Sascha Köhler

Juckreiz

Montag...
Zunächst dachte Paul an einen einfachen Mückenstich, welcher dieses Kribbeln an seinem linken Ohr verursachte oder wohlmöglich der Heilungsprozess einer Verletzung, die er sich vorhin beim Stutzen der Hecke zugezogen hatte. Er schenkte dem Ganzen keine weitere Beachtung.

Am Dienstag hatte sich das anfängliche Kribbeln bereits zu einem störenden Jucken weiterentwickelt. Um sich prompt wieder seinem Garten widmen zu können, aß er eine schnellzubereitete asiatische Tütensuppe zum Mittag. Das kam oft vor, denn wenig Zeit hatte er viel, gerade wenn es um seinen inniggeliebten Garten ging.
Nach dem Essen trat er flüchtig vor den Spiegel der Anrichte im Flur und sah, dass sich rote Flecken bereits auf die gesamten Außenflächen seiner Ohren ausgebreitet hatten. Wie ein zarter Blumenkohl-Kranz schmückte es seine Ohrmuscheln. Er tastete sich vorsichtig mit der linken Hand an dessen Ursprung heran. Die Pusteln fühlten sich heiß und knotig an, Paul war sich aber sicher, dass es im schlimmsten Fall auf eine allergische Reaktion auf ein diverses Mittelchen im Waschmittel oder Duschgel zurückzuführen ist. Also begann er die nächsten Tage darauf zu achten verschiedene Seifen, Cremes und Parfums zu verwenden. Es schien auch etwas besser zu werden...

Donnerstag...
Am Morgen fiel ihm auf, dass diese Pusteln bereits auch die Unterseiten seiner Oberarme besiedelten, weiter befielen sie seine Waden, seine Schultern und zudem dann auch seine Knie. Es war schier unmöglich diesen juckenden Ausschlag zu ignorieren. Durch jegliches Berühren oder Kratzen schien es schlimmer zu werden. Es pflasterte die betroffenen Stellen mit einem roten, holprigen Teppich aus wässrigen Ekzemen. Mittlerweile konnte sich Paul gar nicht erklären, woher diese Pusteln kamen. Aber auch wenn er es wüsste, es ließ diesen Ausschlag nicht von einer Sekunde auf die andere verschwinden. Ein Flächenbrand aus erröteter Haut breitete sich immer weiter auf seinen Armen aus. Es hielt ihn nicht von der Arbeit im Garten ab, und auch nicht von der traditionellen asiatischen Suppe.

Zwei Tage später gesellte sich neben dem Jucken noch der Schmerz der gereizten Haut hinzu.
Es war ihm schier unmöglich eine Nacht durchzuschlafen ohne von diesem brennenden Juckreiz in der Früh geweckt zu werden. Es war am Sonntag, als er bemerkte, dass bereits rote Kontinente seinen Körper zeichneten – rote, sich wehrende Armeen –, stets bereit weitere, noch weiße Flächen zu erobern, um schließlich die Haut-Herrschaft an sich zu reißen. Hinzu kam, dass er neuerdings leichte Atembeschwerden hatte.

Er beschloss gleich am Montag morgen zu einem Arzt zu gehen, um den Kampf gegen dieses Phänomen aufzunehmen.
Paul wurde gleich als erster in den Behandlungsraum gerufen. Nach einigen prüfenden Blicken seines Hausarztes, bekam eine Salbe verschrieben, die er fortan peinlichst zeitgenau auf die betroffenen Stellen auftrug.
Die Juckreiz-Waffen wurden durch die Salbe zwar geschwächt, aber sie schlugen in der Nacht mit voller Kraft zurück und zeigten ihm, dass die Schlacht noch lange nicht gewonnen ist.

Am nächsten Morgen...
er erwachte in der Hoffnung, dass bereits eine Besserung eingetreten sei, aber eine solche war nicht zu verzeichnen. Aufgedunsene Beulen zierten seine Handrücken, er berührte eine von ihnen vorsichtig mit dem Finger und sie platzte sofort auf. Eine wässrige Substanz ergoss sich über seine rechte Hand, tropfte hinab auf die Glasplatte seines Wohnzimmertisches. Paul griff nach einem Papiertaschentuch, tupfte seine Hand ab, aber es nässte nicht einmal mehr. Also benutzte er es, um die Tropfen vom Tisch abzuwischen, aber diese schienen bereits angetrocknet zu sein. Er befeuchtete das Tuch mit Speichel und wischte erneut über die Flecken. Die getrocknete Flüssigkeit ging nicht ab.

