Ines Wertenbroch

Wachsflecken


Vor einem Augenblick sind die beiden mit dem Auto abgefahren und haben mich vor meiner Tür abgesetzt. Für zwei Wochen würden wir uns nun nicht sehen. Ich schließe den Postkasten auf, um heute zum dritten Mal nachzusehen, dass er keine Post für mich enthält.
Als ich in die Wohnung komme, strömt mir Kaffeeduft entgegen. Der Tisch ist noch von vorhin gedeckt. Die Tassen leer und auf den Tellern Krümel und Reste von Sahne. Die Kanne ist zu einem Drittel mit kaltem Kaffee gefüllt. Seit zwei Stunden steht der Tisch so unberührt da. Ich schalte den CD-Spieler an. Es läuft die selbe CD wie vorhin. Klaviermusik. Ich nehme die Tassen und stelle sie in die Küche. Dann die Teller und die Kanne. Der Kaffee rinnt durch den Abfluss der Spüle. Ich lasse etwas Wasser hinterherlaufen.
Mir fällt dabei ein, dass ich Robert angedroht habe, ihn nicht mehr zu besuchen, wenn er seine Wohnung nicht aufräumt. Es war heute nicht das erste Mal, dass ich das gesagt habe. Ich spüre schon durch den Gedanken an seinen Teppich die mittlerweile härter werdenden Staubflusen unter meinen Füßen. Ich sehe in meiner Erinnerung den schmierigen Film auf fast allen Oberflächen wie dem Esstisch und dem Herd. Ich greife fast reflexartig nach einem Lappen und wische den Tisch im Wohnzimmer ab. Auch heute habe ich es nicht lassen können, in Roberts Wohnung aufzuräumen. Es fängt immer damit an, dass ich Gegenstände wegräume, die ich an diesem Ort für überflüssig halte wie die Flasche mit Rasierwasser auf dem Sofa. Sie liegt immer da, wenn ich bei Robert bin. Karin hat sich das Wegräumen schon abgewöhnt und schaut mir meist nur dabei zu. Robert meint immer, ich sollte es einfach akzeptieren. Ich habe darauf nur gesagt, dass er ja so leben muss, aber unter diesen Umständen könne ich ihn nicht mehr besuchen, denn ich sei nicht in der Lage, diese Unhygiene zu ertragen. Er hörte mir kaum zu und meinte, er sei für so etwas nicht aufnahmefähig. Er sei müde und außerdem müssten er und Karin sich auf die Reise für morgen vorbereiten. Als ich aufgestanden bin, um auf die Toilette zu gehen, ist er dennoch unruhig geworden. Er hat mich gefragt, was ich wolle, ob ich schon wieder aufräumen wolle. Er will es nicht verstehen. Karin hat mich mit hochgezogenen Augenbrauen angesehen und tief eingeatmet. Bestimmt ist sie in diesem Moment auch froh gewesen, dass sie nicht mit Robert zusammenlebt. Ich bin mir bei ihm nicht sicher, ob es Absicht oder Unfähigkeit ist. Vielleicht beides. Heute ist es jedenfalls besonders schlimm gewesen. Wie kann jemand seine Wohnung so verlassen, wenn er für zwei Wochen verreist. Robert ist immer stiller geworden.

Gerade heute sahen wir uns vor der Abreise von Karin und Robert zum letzten Mal und es sollte ein gemütlicher Abend werden. Und ausgerechnet heute musste ich ihm sagen, dass ich ihn nicht mehr besuchen würde, wenn er nicht saubermacht. Mit unbeweglichem Gesichtstausdruck hat er zurückgegeben, dass es mein gutes Recht sei, ihn nicht zu besuchen, wenn ich es nicht will. Als er das gesagt hat, starrte er auf den mit feuchter Asche und Bonbonpapier gefüllten Aschenbecher. Ich kam mir vor wie seine Mutter. Wahrscheinlich ist mein Tonfall auch der gleiche gewesen, so wie, als sie ihm vor Jahren gesagt hat, er solle sein Zimmer aufräumen. Robert hat den Kopf gesenkt und wirkte auf mich wie ein kleiner Junge.

Ich lasse Wasser in die Spüle. Als ich vor einer Woche seinen Herd gescheuert habe, muss ihm seine Unordnung so sehr bewusst geworden sein, dass er einen Tag später sein Badezimmer saubergemacht hat. Doch bis heute ist es bei dem Badezimmer geblieben. Lange habe ich gedacht, er kann es nicht besser, aber vielleicht will er es nicht können.
Ich gebe einen Spritzer Spülmittel in das Wasser und beginne, das Geschirr abzuwaschen. Es ist, als würde ich auf diese Weise die Spuren meiner besten Freunde vernichten.
Die Trinkspuren an den Tassenrändern, die Krümel auf den Tellern und die Reste an den Ku-chengabeln.
Robert ist nicht mehr wie Karin aus dem Auto gestiegen, um mich zum Abschied zu umarmen. Er hat mich auch nicht mehr aus dem Fenster heraus angesehen. Er hat sogar den Motor angelassen, um die Zeit des Abschieds nicht so lang werden zu lassen.
Ich stelle den letzten Teller auf die Abtropffläche und greife nach einem Geschirrtuch. Der Duft des Kaffees ist nun völlig verschwunden. Ich weiß nicht, wie Roberts Mutter gewesen ist. Vielleicht ist sie - wie ich - so unnachgiebig gewesen wie Wachsflecken in einer Tischdecke.


(Ines Wertenbroch, 14. Februar 2003)

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