Hans Pürstner

Die letzte Fahrt der Hanseatic, Schluß


Frau Scholz, Bewohnerin Ich bin zurück im Heim. Hätte nie gedacht, daß ich mich drüber freuen könnte, wieder ins Heim zu kommen. Meine Möbel, die alten Bilder, die Alwin von seinem Großvater geerbt hatte. D a s ist jetzt mein Zuhause. Und Krankenhaus bleibt eben Krankenhaus. Dort riecht es so nach Chemie. Hier im Heim riecht es nicht nach Chemie, sondern nach Scheisse. Aber die riecht wenigstens natürlich, nicht künstlich. Außerdem krieg ich sowieso nicht mehr viel mit. Es ist ein Kreuz, je älter man wird, desto mehr lässt alles nach! Man hört kaum noch, sieht schlecht. Und der Geruchssinn baut ab. Das hat zwar auch Vorteile. Bei dem Gestank, den wir hier produzieren. Aber beim essen ist es ein Nachteil. Riechen und schmecken gehören halt zusammen. Und so schmeckt das meiste fad hier. Wenn ich an den Krustenbraten zu hause denke. Das ganze Haus duftete danach. Aber gut! Hier rieche ich im Speisesaal nichts vom Essen. Wahrscheinlich haben sie so eine moderne Lüftungsanlage hier, die alles absaugt. Aber deswegen zieht es wohl auch die ganze Zeit. Wie in einem Vogelkäfig. Dabei machen die Küchenfrauen alle Fenster dicht während der Mahlzeiten. Trotzdem zieht es wie Hechtsuppe.
Irgendwie sieht mein Zimmer heute anders aus als sonst. Der Schrank steht jetzt rechts vom Fenster. Früher stand er neben der Tür. Moment, das ist ja gar nicht mein Schrank! Und wo sind denn die ganzen Bilder? Alle weg! Da stimmt doch was nicht, ich muß sofort klingeln.
Jetzt ist es bestimmt schon fünf Minuten her, seit ich zum ersten Mal geklingelt hab. Aber nichts rührt sich. Wie gerne würde ich aufstehen und selber nach einer Pflegerin suchen. Aber ich bin bettlägerig geworden, seit meinem Schlaganfall. Was für ein Leben. schlecht sehen, schlecht hören. Und jetzt kann ich nicht mal mehr aufstehen. Muß mir so eine Bettpfanne geben lassen, statt aufs Klo zu gehen. Wie im Krankenhaus. Dort wußte ich aber, daß es nur vorübergehend ist. Aber jetzt ist es endgültig. Und essen muß ich natürlich auch im Bett. Nun merkt man erst, wie gut diese Elektrobetten sind. Ein Knopfdruck und das Kopfteil geht nach oben, so daß ich bequemer essen kann.
Warum kommt denn da bloss niemand?
Frau Wimmer, Pflegerin
Nun ist sie doch noch wiedergekommen, die Frau Scholz. Vom Krankenhaus haben sie uns vorgestern noch angerufen und gesagt, es geht zu Ende mit ihr. Aber gestern ging es ihr schon viel besser. Sie wollte unbedingt zurück zu uns. Aber ihr Zimmer haben wir doch schon vergeben. Weil feststand, daß sie in Zukunft bettlägerig sein würde, falls sie überhaupt wiederkommt, hat der Herr Schaumeier gesagt, wir sollen die Frau Glöckner in ihr Zimmer legen, die schon seit Wochen auf der Warteliste ganz vorne stand. Und die Frau Scholz soll ins Erdgeschoß, dort sind die Zimmer für Intensivpflege. Ist auch besser für die Krankentransporte, die solche Leute ja häufiger nötig haben. Irgendwie hab ich schon ein schlechtes Gewissen, sie freut sich so, wieder hier zu sein. Und nun ist ihr Zimmer weg. Und die Möbel stehen im Lager, der Hausmeister ist auf Urlaub. Sonst hätte man sie schnell noch ins neue Zimmer von der Frau Scholz stellen können. Vielleicht hätte sie dann gar nichts gemerkt. Aber so ist es halt bei uns. Die Zimmer müssen belegt sein, sonst stimmt unser Budget nicht.

