Glänzende Zukunft

„Entspannen Sie sich...! Lassen sie die Arme ganz locken herunterhängen – und schließen Sie die Augen. Denken Sie an irgendetwas Schönes, Frau Koch. Versuchen Sie, alles um sich herum zu vergessen, wenn ich nun beginne, mich um ihre verspannten Muskeln zu kümmern. Das Massageöl ist etwas kühl. Erschrecken Sie sich also nicht. Die Massage wird Ihnen nicht weh tun, wenn Sie sich bestmöglich entspannen – und alles weitere meinen Händen überlassen. Das beste wird sein, wenn Sie versuchen, ein wenig zu schlafen. Schlafen Sie ruhig! Ich werde Sie schon wecken, wenn ich fertig bin, ja? Entspannen und schlafen. Fallenlassen. An nichts denken, dass Ihnen unangenehm ist. Schließen sie die Augen und stellen Sie sich vor, dass Sie auf einer herrlich weichen Wolke schweben. Alles ist weich und wunderbar gemütlich. Ihre Gedanken schweben ebenso, wie Ihr Körper. Vergessen Sie, dass Sie einen Körper haben. Lassen sie Ihre Seele schweben. Wunderbar leicht schweben... hin und her wiegen... wie eine Feder... kein Gewicht mehr... keine Gedanken... alles ist weit, weit weg...! So ist es gut, Frau Koch. Schön locker lassen! Nicht verkrampfen. Spüren Sie meine Hände? Frau Koch? Frau Koch? Hören Sie mich? Können Sie mich hören, Frau Koch? Nein? Gut. Ich werde Ihnen nun ein paar Fragen stellen, die Sie mir bitte beantworten werden, Frau Koch. Werden Sie mir alle Fragen beantworten? Sehr gut! Also, Frau Koch. Hier ist die erste Frage. Empfinden Sie meine Hände angenehm in Ihrem Nacken? Ja? Hervorragend. Fühlen Sie sich gut? Sehr schön, Frau Koch. Sind Sie verheiratet? Tatsächlich? Und warum ist Ihr Mann nicht im Haus? Was sagen sie? Er ist auf Geschäftsreise? Noch drei Tage? Das ist gut, Frau Koch. Sehr, sehr gut! Spüren Sie, wie meine Finger nun langsam zu Ihren Schulterblättern wandern? Tut es Ihnen gut? Wunderbar! Meine nächste Frage, Frau Koch. Sie haben einen Tresor im Haus? Bestens! Wo ist dieser Tresor, Frau Koch? Im Wohnzimmer? Ach ja? Hinter dem großen Bild mit dem Stilleben? Das machen Sie wirklich sehr gut, Frau Koch! Verraten Sie mir die Kombination des Schlosses? Was meinen Sie? Wiederholen Sie bitte? Vier links? Vier rechts? Neun rechts? Sieben links? Sieben rechts? Acht rechts? Acht links? Neun rechts? Hervorragend, Frau Koch. Ich bin wirklich sehr zufrieden mit Ihnen! Ihre Schulter sind tatsächlich sehr verspannt. Sie müssen ein bisschen mehr Sport treiben, Frau Koch. Wenn Sie später aufwachen, werden Sie sich umgehend darum kümmern, regelmäßig schwimmen zu gehen. Schwimmen ist gut für die Muskulatur, Frau Koch! Zuvor aber werden Sie mir noch eine Frage beantworten, ja? Hat Ihr Mann noch an einer anderen Stelle Wertgegenstände oder Bargeld versteckt? Bargeld? Sehr interessant, Frau Koch. Und wo ist es versteckt? Unter dem Teppich? Im Esszimmer? Eine loses Parkettholz? Unter dem Esstisch? Bravo, Frau Koch. Sie machen das wirklich sehr gut! Ein kleines Kreuz auf dem Parkett? Und was werde ich dort finden? Goldmünzen? Wissen Sie, welchen wert diese Münzen haben? Vierhunderttausend? DM? Euro? Wie bitte? Dollar? Sehr schön! Sie helfen mir tatsächlich ausgezeichnet, Frau Koch! Entspannen Sie sich. Bleiben sie ganz, ganz locker, wenn ich nun meine Finger zu Ihrer Wirbelsäule wandern lasse. Tut es Ihnen gut? Sehr schön! Ich werde Sie nun ein paar Minuten alleine lassen. Sie werden inzwischen brav und still hier liegen bleiben, bis ich zurückkehre. Sie werden sich kein bisschen bewegen. Ganz still liegen. Schlafen Sie weiter. Schlafen Sie tief und fest, Frau Koch...!“

Zehn Minuten später:

„Frau Koch? Wenn ich nun mit dem Finger schnippe, werden Sie aufwachen. Sie werden sich an nichts erinnern. Sie werden sich wunderbar entspannt fühlen und mir einen Scheck für meine Bemühungen ausstellen. Meine Bemühungen kosten Sie einhunderttausend Euro. Sie werden das völlig in Ordnung finden. Wenn Sie später von der Polizei befragt werden, ob Sie sich an mich erinnern können, werden Sie verneinen. Im gleichen Moment, in dem ich ihr Haus verlasse, werden Sie mein Gesicht für immer vergessen! Haben Sie verstanden, was ich gesagt habe? Ja? Sehr schön. Dann werde ich nun mit dem Finger schnippen und Sie werden aufwachen...

...Schnipp!

Na, Frau Koch? Wie fühlen Sie sich?“

„Wunderbar! Ich fühle mich um mindestens zwanzig Jahre jünger!“

„Schön. Dann darf ich mich nun verabschieden, Frau Koch!“

„Sie bekommen noch den Scheck! Was hatten wir vereinbart? Einhunderttausend Euro? Genau! Warten Sie bitte einen Moment. Ich stelle gleich den Scheck aus. Es war wirklich einmalig entspannend. Vielen, vielen Dank nochmals!“

„Gerne geschehen. Es war auch mir ein Vergnügen, Frau Koch!“

„Darf ich vielleicht noch eine kurze Frage stellen, bevor Sie gehen?“

„Natürlich. Was immer Sie wollen.“

„Gut. Sagen Sie mir bitte, wo Sie die Goldmünzen gelassen haben? Und das Bargeld aus dem Tresor? Haben Sie es bereits in Ihrem Wagen verstaut?“

„Wie bitte? Ich verstehe nicht...?“

„Nein? Dann werde ich es Ihnen erklären, junger Mann! Von Geburt an bin ich taub! Ich kann also nicht hören, was Sie sagen. Ich kann nur von den Lippen lesen. Allerdings haben Sie wirklich fantastische Hände, wenn ich das noch sagen darf...!“

„Aber meine Fragen...! Sie haben doch alle Fragen beantwortet...?“

„Sehen Sie dieses kleine Ding in meinem Ohr? Der nette Herr, der sich im Bad versteckt hat, hat Ihre Fragen über ein Mikrofon mitgehört – und mir die Antworten vorgegeben. So konnte ich gleichzeitig Ihre Massage genießen und Ihre Fragen beantworten. Ich denke, dass man bereits auf Sie wartet, um Sie festzunehmen...! Schade eigentlich. Als Masseur hätten Sie eine glänzende Zukunft vor sich...!“

• Autorensteckbrief (Infos & weitere Beiträge)
• mailkdheid.de (Spam-Schutz - Bitte eMail-Adresse per Hand eintippen!)
• http://www.kdheid.de

  Klaus-D. Heid als Lieblingsautor markieren

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen