Günter Schrön

Das Erbe von Kahulaui

Auf dem Oahu-Drive, nur wenige Minuten von seinem Haus entfernt, begann das Autotelefon mit Nachdruck zu summen. Seufzend hob der Commissioner ab und meldete sich müde mit "Bartlett?" "Tut mir leid, Sie zu belästigen, Commissioner sagte Lieutenant Packard bedauernd. "Sie waren gerade weg, da kam ein Anruf aus der Maunakea-Klinik, ein Doktor Sanders hat dort einen Patienten, der es wohl nicht mehr lange macht, aber darauf besteht, daß er Sie unbedingt sprechen muß, ehe er stirbt."

"Ich bin froh, daß Sie so schnell kommen konnten, Commissioner", sagte Doktor Sanders, ein schlanker Mann mit wenigen grauen Haaren, "wir rechnen jeden Augenblick mit dem Ableben von Mister Hawkins."

"Was fehlt ihm denn?", fragte Bartlett etwas hilflos.

"Lepra", sagte der Arzt, "im letzten Stadium. Ich habe so eine Diagnose zum ersten Mal und kann gar nicht verstehen, wie es soweit kommen konnte."

"Aber Lepra ist doch seit Jahrzehnten im Staat Hawaii ausgerottet?" wunderte sich Bartlett erstaunt. "Ich brauche Ihnen nicht zu erklären, wie schwer dieser Staat von den Gesundheitsbehörden zu kon-trollieren ist", erklärte der Arzt, "da draußen gibt es hunderte von Inseln und viele von ihnen sind noch nie von einem weißen Menschen betreten worden."

"Kann ich jetzt mal den Patienten sehen?" fragte der Commissioner entschlossen. Selbstverständlich", meinte der Arzt, "aber ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß diese Krankheit einen Menschen sehr entstellt!"

"Lance Bartlett?" fragte die Gestalt auf dem Bett im Krankenzimmer, dessen Geruch nach Fäulnis und Tod, trotz überreichlich verwendeter Desinfektionsmittel, leichte Übelkeit erregte. "Kommen Sie nicht näher", sagte die Gestalt mit den großen Höckern über den Augen über den Augen und dem fast lippenlosen Mund, "die Ärzte sagen zwar, daß die Krankheit in diesem Stadium nicht mehr ansteckend ist, aber ich habe bereits genug Schuld auf mich geladen, um da vielleicht nicht doch noch ein Risiko eingehen zu können."

"Sie sind doch der Mann, der nach dem Tode meines Vaters meine Mutter geheiratet hat", vermutete Bartlett.

"Ich war es, Lance", sagte Hawkins leise, "denn Ihre Mutter lebt nicht mehr und ich bin an ihrem Tode genau so schuld, wie sie an meinem Tod und am Tode Shirley Crawfords schuld ist." Wie eine Woge, welche sich am Strand von Waikiki bricht, schlugen Trauer und Entsetzen über Lance Bartlett zusammen, und Hawkins sah stumm auf den auf dem Stuhl zusammengesunkenen Commissioner.

"Erzählen Sie, was in den letzten Monaten auf Kahulaui geschehen ist", verlangte Bartlett.
"Das ist eine lange Geschichte, Lance", flüsterte Hawkins und Tränen liefen dabei über sein zerstörtes Gesicht.

"Ich beginne am besten mit dem Tod Ihres Vaters, der angeblich von einer Muräne angefallen wurde", fuhr er nach kurzer Zeit fort.

"Aber das war doch ein Unfall?" meinte Bartlett erstaunt.
"Ein arrangierter Unfall", sagte Hawkins tonlos. "Ihre Mutter und ich, wir hatten damals schon ein Verhältnis miteinander."

