Kerstin Meinecke
„Siehst Du, Helga?"
Er saß am Fenster. Sein Blick war starr auf den Horizont
gerichtet. Seine Lippen öffneten sich und er sprach: "Siehst du,
wie schön alles blüht, Helga?" Seine Frau saß in ihrem
Lieblingssessel und strickte. Sie antwortete: "Ja, Herbert. Sehr
schön." Er lächelte abwesend und fragte: "Siehst du, wie
herrlich blau der Himmel ist, Helga?" Erneut entgegnete ihm
seine Frau: "Ja, Herbert. Sehr schön." Er lehnte sich zurück
und entspannte sich. Mit einem leichten Seufzen nahm er einen
weiteren genüsslichen Zug aus seiner Pfeife. Nach einer Weile
wollte er von seiner Frau wissen: "Siehst du, wie schön die
Sonne strahlt, Helga?" Sie erwiderte: "Ja Herbert. Sehr schön."
Der kleine Enkel des Ehepaares kam herein. Er setzte sich auf
den Schoß seiner Großmutter und spielte mit einem kleinen
Zinnsoldaten. Herbert stieß genüsslich den Rauch aus seinem
Mund und fragte: "Siehst du, wie schön sich unsere Eiche im
Teich spiegelt, Helga?" Sie antwortete: "Ja, Herbert. Sehr
schön." Der kleine Enkel schaute verdutzt und rief: "Aber du
bist doch blind, Opa!" Helga hielt einen Finger vor den Mund
und schaute den Kleinen strafend an. Herbert paffte zufrieden
weiter und sprach nach einiger Zeit: "Ja, Hans; aber ich kann
mich erinnern, wie es war. Seht ihr, wie schön die Vögel
fliegen?" Helga wischte sich eine kleine Träne aus ihrem
Gesicht und antwortete: "Ja, Herbert. Sehr, sehr schön." Hans
schaute seine Oma fragend an und sagte dann: "Ja, Opa. Es ist
wirklich sehr schön hier draußen."
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.01.2002.
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