einiger
Entfernung aus dem Auto gefallen sein musste. Er fing es auf, sog ihren Geruch ein, der noch darin hing.
Nadia..
Er würde nicht aufgeben.
Niemals.

..er lief und lief, so schnell, wie ihn seine beiden Beine trugen. Doch ihr Lied ging ihm
nicht aus seinem Kopf.
Seine Bewegungen fanden ein jähes Ende. In einem Loch blieb er mit seinem rechten Fuß stecken und fiel
mit wirbelnden Armen zu Boden. Er landete unsanft bäuchlings auf dem staubigen Untergrund. Er schaffte
es nicht mehr, sich mit seinen Armen abzustützen...zu sehr war er mit seinen Gedanken woanders gewesen.
Er sog den Geruch des Feldes durch seine Nase ein und blieb erstmal regungslos liegen. Er fühlte einen
dumpfen Schmerz in seinem Brustkorb, abgelöst von einem stechenden Schmerz an seinem rechten Fuß.
"Scheiße!" dachte er sich, "warum ist heute nur so ein mieser Tag?!?!" Er wandte seinen Kopf nach rechts,
um nach dem Fetzen zu schauen, doch alles was er sah, war eine verkrampfte Hand, die sich in den Boden
grub.
Er richtete sich langsam auf. Es pochte leicht in seinem Brustkorb. Er klopfte sich hektisch den Dreck von
seinen Kleidern ab und blickte sich hastig um. Er trat den ersten Schritt zur Suche nach dem Fetzen.

Er seufzte. Was tat er hier überhaupt? Konnte er denn wegen einer Frau einfach
weglaufen? Einfach alle Pflichten vernachlässigen und...?
Ja.
Ehe er zuende gedacht hatte, stand diese Antwort für ihn fest. Es war schließlich nicht irgendeine Frau. Es
war DIE...
"Ach, was quäle ich mich selbst so..", murmelte er, als er den Seidenschal aufhob und seinen Weg über das
schier endlose Feld fortsetzte.
Wo wollte er überhaupt hin?
Erst, als es beinahe Mittag wurde und die Küstenregion in Sicht kam, wusste er darauf eine Antwort. Er war
bei ihr gelandet, was wäre auch anderes zu erwarten gewesen?
Langsam näherte er sich der Straße und versuchte, zwischen den Bäumen hindurch einen Blick auf ihre
Villa zu erhaschen. Etwas behagte ihm nicht, doch er konnte nicht sagen, was es war..

Ab hier setzt das kranke Autorengehirn von L. V-E. ein.

Seine Gedanken führten in zurück zu der CD, die ihm aus dem davonrasenden Auto wie eine
Sternschnuppe entgegengeflogen war...

Dunkel erinnerte er sich, daß diese Sternschnuppe auf ihn zugekommen...

Ein kurzer, stechender Schmerz im oberen Schädelbereich. Und dann das Wiederfinden seiner selbst auf
dem Boden.

Sie mußte noch irgendwo dort liegen. Auf der Straße, oder im Straßengraben...

Sicher war ihr Zweitwagen, ein tiefergelegten 386er Shiguli mit Plaste-Elaste-Felgen, noch in der Garage.
Sie fuhr ihn selten, außer wenn es galt, gegenüber der Auswanderergemeinde aus Halle-Neustadt
anzugeben. Schweißüberströmt quälte er sich durch das Gebüsch am Rande der Hofeinfahrt zur Garage.

Es hätte ihm früher auffallen müssen, daß die Garage offenstand. Aber der Adrenalinspiegel in seinem Blut
ließ nur noch die notwendigsten Denkprozesse zu.

Mit zitternden Händen riß er die Tür des Wagens auf. Jetzt nur den Wagen gestartet kriegen, zurück zu der
Stelle wo die CD lag.

Der Motor sprang kurz an, mit einem leiernden Geräusch, als fühle er sich im Schlaf gestört. Und erstarb
wieder. Die Hand am Gangschaltknüppel schaltete in den Leerlauf zurück.

Die linke Hand am Lenkrad, die rechte Hand am Lenkrad, zählte er: zwei Hände am Lenkrad, plus eine am
Gangschaltknüppel, macht drei.

