Nicole Pulver

Eine billige Kopie



Er sah gut aus. Wie man sah, hatte er merklich abgenommen. Stand ihm gut. Er wirkte lustig und fröhlich, halt rund um ein glücklicher Mann. Seine Frau hatte ihn mit den Kindern verlassen, aber was soll `s? Viele Mütter haben hübsche Töchter. Außerdem war sie ja eh nur eine dumme Gans. Er hatte sich vorgenommen, ihr nicht lange nachzutrauern.
Was bildete sich diese blöde Kuh eigentlich ein? Sie hätte zuwenig Aufmerksamkeit bekommen? Richtige Männer sind so, man wird doch wohl noch einen Blick auf die Speisekarte werfen dürfen. Er war kein Kind von Traurigkeit, und so genoss er weiter seine Freiheit, die er nie hatte aufgeben wollen, nicht für sie und nicht für seine Kinder.
Er genoss seine wieder gewonnene Freiheit in vollen Zügen, zog abends durch Bars und Kneipen und baggerte die Frauen an, wie es ihm gefiel. Manchmal nahm er auch eine mit nach Haus. Na also, Weiber gab es doch wie Sand am Meer. Nur wenn man allein zuhause war, fehlte das Getrappel der Kinder, und ihr Rumgetobe, ja sogar das Herumgekeife seiner Frau.
Er brauchte doch wieder eine lockere Bindung, ja eine Frau die sich einfach nur freute, wenn er mal vorbei kam und auch nicht meckerte, wenn er nicht kam. So hatte er bald eine neue Freundin gefunden. Groß, eigentlich wie seine Ex. Schlank, eigentlich auch wie seine Ex. Hübsch , ähnlich wie seine Ex, nur vom Gesicht her anders. Und sehr ruhig, so ruhig, das man fast jedes Wort aus ihr herauskitzeln musste. Ganz anders als seine Ex, die ständig nur am Plappern gewesen war.
Er bemühte sich rührend um seine neue Freundin, sehr aufmerksam und zuvorkommend. Kannte man gar nicht von ihm. Auch um ihren Sohn kümmerte er sich. Ganz der Familienmensch. Diese Frau schien wirklich einen guten Einfluss auf ihn zu haben. Er sprühte nur so vor Glück. Jedem erzählte er, wie schön das Leben nun ist. Eine attraktive Frau, treu und intelligent, was will Mann mehr? Da lohnt es sich auch, mal ein wenig kürzer zutreten. Natürlich nur, wenn es die Frau auch wert ist.
Seine Exfrau war weit weg. Das war auch gut so.
Dann kam die Hochzeit eines Freundes. Es war ihm natürlich klar, das seine Ex auch da sein würde. Zu allem Überfluss waren ausgerechnet er und seine Ex die Trauzeugen. Morgens auf dem Standesamt hatten sie sich nur kurz gesehen, er hatte danach gleich wieder zu seiner Freundin fahren wollen und nahm seinen Sohn mit. Die richtige Party war erst am Abend.

Die Party war im vollen Gange, er feierte fröhlich mit, das seine Ex auch da war, schien ihn gar nicht zu stören. Diese war nur in Begleitung der Kinder erschienen. Ihr neuer Lover hatte sich wohl nicht getraut mitzukommen. Sie hielt sich dezent zurück. Nach der Trennung war sie weit weg gezogen, und man sah ihr an, dass sie sich nun ein wenig fremd fühlte, obwohl ihr die meisten Leute dort schon bekannt waren. Trotzdem fühlte sie sich ein wenig unbehaglich. Er hingegen war ganz gelassen.
Probleme mit der Ex? Ein abgeschlossenes Kapitel, so erzählte er es jedem der ihn danach fragte. Doch seine Augen straften seine Worte Lügen. Wieder und wieder suchte sein Blick seine Ex. Ein paar scherzhafte Sprüche. Dies blieb natürlich nicht ganz unbemerkt.
Die anderen Gäste verfolgten das Geschehen äußerst amüsiert. Man sprach darüber, wie ähnlich die Neue eigentlich der Alten sehen würde, zwar nicht ganz so hübsch, aber fast ebenso groß und schlank. Nur sehr menschenscheu irgendwie, still, nervös und zurückhaltend.

Ihr Sohn war etwas älter wie seiner, aber die beiden Raufbolde schienen sich eigentlich ganz gut zu verstehen. Es gab zwar einiges Gerangel mit ihnen, nicht bösartig, aber man musste sie ja ab und an mal zurechtweisen, wenn sie zu arg auf dem Boden herumrutschten.
Seiner Freundin war es anscheinend egal, was ihr Sohn anstellte, so übernahm er diesen Part.


Dadurch traf er dann allerdings immer mal wieder kurz auf seine Ex, die ihren Sohn zur Ordnung rief. Zu einem wirklichem Gespräch kam es dabei aber nicht. Doch wie gesagt,
seine Augen sprachen Bände.
Die Neue an seiner Seite wurde sichtlich nervös und sehnte sich immer mehr danach , die Party bald zu verlassen. Sie schien sich nicht sehr wohl zu fühlen. Zog sich mehr und mehr auf ihren Platz hinter der Tür zurück. Überhaupt, was saß sie die ganze Zeit auf dem Platz hinter der Tür?
Sehr kontaktfreudig war sie nicht. Wenn man sie ansprach wich sie fast erschrocken zurück. Ein armes Ding. Passte irgendwie gar nicht zu diesem Klotz von Mann. Na ja, wo die Liebe halt so hinfällt. Sie bestand dann auch bald darauf das Fest zu verlassen. Die Mitternachtstorte war noch nicht einmal angeschnitten. Er, der sonst auf jeder Fete der letzte Gast war, verkündete sodann gleich, dass er seine Begleitung natürlich nicht allein gehen lassen könne und mit ihr nach Haus fahren würde .Das tat er auch, er sammelte die beiden Jungs ein, nahm seine billige Kopie und verschwand.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.05.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Die Geschichte spielt im Berlin der 90er Jahre.

Den beiden Freundinnen Andrea und Sigrid hat im Laufe weniger Monate das Schicksal übel mitgespielt. Mit dem Weihnachtsfest scheint sich eine positive Wende anzukündigen. Andreas Beziehung zu Wilfried Ruge, die anfangs unter keinem guten Stern zu stehen schien, festigt sich. Auch ihre Freundin glaubt in Wilfried ein verlässlichen Kameraden zu sehen. Beide Frauen nehmen ihr Schicksal optimistisch in die Hand.

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