Annett Boger

Geschichte einer Anzeige

Nachdem sie fast fünfzehn Jahre ihres Lebens an Joachim vergeudet hatte, der sie wegen der sprichwörtlichen blonden Sekretärin von einem auf den anderen Tag sitzenließ, wollte Kornelia von den Männern eine Weile nichts mehr wissen. Sie meldete sich zu einem halben Dutzend Kurse an der Volkshochschule an, deckte ihre Bekannten und Verwandten mit Makramee- und Klöppelkunstwerken ein, sprach am Telefon plötzlich spanisch und trat auf der Geburtstagsfeier ihrer Tante als Bauchrednerin auf. Sie suchte sich einen Job als Kostümbildnerin am Theater - schließlich hatte sie einmal Schneiderin gelernt - und ließ keine noch so feuchtfröhliche Feier ihrer neuen Kollegen aus. Sie mottete ihre gedeckt grünen und blaugrauen Hosen und Kleider ein, kaufte sich farbenfrohe, sehr gewagte Garderobe - so sehen Theaterleute nun mal aus - und machte einen rundum zufriedenen Eindruck.
Nur wenn ich abends durch meine leere Wohnung laufe, vertraute sie mir schließlich irgendwann an, werde ich ganz sentimental. Manchmal vermisse ich jemand, der auf mich wartet und sich Sorgen um mich macht. Als sie meinen skeptischen Blick bemerkte, schränkte sie ein: Ich will ja nicht gleich heiraten. Überhaupt nicht gleich so eng zusammensein. Ab und zu ein Treffen mit einem netten Mann würde völlig reichen - fürs erste.
Ich mußte an meine schlabberhosige, träge, fernsehsüchtige bessere Ehehälfte denken und bemühte mich, Kornelia von den Vorteilen des Alleinseins vorzuschwärmen. Doch umsonst, sie schien sich schon länger Gedanken gemacht zu haben. Weißt du, verriet sie mir, ich versuche es einmal mit einer Anzeige. Denn daß mir im Alltag der Mann fürs Leben ins Netz gerät, ist ziemlich unwahrscheinlich. Aus den Tiefen ihres Couchtisches zog sie mit bedeutungsschwangerer Miene die Zeitung des selben Tages heraus, die Seite mit den Kontaktanzeigen aufgeschlagen und las vor: Junggebliebener, gesundheitsbewußter Mittvierziger, Akademiker, vielseitig interessiert, sucht kindlich- zierliche Frau für die schönen Stunden zu zweit. Klingt doch nicht schlecht?
Doch statt Ermunterung erntete Kornelia Stöhnen.
Ach, du ahnst es nicht. Ich verdehte die Augen. Soll ich dir die Hieroglyphen entschlüsseln?
Ich sollte natürlich nicht, tat es aber doch: Pädophiler, wortkarger Fachidiot und Viagra-Konsument ohne nennenswerten Freundeskreis spezialisiert auf vage Formulierungen sucht kindische Bulimikerin.
Kornelia war tödlich beleidigt: Also, du bist vielleicht arrogant. Woher willst ausgerechnet du wissen, wie der Text zu verstehen ist? Irgendwie muß man doch mit wenigen Worten das Wesentliche beschreiben.
Ich war gnadenlos. Nenne mir mal einen Menschen - von Männern ganz zu schweigen - der sich mit wenigen Worten realistisch und präzise beschreiben kann ... Na?... Siehst du! Erinnerst du dich nicht mehr an Joachims Arbeitskollegen? Sportliche Männer schauen einmal die Woche Sportschau, charmante Männer ziehen um jede Frau eine Schleimspur und an den knuddeligen fand Mutti den filzigen Vollbart schon immer besonders süß.
Kornelia fuhr zwei kleine Hörner aus und bockte. Wie soll ich denn sonst jemand kennenlernen. Ich bin nun mal kein Teenager mehr und Kneipenbekanntschaften - erinnere mich bloß nicht daran.
Dazu fiel mir erst mal gar nichts ein außer lauter Unsinn: Versuch's doch mal beim Singletanz oder such' dir ein Hobby, bei dem man viele Männer treffen kann, z.B. ... z.B. Sportschießen. Kornelia runzelte bedrohlich intensiv die Stirn und sah mich mißtrauisch an, als fehle mir ein Zacken an der Krone.
Erstens bin ich Pazifist und zweitens Singletanz ... Da kann ich mich morgen auch auf die Straße stellen mit einem Schild um den Hals "Befreie mich von meinem Hormonstau - jetzt und hier!"
Das erschien mir logisch. Eine Weile saßen wir schweigend und grübelnd auf der Couch und ich fühlte fast etwas wie Dankbarkeit in mir aufsteigen, meinen rundbäuchigen Gatten im Ballonseide-Freizeitlook als Fels in den Stürmen des Lebens an meiner Seite zu wissen. Obwohl er ein eher unattraktiver und mickeriger Felsen war.
Schließlich hatte ich eine Erleuchtung: Du gibst selbst eine Anzeige auf, das ist außerdem viel sicherer, als einem Wildfremden private Informationen und die Telefonnummer auszuliefern. So kannst du dir die Kandidaten in Ruhe aussuchen.
Kornelia war Feuer und Flamme, holte etwas zu schreiben und bestand darauf, daß jeder einen Text entwerfen sollte. Nach ein paar Minuten las sie vor: Aparte Widderfrau sucht nach großer Enttäuschung starken Traummann ...
