Gerda Schmidt

1.1.1.2.2 Herr K. und das Tissue Komplott

Das Zusammentreffen mit Elfriede ließ Herrn K. für einige Momente die Fassung verlieren. So etwas passierte ihm nicht oft und er war eher als ein emotional zurückhaltender Mensch bekannt. Nur einmal stellte er seine Gefühlswelt offen zur Schau. Beim Betriebsausflug der Abteilung vor vier Jahren hatte der Organisator zu spät den Bus reserviert, so daß sie statt des üblichen 55-Sitzers nur ein Fahrzeug mit 32 Plätzen bekamen. Demzufolge konnte sich Herr K. nicht alleine in eine Reihe setzten. Ausgerechnet das Fräulein Martha Straub hatten man ihm als Sitzpartner zugeteilt. Sie war eine alte Jungfer, die solche Gelegenheiten gerne nutzte, um sich an diverse Männer ranzumachen. Stets erschien sie in einen engen Minirock reingezwängt, mit hochhackigen Schuhen und einer zu engen Bluse. Das passte zu ihr wie Bergschuhe auf einen Opernball. Aber da wäre sie bei ihm an der falschen Stelle angelangt, wenn nicht das plötzliche Bremsmanöver des Busfahrers diese peinliche Situation hätte aufkommen lassen. Als Mann mit Manieren und im alten Stil erzogen, wollte er Frau Jendralski aus der Postannahme das von der Rückenlehne heruntergefallene Überjäckchen aufheben. Als er sich gerade nach vorne beugte wurde er durch die negative Beschleunigung abrupt nach hinten geschleudert und landete mit dem Oberkörper direkt auf Frl. Straub`s Schoß. Diese fing darauf hin künstlich hysterisch an zu schreien. Ihrem frivolen Blick und den zupackenden Händen zu folgern war ihr das aber recht willkommen. Die anderen Kollegen fingen an zu lachen und applaudierten dem Paar. Noch Wochen später konnte man Einige tuscheln hören: „Der geht aber ran.“

Nach den ersten Schrecksekunden war Elfriede die erste, die zum Handeln bereit war. Sie packte ihn am Ärmel und zerrte ihn hinter sich her. „Kommen Sie, Herr K. Wir haben keine Zeit lange rumzustehen.“ Während sie rannten redete Elfriede auf ihn ein.“In Kürze werden alle versammelt sein und nach Ihnen suchen. Ich habe mir legalen Zutritt verschafft, indem ich eine Probezeit für eine ausgeschriebene Stelle absolviere.“ Herr K. blieb abrupt stehen, so daß Elfriede strauchelte. Sie wurde wütend und verpasste ihm eine Ohrfeige, die man laut hören konnte. „Hast Du das gehört. Sie müssen hier in der Nähe sein.“ Zwei Arbeiter kamen um die Ecke gestürmt und hielten die beiden fest. Herr K. war so verwirrt, daß er sowieso zu keiner Gegenreaktion fähig war. Das machte Elfriede aber wieder wett. Sie fing an die Arme wie zwei Windmühlenräder zu schwingen und drosch ungehemmt auf die beiden ein. „Laufen sie. Herr K.“schrie Elfriede. „Ich erledige das hier schon alleine.“ Mittlerweile lag der erste der beiden Männer bewußtlos auf dem Boden. Der zweite blutete aus der Nase und hatte eine Platzwunde über der rechten Augenbraue. Das Blut lief ihm in Strömen über das Gesicht und mit den rot verschleierten Augen sah er aus, wie ein Monster. In tranceartigem Zustand begann er zu rennen, ohne ein Ziel vor Augen zu haben. Als er gerade überlegen wollte in welche Richtung er weiterlaufen sollte, öffnete sich vor ihm ein großes Tor, durch das ein LKW hereingefahren kam, um neue Paletten der bereits verpackten Rollen zu laden. Herr K. nah diese Gelegenheit war und schlupfte ungehindert durch die Öffnung. Draußen genügte ein kurzer Blick, mit dem er das Gebäude wieder fand, in dem er sich umgezogen hatte. Er mußte schließlich noch seine Kleidung holen. Ausserdem hätte ihn jeder in diesem Aufzug erkannt. Es gelang ihm die Garderobe ungesehen zu betreten und sich umzuziehen. Auch der Weg aus der Firma verlief weitaus einfacher als er dachte. Da es seit etwa 1 Stunde heftig regnete und er keinen Schirm bei sich trug, ging er direkt auf ein Transportfahrzeug zu und fragte den Fahrer, ob er mit ihm auf den Personalparkplatz fahren dürfe. Er habe seinen Regenschirm vergessen und wäre froh einigermaßen trocken sein Fahrzeug zu erreichen. Der freundliche Brummi-fahrer nickte ihm zu und öffnete die Beifahrertür. Herr K. stieg ein und drückte sich ganz tief in den riesigen Sitz des hohen Fahrzeugs, so daß man ihn von der Portiersloge nicht sehen konnte. Dort nahm man es aber mit der Kontrolle der Ausfuhrpapiere sehr genau, weshalb die Fahrt bis zu seinem Auto fast 17 min dauerte. Doch die Zeit machte sich bezahlt. Ursprünglich wollte Herr K. so wenig wie möglch mit diesem Mann reden, damit er sich nicht durch falsche Äusserungen verriet. Doch das Problem löste sich von alleine. Der Fahrzeugführer sprudelte los, wie ein Wasserfall, im guten Glauben sich mit einem Mitarbeiter aus dem Management zu unterhalten. „Mein Name ist Egon und ich arbeite seit über 5 Jahren in diesem Betrieb. Mir gefällt die Arbeit ganz gut, zumal sie auch nicht schlecht bezahlen.“ Nach einem kurzen Worttausch mit einem anderen Fahrer, der Egon über die derzeitigen Staus informierte, wandte er sich wieder Herrn K. zu und fuhr fort. „Mir ist einfach nicht klar, warum ich ständig nach Paris fahren muß, um dort Toilettenpapier zum Eichamt zu bringen. Aber sie benutzen kein Papier von uns. Die ganzen LKW-Ladungen werden für etwas anderes verwendet. Auch den Louvre fahre ich immer wieder an und dort gibt es nur ein Stehklo ohne jegliche Reinigungsmöglichkeit. Jedesmal wenn ich nachfrage, wenden sich die Leute betroffen ab und lassen mich stehen. Letzte Woche meinte mein Chef, ich solle mich nicht darum kümmern.“ Nun waren sie an der Schranke angelangt und wurden durchgewinkt . Am liebste hätte Herr K. bereits hier schon den Laster verlassen. Als sie auf den Parkplatz fuhren fragte Egon Herrn K. nach seinem Namen. Dieser stieg aus ohne ein Wort zu sagen und winkte Egon heftig zu, bis dieser zurückwinkte und weiterfuhr. Herr K. notierte sich die Fakten, die er eben erfahren hatte und machte sich auf den Heimweg. Elfriede hatte er mittlerweile vergessen und war nur noch auf ein Ziel fixiert. Er mußte nach Paris fahren. Die Sache mußte etwas mit dem Urmeter zu tun haben.


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Vorgänger: 1.1.1.2.1 Herr K. und das Tissue-Komplott von Gerda Schmidt


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Gerda Schmidt, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.06.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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