David Polster

Evolution

‘Endlich! Die Sonne geht wieder unter. Jeder Tag scheint mir länger, als der vorangegangene zu dauern. Es ist viel zu gefährlich an einem Ort zu warten und sich zu verstecken. Doch ich kann tagsüber nichts anderes machen, doch jetzt kann ich wieder handeln. Jetzt ist meine Zeit gekommen.
Früher bedeutete dies, dass ich jagte und erlegte. Die Menschen hatten Angst vor Meinesgleichen. Wir haben Jahrtausende lang Angst und Schrecken gesät, wir waren die Könige der Jagd. Und wie ist es jetzt, bah, wir werden gejagt und getötet. Es ist ein nutzloses Leben, so wie es nun für uns bestimmt ist. Keine Beute, keine Nahrung, einfach nur fliehen und hoffen, dass man nicht einem Menschen in die Arme läuft.
Wir wurden gefürchtet und geachtet, doch jetzt versucht jeder, der eine Waffe besitzt, und wenn sie noch so klein ist, uns zu erlegen.
Vampire, das waren wir einmal. Jetzt sind wir Beute. Was für ein Witz! Wir sind die Beute unserer früheren Beute. Unzählige Generationen haben wir Menschen gejagt und ausgesaugt. Wir haben in ihrem Blut gebadet. Wir haben sie in den Wahnsinn getrieben, indem wir ihre Familien malträtiert und abgeschlachtet haben. Wir hatten keine Feinde, bis auf einige Menschen, die glaubten, sie könnten es mit Armeen der Dunkelheit aufnehmen. Persönlich achte ich diese Menschen, denn ihr Blut war immer das delikateste.
Obwohl keiner dieser Menschen die Begegnung mit dutzenden Vampiren überlebt hatte, galten sie doch alle als Helden. Doch solche Helden werden schon längst nicht mehr erschaffen. Jetzt jagt so gut wie jeder Mensch Vampire. Wir sind zu ihren Opfern geworden. Nichts hatte darauf hingewiesen, dass sich unsere Herrschaft in so kurzer Zeit in Nichts auflösen würde.
Es stimmt, wir waren schon längst nicht mehr so furchteinflößend, wie noch vor einigen Jahrhunderten. Unsere Macht, Alpträume den Menschen zu bereiten, war der reinen Angst gewichen. Die Menschen haben unsere Mythologie für Unterhaltung genutzt. Wir wurden für Werbezwecke genutzt. Pah, Filme und Serien, eine schlechter, als die andere, sind über Vampire entstanden. Verfälscht und erfunden wurden diese Geschichten. Wir können weder fliegen, noch können wir unser Gesicht zu eine Fratze verwandeln. Freundliche Vampire, ha, intelligent trifft wohl eher zu. Weder Kreuze noch Heiliges Wasser halten uns auf. Warum sollten sie auch? Wir haben auf der Erde gejagt, da gab es noch nicht einmal den Gedanken an Religion. Obwohl dies erfundene Geschichten waren, haben die Menschen richtig erkannt, wie sie uns töten können. Licht, Holz und Silber können jeden Vampir töten, egal wie alt und mächtig er ist.
Trotz dieser Schwäche haben wir die Menschen tausende Jahre lang gejagt und getötet, bis sie realisiert haben, dass wir keine erfundenen Gestalten sind, sondern tatsächlich existieren. Von diesem Moment an haben Menschen Jagd auf uns gemacht, keine Vampirjäger oder Jägerinnen, wie es die Geschichten erzählen, sondern einfache Menschen, die Ruhm und Reichtum wollten.
Jahrhunderte lang gab es somit ein Mächtegleichheit zwischen uns und den Menschen. Doch irgendwann haben wir erkannt, dass sich etwas geändert hatte. Das Gleichgewicht war umgestürzt und hatte so den Menschen den Vorteil zum Sieg gegeben.
Wir hatten niemals an die Evolution gedacht. Wir hatten immer geglaubt, dass wir ewig jagen und töten könnten, doch mit der Anpassung der Menschen hatten wir nicht gerechnet. Es scheint, als ob die Natur das nächste Massensterben eingeleitet hatte. Das Blut der Menschen hatte sich verändert. Wir wissen nicht völlig genau auf welche Art und Weise, aber wir wissen, dass dieses veränderte Menschenblut ungenießbar für uns Vampire ist. Wir können keine Menschen mehr aussaugen! Es ist, als ob wir einen ewigen Fluch erhalten haben.
Wenn wir kein Blut trinken, werden wir verrückt. Wir erreichen den Zustand des Wahnsinns und sterben schließlich den Hungertod oder töten uns selbst. Kurzzeitig hatten wir die Möglichkeit Tiere zu verzehren. Niemand von uns wollte es so, doch eine andere Möglichkeit hatten wir nicht gefunden.
Doch auch diese Möglichkeit hatten uns die Menschen genommen, als sie die Tiere geimpft hatten, und diese somit auch kein genüßliches Blut mehr hatten.
‘Verdammt, all das hatte sich in wenigen Monaten ereignet!’, ging es Jackson durch den Kopf, als er vor dem Spiegel stand und sich wieder einmal wunderte, dass er sein Spiegelbild nicht sehen konnte.
‘Wieso nur sollen wir traurig sein, dass wir uns nicht im Spiegel sehen. So kann ich wenigstens sehen, ob hinter mir jemand ist. Ah, endlich kann ich gehen.’
Fast lautlos wurde die schwere Metalltür aufgeschoben, als die letzten Strahlen der Sonne über das Land streiften. Vorsichtig sah sich Jackson um, ob auch kein Mensch in der Nähe war und rannte los.
‘Wir waren so viele unserer Art. Und nun, ich bin der letzte. Die einzige Hoffnung, dass irgendwann einmal unsere Gesellschaft wieder so aufblüht wie früher. Eigentlich ist die einzige Hoffnung ein kleines Elixier, das in dem ansässigen Forschungslabor liegt.
Warum müssen die Menschen nur immer alles erforschen und ein Mittel gegen die Symptome finden. Ihnen muß das klar sein, dass Vampire dankbar dafür sind, dass ein Wissenschaftler ein Serum entdeckt hat, womit der Fluch aufgehoben wird und wir endlich wieder das Blut der Menschen trinken können.’ Kopfschüttelnd blieb Jackson, eng an eine Mauer gepreßt, an einer Kreuzung stehen. Langsam und geräuschlos, einem wilden Raubtier gleich, sah er sich um, bevor er seinen Weg fortsetzte.
‘Wie ist es nur so weit gekommen? Millionenfach haben Vampire überall auf der Welt die Menschen getötet und verwandelt. Doch dann traten die Symptome der Evolution ein. Warum haben nur die Menschen diesen Vorteil erhalten? Gut, auch wir haben uns weiterentwickelt. Unsere Intelligenz übertrifft die von jedem Humanoiden um ein Vielfaches, aber körperlich haben wir uns nicht verbessert, wobei die Menschen immer näher an unsere Stärker herankommen.’

„Da ist er!“, brüllte ein Mann, den Jackson sah, als er sich auf der langen Straße umsah. Er war noch gut 300 Meter entfernt, doch Jackson konnte seine Aggression spüren, die noch weiter wuchs, als er ihn musterte. Weitere Gefühle prasselten auf ihn ein, als sich weitere Menschen, mit ihren Fackeln und Knüppeln schwenkend, hinter dem Mann näherten.
‘Wie eine Meute aus dem Mittelalter, die eine Hexe lynchen will.’, fiel es Jackson mit einem Mal ein. Ohne weiter drüber nachzudenken, rannte er, in der Hoffnung sein Ziel vor der Rotte zu erreichen, los.
„Los, kommt, er rennt weg. Es ist nur noch der eine, dann haben wir die Plage ausgelöscht.“ Ohne weiteren Angespornt rannten alle Menschen los, um den letzten einer aussterbenden Art auszurotten.
‘Plage? Ich bin der einzige, habe fast unstillbaren Hunger, der mich beinahe in den Wahnsinn treibt und bin auf der Fluch. Also wie kann ich eine Plage sein? Ich versteh die menschliche Denkweise nicht.’ Noch als Jackson diese Gedanken ordnete, huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Er hatte sein Ziel erreicht. In großen schwarzen Buchstaben waren deutlich die Worte ‘Forschungslabor Kentwood’ auf dem goldenen Untergrund zu lesen.
‘Hier werde ich das finden, was ich benötige, um meine Rasse zu rächen.’ Sein Tempo beschleunigend, suchte Jackson eine Möglichkeit in das Gebäude zu gelangen. Nachdem er die Möglichkeiten abgewägt hatte und hörte, wie sich die Menschen trotz seiner Geschwindigkeit...
‘Sie sind bald stärker als wir’, schreckte es durch Jacksons Kopf.
....näherten, trat er mit beiden Beinen kräftig auf und sprang. Sein Sprung war elegant und zielsicher und nach einer Sekunde durchbrach er das Fenster und landete auf dem, mit Scherben gesprenkelten, Boden der Cafeteria. Alsbald sprang er auf und sah sich in dem Raum um.
„Er ist in dem Gebäude dort. Beeilt euch, jetzt ist er eingesperrt.“
Als er die erschreckenden Worte hörte und bemerkte, dass die Meute recht hatte, rannte er so schnell wie möglich aus dem Raum und suchte das Labor. Laut halten seine Schritte in dem Korridor wieder, als die Menschen die Tür aufsperrten und die verdunkelten Räume und Korridore mit warmen Lampenlicht erhellten.
Befehle und Grölen drang durch die Flure, als Jackson erschreckt zusammenfuhr, als die Lampen angingen. Er befürchtete, er würde in dem Licht verbrennen, doch er besann sich schnell, dass nur UV-Licht ihn töten kann. Schneller, als je zuvor in seinem Leben, setzte Jackson seinen Weg fort und war um so erleichtert, als er endlich die längst erwarteten Worte ‘Forschungslabor - nur für Befugte’ las. Er riß die Tür auf, stürmte hinein und verbarrikadierte die Tür, um schließlich einen verdutzt aussehenden Mann vorzufinden.
„Wer sind sie, was wollen sie?“
„Das Serum.“ Kam als kurze Antwort.
„Welches Serum. Wer sind sie.“
„Sie haben ein Serum für Vampire erfunden. Oder nicht?“
„Äh, ja. Aber ich konnte es noch nicht testen.“
„Dazu haben sie jetzt die Möglichkeit.“ Bei diesen Worten entblößte Jackson seine Zähne und näherte sich bedrohlich dem Professor. „Geben sie es mir. Geben sie mir das Serum.“
„E....es i.. ist in dem Wandschrank dort.“
„Danke.“ Ohne ein weiteres Wort und dankbar dafür, dass der Mann völlig vergessen hatte, dass Jackson ihn niemals gebissen hätte, wandte er sich dem Schrank zu und brach ihn gewaltsam auf.
„Welches?“, knurrte er dem Professor an.
„Das da. Das wie Blut aussieht.“
„Welche Ironie.“ Schnell nahm er die Ampulle und eine passende Spritzte, wobei er diese sofort füllte.

„AUFMACHEN!“ Außerhalb des Raumes türmten sich die Menschen aufeinander, um endlich in den Raum zu gelangen und den Vampir zu töten. Keiner von ihnen zweifelte daran, dass sie es endlich geschafft hatte, die Vampire völlig auszurotten.
Als die Menschen aus dem Raum nur Gepolter und Geschrei hörten, trat einer von ihnen, der ein Gewehr bei sich trug, vor und öffnete das Schloß mit einem gezielten Schuß.
Sofort begann Jackson zu knurren und sprang die eindringenden Menschen an. Bei seinem ersten Angriff hatte er einem kräftigen Mann das Genick gebrochen und einem Anderen rammte er seine Fänge in den Hals. Völlig verdutzt, durch den Angriff des Vampirs, standen die Menschen nur da, bis Jackson weitere Menschen, 2 Männer und 1 Frau, getötet hatte. Das Blut seiner Opfer bedeckte schon den Fußboden und sein Kinn, dass er genüßlich ableckte.
„Was, was bedeutet das?“, fragte der Mann mit dem Gewehr.
„Der Professor war so nett und hat mir das Serum gegeben. Und ich kann fröhlich feststellen, dass die Forschung überaus erfolgreich war.“ Bei diesen Worten rammte Jackson seine Fangzähne in den Hals eines jungen Mädchens, das nicht viel älter als 16 war und saugte mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht ihr Leben aus. Einem Blitzschlag gleich schraken alle verbliebenen Menschen auf und stellten sich in Kampfhaltung vor dem Vampir hin. Mit einem lauten Platsch fiel der leblose Körper des Mädchens, dass noch vor einigen Minuten vor Aufregung freudig gelächelt hatte, auf den Boden. Erregt durch seine neugewonnene Macht, fachte Jackson die Menschen an und freute sich auf den Festschmaus, der ihm bevorstand.
„Ich befehle dir zurückzubleiben, Dämon.“ Es hatte tatsächlich ein Mensch ein Kreuz mitgebracht und fuchtelte nun damit vor seinem Gesicht herum. In einer schneller Bewegung entriß Jackson ihm des Kreuz und bohrte es dem Mann in den Arm. Sogleich spürte er, wie etwas seine Haut benäßte. Sowohl das Blut des Mannes, als auch Weihwasser bedeckten seine Haut und seine Kleidung.
‘Die Menschen lernen wirklich nie.’ Schnell sprang er vor und packte die Frau, die eine geleerte Flasche Weihwasser in der Hand hielt und verdutzt sah, dass Jackson noch immer unverletzt war. Mit einer schneller Bewegung drehte er ihr Genick um, um sich schnell zu den restlichen Menschen umzudrehen. Er näherte sich mit selbstbewußten Lächeln und bemerkte aus dem Augenwinkel, wie eine Frau versuchte, sich von der Seite anzuschleichen. Mit einem geschickten Tritt schickte er sie zu Boden und wandte sich wieder seinem Publikum zu. Er wollte gerade losstürmen, als er auf einmal spürte, wie etwas durch seinen Rücken drang. Als er den angespitzten Stiehl eines Besens sah, wie er aus seinem Brustkorb austrat, drehte er sich um und erblickte zu seinem Erschrecken den Professor.
„Wieso du, ich habe dir ein unbezahlbares Geschenk gema....“ Mit diesen Worten brach der Vampir zusammen, wobei nur seine Kleidung auf dem Boden auftrafen, da sein Körper sich schon längst aufgelöst hatte.

