Rolf Föll

Machopan - Eine Minute

Eine Minute des stillen Gedenkens sollte es sein.
Nur kurz innehalten und erinnern an das was vor vier Jahren geschah.
In nur 60 Sekunden nachempfinden wie am 10. Mai 2000 dein Tag begann.

Verschlafen und wie immer noch nicht ganz wach, wenn der Wecker klingelt. Wortkarg und mit dem typisch schleppenden Gang eines Morgenmuffels hast du es dann bis zum Frühstückstisch geschafft und den Kopf in die Hände gestützt um dort weiterzuschlafen.
Erst ein mehrmaliges „Tiggi, auf mach jetzt“ bringt dich dazu langsam den heißen Kakao zu schlürfen und mit einem unwilligen Kopfschütteln, als erste eigene Meinungsäußerung des Tages, das angebotene Marmeladebrot abzulehnen. Dann sackt der Kopf wieder in die aufgestützte Hand und dein Atmen wird regelmäßiger. Ein typisches Zeichen dafür, dass du noch nicht in der Realität des neuen Tages angekommen bist. Erst weitere verbale Aufforderungen und schließlich ein zärtlicher Knuff gegen die Schulter bringen dich dazu die Augen zu öffnen. Ein erstes Lächeln huscht über deine Lippen und ich weiß, dass du mir wieder mal ein bisschen mehr Müdigkeit vorgespielt hast, als wirklich da war. Du genießt dieses morgendliche Spiel wie ich auch.
Mein „Auf ins Bad jetzt – und Zähneputzen nicht vergessen“ leitet unseren morgendlich üblichen Dialog über den kommenden Tag ein. Du im Badezimmer mit leicht angelehnter Türe und ich zwischen Küche und Esszimmer pendelnd um abwechselnd zu Frühstücken, den Tisch abzuräumen und die Geschirrspülmaschine zu füttern.
„Wann kommst du heute nach Hause?“ rufe ich Richtung Badezimmertüre und höre zwischen Zahnputzgeräuschen Worte, die sich wie „Wie immer“ anhören. Am sich ständig verändernden Geräuschpegel kann ich den Fortschritt deiner Morgentoilette akustisch verfolgen.
Vertraute morgendliche Geräusche eines vertrauten Menschen.
Ein Blick auf die Küchenuhr zeigt, dass auch mir die Zeit davonrennt. Mein „kann ich jetzt endlich auch mal ins Bad?“ wird mit einem vorwurfsvollen „wo hast du meine Sportsocken?“ aus deinem Zimmer beantwortet.
„Woher soll ich wissen wo du deine Sportsocken hast? Du hast dir letztes Mal sowieso meine Socken geklaut!“ Aus dem Zimmer kommt geschäftiges Rumoren, das stetig an Stärke zunimmt. Es scheint, dass die Sportsocken zum Problem werden. Jetzt am besten nicht einmischen und schnell zur Toilette und dann ins Bad. Wie immer ist das Toilettenfenster geschlossen und ein Duft hängt in der Luft, der schlichtweg einmalig ist. Also ohne zu Atmen nur das Fenster aufreißen und bis zur erfolgreichen Durchlüftung erst mal im Badezimmer verschwinden.
Beim Duschen und Rasieren –genau dann wenn man sich nicht richtig wehren kann- unterbrochen durch Fragen wie: „Kann ich fünf Mark aus deinem Geldbeutel haben? Brauchst du dein neues Sporttrikot heute selber? Wo sind meine geputzten Turnschuhe? Geh’n wir heute Abend ins Kino?“

Und dann stehst du unter der Badezimmertür.
Ich kann dich im Spiegel sehen. Den Rucksack mit deinen Schulsachen locker über eine Schulter gehängt. Den Motorradhelm am Riemen in der behandschuhten Hand. Die Jacke mit den eingenähten Protektoren noch offen und ein Grinsen im Gesicht, weil du genau weißt was jetzt kommt:
„Mach die Jacke zu, es ist noch frisch am Morgen. Fahr vorsichtig und pass auf dich auf. Ich dich liebetiger“.
Ein Lächeln wandert von deinen Augen zum Mund. „Ich dich auch. Bis heute Abend.“
Dann hebst du die rechte Hand zum Gruß wendest dich ab und bist verschwunden. Deine Schritte in den schweren Motorradstiefeln höre ich noch durch den Flur poltern und warte auf das zuschlagende Wummern der Haustüre. Tausendmal und mehr habe ich dir gesagt, dass man Türen mit der Klinke zumacht und nicht zuwirft.
Durch das gekippte Badezimmerfenster kann ich das klickende Starten deines Motorrads hören bevor der Motor mit einem kurzen, kräftigen Aufröhren alle anderen Geräusche übertönt, bevor er zu einem gleichmäßigen sonoren Brummeln übergeht. Ich warte noch auf den Klick, mit dem der erste Gang einrastet und höre, dass du wieder mal direkt aus der Garage losfährst. Leise verklingt das Brummen deines Motorrads in der Ferne.

Du hattest noch etwa zehn Minuten zu leben. Ich habe dich nicht mehr lebend gesehen. Ich konnte dir kein Wort mehr sagen. Konnte dich nicht mehr berühren. Konnte deine Wärme nicht spüren. Konnte dein Lächeln nicht mehr sehen.
Nichts mehr! Nur noch ein kurzer, heftiger Knall. Das Krachen von Blech und das Splittern von Glas. Dann ist es still.

Dein Herz hat aufgehört zu schlagen.
Ewige Stille.
Hämmernde, dröhnende, schmerzhafte Stille. Voller Schreie, Tränen und Blut.

Eine Minute des Gedenkens sollte es sein.
Sie begann am 10. Mai 2000 kurz vor 8:00 Uhr morgens und sie ist noch nicht zu Ende.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Rolf Föll).
Der Beitrag wurde von Rolf Föll auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.06.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Rolf Föll als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Crashland-Suzi Todeszone von Günther Glogowatz



Durch ein technisches Experiment fegte eine schreckliche Katastrophe über einen großen Teil Europas hinweg.
Ein neuer Landstrich mit teilweise eigenartigen Naturgesetzen und „Dimensionsrissen“, welche zu anderen Welten führten war entstanden. Da sogar Beobachtungssatelliten nur unbrauchbare Bilder von diesem Gebiet liefern konnten, wurde es von offiziellen Stellen als X-Territorium bezeichnet. Allgemein benannte man es jedoch als das Crashland.
Da die üblichen Waffensysteme dort größtenteils versagt hatten, war die X-Force gegründet worden. Eine spezielle Armee, deren Ausbildung und Ausrüstung an die merkwürdigen Umweltbedingungen dieses Landstriches angepasst worden waren.
Suzi war Mitglied der X-Force. Während eines Einsatzes gerät sie mit ihrer Truppe in einen Hinterhalt. Es ist der Auftakt im Kampf um die absolute Macht im Crashland.
Verleumdet und dadurch von den eigenen Kameraden gejagt, bleibt ihr nur noch die Flucht durch die Todeszone, um Platon zu erreichen. Denn nur er ist mächtig genug, ihre Unschuld beweisen zu können und den düsteren Machenschaften um die Vorherrschaft im Crashland entgegentreten zu können.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Erinnerungen" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Rolf Föll

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Machopan - Die Schnellkasse von Rolf Föll (Wie das Leben so spielt)
SPARSAME ZEITEN von Christine Wolny (Erinnerungen)
Sommerfest des Generalkonsuls der Republik Türkei von Norbert Wittke (Autobiografisches)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen