Hans Pürstner

Die letzte Fahrt der Hanseatic Teil 6

Frau Scholz, Bewohnerin:
Heute abend läuft wieder Derrick im ZDF. Hab noch keine Folge verpasst. Ist schon komisch zu sehen, wie auch im Fernsehen Leute älter werden. Aber er ist immer noch Oberinspektor. Dabei ist er doch längst reif für die Pension. Wenn der Derrick hier wäre, dann würde nichts verschwinden von unseren Sachen. Meine Seidenbluse, die Alwin mir zum Achtzigsten geschenkt hat, die ist auch weg. Einfach weg. Und alle zucken nur mit den Schultern. So eine Gemeinheit, einer alten Frau die Bluse zu stehlen! Gleich werde ich zu Herrn Schaumeier gehen, er ist der Heimleiter hier. Den krieg ich selten zu sehen, meist ist er bei irgendeiner Besprechung. Ich weiß gar nicht, was die hier immer zu besprechen haben. Sollen sich lieber um uns kümmern. Auf dem Weg zum Lift treff ich Frau Wimmer. Ob ich ihr was erzählen soll wegen meiner Seidenbluse? Ach was, die redet sich doch wieder raus, „Wer wird den alten Plünn schon stehlen“, oder so. Dabei hat sie gar keine Ahnung wie kostbar diese Bluse für mich ist, schließlich hat Alwin sie mir geschenkt, Gott hab ihn selig. Im Aufzug treff ich Frau Schopp, die hat mal früher zwei Häuser weiter von uns gewohnt. Sie erzählt mir, daß ihr auch was geklaut worden ist, ein zwanzig Euro Schein aus der Nachtischschublade. So eine Frechheit, meint sie. Bestimmt bildet sie sich das bloß ein. Konnte sie früher schon nicht leiden. Wahrscheinlich hat sie das Geld ihrem Enkel gegeben, als er gestern zu Besuch war. Und heute hat sie es vergessen und gibt den armen Schwestern die Schuld. Aber meine Bluse ist wirklich weg. I c h vergesse doch nichts, ich hab doch kein Alzheimer.
Der Heimleiter ist ganz nett zu mir, sogar ein paar Kekse bietet er mir an und hört mir zu, obwohl er einen Haufen Papiere vor sich auf dem Schreibtisch liegen hat.
Er ruft in der Wäscherei an, nickt ein paar Mal mit dem Kopf und legt den Hörer in die Gabel. „Es ist eine Seidenbluse in der Waschküche gefunden worden, auf der das Namensschild fehlt. Die schicken sie morgen mit den anderen Sachen mit, bestimmt ist es ihre Bluse! Bitten Sie ihre Tochter, dass sie ihre Kleidung ordentlich kennzeichnet, Frau Scholz, wie sollen denn sonst die Wäschereileute wissen, wem sie gehören!“
Na, ja, wenigstens ist meine Bluse wieder aufgetaucht. Jetzt steh ich natürlich wieder blöd da. Was soll’s, hätte ja sein können, mit dem Diebstahl. Gut, daß ich niemand beschuldigt habe.
Bei Derrick ist das anders, da findet sich immer ein Schuldiger.
Frau Wimmer, Pflegerin:
Eben hab ich Frau Scholz auf dem Flur getroffen. Wollte mit dem Lift nach unten zum Büro von Herrn Schaumeier. Sie hat irgendwas gemurmelt über „die Diebesbande“ hier. Es ist schon ein Kreuz mit den alten Leuten. Ewig haben sie ihre Sachen verlegt und weil sie diese nicht sofort finden, sind sie „gestohlen worden“. Dabei findet sich so gut wie alles binnen kurzer Zeit wieder an. Und jetzt belästigt sie auch noch den armen Herrn Schaumeier damit. Der hat ohnehin genug um die Ohren. Die Kosten steigen dauernd, aber die Preise lassen sich nicht so einfach anpassen. Und kaum ein Monat vergeht, wo nicht wieder eine neue Vorschrift rauskommt, zur „Qualitätsverbesserung“ der Altenpflege. Zuerst kostet dies alles mehr Geld. Geld, das nicht vorhanden ist und deshalb an anderer Stelle eingespart werden muß. Ob dies wirklich zu einer „Qualitätsverbesserung“ führt? Ich weiß nicht.