Sein Gehirn weigerte sich noch einen Moment lang, jenen logischen Schluß zu ziehen, der sich hier
zwanghaft anbot. Seine Augen zogen den Schluß und die daraus nötigen Konsequenzen etwas schneller, und
wanderten in Richtung Beifahrersitz.

Seine Arme und Beine zogen überhaupt keine Schlüsse, mit der Folge, daß er wie angewurzelt sitzen blieb.

Der bullige breitschultrige Mann mit der Stirnglatze und dem ungepflegten Kinnbart starrte ihn vom
Beifahrersitz her auf eine fast aufreizend träge Weise an. "Es geht um die Wurst", sagte der Mann
schließlich mit schleppender Stimme.

Unter seiner weißen Metzgerschürze mit beunruhigend frischen roten Flecken trug er gescheckte
Armeekleidung und ein T-Shirt, von dessem Aufdruck nur S.yo.e zu lesen war.

"WER SIND SIE?"

"WAS HABEN SIE MIT IHR GEMACHT?"

Der bullige Mann schüttelte den Kopf.

"Rippchen."

"Und ich bin DER SCHLACHTER."

Travis spürte, daß der Mann mit der Axt nur vordergründig so apathisch wirkte - aber schon dabei war, die Muskeln anzuspannen. Die Hand mit dem Beil hob sich langsam und drohend.

Und dann geschah es in Sekundenbruchteilen.

Im Augenwinkel sah Travis eine Gestalt im Halbdunkel hinter dem Auto auftauchen. Dann krachte ein Schuß, und die Heckscheibe zersplitterte.

Glasscherben flogen durch das Wageninnere, und ein Projektil schlug mit einem häßlichen Geräusch in das Armaturenbrett ein - dort, wo die Drehschalter für die Lüftung angeordnet sind.

Ein Geräusch, das dem Anspielen einer Stahlsaite auf der E-Gitarre ähnelte, fiel zeitlich praktisch mit einem zweimaligen Krachen und Bersten zusammen.

Sonnenlicht fiel durch die neu entstandenen Dachöffnungen in Schuppen und Wagen. Der Platz neben Travis war leer. Mann, Axt und Beifahrersitz waren verschwunden. Statt dessen ragte aus dem Chassis des Autos eine starke Spiralstahlfeder heraus, die provozierend hin und her wippte. In Auto- und Schuppendach klafften jetzt je ein quadratisches Loch mit Abmessungen, die dem Umriß eines Beifahrersitzes entsprachen. An der in Fahrtrichtung vorne liegenden Seite hatten die neu entstandenen Dachfenster zwei spitz zulaufende Ausbeulungen, die wohl den Schuhspitzen des Schlächters entsprachen.

Travis’ Herzschlag meldete sich langsam wieder.

Die Gestalt, die hinter dem Auto gestanden hatte, kam gemächlich ans Seitenfenster geschlendert.

„Wolga 820 M, Sonderausstattung mit Schleudersitz, ein beliebtes Spielzeug östlicher Geheimdienste.“ sagte sie, und ihre Stimme klang kühl und sachlich wie die einer Nachrichtensprecherin, während sie ihre Pistole in den Gürtel zurücksteckte.

Die Frau war vielleicht Anfang 30, mit rötlich-kastanienbraunen Haaren, die in einem ewig langen Zopf endeten.

„Wer, bitteschön, sind Sie?“

Sie lächelte etwas. „Nennen Sie mich Mara.“

„Mara?“

„Eigentlich heiße ich Maryah. Aber in der Schule sagte der Lehrer immer zu mir, ich solle auf meinen vier Buchstaben hockenbleiben, und da mußten halt ein „y“ und ein „h“ wegrationalisiert werden.“

„Okay. Mara, oder auch Maryah... was zum Teufel ist hier los? Was machen Sie hier? Und wer war dieser Kerl?“

„Eigentlich müßten Sie mir das erklären. Weshalb kriegt ihre Kurzzeitbekanntschaft Besuch von einem Rollkommando, das das ganze Haus auf den Kopf stellt? Was haben Sie für einen Schatz, den die finden wollen?“

Travis erzählte von der CD. Dieses Ding hatte ihm, seit es ihm auf so ungewöhnliche Weise zugelaufen war, nur Ärger gebracht. Der Mann in dem Auto, das sich um den Baum gewickelt hatte, war schon fast tot gewesen - er konnte ihm die Scheibe nur noch überreichen und in einem etwas merkwürdigen Akzent „Bringen Sie es an kompetente Stelle“ röcheln, bevor er verstarb. Dann seine Bekanntschaft mit jener Nadia. Und der Versuch, die CD im Auto anzuhören - ein Versuch, der mit seinem Hinausschmiß geendet hatte.

