Der Frühling kommt. Dort blühen jetzt die Pflaumenbäume.
Was habe ich verbrochen, dass ich hier zwischen Mauern sitzen muss? Nein, sie können mich hier nicht festhalten, ich bin frei!
Ich schließe die Augen und lasse mich fallen.
Vorsichtig blicke ich um mich. Ich sitze auf dem dichten weichen Gras, den Rücken an einen rauhen Baumstamm gelehnt. So weit ich sehen kann gibt es nichts als blühende Pflaumenbäume. Mit ihren ausladenden Zweigen bilden sie ein weißes Blütendach über meinem Kopf. Wie konnte ich diesen Ort nur jemals verlassen?
Ich stehe auf und folge einem schmalen gewundenen Pfad zwischen die Bäume. Ein leichter Wind kommt auf und es schneit Blütenblätter. In der zunehmenden Dämmerung scheinen die Blüten zu leuchten.
Langsam treten die Bäume weiter auseinander und geben den Blick auf einen stillen See frei. Ein einzelner riesiger Pflaumenbaum steht am Ufer und breitet seine Äste aus. Ganz ruhig liegt das Wasser da, wie ein dunkler Spiegel und strahlend weiße Blütenblätter treiben darauf.
Und dort, neben dem Baum, steht das Einhorn. Sein Fell ist so weiß wie die Blüten und seine Augen sind still und dunkel wie der See. Seine Stimme klingt wie das rauschen des Windes in den Zweigen.
“Du kannst nicht hier bleiben. Schau sie dir doch an.“
Und im dunklen Spiegel des Sees sehe ich meine Mitgefangenen. Mürrisch und müde sitzen sie in der Dunkelheit.
“Sie können niemals hierher gelangen. Du bist für sie die einzige Verbindung zu dieser Welt. Du musst ihnen helfen.“
“Sie werden mich nicht verstehen.“
“Nein, das können sie nicht, aber wenn eines Tages auch nur einer von ihnen wieder Hoffnung schöpft, dann hat es sich gelohnt.“
Ja, ihretwegen bin ich gefangen. Sie danken es mir mit ihrem kindischen Spott und manchmal möchte ich sie dafür hassen, aber alles was ich empfinde ist Mitleid für diese armen Kreaturen.
Und so bleibe ich gefangen...allein.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.04.2004.
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