Frau Scholz:
Übermorgen ist mein Geburtstag. Da schaut mein Zimmer sicher aus wie ein Blumengeschäft. Von mir aus könnten sie sich das sparen. Ein Strauß, oder besser ein Topf mit Geranien oder so würde mir reichen. Von dem hab ich länger was von. Die Blumen schmeiß ich in spätestens einer Woche weg. Und weg ist die Freude drüber! Bin gespannt, ob mir Werner was schenkt zum Geburtstag. Er sagt immer, er macht sich nichts aus solchen Tagen. „Was gibt’s daran zu feiern, dass ich immer älter werde?“, sagt er oft. Aber letzt Woche hab ich gesehen, wie er einen Prospekt von einem Reisebüro in der Hand hatte. Als er mein Näherkommen bemerkte, ließ er ihn ziemlich hektisch unter einem Stapel alter Zeitschriften verschwinden. Wer weiß, vielleicht schenkt er mir eine Kurzreise auf der Hanseatic. Oder auf einem anderen Schiff. Wäre mir egal. Allein die Idee, mir so eine Reise zu schenken, wo er weiß, wie sehr ich davon träume. D a s wäre wirklich ein Geschenk, das vom Herzen kommt. So was würde Elvira bestimmt nie einfallen. Außerdem wäre ihr Hans bestimmt dagegen, der alte Geizknochen.

Elvira, Tochter:
Ich kann gar nicht sagen, wie ich mich freue auf Muttis Geburtstag. Hans hat den Vorschlag gemacht, ihr eine Reise auf der Schweden-Fähre zu schenken. Ganz von sich aus, ohne daß ich irgendetwas gesagt hätte. Mutti träumt doch immer noch von den Kreuzfahrten mit Papa auf der Hanseatic. „Das wäre doch ideal“, hat Hans gesagt, „Freitag nachmittag holen wir sie ab, fahren nach Kiel, rauf auf die Fähre. Und am Sonntag sind wir wieder zurück!“. damit macht er mir fast genauso eine Freude wie Mutti, so ein Vorschlag von ihm, wo er sie doch angeblich nicht mag. Heute nachmittag hole ich die Tickets im Reisebüro ab. Unsere Pässe sind auch in Ordnung. Gut, daß Mutti ihren vor vier Jahren verlängern ließ. So brauch ich sie nicht danach zu fragen, da wäre ja der Überraschungseffekt weg gewesen.
Und der Clou der ganzen Sache ist, ihr Werner fährt mit. Sein Ticket bezahlt er selbst, nur besorgt haben wir es für ihn. Ich kann kaum Muttis Gesichtsausdruck erwarten, wenn sie den Umschlag mit der Glückwunschkarte öffnet. Und wir sagen „guck doch genau, was da noch drin ist!“
Und was sie erst für ein Gesicht machen wird, wenn sie erfährt, daß die ganze Idee von Hans kommt. Und das Geld auch!


