Michael Speier

NACHTWÄCHTERS ALPTRAUM oder DIE 13. NACHTSCHICHT

Es regnete. Schon wieder. Es war seine 13. Nachtschicht in Folge. Niemand konnte so etwas auf lange Zeit durchstehen. Nachts ging er Streife, tagsüber versuchte er vergeblich zu schlafen. Wenn man in der Nacht 12 Stunden auf den Beinen ist dann ist man hundemüde. Man fällt morgens ins Bett, und eh man sich versieht befindet man sich tief in Morpheus Armen. Ja, so sollte man meinen. Aber egal wie müde man auch ist, äußere Umstände können einen stets vom wohlverdienten Schlaf abhalten. Die Äußeren Umstände waren in diesem Falle eine Baustelle die direkt vor seinem Schlafzimmerfenster einen Heidenlärm verursachte. Und zwar immer um Punkt Sieben Uhr in der Früh, wenn alle anderen das Haus verlassen hatten und der Nachtwächter gerade von seiner höllischen 12-Stunden-Schicht zurückkehrte. Die Presslufthämmer, die Bagger und nicht zuletzt das Geschrei der Arbeiter riss ihn mehrmals täglich aus dem lebenswichtigen Schlaf, und wenn es für ihn an der Zeit war sich fertig zumachen waren auch die Arbeiter fertig. Es war der blanke Horror. Eine Zeitlang hatte er es mit leichten Schlaftabletten versucht, dann mit Alkohol, letztendlich mit beidem gleichzeitig. Natürlich fand er so seinen Schlaf, aber das Resultat war das er sich am Abend zu Dienstbeginn wie gerädert fühlte. Kopfschmerzen, Schüttelfrost und ewige Müdigkeit wurden sein ständiger Begleiter. Dazu kam noch das gleich Zwei Kollegen von ihm auf einmal krankmachten. Er hatte in den Sieben Jahren die er nun für den Werkschutz arbeitete noch nie krank gemacht, wenn man einmal von dem Autounfall absah der ihm vor knapp Zwei Jahren ein Schleudertrauma und einen völlig zerdepperten Opel Ascona bescherte. Da hatte er krank gemacht, für genau einen Tag. Am nächsten Tag, oder besser in der nächsten Nacht, stand er mit Halskrause und Thermoskanne wieder auf dem Hof um seinen Dienst anzutreten. Jetzt waren seine Kollegen krank, wahrscheinlich hatten sie eine leichte Erkältung, vielleicht auch gar nichts, nur Unlust, was bei dem Scheißwetter auch nicht ausblieb. Er hatte seitdem jeden Abend Schicht. Mehr als Sieben, Vielleicht Acht, Schichten hält niemand aus, zumal die Schicht über 12 Stunden ging. Aber ihm machte das nichts aus, zumindest nicht wenn er gefragt wurde. Er konnte nicht Nein sagen. Es sei denn der Arzt fragte ihn ob ihm etwas wehtat. Es tat ihm alles weh. Sein Kopf, seine Knochen, einfach alles. Wenn er sich morgens ins Bett warf schlug ihm das Herz bis zum Hals. Pomm, Pomm, Pomm, schnell und stark pumpte der Muskel das Blut durch seinen Körper. Sein Hals schien morgens immer fast zu platzen, so heftig waren die Schläge, obwohl er sich rein körperlich nicht angestrengt hatte.

