Klaus-D. Heid

Wie versprochen, Mama!

Normalerweise hasse ich Beerdigungen.

Selbst Leute, die ihr ganzes Leben damit zugebracht haben, anderen das Leben schwer zu machen, werden am Tag ihrer Beerdigung als ‚gute Menschen’ bezeichnet, deren Tod einen schrecklichen und herben Verlust für die Hinterbliebenen und Freunde bedeutet. Da werden Tränen vergossen, von denen ich annehme, dass es sich in den meisten Fällen um Freudentränen handelt. Schwarzgekleidete Figuren geben sich alle Mühe, ernst und trauernd auszusehen, obwohl sie innerlich jubeln und frohlocken. Den nächsten Angehörigen wird mit Grabesmine kondoliert und hinter den Masken der Heuchler verbirgt sich das schäbige Grinsen feixender Gratulanten. Bei der Erde, die auf den Sarg geworfen wird, könnte es sich auch um entsicherte Handgranaten handeln, damit der Verblichene auch garantiert verblichen bleibt und nicht noch im letzten Moment als Scheintoter gegen die Innenwände des gepolsterten Sarges hämmern kann.

Ich finde es abgrundtief widerwärtig, einem Toten die letzte Ehre erweisen zu müssen, der vom ersten bis zum letzten Tag seines Daseins keine Ahnung hatte, was das Wort Ehre eigentlich bedeutet. Es wiederstrebt mir, mich in die Riege derer einzuordnen, die leise mitleidig jammern, statt laut grölend den Abgang des Dahingeschiedenen zu feiern.

Bei Reinhard Emmental mache ich eine Ausnahme.

Emmental ist zwar das verabscheuendwürdigste Geschöpf, das ich kannte – aber er hat dennoch etwas für mich getan, für das ich mich heute auf meine Art bei ihm bedanken möchte. Ich glaube, dass es richtig ist, wenn ich dieser verlogenen Gesellschaft beiwohne, bis der Pfarrer, der Emmental nie kennen gelernt hat, seine Lobeshymne beendet. Schon der Gedanke an den anschließenden Leichenschmaus lässt meine Mund Winkel verräterisch lächelnd erscheinen. Alle werden da sein! Alle, die Emmental immer die Pest an den Hals gewünscht hatten, werden sich ein letztes Mal auf seine Kosten den Wanst voll schlagen. Sie werden fressen und saufen, bis die Mägen für mindestens eine Woche keine Nahrung mehr aufnehmen können. Sie werden sich bis zum Delirium betrinken, um ein für alle Mal alle Erinnerungen an Emmental in Alkohol zu ersäufen.

Mein Blick wandert durch die Reihen der Trauergäste. Immerhin haben sie sich noch ganz gut unter Kontrolle. Niemand reißt Witze. Niemand pinkelt auf Emmentals Grab. Nicht einer der Anwesenden leert einen Benzinkanister über Emmentals Sarg, um ein Freudenfeuer zu entzünden.

Ich erkenne Emmentals Frau. Ihr Gesicht ist hinter eine riesigen schwarzen Sonnenbrille versteckt. Obwohl man die Augen der Frau nicht erkennen kann, weiß ich, dass sie fröhlich amüsiert blicken. Zwar gibt ihr Mund sich alle Mühe, nicht lauthals loszulachen, aber ich bin davon überzeugt, dass sie am liebsten loslachen möchte, als hätte man ihr einen verteufelt guten, unanständigen Witz erzählt!

Neben ihr, der Mann im schwarzen Trenchcoat, muss ihr Bruder sein. Stimmt! Ich habe vor kurzem sein Foto in der Zeitung gesehen. Rüdiger Belting. Ein unangenehmer Zeitgenosse, der sein nicht zu knappes Vermögen verdient hat, indem er von den Einnahmen aus mindestens hundert Edelpuffs lebte. Die Polizei hat zwar immer versucht, Beling Verbindungen zum organisierten Verbrechen nachzuweisen, ist aber immer an seinen perfekten Verschleierungen gescheitert.

Ein paar der restlichen Gesichter kommen mir auch bekannt vor. Mein Gefühl sagt mir, dass keiner der Trauergäste dem verstorbenen Emmental eine Träne nachweinte. Sie alle würden garantiert lieber ein Feuerwerk zünden, statt ehrliche Trauer zu empfinden. Der Typ, der sich ständig an der Nase kratzte, musste Schischke sein. Bauunternehmer und gleichzeitig Unternehmer für alle Unternehmen, die irgendetwas mit dem Import blutjunger asiatischer Mädchen zu tun hatten. Der andere Kerl, der krampfhaft versuchte, sich hinter Schischke zu verstecken, sah wie Berthold Kubin aus. Soweit ich weiß, suchte man Kubin in Norwegen wegen eines illegalen Waffengeschäfts. Was die norwegischen Behörden nicht wussten, war, dass Kubin auch an vier Morden beteiligt war, die im direkten Zusammenhang mit den Waffengeschäften standen. Im Auftrag Emmentals hat er noch weitere Morde begangen, die man bis heute nicht aufklären konnte.

Alles in Allem war es eine überaus illustre Gesellschaft, die sich hier am Grab Emmentals zusammen gefunden hatte, um auch sicherzugehen, dass der alte Mistkerl wirklich genug Erde auf seine Kiste bekam. Einen Moment überlegte ich, wie viele Jahre Zuchthaus wohl an Emmentals Grab standen, die einige bereits hinter sich – und die andere noch vor sich hatten...!

Zum Glück hatte der Pfarrer seinen Standardtext endlich beendet. In ein paar Minuten setzen sich nun die Chevrolets, Jaguars und Daimlers in Bewegung, um ihre kriminellen Besitzer zum fröhlichen Gelage zu transportieren. Unbeteiligt dreinblickende Chauffeure – ebenfalls alle mit Sonnenbrille bewaffnet – lenkten die Karossen cool in Richtung Emmental-Anwesen. Anwesen? Eigentlich passte der Begriff ‚Schloss’ besser zu jenem Gebäude, in dem Emmental in zwanzig Jahren mehr Orgien gefeiert hatte, als alle Gott-Kaiser des Römischen Reiches zusammen!

Der Tross setzte sich in Bewegung.

Um nicht allzu sehr aufzufallen, hatte ich mir einen schwarzen Cadillac samt Chauffeur gemietet, der mich nun ebenfalls zum Emmental-Schloss fahren würde. In meinem – auch geliehenen – schwarzen Anzug fühlte ich mich zwar saublöd, aber immerhin einigermaßen passend angezogen. Natürlich wäre es mir viel lieber gewesen, wenn ich splitternackt auf Emmentals Grab getanzt hätte. Aber dieses Vergnügen musste ja nicht für ewig verschoben werden!

Die Fahrt dauerte etwa eine Stunde. Mein Chauffeur wurde tatsächlich nur fürs Chauffieren bezahlt, denn er schwieg in diesen sechzig Minuten, als hätte man ihm die Zunge herausgeschnitten.

Dann sah ich von Weitem das prachtvolle Tor, das zu Emmentals Anwesen führte. Ein Wagen nach dem anderen schob sich langsam durch das elektronisch gesicherte Tor, bis schließlich das letzte der mindestens vierhunderttausend Mark-teuren Automobile dahinter verschwand. Mit dem durchaus angenehmen Gefühl, selbst ein bisschen reich zu sein, forderte ich den Fahrer auf, etwa fünfzig Meter vom Zaun entfernt, zu halten. Ich war nicht reich. Jedenfalls nicht so reich, wie ein paar der Leute, die ich heute beobachtet hatte.

Nachdem unser wunderschöner Cadillac an der Stelle parkte, die mir angenehm erschien, erschoss ich den Chauffeur. Es hätte ihm auch nicht geholfen, wenn er unterwegs etwas gesprächiger gewesen wäre. Es war einfach so, dass ich bei dem kleinen Luxus, den ich mir gegönnt hatte – und bei dem, was ich nun zu tun hatte, keine Zeugen brauchte. Meinen eigenen Wagen hatte ich bereits vor einigen Stunden nicht unweit von hier, abgestellt. Es störte mich also nicht sonderlich, dass der Cadillac nun von innen etwas blutbespritzt aussah.

Wirklich sehr bedauerlich, dass ich mich nicht unters feiernde Volk mischen konnte. Ich war mir absolut sicher, dass in den unzähligen Zimmern des Schlosses bereits ein paar Dutzend williger und gutbezahlter Damen wartete, um die Trauergäste nach Strich und Faden zu trösten. Aber was soll’s? Auch ich würde meinen Spaß haben und konnte mir bald mein Vergnügen gönnen!

Als ich hundertprozentig sicher war, dass sich alle Gäste im Foyer des Schlosses eingefunden hatten, um die ersten Kisten besten Champagners zu leeren, drückte ich auf den Knopf der kleinen Fernbedienung, die ich aus meiner Manteltasche hervorgekramt hatte. Amüsiert in Richtung Schloss blickend, zählte ich bis Fünf.

Bei Fünf verwandelte sich das Emmental-Anwesen samt Inhalt in ein mächtiges Feuerwerk aus gut platzierten Bomben. Aufgrund meiner exzellenten Vorarbeit erinnerte bereits nach zwei Minuten nichts mehr an den Reichtum und die Dekadenz der kriminellen High Society. Sie alle – und leider auch ein paar weniger schuldige Bedienstete – verschwanden unter den rauchenden Trümmern dieses einst kunst- und prunkvollen Schlosses.

Gemächlich stieg ich aus dem Cadillac aus, um mich zu meinem altersschwachen VW-Golf zu begeben. Als ich es mir in meinem Wägelchen gemütlich gemacht hatte, drückte ich auf das Knöpfchen einer zweiten Fernbedienung, um nun auch den Cadillac samt Chauffeur in die Luft zu jagen.

Bummmm...!

Hervorragend, mein Lieber! Gute Arbeit. Wie immer würde mein Auftraggeber ausgesprochen zufrieden mit mir sein, wenn er nicht bereits dahin geschieden wäre. So aber musste es ausreichen, dass mich Reinhardt Emmental im Voraus bezahlt hatte, weil er mich für einen der Besten meines Fachs hielt. Als er mich beauftragte, die ganze Sippschaft in die Luft zu jagen, sobald er unter die Erde gebracht war, wusste er natürlich, wie unsympathisch er mir war. Trotzdem war ich mir immer ganz sicher, dass er von der Qualität meiner Arbeit überzeugt war. Er wusste, dass er sich voll und ganz darauf verlassen konnte, eine professionelle Leistung für sein Geld erwarten zu können.

Was er nicht wissen konnte, war, dass ich zuvor bereits von seiner Frau königlich dafür bezahlt wurde, den alten Drecksack umzubringen. Na und? Schlussendlich habe ich doch jedem gegeben, was er verdient hatte, oder? Alle haben bekommen, wofür sie mich bezahlt haben. Alle müssten glücklich sein, wenn sie denn noch am Leben wären. Tja.

Ein letztes Mal warf ich einen Blick auf das Haus, in dem ich aufgewachsen war. Vom heutigen Tage an war ich wohl so etwas wie ein Waisenkind.

Mach’s gut, Papa! Mach’s auch gut, Stiefmutter! Ich hab Euch nie gemocht. Ich hab Euch sogar gehasst! Besonders Dir, Papa, habe ich niemals verziehen, was Du mit Mama gemacht hast. Du hast sie weggeworfen wie eine leere zerknüllte Zigarettenschachtel. Es hat Dich einen Scheißdreck gekümmert, dass sie schwanger war. Du hast gedacht, dass ihr die paar Tausender das Leben erleichtert haben? Du hast es noch nicht einmal für nötig befunden, bei ihrer Beerdigung zu erscheinen?

Was soll’s! Meine Arbeit war getan. Bis auf eine winzige Kleinigkeit, die ich unbedingt noch zu erledigen hatte, war meine Aufgabe erfüllt.

Mit meinen VW-Golf tuckerte ich gemütlich Richtung Friedhof. Ich lächelte, als mir unzählige Feuerwehrwagen und Polizeiautos entgegenkamen. Ich lächelte auch noch, als ich meinen VW schließlich auf dem Parkplatz des Friedhofes abstellte und mich auf den Weg machte, dass Grab meines Vaters ein zweites Mal am heutigen Tag zu besuchen.

Niemand beobachtete mich, als ich – immer noch lächelnd – meinen Hosenschlitz öffnete, um mich zu erleichtern. Ich zog mich anschließend vollständig aus, um nackt auf Emmentals Grab zu tanzen, wie ich es damals Mama versprochen hatte, als sie im Sterben lag.

„Ich hab’s Dir versprochen, Mama! Jetzt ist alles gut, nicht wahr?“

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