Günter Schrön

Der Fluch des weißen Bären

Fast gleichzeitig schossen Nauwitok und Tegore und sie trafen auch, aber nicht tödlich. Wenn die Temperaturen soweit unter dem Nullpunkt sinken, bilden sich sofort Eiskristalle auf Kimme und Korn. Der nun angeschossene Bär wandte sich zur Flucht, und als die beiden ihn erneut anvisierten, waren an ihren Repetiergewehren die Verschlüsse eingefroren.

"Das wird eine lange Jagd", hatte Tegore damals ahnungsvoll gesagt, als er die Waffe wieder in das schützende Futteral schob, "aber wir müssen ihn töten."

Kein Eskimo-Jäger läßt ein angeschossenes Tier verkommen, das gebietet der Ehrenkodex. Der eisige Wind kam jetzt von der Shumagen-Halbinsel und fegte über die Eisflächen des südlichen Alaska.

Freudig jaulend nahmen die Schlittenhunde diese Herausforderung an und rissen die Schlitten vorwärts. Da, wo der Flugschnee durch den Sturm vom Eis gefegt war, konnte man die blutige Spur des Bären erkennen.

Nach Stunden stieß Nauwitok mehrmals die Hand in die Luft, ein Zeichen, daß sie eine Pause einlegen sollten, nicht nur die Hunde hatten sie nötig.

Den Rücken zur Windrichtung, setzten sich die beiden Eskimo auf einen der Schlitten und nahmen die Schneemasken und den Gesichtsschutz ab. Die Hunde kauerten im Geschirr auf dem blanken Eis.

"Wir müssen uns trennen", schrie Nauwitok in den Sturm, "ich werde den Bären überholen und von vorne angreifen, wenn er dann flüchtet, wird er auf dich stoßen und du kannst ihn erledigen." "Ein kluger Entschluß", schrie Tegore zurück, "das ist besser, als wenn wir solange hinter dem Tier hinterher jagen, bis es endlich entkräftet ist."

Gemeinsam halfen sie sich, die Hunde wieder ordentlich ins Geschirr zu bringen, dann ließen sie die Peitschen kreisen, und unter der Führung der Leithunde warfen sich die Tiere kräftig ins Geschirr. Erst nach Stunden trieb Nauwitok den stoßenden und schüttelnden Schlitten dem Bären entgegen und als er endlich seine Spur fand, sah er entsetzt, daß das Tier die Richtung geändert hatte. Als hätte es gespürt, daß die beiden Jäger sich getrennt hatten, war es auf seiner Spur umgekehrt, und Tegore entgegen gelaufen, der ihn zu diesem Zeitpunkt bestimmt noch nicht erwartete. Mit wilden Schreien und pfeifenden Schlägen trieb Nauwitok das Gespann zu höchster Leistung an, als er in das sturmumtoste Halbdunkel jagte.

Tegores Schlitten stand in einer Lache gefrorenen Blutes. Ehe der Bär wieder verschwand, hatte er noch die im Geschirr wehrlosen Hunde getötet und teilweise angefressen. Er hatte Tegores Schulter zerfetzt und rotes Eis überzog bereits das zum Teil erfrorene Fleisch. Vorsichtig versorgte Nawitok die entsetzliche Wunde.

Zwei Tage und Nächte jagte Nauwitok den Schlitten nahezu ohne Pause über das Eis. Als er Unimak Thule erreichte, brachen die Tiere mit blutenden Läufen vor den Iglus des Stammes zusammen. "Tegore ist tot", sagte Kawohoon, der Schamane, als er in den Iglu trat, sich grüßen vor Banai, Nauwitoks Frau verneigend. "Der Rat der Alten glaubt, daß du ihn feige verlassen hast, als der Bär euch angriff", wandte er sich an Nauwitok.

Unbewegt sah Nauwitok auf den alten Mann, denn ein Schamane ist bei den Eskimo unverletzlich. "Ich konnte die Ältesten überzeugen, dir noch einmal eine Chance zu geben", sagte der Schamane leise, "weil doch deine Frau werdendes Leben unter dem Herzen trägt."

Noch in der Nacht, mit einem frischen Gespann, jagte Nauwitok in die eisige Hölle hinaus. Er hatte eine lange Reise vor sich und überließ es den Hunden, das Tempo zu bestimmen. Als das Ziel erreicht war, kratzten die Hunde neugierig in dem gefrorenem Flugschnee und zogen sich winselnd zurück, als sie die Witterung verendeter Artgenossen aufnahmen. Nauwiktok warf ihnen gedörrten Fisch vor und kroch in das Zelt, wo er sich auf dem kleinen Kocher eine wärmende Mahlzeit bereitete. Schnell schlief er ein.

Eintönig heulte der Sturm über die Eisfläche, brachte die Verspannung des Windschutzes zum Singen, daß es beinahe wie das Wimmern der Hunde klang.

Und es war das Wimmern der Hunde, welches ihn aus dem Schlaf riß. Hastig befreite er sich von seinem Schlafsack, griff nach dem Gewehr und kroch aus dem kleinen Zelt. Im diffusen Licht erkannte er den Bären, der mit mächtigen Schlägen seiner Pranken die angreifenden Hunde abwehrte. Er visierte das Tier an und sofort bildeten sich auf Kimme und Korn Eiskristalle, doch das konnte ihn nicht beirren, das Ziel war nahe genug.

Ein leises Klicken verriet ihm, als er durchzog, daß die Mechanik der Waffe eingefroren war. Dumpf brüllend kam der Bär näher.

Entschlossen warf der Eskimo dem Tier die nutzlose Waffe entgegen, aber der Bär wischte sie achtlos zur Seite und war heran, ehe Nauwitoks Hand an seinem Messer war. Er roch den blutigen Verwesungsgeruch in dem harten Fell und spürte, wie die Luft aus seinen Lungen gedrückt wurde. Verzweifelt versuchte er auch jetzt noch die Hand an das Messer zu bekommen.

Feurige Kreise tanzten schon vor Nauwitoks Augen. Das wütende Tier ließ ihm keine Möglichkeit zu atmen. Mit der letzten Kraft seiner gequälten Lungen schrie der junge Eskimo seine Todesangst in den tobenden Sturm hinein. Verblüfft lockerte der Bär die Umarmung leicht. Dieser Augenblick reichte Nauwitok das Messer in die Hand zu bekommen. Wild brüllte das Tier auf, als ihm der scharfe Stahl ins Herz fuhr und sein stinkender Atem streifte Nauwitoks Gesicht, als er im Todeskampf seine Zähne in die Schulter des Eskimo trieb.

Nauwitok wußte nicht, wie lange er bewußtlos unter dem mächtigen Körper des Tieres gelegen hatte, aber als er wieder zu sich kam, begann er sofort unter großen Mühen und Schmerzen den Bären auf den Schlitten zu laden.

Danach mußte er sich lange Zeit ausruhen, ehe er daran gehen konnte, die Hunde ins Geschirr zu spannen. Unter dem schrillen Ton der Peitsche warfen sich die Tiere nach vorn und der nun schwer-beladene Schlitten setzte sich holpernd und schleudernd in Bewegung. Mit dem Sturm im Rücken jagte Nauwitok nach Unimak Thule zurück. Er hatte den Tod Tegores gerächt und die alten des Stammes und der Schamane würden nach seiner Rückkehr keinen Augen-blick zögern, in wieder in die Gemeinschaft des Stammes aufzunehmen.



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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.01.2001. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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