Ronny Meyer

Das Selbstgeschaffene Gefängnis

oder:
Machen Sie sich frei!

Michael: Ich fühle mich wie eine Bestie, die ruhelos von einer Ecke des Käfigs zur anderen streift. Ich will aus diesem Käfig ausbrechen, aber ich kann nicht. Die Gitterstäbe hindern mich.

Doktor: Wieso fühlen Sie sich wie ein Tier, Michael?

Michael: Ich habe keine Ahnung. Ich denke nicht, wenn ich handle. Immer, wenn ich irgend etwas tue, dann geschieht dies nur aus Reflex. Ich werde von Instinkten getrieben, habe ich das Gefühl.

Doktor: Was für Instinkte sind das, Michael?

Michael: Ich muss mich frei kämpfen. Ist eine Situation sehr vertrackt, lässt sich nicht so eeinfach lösen, dann muss ich sie beenden, im Ernstfall mit Gewalt.

Doktor: Sie haben von den Gitterstäben geredet. Wie sehen diese Gitterstäbe aus?

Michael: Diese Gitterstäbe sind grün-braun, dünn, mit einer Verzierung am oberen Ende. Ich kann es nicht erkennen, aber es scheint etwas filigran gearbeitetes zu sein.

Doktor: Strengen Sie sich an. Was sind das für Verzierungen?

Michael: Diese Dinger sind sehr klein, sehr fein. Ich kann es nicht genau erkennen. Warten Sie, es sind Gesichter. Nein, es ist mein Gesicht.

Doktor: Können Sie die Umgebung beschreiben, Michael?

Michael: Hinter den Gittern sind ein Fenster, darunter steht eine lange Bank, die wie ein primitives Bett aussieht. In der Ecke steht ein Eimer.

Doktor: Ist dort eine Tür?

Michael: Keine Tür, nur ein Fenster. Dort hinter den Gittern ist auch kein Ausgang. Nur ein Eimer in der Ecke, ein Bett an der Wand und ein Fenster nach draußen.

Doktor: Was ist hinter dem Fenster?

Michael: Ich kann den blauen Himmel sehen. Weiße Wolken ziehen vorüber. Ab und zu streift ein Vogelschwarm meine Sichtlinie.

Michael: Bin ich verrückt?

Doktor: Nein, Michael. Ich erkläre es Ihnen. Sie stehen an einem Gitter, sie wollen unbedingt durch dieses Gitter auf die andere Seite. Aber auf der anderen Seite ist nichts weiter als ein Gefängnis. Wie Sie schon sagten- ein primitives Bett und ein Eimer in der Ecke. Das Fenster nach Außen ist der Blick in die wahre Welt. Und genau dahin wollen Sie. Sie wollen sich einsperren, hinter Gittern schließen lassen, damit sie an dieses Fenster kommen.

Michael: Und was kann ich tun?

Doktor: Michael, ich denke, dass Sie sich einfach nur umdrehen müssen.

Michael: Wie meinen Sie das?

Doktor: Drehen Sie sich um und Sie werden sehen, dass Ihr jetziges Gefängnis gar kein Gefängnis ist. Sie werden sehen, dass Sie auf der falschen Seite der Gitter gestanden haben. Drehen Sie sich um und schauen Sie sich um. Und dann gehen Sie einfach durch die Tür und verlassen das Gebäude. Fliegen Sie mit den Vögeln. Der Himmel wartet auf Sie.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.06.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Das Mädchen aus Oberschlesien von Brigitte Hanisch



Das kleine Mädchen Brigitte wächst wohlbehütet in einer Großfamilie im katholischen Oberschlesien auf. 1938 siedeln die Eltern mit Brigitte nach Kiel um. Dort wird Ihre Schwester Eva-Maria geboren. 1939 beginnt der Krieg und Kiel wird besonders gebeutelt. Entsetzliche Jahre für das kleine Mädchen. Tag und Nacht Bombenangriffe. Hungersnot und immer die Angst um den Vater. Das Mädchen ist seelisch in einem so schlechtem Zustand, dass die Eltern Brigitte nach Oberschlesien zur Schwester der Mutter schicken. Dort wird sie eingeschult und geht auch in Schomberg zur ersten heiligen Kommunion. In den nächsten Jahren pendelt sie hin und her. Kinderlandverschickung nach Bayern, Kriegserlebnisse in Kiel, danach wieder zurück nach Oberschlesien zur Erholung. Dort aber hat sie große Sehnsucht nach ihrer Schwester und den Eltern und fährt deshalb Weihnachten 1944 nach Kiel zurück. Das ist ihr Glück, denn im Januar 1945 marschieren die Russen in Beuthen ein.
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