Schwer atmend stand der Professor da und betrachtete das Chaos, was in seinem Büro herrschte. Dutzende Leichen lagen auf dem, nun rot gefärbten, Boden. Schränke, Tische und Stühle waren umgeworfen und in der Mitte des Raumes lag ein Besen zwischen dunkler Kleidung. Genauso fassungslos und erschöpft sahen die verbleibenden vier Menschen auf die Kleider.
„Es ist vorbei.“ Mehr konnte keiner von ihnen sagen , doch es sagte alles, was sie sich je erhofft hatten. Sie hatten die Vampire vernichtet.
„Kommen sie hier zurecht, Professor, oder sollen wir helfen?“
„Nein, nein, gehen sie nur. Bitte.“, antwortete der Professor.

„Der Professor wollte uns aber schnell loswerden.“, sagte ein 15jähriger Junge zu einem älteren Mann, der wahrscheinlich sein Vater war.
„Er ist nur aufgewühlt, das ist alles.“
„Glaubst du, dass wir jetzt alle Vampire erwischt haben?“, fragte der Junge seinen Vater.
„Ich glaube schon, aber man weiß nie. Die Natur findet immer einen Weg.“

In dem Labor schien langsam die Normalität wieder einzukehren. Alle, bis auf den Professor waren verschwunden, und dieser räumte gerade auf.
Er war froh, dass er endlich die, bah, Menschen los war. Er hätte sich nicht mehr lange bei diesem süßlichen Geruch von Blut verstellen können.
Als er eine kleine Ampulle auf dem Boden erkannte, wuchs sein Grinsen noch ein kleines Stück. Nie wieder wird die Evolution dem Menschen einen Vorteil geben. Mit einem furchterregenden Lachen entblößte der Professor seine Fänge und verdunkelte den Raum, um am nächsten Abend das neue Zeitalter der Vampire einzuleiten. Er wird der Vampir sein, der sie alle gerettet hat. Diese Ehre gehört ihm und nicht diesem Vampir, der ihn zu dem gemacht hat, was er nun war.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.04.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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