Am Mittwoch Morgen...
Das Brennen der Pusteln hatte ihm erneut eine schlaflose Nacht beschert, noch immer im Bett sitzend, betrachtete er seine Arme. Sie waren mittlerweile komplett übersät mit einem roten Teppich, aber die Blasen auf der Haut waren verschwunden. Er warf die Bettdecke zurück, um auch einen Blick auf seine Beine werfen zu können, aber auch dort waren die Bläschen fort. Paul atmete, aber er stockte.
Wie erstarrt sah er auf das Bettlaken und betastete es - wie getrocknetes Sperma in einem Jungenschlüpfer. Das gesamte Laken war mit einer verkrusteten Schicht bedeckt. Paul eilte schnell vor den verspiegelten Kleiderschrank und betrachtete sich. Wie eine zweite Haut zierte das Scharlachrot seinen Körper. Er berührte vorsichtig seine Brust, es fühlte sich trocken an. Er drehte sich einmal, betrachtete seinen Rücken, seinen Po und wanderte mit dem Blick abwärts zu seinen Waden. Dort entdeckte er etwas Seltsames. Er hockte sich hin, um es genauer betrachten zu können. Er tastete danach, die Haut hatte sich zusammengezogen, war bräunlich eingefärbt und glich in seiner Struktur einem Knäckebrot. Sein Hals wirkte wie zugeschnürt, sein Puls schnellte in die Höhe. Sofort griff er nach der Vaseline, die auf seinem Nachtisch stand, schraubte den Deckel ab, grub seine Finger in das ölige Fett und verteilte reichlich davon auf seiner rechten Wade. Erschrocken, wie spät es bereits war, duschte sich Paul schnell und ging wieder in den Garten. Er machte nur zum Essen eine kurze Pause, in der er schnell eine Asia Suppe aß, dann wandte er sich wieder seiner Beschäftigung zu.
Abends prüfte er noch einmal seine Wade, aber es war keine Besserung eingetreten. Schlimmer noch, die Haut seines gesamten rechten Beines war nun nicht mehr rot, sondern nussbraun und vertrocknet. Er strich ebenfalls wieder eine große Portion Vaseline darauf und legte sich schlafen. Diesmal schlief er durch.

Am Donnerstag in der Früh...
Das erste, was ihm auffiel war, dass sich das brennende Jucken gelegt hatte. Sichtlich erleichtert über den Fortschritt, versuchte er aufzustehen, aber seine Gelenke ließen sich nur schwer bewegen. Erst jetzt öffnete er seine Augen und sah, dass seine Arme, der Struktur einer Baumrinde glichen. Panik stieg in ihm auf. Er versuchte aufzustehen, um das Ausmaß des Übels vor dem Spiegel vollständig betrachten zu können, aber sein Körper ließ sich nur schwer steuern. Mit einigen Schwierigkeiten gelang es ihm nun endlich an den Spiegel zu gelangen. Sein Atem stockte.
Sein kompletter Leib war bräunlich verfärbt und wirkte total vertrocknet. Selbst sein Gesicht war davon betroffen. Das Atmen fiel ihm immer schwerer. Diesmal schien es jedoch nicht durch die Panik ausgelöst worden zu sein. Paul rang nach Luft, aber es gelang ihm fast überhaupt nicht mehr. Mit letzter Kraft wankte er zum Bett zurück, legte sich darauf, versuchte immer noch krampfhaft zu atmen, aber es drang nur minimal Luft in seine Lungen. Es reichte nicht, um seinen Körper mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen. Er kreiste mit seinen Augen durch den Raum, nahm einen letzten kläglichen Atemzug und hielt inne.

Sein mysteriöser Tod warf viele Fragen auf, aber eigentlich war für seine Angehörigen nur eine von Relevanz geprägt. Die Frage nach dem warum. Aber diese konnte nie eindeutig geklärt werden. Jedoch konnte bei der Untersuchung seiner Organe ein hoher Gehalt von E 250 festgestellt werden. Ein Konservierungsstoff, der größtenteils in asiatischen Tütensuppen verwendet wird.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.06.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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