Werner Kistler

Ronaldo - Kinderarbeit heute

Der kleine Ronaldo war schon auf den Beinen. Mit seinen erst zehn Jahren, war für ihn um sechs Uhr
bereits die Nacht vorbei. Sein Fußbänkchen und den schweren Schuhputzkasten unter dem Arm, so zog er
zum Zentrum der Stadt. Ronaldo war Schuhputzer. Damit verdiente er sich seinen Lebensunterhalt. Mehr
schlecht als recht.
Alles hatte damit angefangen,als der Vater vor zwei Jahren einfach die Familie verließ. Seine Mutter
ist dann nach einem Jahr gestorben. Wohl aus Gram und Überarbeitung.
Jetzt am frühen Morgen konnte man noch die besten Umsätze tätigen. Aber schnell musste er sein. Keiner hatte ja Zeit! Welcher Schuhputzer gut und schnell arbeiten konnte, dass sprach sich schnell bei der Laufkundschaft herum. Am Bahnhof wären die Umsätze ja größer gewesen, aber da hatte er keine Chance. Dort saßen die “Organisierten“ mit einer Schutztruppe, die lästige Konkurrenten einfach verjagte. Früher als er seinen Platz noch nicht kannte, musste er öfters vor der Bande türmen. Mit schnell laufen können, sicherte man sich hier das Leben. Erst letzte Woche ist er von einer Straßenbande ausgeraubt worden. Sie kamen von hinten. Alles lief so schnell ab. Er wurde einfach auf den Kopf gestellt, geschüttelt bis das Geld auf den Gehweg fiel.Es verschwand blitzschnell in den
Taschen der Bande.Einen ganzen Tag umsonst gearbeitet und außerdem musste auch noch neue Schuhcreme
gekauft werden. Seit zwei Tagen befand sich im Saum seiner alten Jacke nun ein Geheimfach. Sie würden ihn nicht mehr ausrauben.
Heute liefen die Geschäfte recht schleppend. Es regnete und keine Person wollte sich auf das nasse
Höckerchen setzen.Nasse Schuhe putzen ist und bleibt eine scheußliche Schinderei.
Ständig muss man auf der Hut vor der Polizei sein. Kinderarbeit ist offiziell verboten. Bekommen die
Beamten einen kindlichen Putzer zu fassen, schlagen sie ihm den Kasten und die Sitzgelegenheit kaputt.
Schuhpfleger regieren auf dem untersten Stand der Gesellschaft. Viele Leute vergleichen sie mit Dieben, Gesindel und sonstigen schlechten Eigenschaften. Oft bezahlen die Kunden auch nicht für die
geleistete Dienstleistung und es werden Tritte statt Entlohnung verteilt.
Nach sechzehn Uhr konnte man an Ronaldos Platz den Hund begraben. Dann war hier nicht mehr los. Er
packte deshalb seine Sachen zusammen und schlenderte zu seinem Blechverschlag. Da hatte es bestimmt
wieder rein geregnet. Er machte sich Sorgen um sein einziges Hemd und die graue Hose. Denn es waren
Leihgaben. Diese Kleidungsstücke brauchte er unbedingt für seinen zweiten Job. Am Nachmittag ver-
kaufte er langstielige Rosen, an die verliebten Paare, in den Kneipen und Bars. Es hatte ihn viel
Überredungskunst gekostet, bis er die Blumen verkaufen durfte. Da er kein Geld hatte, konnte er erst
bezahlen,wenn die Ware erfolgreich verkauft war. Das war den Händlern zu unsicher. Seit drei Wochen
durfte er nun doch Rosen verkaufen. Man berechnete ihm aber einen Risikofaktor. Somit erhielt er nur
den halben Gewinn.
Gern wäre er so wie die anderen Kinder in die Schule gegangen. Aber er glaubte nicht mehr daran,
jemals die Schulbank drücken zu können und dann später einmal in einem feinem Anzug die Straßen ent-
lang zu gehen und sich die modischen Schuhe putzen zu lassen.
Werner Kistler

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.07.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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