Frau Scholz:
Ich weiß nicht, was mit mir los ist. ich konnte kaum schlafen letzte Nacht, so unruhig war ich. Wird wohl die Ungewissheit sein, ob Werner mir die Kreuzfahrt schenkt morgen an meinem Geburtstag. Dr. Schäfer, mein Hausarzt war am Montag da. Er meinte, die Werte gefallen ihm nicht. Da war nämlich gerade der Befund vom Labor über meine Blutwerte gekommen. Ich hab ihm schon des öfteren über meine Schwindelanfälle erzählt.
Helga, die neue Pflegehilfe, die heute Dienst hat,
meint, ich solle mich hinlegen und den verlorenen Schlaf aufholen. Damit ich fit bin an meinem Ehrentag.
Ein ungewohntes Geräusch stört meinen Schlaf, es hörte sich an wie die Sirene an unserem Haus damals im Krieg, wenn Fliegeralarm gegeben wurde. Werner steht an meinem Bett und hilft mir hoch. Meine erschrockene Frage ob es brennt beantwortet er mit einem gütigen Kopfschütteln. Ich war gar nicht ausgezogen gewesen vor dem Zubettgehen. So legt er mir nur die dünne Strickjacke über die Schultern und führt mich nach unten zum Geburtstagsempfang. Ich werd verrückt, ich bin im kleinen Salon auf der Hanseatic, wo immer die kleinen Feiern stattfinden für die Passagiere. Der Salon geht über vor Blumenvasen, Blumen in allen Farben, was für eine Pracht. Der Tisch ist liebevoll eingedeckt, das schöne Bordporzellan, das ich so liebe. Die dünnwandigen Kaffeetassen. Darin schmeckt der Kaffee noch mal so gut. Viel besser als aus den stabilen Bechern hier im Heim. In der Mitte eine riesige Sahnetorte, belegt mit Himbeeren. Woher haben die gewußt, daß ich Himbeeren so gerne mag? Alle sind sie versammelt und stehen erwartungsvoll hinter ihren Stühlen. Warten, daß ich mich setze, der Ehrengast. Im Hintergrund spielt die Musikanlage ein Stück. Jetzt erkenne ich es erst. Es ist „As Time Goes By“. Aus “Casablanca“ mit Humphrey Bogart. Das war ein Mann. Aber Alwin war noch besser. Wenn der noch hiersein könnte. Dann wäre mein Glück perfekt. Aber Werner ist ja da. Und Elvira mit ihrem Hans. Und Lili, die wird auch immer älter, die Kleine!
Sogar der Kapitän ist gekommen zum Gratulieren. Und Rodolfo serviert. Ist auch schon ganz schön alt geworden, unser Rodolfo. Ich bin überwältigt. Ich fahre noch mal auf der Hanseatic! Mir ist ganz schwindlig vor Glück. Werner führt mich hinaus an die frische Luft. Wir gehen zum Lift und fahren auf das oberste Deck. Ich blicke hinaus auf das offene Meer, bald wird die Sonne aufgehen. Der rötliche Schimmer ist schon zu sehen am Horizont. Über uns fliegen ein paar Möwen, kreischen laut, wie Möwen das eben so tun. Ich möchte es ihnen gleichtun. Mich erheben in die Lüfte, schwerelos dahingleiten, auf die aufgehende Sonne zufliegen.
Ich steigere mich so in diese Vorstellung hinein, daß ich wirklich zu schweben scheine.
Immer höher fliegen wir, die Möwen und ich. Da, die Sonne kommt langsam zum Vorschein, aber irgendetwas zieht mich von ihr weg. Wie von einer unsichtbaren Schnur gezogen, zieht es mich zurück ans Deck. Fast unsanft lande ich direkt an der Reling, halte mich fest, damit der Sturm mich nicht nach unten drückt. Muß ganz schön Kraft aufwenden um mich festzuhalten an der Reling. Wenn ich bloß wüßte, woher dieses Piepen kommt. Kein Mensch ist zu sehen weit und breit. Es piept immer lauter. Der Wind wird schwächer, ich kann wieder gucken, vorhin mußte ich meine Augen schließen wegen des Sturms, der mir Tropfen von Salzwasser in die Augen geblasen hat. Das brannte vielleicht. Aber jetzt ist alles weg. Ich öffne die Augen und sehe eine weiße Wand. Ich liege im Bett. Das ist nicht mein Bett. Wie komme ich denn in ein fremdes Bett? An meiner rechten Seite steht so ein komischer Apparat. Überall blinkt es. Und piept. Daher kam also das Piepen. Eine junge Frau in Schwesterntracht tritt an mein Bett. Die kenn ich noch nicht. Die ist bestimmt nicht aus unserem Heim.

Frau Wimmer, Pflegerin:

Das war vielleicht eine Aufregung heute. Helga, unsere neue Aushilfe auf meinem Wohnbereich hat mich aufs Handy angerufen, der Frau Scholz ginge es so schlecht. Sie wüßte nicht, was sie machen solle. Ich war gerade mit Michael, meinem Sohn zum Zahnarzt. Mein Mann hatte keine Zeit und alleine traut er sich noch nicht hin. Deshalb hab ich im Heim gesagt, ich käme später. Jedenfalls hab ich von unterwegs Dr. Schäfer angerufen, den Hausarzt von Frau Scholz und ihm die Symptome geschildert. Der hat gleich einen Krankenwagen bestellt, meinte, bis er selbst im Heim ist kann es zu spät sein. War auch gut so, denn sie ist noch im Zimmer ins Koma gefallen. Darum haben die Sanitäter einen Notarztwagen dazu bestellt, sie wollten das Risiko nicht eingehen, mit ihr so zum Krankenhaus zu fahren. Der Notarzt hat ihr dann eine Injektion verpasst und sie reanimiert. Sie ist aber gleich eingeschlafen und im Krankenhaus noch mal bewusstlos geworden. Jetzt liegt sie auf der Intensivstation mit schweren Gehirnblutungen. Hoffentlich packt sie es noch einmal. Dabei hat sie sich schon so auf ihren Geburtstag gefreut. Und der Kapitän erst. Er wollte doch mit Frau Scholz und ihrer Tochter ein Wochenende nach Schweden fahren mit dem Fährschiff. Ob sie was geahnt hat von der Reise und sich deshalb so aufgeregte?
Vielleicht schaue ich nach Feierabend bei ihr vorbei, mal sehen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.05.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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