Hans Pürstner

Die letzte Fahrt der Hanseatic Teil 5

Der Muttertag

Hab schlecht geschlafen heute nacht. Würde so gerne noch länger im Bett bleiben und mich ausruhen. Alle paar Minuten bin ich wach geworden. Und jetzt bin ich natürlich müde. Aber so was ist nicht vorgesehen im Heim. Hier läuft alles nach einem festen Zeitrythmus ab. Na ja, muß wohl auch so sein, wie sollen die paar Leute das sonst schaffen, die ganze Arbeit hier. Außerdem ist heute Muttertag. Mein großer Ehrentag, wie Elvira immer pathetisch sagt. Aber nachdem sie und ihr Hans die Blumen und die Packung Mon Cherie abgeliefert hatten, haben sie es sich an meinem großen Esstisch gemütlich gemacht. Und ich durfte kochen. Aber ich hab es ja gerne gemacht. Vor allem seit Lili, mein Enkelkind da war, war es doch besser bei mir zu essen. Im Restaurant ist es immer proppevoll am Muttertag und teuer obendrein. Na, heute wird Elvira mal selber kochen müssen. Ich bin ja im Heim, dem schönen. Jetzt ist´s nichts mehr mit „Laß uns doch bei Oma essen“. Heute wird gekocht, und zwar für mich! Auf dem Speiseplan stehen Rinderrouladen. Bin gespannt, ob die auch so gut schmecken wie meine. Ich fülle sie immer mit dicken Streifen von Gurke und Räucherspeck. Und auf das Fleisch streiche ich dick Senf. Wehe, die machen das hier anders. Nach dem Essen werde ich heute auf jeden Fall mein Mittagsschläfchen halten. Das hab ich mir verdient, an meinem Ehrentag! Und anschließend ist wieder Mon Cherie angesagt. „Die magst du doch so gerne, Mutti!“ Na ja, eigentlich nicht, aber ich hab es nie übers Herz gekriegt, ihr das zu sagen, meiner Elvira. Viel lieber wäre mir gewesen, sie hätte sich selbst mal in die Küche gestellt und für uns alle gekocht. Aber kochen ist nicht ihr Ding, sagt sie immer. So was ist meine Tochter. Am meisten freu ich mich auf Lili. Bestimmt sagt sie wieder ein Gedicht auf. Und bleibt stecken mitten im Text. Aber das macht nichts. Sie ist ja so süß. Als es feststand, daß ich ins Heim muß, hat sie mich angebettelt. „Bleib zu Hause , Omi. Du kochst so lecker. Kannst auch bei mir schlafen, im Kinderbett. Ich rück ein bisschen zur Seite, dann hast du auch Platz!“ Richtig süß!
Aber jetzt geh ich erst mal runter zum Frühstück. Ich brauch ´nen starken Kaffee zum Wachhalten, so müde bin ich. Wer weiß, was dieser Tag noch bringt.

Elvira, Tochter
Beinahe hätte ich vergessen, die Mon Cherie zu besorgen. Heute ist doch Muttis Ehrentag. Und die mag sie doch so gerne. Ich würd ihr viel lieber einen Kuchen backen. Aber nein, es müssen Mon Cherie sein! Hoffentlich patzt Lili nicht wieder beim Gedicht aufsagen, so wie letztes Jahr. Jetzt müssen wir aber los, Mutti wartet bestimmt schon sehnsüchtig auf uns. Hans kommt nicht mit, er sagt sie mag ihn nicht. Kann ich ihr nicht verdenken, wo er doch dagegen war, daß sie zu uns zieht.

Frau Wimmer, Pflegerin
Heute ist wieder dieser Horror Tag, der Muttertag. Das Haus ist voll mit Angehörigen. Das ganze Jahr über lassen sie sich nicht blicken, aber am Muttertag, da folgen sie alle dem Herdentrieb und stürmen das Sankt Angelika Heim. Voll bepackt mit Blumen und Bonbonschachteln. Dabei wäre es den meisten Bewohnern viel lieber, sie würden sie öfter besuchen. Einfach nur reden, sich ihre Sorgen anhören. Zeigen, daß ihre Meinung noch gefragt ist. Die Bonbons könnten sie ruhig zu Hause lassen. Zu essen gibt’s hier wirklich genug den ganzen Tag.