„Dann wird,“ sagte Mara nach einer Pause, „dieses Mistding immer noch dort liegen, wo es Ihnen an den Kopf geflogen ist.“

Sie starrte sinnierend vor sich hin.

„Sie werden Hilfe brauchen. Diese Burschen, wer immer sie sind...“

„KGB? CIA?“

„Zu unprofessionell. Sogar Hessen hat bessere Geheimdienstleute.“ Sie trommelte leise mit den Fingern auf das Autodach. „Wir müssen diese CD wiederfinden, und dann unbedingt zusehen, daß wir spurlos Land gewinnen.“

„Wir?“ überlegte Travis und realisierte, daß er mitten in einem Agentenfilm gelandet war - mit einer Traumfrau als Filmpartnerin.

Seine Blicke musterten sie. Ihr Gesicht war irgendwie leicht asiatisch, aber ihr eiskalter Blick und der etwas zynische Mund störten darin.

Seine Augen registrierten einen fast schon winzigen Rucksack, ein dünnes Armee-Shirt und darunter eine beeindruckende Gebirgslandschaft. Innerhalb seines Erfahrungshorizonts war diese Mara die erste und einzige Frau, die durch bloßes Hin- und Her-Drehen ihres Oberkörpers Ohrfeigen verteilen konnte - ohne die Hände zu gebrauchen.

Sein Blick wanderte tiefer und registrierte ewig lange Beine unterhalb den Armeeshorts. Wenn sie nur nicht gelbe Gummistiefel dazu tragen würde wie ein Bauarbeiter.

Auf irgendeine Weise schien es in seinem Körper zu punktuellen Veränderungen der Durchblutung zu kommen.

„Fertig?“

Mara hatte sichtlich nicht nur seine Blicke, sondern auch seine Gedanken mitgescant.

Die erwähnten Durchblutungswerte wurden schlagartig auf ihre ursprünglichen Werte zurückgestellt.

Sekunden später durchbrach der weiße Wolga das Schuppentor und raste den Weg entlang, den Travis gekommen war.

„Wir dürfen nicht auffallen, sondern müssen schnell untertauchen“, hatte Mara gesagt.

Ein halbverrosteter Ostblockschlitten, an dessen Steuer eine Frau sitzt, die wie eine Bekloppte fährt. Daneben ein männlicher Beifahrer mit blutbeflecktem Hemd, der mangels eines Beifahrersitzes aufrecht steht und aus einem Loch im Dach herausschaut wie ein Panzerkommandant während einer Militärparade. Nicht zu vergessen das Stück Gartenzaun, das noch am Kotflügel hing.

Ein ideales Paar, das in dieser Aufmachung sicher nirgends auffallen würde.

Sie rasten die kurvenreiche Straße hinauf...


Fortsetzung folgt.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Larissa Varbanova-Ertl).
Der Beitrag wurde von Larissa Varbanova-Ertl auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.03.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Larissa Varbanova-Ertl als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Tierisches und mehr: Kurzgeschichten und Gedichte von Elke Abt



Im Laufe vieler Jahre hat eine große Anzahl Tiere ein Zuhause in der Familie der Autorin gefunden. Sie hat viel Lustiges und manchmal auch Trauriges mit ihnen erlebt. In diesem Buch stellt sie einige mit ihren Besonderheiten vor. Neben Tierischem ist auch das Menschliche nicht vergessen worden, das zum Schmunzeln anregt. Flora und Fauna haben sie außerdem zum Verfassen von Gedichten inspiriert, die nicht immer ernst zu nehmen sind. Wer den Humor liebt, für den sind die individuellen Kurzgeschichten und Gedichte genau richtig.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Skurriles" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Larissa Varbanova-Ertl

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Maras Sternschnuppen (1) von Larissa Varbanova-Ertl (Skurriles)
Der Erste Kuß von Rita Bremm-Heffels (Skurriles)
Nach mir die Sintflut von Rüdiger Nazar (Wahre Geschichten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen