Helena Ugrenovic

Totally sexy

Die ruckartigen Drehungen der Männerköpfe und die schmachtenden Blicke, die man Ihnen zuwirft, schmeicheln Ihnen. Jeder weitere verzückte Jauchzer lässt Sie einen Millimeter höher wachsen. Mit wiegendem Gang und leicht wie eine Feder schweben Sie fast schon über dem Boden. Im Takt zu den bewundern Pfiffen, die wie Harfenklänge eines ganzen Engelsbataillons Ihre Sinne erreichen. Sie sind schön, Sie fühlen sich sexy, umschwärmt, im Zentrum der Aufmerksamkeit und tauchen ein in die Wolke aus Eros, die Sie plötzlich umhüllt. Stolz werfen Sie den Kopf in den Nacken und verkneifen sich ein Lächeln. Sie geniessen die Bewunderung und registrieren jeden Blick, jedoch zeigen Sie das auf keinen Fall. Sie nicht. Geschmeidig wie eine Katze steuern Sie die Rolltreppe an, um zum Ausgang des Einkaufszentrums empor zu gleiten. Eine moderne Aphrodite, die nicht dem Meeresschaum entsteigt, sondern mit Hilfe der Technik in die Höhe flitzt. Zufrieden grinsen Sie und stellen Ihre Einkaufstüten auf die Stufe vor Ihren Füssen. Sie erstarren. Schlagartig hören Sie auf zu grinsen und sacken in sich zusammen.

Das Pfeifkonzert, die begeisterten Schreie und gierigen Blicke hungriger Männeraugen galten nicht Ihnen, sondern einer Ihrer Einkaufstaschen. Einer besonderen Einkaufstasche. Der Weissen mit dem beindruckenden Werbeaufdruck einer noch beindruckenderen Sexy Hexi. Langmähnig, mit perfekt zerzausten Locken, bronzefarbener Pfirsichhaut, unschuldig lockendem friss-mich-Blick, zartrosa feuchten Lippen, durchgebogenem Rücken, gestrecktem Po und hervorquellendem Busen, kniet Lolita in einem babyblauen Spitzenhauch von Nichts und hochhackigen Stilletos provokativ auf beiden Seiten Ihrer Einkaufstüte. Allzeit bereit. Über ihrem Kopf ein Homo Sapiens Sapiens, der ob soviel weiblicher Verlockung im Eiltempo wieder zum Affen mutiert ist. Neidisch betrachten Sie die Fülle ihres Haars, die Straffheit ihrer Haut, ihre zusammengeklappten Zweimeterbeine und diesen perfekten Frauenkörper. Suchen mit Adleraugen die Pixel des Bildes nach Schummeleien, Einbuchtungen und Fotomontagen ab. In Ihrer Lolita-Tüte befindet sich der letzte Schrei aus der Boutique, in der Sie gerade Ihre schrecklichste Stunde der letzten Monate verbracht haben. Gutgelaunt und zum Geldausgeben bereit, waren Sie in freudiger Erwartung an vollgestopften Kleiderstangen vorbeigeschlendert. Die bunten und fröhlichen Sommerfarben wirkten wie eine Gratistherapie nach tristen Wintermonaten. Motiviert durch orientalische Trommelklänge die aus den Boxen dröhnten und Ihre Endorphine hochjagten, beluden Sie sich mit trendigen Jeanshosen in Grösse 38, dazu passenden Tops und tänzelten in eine der Umkleidekabinen. Nach der dritten Jeans, die Sie ächzend genau bis zu den Oberschenkeln hochziehen konnten, studierten Sie misstrauisch das Schildchen auf der Innenseite der Hose und versuchten es mit Nummer Vier. Ungläubig starrten Sie Ihr Spiegelbild an und drehten sich zur Seite. Zwecklos, den Bauch gegen die Eingeweide und den Busen nach vorne zu drücken. Im grellen Licht moderner Spots quoll erbarmungslos der untere Teil Ihres Oberkörpers über den Bund. Verärgert stürmten Sie erneut die Verkaufsfläche, suchten verzweifelt eine normale Jeanshose mit einem Po-Teil, der höher als nur eine Handbreite ist und flehten ein dürres Verkaufsfräulein an, Ihnen zu bestätigen, die heutigen Jeans seien kleiner geschaffen, als deren aufgenähte Etiketten es behaupteten. Freundlich lächelnd wurde Ihre Vermutung bestätigt und nachgedoppelt, Sie seien eine Grösse-38-Frau und bei Modedesignern handle es sich allesamt um kranke Schizophrene, die gar nicht schwul sondern in Wahrheit pädophil seien. Wer sonst käme auf die Idee, eine Grösse 38 so zu kreieren, dass nur eine magersüchtige Vierzehnjährige hineinpasste? Eben. Mit neuen Exemplaren auf dem Buckel marschierten Sie zurück in Ihr Garderobenhäusschen. Nassgeschwitzt nach diesem Exzess körperlicher Höchstleistung müssten Sie unterdessen und logischerweise locker in Kindergrösse 176 passen. Falsch. Die einzige Jeans, die Sie ohne Kreislaufkollaps wegen zugeschnürter Taille zuknöpfen konnten, hat Grösse 42 und einen Elastangehalt von 60%. Sie erinnerten sich an die Sätze des dürren Verkaufsfräuleins die behauptete, Hüfthosen müssten sowieso immer mindestens zwei Nummern grösser gekauft werden. Einigermassen beruhigt sprachen Sie diese Theorie fünf Mal als Gebet und beschlossen, nie mehr wieder etwas zu essen. Und wenn doch, dann nur in Zitronenwasser getauchte Wattepads. So wie es in der Branche der Vorzeige-Hungerhaken üblich war. Die Schweissausbrüche haben kleine Pickel und der Stress rote Flecken in Ihr Gesicht gezaubert. Beides ignorierten Sie. Eine von 20 anprobierten Hosen passte und diese wollen Sie kaufen. Von den Tops verabschiedeten Sie sich, ohne sich eines über den Kopf zu stülpen. Sie haben auch so erkannt, dass Sie darin stecken bleiben würden und man Sie daraus herausschneiden müsste. Die aufmunternden Worte des dürren Verkaufsfräuleins im Ohr, Sie sähen in der neuen Hose umwerfend aus, sie passe Ihnen wie angegossen und Sie sollten ja nicht vergessen, wie es um besagte Modedesigner stehe, haben Sie die Boutique verlassen.

Während dem Intermezzo der feurigen Anbeter ist Ihr Selbstwertgefühl wieder gestiegen und Sie versöhnten sich mit dem Faux-Pas schlechter Schneider. Nun stehen Sie auf der Rolltreppe und überlegen sich, ob Sie nicht einfach auf der ollen Einkaufstasche herumtrampeln oder diese zerfetzen sollen. What comes up, must go down. Hoher Fall, tiefer Sturz. Stattdessen drehen Sie aus Lolita eine Rolle, klemmen sich diese mitsamt Hose unter die Achseln, fahren mit gemischten Gefühlen nach Hause, hocken sich vor die Glotze und zappen blind durch die Kanäle. Bei einem der Sender verharren Sie plötzlich. Sechs ganz normale Frauen mit ganz normalen Problemzonen kichern vergnügt und nur mit Unterwäsche bekleidet durch die Röhre. Jawoll Schwestern, kreischen Sie und hüpfen vergnügt durch Ihre Wohnung. Bye-bye Hungerhaken. Männer wollen echte Frauen mit echten Kurven. Sie sind eine davon.

Bis der Satz:“ Die Haut eines Models zu straffen, ist schliesslich keine Herausforderung!“ Ihren Freudentaumel unterbricht. Sie holen eine Schere, greifen nach der Lolita-Tüte und beginnen genüsslich damit, aus dieser Konfetti zu produzieren. Nach vollbrachtem Werk starten Sie Ihren Computer, surfen auf die Internetseite des Produkts, von dessen neuer Werbekampagne Sie gerade gedacht hatten, diese weise den Weg in ein neues Zeitalter, lesen aufmerksam deren Beweggründe für diesen überaus fortschrittlichen Spot und klicken auf „Kontakt“. Sie gratulieren dem kreativen Werbeteam zu ihrer tollen Leistung und fragen erstens, ob sie alle ein bisschen schizophren seien; wie es zweitens möglich sei, die Masse eines Jlo Po’s überhaupt straffen zu können; teilen drittens mit, Sie wären eine von vielen Frauen, die garantiert keinen Po wie Jlo haben möchte und analysieren viertens, die tolle anti Hungerhaken-und-pro-Rubens-Kampagne hätte einen fiesen Haken. Fünftens und letztens hatte man damit gerade allen echten Frauen eine saftige Ohrfeige verpasst, da die Botschaft eigentlich lautete, die Haut eines Nicht-Models zu straffen sei eine überaus grosse Herausforderung weil diese schlabbere, von den Knochen hänge, mit Dellen übersät sei, Hopfen und Malz sowieso verloren wären und nur Hungerhaken die perfekte Haut und Figur hätten. Sie unterdrücken das drängende Gefühl, den Konfettiberg abzufackeln.

Statt dessen giessen Sie sich ein Glas Wein ein, öffnen das Mail Ihres Liebsten, das gerade in Ihrer Box gelandet ist und lesen, dass Sie totally sexy und seine Prinzessin sind und Sie und Ihre Kurven ihm restlos den Verstand rauben.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.04.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Marion Batouche, geb. 1962 in Waren an der Müritz; lebt zur Zeit mit ihrem Mann und ihren beiden erwachsenen Kindern in Lilienthal bei Bremen. Sie arbeitet seit dreizehn Jahren als Sachbearbeiterin in einer Bremer Im- und Exportfirma und füllt ihre Freizeit damit aus, Gedichte zu schreiben.

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