Aufhören, das geht auf keinen Fall, unterbrach ich sie. Viel zu destruktiv - "nach großer Enttäuschung" heißt völlig verbittert, "apart" bedeutet schlimmes Gesicht, schöne Frisur und überhaupt, wer glaubt schon an Sternzeichen, damit schließt du die Mehrheit der Männer von vornherein aus.
Verstimmt knallte Konny den Stift auf den Tisch. Dann lies doch mal vor, was du hast, Frau Neunmalklug.
Das tat ich: Attraktive, lebensfrohe Sie, künstlerisch, sportlich und kulturell interessiert, sucht humorvollen Freund mit ähnlichen Interessen.
Obwohl es Kornelia schwerfiel, gab sie schließlich zu, daß ihr der Text gefiel. Wir feilten noch ein wenig daran herum und Kornelia investierte richtig viel Geld in das überlange, aber aussagekräftige Inserat.
Genau zwei Wochen später verabredeten wir uns zur Auswertung der Zuschriften. Vor uns lag ein Häufchen von neun Briefen. Immerhin besser als nichts. Konny nahm fünf Umschläge und gab mir vier. Du fängst an mit Vorlesen.
Ich hatte gleich zu Beginn den fast handschriftlich wirkenden Werbetext einer Partnervermittlung in den Händen. Deprimierender Anfang. Dann war Konny dran: Guten Tag, Unbekannte, trotz meiner 63 Lenze fühle ich mich jung und dynamisch ... Der Rest des Textes informierte darüber, daß Hans-Joachim sein ganzes Leben auf Reisen gewesen war und nun in den wohlverdienten Hafen eines bewegungsarmen Ruhestandes einlaufen wollte.
Der kann offenbar nicht lesen, war Konnys kurzes Resümee.
Im weiteren Verlauf der folgenden anderthalb Stunden sortierten wir einen Tarnbrief der Vermittlung "Sonnenschein", einen Motorradfreak mit Rechtschreibschwäche, einen putzigen Hobbymaler auf der Suche nach einer Arbeitskraft für den elterlichen Bauernhof und einen komplexbeladenen Pessimisten aus, der auf drei eng beschriebenen Seiten die Auswirkungen des Ablebens seines Vaters auf seine derzeitige seelische Situation reflektierte.
Übrig blieben ein joggender Ingenieur, ein hundehaltender Psychologe aus der benachbarten Großstadt und ein melancholischer, aber nicht unsympathisch wirkender Tischler. Nur der Psychologe hatte eine Telefonnummer angegeben. Konny versprach mir, mich sobald wie möglich über den Ablauf des Telefonats zu informieren. Den anderen beiden Bewerbern würde sie schreiben.
Drei Tage später hörte ich wieder von ihr - und mußte gegen eine gewisse Genugtuung kämpfen, ihr von Anzeigen im allgemeinen eigentlich abgeraten zu haben.
Also ich weiß nicht, meinte sie nachdenklich, ob ich ihn überhaupt treffen soll. Alfreds Stimme klingt sympathisch, aber er hat ohne Umschweife versucht, mich zu analysieren und mit seinen psychologischen Kenntnissen geprotzt. Ich habe mich gefühlt wie in einer Vorlesung. Und stell dir vor, gestern erzählt er was von seiner kranken Mutter und er könne die Stadt nicht verlassen, ich soll morgen Abend zum Aral-Parkplatz an der Autobahnabfahrt Z-Nord kommen, dort wird er mich abholen. Was meinst du?
Ich seufzte nachdenklich: Klingt sehr verdächtig. Eher nach Patient in der Psychiatrie als nach Arzt. Ich würde die Finger davon lassen.
Als weiterer Reinfall entpuppte sich der Tischler. Kornelia hatte ihm brieflich ihre Telefonnummer mitgeteilt und bekam auch tatsächlich einen Anruf - in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag um 2.30 Uhr. Am kommenden Morgen konnte sie sich an der Mitteilung auf dem Anrufbeantworter erfreuen: Ein völlig betrunkener Mann lallte etwas von scheiß Technik, schaffte seinen Namen beim dritten Anlauf, versprach aber, sich wieder zu melden.
Blieb noch der Ingenieur. Er schien vielversprechend. Lud Kornelia zum Galadinner ins teuerste Restaurant am Platz ein, brachte ihr rote Rosen mit, erzählte von seinen Träumen und Plänen, die sich hauptsächlich um den Kauf und die Restaurierung eines alten Segelbootes drehten. Er schwärmte von Aktien, Depots, Festzinsen und verschiedenen Geldanlagemöglichkeiten, die bedingten, daß er momentan nicht flüssig sei, Geld bräuchte und dieses schnell und gut verzinst zurückzahlen würde. Als Kornelia lachend erklärte, ihr Einkommen reiche gerade so über den Monat, ging der Herr Ingenieur Zigaretten holen und überließ Kornelia großzügig die Begleichung der Rechnung von 170 Mark.
Nachdem sich ihre Wut gelegt hatte, gingen wir einen trinken.
Weißt du, meinte Konny, ich spare jetzt ein bißchen und besorge mir einen Internetanschluß. Es soll tolle Kontaktbörsen geben, da sind Anzeigen sogar kostenlos. Ich probiere einfach so lange, bis es klappt.

August 2000

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