Die nächtlichen Streifgänge waren für ihn schon so zur Routine geworden dass sie ihn nicht mehr aus der Puste bringen konnten wie sie es am Anfang getan hatten. Er hatte sich daran gewöhnt. Wenn es regnete und der Wind blies gingen seine Kollegen nicht gerne Streife. Er hingegen schon. Dann bestand weniger die Gefahr das irgendetwas seine Langeweile störte. So auch in dieser Nacht. Den Kragen seiner dunkelblauen Uniformjacke hatte er hochgeklappt, das Barett saß schief auf seinem Kopf und die Stablampe baumelte in dem Ring an seinem Gürtel. Er ging nun bereits seit einer halben Stunde Streife über den fast 10 qkm großen Hof. Überall standen Autos herum. Teure Autos, weniger teure Autos, billige Autos. Autos in allen Farben und Ausstattungen. Das Logistikunternehmen hatte ständig zwischen Acht- und Zehntausend Autos auf dem Riesigen Hof herumstehen. Teilweise standen sie bereits seit mehren Jahren hier herum, das Gras stand schon bis zur Motorhaube hoch und die Bremsen waren festgerostet. Eine Schande um dieses ganze Geld. Es gab einige Flutlichtstrahler die den größten Teil des Hofes in ein gespenstisches Licht tauchten. Aber einige Ecken waren nicht so gut ausgeleuchtet, und andere Ecken lagen völlig im Dunkeln. Hier gingen die übrigen Nachtwächter nicht gerne hin, zu groß war die Gefahr von irgendeinem Autoknacker niedergestochen zu werden. Es wäre nicht das erste, und mit absoluter Sicherheit auch nicht das letzte Mal wenn dies passierte. Die Autos standen da, viele ehemalige Verleihfahrzeuge mit kompletter Ausstattung, alle Fahrzeuge waren unverschlossen, aus Versicherungstechnischen Gründen und Kameras gab es nicht. Nur der Nachtwächter der hier Streifgänge machte und ein Pförtner, der allerdings sein Pförtnerhäuschen an der Einfahrt nicht verlassen konnte. Es war ein Kinderspiel hier einzusteigen und Radios mitzunehmen, wenn man kaltblütig genug war. Er hingegen mochte die dunkleren Ecken. Wenn es gar nicht mehr ging konnte er sich hier für ein paar Minuten in eines der offenen Fahrzeuge setzen, den Sitz zurückstellen und für ein paar Minuten die Augen zumachen. Schlaf fand er so keinen, aber wenn die Augen vor Anstrengung wieder einmal brannten, dann konnte es ganz angenehm sein sie für ein paar Minuten zu schließen.

Die dunkelste Ecke lag hinter dem Verwaltungsgebäude. Dort ging ein schmaler Weg entlang der zu den Müllcontainern führte. Dort war es immer stockdunkel, und selbst seine Taschenlampe konnte ihm gerade mal zeigen was unmittelbar vor ihm auf dem Boden vor sich ging. Er schaltete sie ein um nicht in eine der zahlreichen Pfützen zu treten die hier überall über den Boden verteilt waren. Hier fühlte man sich wirklich nicht wohl, selbst ihm gefiel es hier nicht. Gleich neben dem Gelände lag ein stillgelegtes Fabrikgebäude. Es war teilweise verfallen, die Fenster waren selten noch heil und es wirkte irgendwie Gespenstisch. Unzählige Tiere hatten sich hier niedergelassen, in erster Linie Tauben, Hasen und Ratten. Letztere wurden hier riesengroß, nur der Teufel wusste wovon sie sich in dieser Ruine ernährten. Wenn sich der Strahl seiner Lampe mal auf das Nachbargelände verirrte flatterten die Tiere nervös auf oder liefen aufgeregt hin und her, was die ganze Situation noch unheimlicher machte. Die Stille der Nacht hatte er immer gemocht, aber die leisen Geräusche aus dem Gebäude nebenan schienen laut wie ein Güterzug zu sein wenn sie in die Nacht hineinbrachen. Zwischen dem unheimlichen Gemäuer und dem Hof den der Mann bewachte war nur ein Maschendrahtzaun der an diversen Stellen zahlreiche Löcher hatte, manche davon so groß das ein ausgewachsener Mann locker hindurchschlüpfen konnte ohne sich groß zu verkrümmen. Nervös ging der Nachtwächter nun den schmalen Weg entlang, langsam einen Fuß vor den anderen setzend, immer darauf bedacht seinen Blick nicht nach links zu der alten Fabrik schweifen zu lassen. Denn wenn es dunkel war und man sich ohnehin nicht wohl fühlte, dann spielten die Augen einem gerne einen Streich, und der eingefallene Koloss mit dem überall wuchernden Unkraut und dem achtlos abgeladenen Schutt war geradezu prädestiniert dazu. Wenn er nach nebenan sah, dann sah er mit Sicherheit irgendetwas das ihm nicht gefallen würde. Und dieses Etwas, das sah ihn in diesem Moment ebenfalls.

Hinter dem Müllcontainer blieb er einen kurzen Moment im Schatten stehen. In der Ferne konnte man bereits wieder die Flutlichtstrahler sehen und der Vollmond warf ein wenig Licht auf die Erde herab. Es war hier nicht ganz so dunkel und auch weniger unheimlich, auch wenn das gruselige Gebäude einen unheilvollen Schatten auf den zu bewachenden Hof warf. Der Nachtwächter tastete nach den Zigarillos in seiner Brusttasche, fand sie und steckte sich eine in den Mund. Rauchen während der Streifgänge war verboten, da das aufglimmen auf mehrere Kilometer zu sehen war und so eventuell unbefugte Personen frühzeitig auf den Wächter aufmerksam machen konnte. Er hatte diese Regel immer für schwachsinnig gehalten, da die Taschenlampe mit einem weitaus größeren Lichtkegel auf einen aufmerksam machte. Aber Regel hin oder her, im Moment ging er nicht Streife sondern machte eine kleine Pause. Er riss ein Streichholz an, führte es langsam zur Spitze seiner im Mund steckenden Rauchwerks als sein Blick flüchtig zu der Brücke führte die zwei der verfallenen Gebäude nebenan miteinander verband. Hatte er dort etwas gesehen? Ja, mit Sicherheit hatte er das, denn er war müde, mehr als müde. Und er hatte irgendetwas im Körper, eine Erkältung, wenn nicht schlimmeres, und Angst hatte er ohnehin. Er zwang sich den Blick von der unheimlichen Brücke abzuwenden und zündete sich zitternd seinen Zigarillo an. Er sog den Vanille-Rauch tief in seine Lungen, wartete kurz und ließ ihn dann durch die Nase wieder entströmen. Es tat ihm gut und das Gift in dem Tabak lies Adrenalin durch seine Venen strömen und das hatte er im Moment wirklich nötig, sonst wäre er an Ort und Stelle eingeschlafen. Ein Hase hoppelte an ihm vorbei, er zuckte kurz zusammen, lachte dann aber über sich selbst als er bemerkte was ihn da erschreckt hatte. Der Hase sah ihn kurz an und hoppelte dann weiter, direkt auf das Nachbargelände zu, durch den Zaun und blieb dann reglos auf einem freien Platz nebenan sitzen. Der Nachtwächter beobachtete das kleine Tier während er an den Müllcontainer gelehnt dastand und seinen Zigarillo rauchte. Der Hase gefiel ihm. Irgendetwas knackte. Kurz dachte er an die vielen Tiere nebenan, als das leise Knacken in einen gewaltigen Lärm umschwang und sich ein fast Menschengroßes Stück Metall von der Brücke nebenan löste und krachend auf den freien Platz nebenan herabfiel. Der Hase sprintete sofort los und entkam Letzterhand dem riesigen Stahlteil das dort auf den Boden krachte. Das Herz des Wächters pumpte jetzt wieder bis zum Hals. Er war hellwach, knipste seine Lampe an und richtete, wider besseren Wissens, auf die Brücke auf dem Nachbargelände. Dort oben stand jemand. Er war groß und unheimlich. Er strand einfach da und starrte auf den Nachtwächter herab. Der Unheimliche Fremde schien ihn anzulächeln, machte allerdings keine Anstallten sich zu bewegen. Jedenfalls nicht solange der Wächter den Lichtstrahl auf ihn gerichtet hatte. Dies war allerdings nur ein kurzer Augenblick, denn den Mann packte die Angst. Er warf hastig seinen Zigarillo weg und rannte fort. Er rannte und rannte, das Blut schoss durch seinen Körper. Wie weit war es noch bis zum Wachhaus? Vielleicht Zwei, Vielleicht auch Drei Kilometer. Er blieb kurz stehen um sich umzusehen. Er blickte wieder zu der Brücke hoch, aber der Fremde war weg. Hatte er sich das alles nur eingebildet? Nein. Denn nun stand der Fremde auf dem Hof, vielleicht hundert Meter hinter ihm. Als der Wächter ihn sah stieß er einen kurzen Schrei aus. Wieder stand der Fremde einfach nur da und starrte ihn an. Es war keine Einbildung. Der Wächter lief davon. Bereits nach wenigen hundert Metern begann seine Seite zu stechen. Er drehte sich kurz um. Er erschrak. Der Fremde kam ihm hinterher. Er rannte nicht, aber er war dennoch recht schnell und kam immer näher. Ein Auto! Er musste sich ein Auto nehmen und damit zum Wachhaus fahren. Die Polizei alarmieren. Da fiel ihm wieder sein Funkgerät ein. Er drückte auf den Knopf um Kontakt mit dem Pförtner aufzunehmen. Er sollte die Polizei rufen, so schnell es ging. Er drückte den Knopf zum Sprechen und rief den Namen des Pförtners hinein. Keine Antwort. Er spurtete mit letzter Kraft auf einen Audi A4 zu, riss die Türe auf und sprang auf den Sitz. Mit dem Ellbogen drückte er den Knopf zum verriegeln herunter. Wäre er aufmerksamer gewesen hätte er gemerkt das die anderen Knöpfe nicht herabgingen, die Zentralverriegelung funktionierte nicht mehr. Der Wagen stand schon so lange auf dem Gelände das sich die Batterie entladen hatte. Dennoch suchte er nach dem Zündschlüssel und fand ihn auf dem Beifahrersitz. Er blickte kurz in den Seitenspiegel, aber er konnte den unheimlichen Verfolger nicht erblicken. Mit zittrigen Fingern fummelte er den Schlüssel in das Zündschloss und drehte ihn um. Der Wagen surrte langsam, sprang aber nicht an. Jetzt erkannte er die Situation. Die Batterie war leer, der Verriegelungsknopf auf seiner Seite unten, und er in einem Toten Auto eingesperrt während irgendjemand hinter ihm her war. Er versuchte nervös den Knopf zu packen um den Wagen wieder zu öffnen und zu fliehen, aber seine schweißnassen Finger bekamen den Knopf nicht zu fassen. Immer wieder rutsche er ab. Nervös sah er sich um. Von dem Fremden fehlte jede Spur. Vielleicht hatte er sich das alles doch eingebildet, seine Fantasie hatte ihm einen Streich gespielt. Er konnte den Fremden nirgends auf dem Hof erblicken. Dann zuckte er zusammen. Er warf einen kurzen Blick in den Rückspiegel und stellte fest das jemand auf dem Rücksitz saß.

Er brüllte, er schrie, er tobte, aber nichts half. Die Türe ließ sich nicht öffnen. Der Fremde saß hinter ihm auf dem Sitz und starrte ihn an. Plötzlich bemerkte der Nachtwächter eine Hand auf seiner Schulter die ihn packte und rüttelte. Er schrie auf, brüllte vor Panik. Und erwachte. Es war der Pförtner. Er stand neben dem Wagen, hatte die Türe geöffnet und rüttelte an dem Nachtwächter der auf dem Fahrersitz eines Audi A4 saß und offenbar, zum ersten Mal in seiner langjährigen Dienstzeit, wirklich eingeschlafen war.



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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.04.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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