Die Frau Scholz macht mir Sorgen. Heute früh bei der Übergabe hat mir die Nachtschwester erzählt, daß sie dreimal geklingelt hat, ein fremder Mann wäre in ihrem Zimmer. Beim dritten mal habe sich ihr Gesicht plötzlich verklärt „Ach du bist es, Alwin!“, habe sie gesagt. Ich glaub, es geht zu Ende mit ihr. Ausgerechnet jetzt ist ihre Tochter in den Urlaub gefahren. Das ist ja wieder typisch.Irgend so ein exotischer Ort, eine Insel oder so was. Kann ich mir nicht leisten bei dem Gehalt hier. Vorgestern war sie hier und hat sich verabschiedet für zwei Wochen. Ich muss gleich mal in der Kartei nachschauen, ob noch andere Angehörige angegeben sind zum Verständigen, falls es zu Ende geht mit ihr.
Im Raucherzimmer ist der kleine Fernseher an, es läuft gerade eine Sendung über die letzte Fahrt eines Kreuzfahrtschiffes. Mein Gott, es ist die Hanseatic. Die arme Frau Scholz, sie wollte doch so gerne noch mal eine Kreuzfahrt damit machen. Das ist ja unheimlich, irgendwas treibt mich dazu in ihr Zimmer zu gehen. Kaum habe ich die Tür geöffnet, spüre ich die unheimliche Stille. Ich merke sofort, es ist vorbei. Ich geh zurück ins Schwesternzimmer und hole die Karteikarte raus. Im Fernseher sieht man das Schiff langsam in der Ferne verschwinden, mit lautem Tuten sagt es Auf Wiedersehen und verschwindet in der Weite des Ozeans.
Frau Scholz
Es ist so dunkel im Zimmer. Ich habe Durst. Aber jeder Schluck tut mir weh. Die kleine Britta hat sich über mich gebeugt, gibt sich solche Mühe, mir einen Schluck Wasser einzuflößen. Aber ich stoße sie weg. Es tut mir leid, ich möchte ihr sagen, dass ich es nicht so meine. Aber ich bringe kein Wort heraus. Sie verläßt traurig mein Zimmer. Ich versuche zu schlafen, aber es geht nicht. Es wird dunkel. Regenwolken ziehen auf. Ich werde hin und her geschüttelt vom Wind.
Es ist so ein Sturm heut an Deck der Hanseatic. Der Regen peitscht mir ins Gesicht, ich stemme mich dagegen, kann mich kaum an Deck halten. Das Schiff steuert in Richtung Süden. Trotz des schlechten Wetters kann ich die Sonne hinter den Wolken hervor blinzeln sehen. Bald werden wir unser Ziel erreicht haben. Die Sonne wird immer größer. Es regnet nicht mehr, das Pfeifen des Sturms hat aufgehört. Statt dessen höre ich die Kapelle spielen. Sie spielt unser Lied, Alwin, hörst du? An der schönen blauen Donau. Laß uns tanzen dazu. Nimm mich in den Arm, Alwin und führe mich, trag mich in die Sonne. Ja, es ist so schön, noch näher heran an die Sonne. Sie ist so warm und hell, wunderschön. Danke, Alwin, ich hab’s geschafft,
ich bin endlich wieder zu Hause!

Ende

Ich arbeite selbst in einem Altenheim in Hamburg. Die Geschichte hilft mir, dort Erlebtes zu verarbeiten und mein eigenes Denken und Handeln kritisch zu hinterfragen. Ich werde deshalb an ihr weiterschreiben.
Hans Pürstner, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.05.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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