Frau Scholz
Der weiß ich wievielte Tag

Was für ein schöner Tag heute! Ich hab gut geschlafen, kein einziges Mal bin ich wach geworden. Endlich mal ! Ein bisschen bleibe ich noch liegen im warmen Bett, dann stehe ich auf. Nein, was ist das denn? Neiiiin!
Das kann doch nicht sein! Ich möchte sofort sterben. Ekelhaft! Ich liege in meinem eigenen Kot. Es stinkt so furchtbar. Wie konnte mir das denn nur passieren? Ich möchte nicht mehr leben. Wenn „in Würde alt zu werden“ bedeutet, in seinen eigenen Exkrementen aufzuwachen, dann nein danke. So nicht.
Ich stehe vorsichtig auf. Hoffentlich kommt die Schwester nicht ausgerechnet jetzt ins Zimmer, um Guten Morgen zu wünschen. Das ist kein guter Morgen! Im Bad ziehe ich mein Nachthemd aus, weiche es im Hand-waschbecken ein. Schnell unter die Dusche. Eigentlich darf ich nicht mehr ohne die Unterstützung einer Pflegekraft duschen seit ich letzte Woche in der Duschwanne ausgerutscht bin. Ein paar blaue Flecke zwar nur, aber wer weiß, was noch hätte passieren können.
So, jetzt bin ich wenigstens wieder sauber. Nun schnell das Nachthemd ausgewaschen und im Wäschesack versteckt, damit es der Schwester nicht gleich auffällt. Ich schäme mich ja so, das ist ja fast so wie damals als kleines Mädchen. Da ist mir das auch passiert. Und mein älterer Bruder, der Philipp, der hat mich vielleicht ausgelacht. Und gepetzt hat er natürlich auch. Damals hab ich mich auch so geschämt.
Die armen Pflegerinnen, die so was anfassen müssen. Ist schon eklig genug, den eigenen Dreck wegzumachen. Noch mal passiert mir das nicht. Das kam bestimmt vom Sauerkraut gestern zum Szegediner Gulasch. Aber ich ess doch Sauerkraut für mein Leben gern.
Ich geh nach unten zum Frühstück. Eigentlich ist mir jetzt nicht nach Essen, nach diesem Schockerlebnis vorhin. Aber zumindest einen Tee muß ich doch trinken.
Im Aufzug treffe ich wieder die Frau Beck. Wir haben fast zwanzig Jahre Haus an Haus gewohnt, alle Sorgen und Nöte miteinander geteilt. Jetzt grüßt sie nur kurz zurück, als ob sie mich nicht kennen würde. Bestimmt hat sie Alzheimer. Hoffentlich passiert mir das nicht! Muß ja schrecklich sein. Obwohl, Frau Wimmer, die Pflegerin hat mir erzählt, dass die Dementen das ja gar nicht mitkriegen mit ihrer Krankheit. Insofern hat es dann sogar einen Vorteil, vergesslich zu sein.


Elvira, Tochter
Mensch, ich muß Mutti anrufen, hab schon ein schlechtes Gewissen weil ich längere Zeit nicht dort war. Ist aber auch nicht einfach mit den Besuchen. Mal stört man beim Essen verteilen, dann beim Zimmer saubermachen oder sie schläft gerade. Beim letzten Mal hab ich sie geweckt, da war sie total ungehalten. Dabei hab ich so viel Stress mit Hans gehabt, um sie überhaupt besuchen zu können. Er wollte mit Lili und mir in den Tierpark fahren. Zwei gegen einen, so haben wir ihn schließlich überstimmt. War ganz schön sauer, der Hans. Und dann freute sie sich gar nicht über meinen Besuch. Die Frau Wimmer hat mich gleich getröstet. Ich soll das nicht persönlich nehmen, hat sie gesagt.
Aber jetzt ist da schon wieder einige Wochen her, ich ruf sie gleich an.
„Hallo Mutti, wie geht’s?“, frage ich fröhlich.
„Ach ja, ganz gut!“, schallt es müde aus dem Hörer. Die Antwort macht mich besorgt. Vor allem die Art wie sie spricht. Völlig geknickt, als ob es ihr sterbens elend geht. Ich fahr heut abend noch hin, das versprech ich ihr. Wer weiß, was passiert ist, sie will mir ja nichts sagen am Telefon.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.05.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Walter Semmler ist extrem kurzsichtig, ein lausiger Bankangestellter, über vierzig, Mutters Söhnchen und Jungfrau.

Als sich die geheimnisvoll attraktive und junge Tante Goutiette bei ihm einnistet und so sein streng geordnetes Leben bedroht, steht für Semmler fest: Er muss sie loswerden!

Bei dem Versuch stößt der verpeilte Eigenbrötler schnell an seine Grenzen. Kann ihm die nette Frau aus der Bibliothek helfen? Was haben die freundliche Nachbarin oder gar seine Mutter vor? Stimmt mit ihm selbst etwas nicht? Oder steckt hinter all der plötzlichen Unordnung in seinem Leben am Ende doch etwas ganz anderes?

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