"Ich kann das nicht glauben", meinte Bartlett entschieden.
"Ich bin am Ende, Lance", flüsterte Hawkins. "ich brauche nicht länger zu lügen; über zwei Jahre war ich mit Ihrer Mutter verheiratet und ich sage Ihnen, wir hätten uns besser niemals gesehen!" Leise und monoton erzählte der Sterbende von seinem Zusammenleben mit der Frau, welche einmal Lance Bartletts Mutter gewesen war. Er schilderte, wie sie heirateten und seine Frau die Firma des verstorbenen Albert Bartlett weiterführte.

"Wir bauten damals das Geschäft groß aus, schafften drei Wasserflugzeuge an, um auch die entle-genen Inseln besser und schneller mit Waren und Post versorgen zu können und Susan stellte Shirley Crawford ein, um die Arbeit überhaupt noch bewältigen zu können."
"Aber wie kam es zu den Todesfällen?" wollte der Commissioner wissen.
"Die Firma erlebte einen ungeheuren Aufschwung", erklärte Hawkins, "aber Ihre Mutter hielt mich finanziell kurz, so stand ich zwischen zwei Frauen, als Shirley eine Entscheidung verlangte."

Leise erzählte Hawkins weiter, welche Entscheidung er damals getroffen hatte. "Als wir eines Tages nach Lanai flogen, landete ich bei einer unbewohnten Insel und setzte Ihre Mutter dort aus." "Aber das ist doch nicht möglich!" rief Lance Bartlett entsetzt.
"Ich ließ ihr ein Zelt und alles, was man für so ein Leben braucht, auf der Insel zurück", redete
Hawkins weiter, ohne auf den Zwischenruf einzugehen.
Dann schilderte er, wie er regelmäßig auf seinen Flügen vor der Insel gelandet war und seine Frau mit den Gegenständen des täglichen Bedarfs dort versorgte.

"Ich begreife das nicht", sagte Bartlett leise, "Sie hatten doch keine Chance, daß das Verbrechen unentdeckt bleiben würde!"
"Ich wollte sie ja nicht umbringen", erzählte Hawkins mit stockender Stimme, "ich brauchte nur etwas Zeit, einen Teil des Vermögens in meinen Besitz zu bringen."
"Und es ist gar nicht aufgefallen, daß meine Mutter plötzlich verschwunden war?" wollte Bartlett wissen.

"Nein", antwortete Hawkins schwach, "sie unterschrieb auf der Insel alle Vollmachten und ich versprach ihr dafür, daß ich ihr eine Möglichkeit geben würde, wieder nach Kahulaui zurück zu kehren. Wenn jemand nach ihr fragte, sagten wir, daß sie zu Ihnen gereist sei."

"An dem Tag, als ich ihr das Schlauchboot bringen wollte, mit dem sie sich retten sollte, während ich mit Shirley nach Australien flog", erzählte Hawkins weiter, "durchstreifte ich die Insel, die in keinem Schiffahrtsverzeichnis geführt wird, auf der Suche nach Ihrer Mutter."

Er spürte, daß ihm nun nicht mehr viel Zeit blieb, und sprach schneller weiter. "Diese kleine Insel", sagte er, "wurde von den Eingeborenen der umliegenden Inseln benutzt, die Leprakranken dort auszusetzen, damit sie nicht vom staatlichen Gesundheitsdienst gefunden wurden. Ich sah, daß Ihre Mutter alle Vorräte mit ihnen geteilt hatte.

Als ich sie dann fand", erzählte er weiter, "hatte sie ihrem Leben selber ein Ende gesetzt. Ich jagte nach Kahulaui zurück und fand dort Shirley Crawford ebenfalls tot. Sie hatte bei sich die Zeichen der beginnenden Krankheit entdeckt und das nicht verwunden.

Nach dieser Tragödie habe ich die Geschäfte auf Kahulaui wieder in Ordnung gebracht und jetzt gehört alles Ihnen. Ich wünsche Ihnen damit mehr Glück, als ich es hatte, Lance!" Die Sonne versank gerade im Meer vor Waikiki, als Lance Bartlett, nachdem ihm Doktor Sanders ver-sichert hatte, daß Hawkins verstorben war, die Maunakea-Klinik verließ und todmüde in seinen Wagen stieg.



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