Hans Pürstner

Die letzte Fahrt der Hanseatic Teil 2

Der erste Tag
Ich bin Elvira Heinemann, Tochter von Frau Scholz.
Das nasskalte Wetter diese trüben Novembertages ist nicht der einzige Grund, der mich leise frösteln lässt. Ich war im Begriff, meine Mutter abzuliefern wie ein Lieferant seine Ware, die Verantwortung für sie als ihr einziges Kind abzuwälzen an die Profis des Seniorenheimes. Leicht war es mir nicht gefallen, meine Mutter ins Sankt Angelika zu geben. Aber Hans, mein Mann war strikt dagegen, sie bei uns aufzunehmen. „Sie ist doch schon neunzig, was machenwir, wenn sie wieder die Pfanne voll Fett auf der Herdplatte lässt und im Wohnzimmer einnickt, während sie allein im Haus ist, so wie neulich. Bis die Feuerwehr kommt, ist sie längst verbrannt!“ hatte er geschimpft
Er meinte wohl eher die teure neue Küche als Mutti, fürchte ich. Aber so ganz unrecht hat er nicht damit. In den letzten beiden Jahren hat sie enorm abgebaut. Noch zu ihrem achtzigsten Geburtstag war sie fit wie ein Turnschuh gewesen. Sogar für ihren Nachbarn hat sie immer das Brot vom Bäcker mitgebracht, damit er nicht gehen mußte. Dabei war er erst fünfundsiebzig, der Herr Krause. Aber dann bekam er einen Schlaganfall und nach kurzem Leiden war er tot, der Herr Krause. Da wurde Mutti es so richtig klar, wie schnell es gehen konnte. „Ich komm schon allein klar, ich hab mein Leben lang gearbeitet, gekocht und geputzt. Was soll ich im Heim, dort sitz ich doch nur rum den ganzen lieben Tag. Das halt ich nicht aus!“
So hat sie es bis dahin einem jeden erzählt, wen immer sie traf. Aber seit dem Tod des Nachbarn war sie wie ausgewechselt. Und so sind wir vor zwei Monaten zu Herrn Schaumeier gefahren, dem Leiter des Sankt Angelika. Der wußte schon, wie man mit der Skepsis von Interessenten umgehen muß. Er hat mir auch Tips gegeben, wie ich mich doch noch mit dem Sozialamt einigen könnte. Ansonsten wäre mein ganzes Erbe von Papa in fünf Jahren weg. Und ob die künftige Rente von Hans für uns beide reichen würde, na, ich glaub wohl kaum.
Und nun stehen wir vor dem Heim. Meine Mutter schaut mich an, der Blick eine Mischung aus Ratlosigkeit und Angst vor diesem großen Schritt. Dem Schritt in ein neues Leben, wohl der letzte, den sie noch freiwillig tun würde. Das schlechte Gewissen schnürt mir die Kehle zu. Ich möchte sie in den Arm nehmen, sagen, „komm, Mutti, wir fahren zurück in unser Haus“. Statt dessen sag ich,“ komm, laß uns reingehen“
Heute ist es irgendwie anders als vor zwei Monaten, als uns der Heimleiter das Musterzimmer zeigte. Dieses Gefühl von Endgültigkeit, das einen Einzug ins Altersheim mitbringt, stelle ich mir für meine Mutter am Schlimmsten vor. Ich gebe mir einen Ruck und nehme sie an der Hand, führe sie über die Schwelle. Helles warmes Licht empfängt uns in der Eingangshalle. An der Seite eine kleine Rezeption mit einem jungen Mädchen hinterm Tresen. Freundlich begrüßt sie uns, fragt nach unseren Wünschen. Unser Gefühl nachvollziehen kann sie bestimmt nicht. Sie erzählt mir, dass der Heimleiter auf einer Besprechung außer Haus sei und uns deshalb nicht willkommen heißen könne. Aber Frau Wimmer, eine altgediente Pflegerin, sie habe jetzt die Leitung im Bereich der zweiten Etage übernommen und würde nach unten kommen, um uns zum Zimmer zu führen. Ich blicke mich scheu um im Haus, vor zwei Monaten hab ich mir den Eingangsbereich gar nicht so genau angeschaut. Spartanisch, aber geschmackvoll ausgestattet. Eine gemütliche Sitzecke, auf der es sich drei Damen und zwei Herren gemütlich gemacht haben. Daneben ein Aquarium mit vielen bunten Fischen und übervoll mit Grünpflanzen. Die alten Herrschaften schienen aber keinen Blick dafür zu haben. Ihr Gespräch war schwerlich zu überhören, besonders eine der Damen führt das große Wort.
„Eine Unverschämtheit, der Aufzug ist schon wieder kaputt!“, schimpft sie lauthals. „Was macht eigentlich der Hausmeister den ganzen Tag?“
„Komm Betty, wir haben doch sowieso noch den kleinen Lift da drüben, ist doch alles nicht so schlimm!“
Die Wortführerin wirft ihr einen mißbilligenden Blick zu, solch Widerspruch war sie offensichtlich nicht gewohnt. Die anderen Bewohner nicken nur sorgenvoll mit den Köpfen, trauen sich wohl nicht, ihre eigene Meinung zu äußern.
„Da kriegen Sie aber gleich den richtigen Eindruck, Frau..., Scholz, nehme ich an?“.
unbemerkt war die Oberschwester an uns heran getreten und begrüßte uns. „Wir nennen sie die Heim-Mafia, flüstert sie mir mit einem schelmischen Blick in Richtung Sitzecke zu, „es sind so 5, 6 Leute, noch ganz rüstig, die bestimmen hier, was alle anderen „wollen“
Doch wir haben 123 Bewohner im Haus, die haben jeder für sich das gleiche Recht, ihre Wünsche erfüllt zu bekommen!“ seufzt sie
„Aber nun genug geschwatzt“, meint sie lachend und gibt meiner Mutter die Hand.
„Guten Tag Frau Scholz, herzlich willkommen in ihrer neuen Umgebung! Ich bin Frau Wimmer, die meisten nenne mich Angelika. Wir fahren jetzt erstmal in den zweiten Stock, dort ist ihr Zimmer.
Der Aufzug will nicht so recht, deshalb müssen wir den ganzen Gang nach hinten laufen und mit dem kleinen Lift nach oben fahren. Die Stille hier im Haus wirkt irgendwie bedrückend, fast wie im Krankenhaus, es fehlt nur der Geruch nach Desinfektionsmitteln.
Der wäre mir jetzt lieber als der Geruch, der uns nach dem Aussteigen im 2.Stock umgibt. Frau Wimmer bemerkt sofort, was ich empfinde und versucht abzuwiegeln.
„Ich rieche das gar nicht mehr, man hat sich schnell gewöhnt an den Geruch menschlicher Aus-scheidungen. Sonst könnte man hier gar nicht arbeiten“. Ich bewundere sie ein bisschen für diesen Gleichmut, bin froh, daß ich heute morgen noch ordentlich gefrühstückt habe. Ansonsten würde mir so einiges hochkommen. Endlich sind wir im Zimmer. Der Aufbau von Mutters Schrank hat doch noch rechtzeitig geklappt, sogar ihr Lieblingsbild hängt an der Wand. So fühlt sie sich wenigstens nicht ganz so fremd in der neuen Umgebung.



Die Neuaufnahme

Ich bin Angelika Wimmer, seit fünfzehn Jahren arbeite ich nun schon im Sankt Angelika Heim, seit zwei Monaten bin ich die verantwortliche Schwester im zweiten Stock. Dreiundvierzig Damen und Herren sind auf diesem Wohnbereich verteilt, hauptsächlich in geräumigen Einzelzimmern, nur drei Zimmer sind mit zwei Leuten belegt. In den Jahren hat sich technisch schon so einiges verbessert. Zum Beispiel haben wir vor fünf Jahren elektrisch verstellbare Pflegebetten bekommen, für jeden Bewohner. Früher brachten viele ihr eigenes Bett von zu Hause mit, menschlich verständlich. Aber es war oft ziemlich unpraktisch bei der täglichen Körperpflege und beim „Essen zureichen“. Füttern dürfen wir ja nicht sagen, das „verstößt gegen die Menschenwürde“, wie uns der Heimleiter immer wieder ins Gewissen geredet hat. Wenn wir alles das umsetzten würden, was uns schlaue Menschen bei den diversen Fortbildungskursen erzählen, da kämen wir oft gar nicht mehr zu unserer eigentlichen Arbeit. Jahr für Jahr hören wir nur „wir müssen sparen!“, und schon wird eine frei werdende Stelle nicht mehr besetzt. Aber die Arbeit bleibt nicht nur die gleiche, es kommen immer mehr Menschen mit höherer Pflegestufe ins Heim. Das bringt mehr Geld, aber auch mehr Aufwand für uns.
Und heute kommt mal wieder eine Neue. Eine Frau Scholz. Gar nicht so selten, der Name. Wir haben schon eine Frau Scholz im ersten Stock, die ist schon seit Jahren bei uns. Hoffentlich gibt’s nicht wieder Verwechslungen in der Küche durch den gleichen Namen. Dann schicken sie den Kakao für die eine Frau Scholz aus Versehen in den zweiten Stock. Und wir müssen uns dann das Gejammer anhören.
Elli von der Rezeption ruft an, ich soll runter kommen, die Herrschaften wären da. Bin gespannt, was da kommt. Nicht wieder so eine quengelige Dame wie Frau Zimmermann vorletzte Woche. Die kann einem das Leben zur Hölle machen mit ihrer ewigen Meckerei. „Das Fleisch ist zu hart. Die Kartoffeln sind so gesalzen, das Brot ist ja viel zu trocken, das kann ich nicht essen.“
Aber sie hat in den zwei Wochen schon ein Kilo zugenommen hier. So schlecht kann das Essen ja nicht sein. Ein zartes Pflänzchen war sie ohnehin nie. Wenn ich ihr beim Waschen helfe, weiß ich gar nicht, wie ich ihr das Badetuch umlegen soll. So lange Arme hab ich gar nicht für ihren Körperumfang.
Da sind sie ja, die Beiden. Ich führe sie hinauf zu ihrem Zimmer im zweiten Stock. Natürlich spinnt der Aufzug wieder. Typisch, gerade jetzt. Die müssen ja einen schönen Eindruck bekommen. Jetzt sind wir im Zimmer. Die Frau Scholz schaut ziemlich ratlos drein. Kein Wunder, muß ja auch ein harter Schritt sein, von seiner alten Wohnung hierher zu gehen. Auch wenn alles schön ist, ein Teil der Möbel mitgekommen ist. Muss ihr morgen ein bisschen Mut zusprechen, der alten Dame. Aber jetzt laß ich sie wohl besser allein, das ist ihr bestimmt am liebsten. Hoffentlich sieht das ihre Tochter auch so.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.05.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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