Keno tom Brooks

Briewe uit Namibia, #12 - Bruder Johannes

Johannes saß auf dem nackten, festgetretenen sandigen Boden seines Steinhauses. Das Haus stand in einer langen gleichförmigen Reihe anderer Häuser, die wie die Glieder einer ineinander verwobenen Kette vom Stadtrand Swakopmunds in die Wüste hinaus reichten. Das Haus bestand nur aus zwei Räumen mit kleinen glaslosen Fenstern, die die Wüstenhitze in stetigen Luftstrom ins Haus ließen. Ein Regal mit ein paar alten Töpfen auf den verstaubten Brettern, ein schon lange nicht mehr benutzter Holzherd und ein paar Decken waren alles, was Johannes besaß.

Den Slum der Armen, die Mondesa, konnte man direkt von der einzigen Zufahrtstraße nach Swakopmund, der "Kaiser-Wilhelm-Allee", sehen. So hatte die Regierung Häuser in der Mondesa errichten lassen, um den zahlungskräftigen Touristen nicht schon bei der Anfahrt den Urlaub zu verderben. Die Armut wurde hinter Steinfassaden versteckt, aber die Menschen lebten nicht besser als vorher in ihren Hütten aus Pappe und Blech. Johannes wohnte in der 7th Avenue, einer kleinen staubigen Sandpad an deren gegenüberliegender Straßenseite die neu angekommenen immer noch ihre Hütten aus Abfällen und Unrat errichteten. Die Regierung duldete das, solange die Hütten nicht fest gebaut waren, nur Pappe, Holz und anderer Abfall lose zusammengefügt wurde. Regen gab es in der Wüste nicht. Die Bauwerke musste nur die Sonne des Tages mildern und die Kälte der Nacht abhalten. Von Zeit zu Zeit kamen Beamte mit einem Bautrupp und bauten wieder einen Straßenzug mit zehn oder zwölf Häusern, rissen einige der Unterschlüpfe und Hütten jenseits der 7th Avenue ab und verschwanden wieder. Das Material ließen sie liegen, denn ein Abtransport war nicht notwendig. Es fand noch am gleichen Abend wieder Verwendung an anderer Stelle.
Es waren zu wenig Häuser für die vielen Menschen, die durch die Wüste aus dem Inland kamen, um hier, in dem Touristenort an der Küste, ihr Glück zu machen. Aber es gab zu wenig Arbeit, zu wenig Wasser und zu wenig Geld.

Johannes schlug mit einem Stein auf eine kleine Batterie, die vor ihm auf einem festen Teil des Bodens lag, aber der Stein war brüchig wie Krokant und kleine Splitter bedeckten den Boden rund um die Batterie. Neben ihm stand eine alte Plastikschüssel, verkratzt und dunkel, in der eine sämige Flüssigkeit schwamm. Er hatte schon ein paarmal hineingespuckt, den Johannes wusste, das viel Spucke auch viel Alkohol bedeutete. Das Pombe hatte er gestern schon aus Maismehl und etwas Zucker angesetzt. Jetzt musste er nur noch die Batterie aufschlagen, damit die Batteriesäure das Pombe stark machte. Stark wie den Löwen der Wüste.
Neben Johannes auf dem Boden lag sein Sohn auf einer alten, zerrissenen Decke. Schon seit Wochen konnte er nicht mehr aufstehen. Er war krank. Vigs. Die Weisse Krankheit. Er hatte schon früher davon gehört, aber alle hier in der Mondesa sagten, die Weisse Krankheit sei nur eine Erfindung der Weißen, damit sich die Schwarzen nicht mehr vermehren, damit sie keine Kinder kriegen und die Weißen das Land übernehmen können. Er hatte nie an die Weisse Krankheit geglaubt und auch die Frau, die regelmäßig in den Ort kam und den Männern und Frauen erklärte, wie sie ein Plastiktütchen über einen Holzstock ziehen mussten um keine Krankheiten und keine Kinder zu bekommen, war von der Regierung bezahlt. Sie steckten unter einer Decke. Die Regierung, das wusste Johannes, die Regierung bekam ihr Geld von den Weißen. Aus Deutschland und aus Amerika. Ausserdem hatte er schon gehört, das das mit dem Stock nicht funktionierte. Einige hatten das ausprobiert, aber der Stock mit dem Plastiktütchen in der Ecke des Zimmers hatte nicht vor Schwangerschaft und Krankheit geschützt. Schlechter Zauber. Johannes glaubte lieber an die Fetischmänner. Die wussten einen Zaubertrank aus Kuduschwänzen und Gepardenohren, aus Pavianleber und Nashornhorn zu brauen. Aber es wurde immer schwieriger, die Zaubertränke zu bekommen, weil die Tiere immer weniger wurden und die Weißen immer besser aufpassten und die Zaubertränke immer teurer wurden.
Johannes schlug mit seinem Stein fester auf die Batterie und die Schweißnaht begann sich langsam nach außen zu stülpen.
Ah, es würde ein gutes Bier werden, ein starkes Bier. Er musste nur noch etwas Geduld haben bis er diese Batterie aufhatte. Nur etwas Geduld. Der Stein in seiner Hand zerbröckelte fast vollständig unter dem nächsten Schlag und er nahm einen anderen von dem Haufen, den er sich zurechtgelegt hatte.
Jetzt lag sein Sohn hier, auf dem Boden und konnte nicht arbeiten. Seine Frau war schon lange mit einem Ovambo aus der Stadt verschwunden. Der hatte Geld. Ovambos hatten immer Geld. Sie waren die Regierung, saßen in ihren schwarzen Mercedes Limousinen mit Klimaanlage und ließen sich durchs Land fahren. Das Geld, die Wirtschaftshilfe, die Entwicklungshilfe, die Zuwendungen, die sie für Namibia erhielten, verteilten sie in ihren Familien und nur wenig blieb für die Projekte, für die die Menschen in Europa überall sammelten und spendeten. Ah, die Ovambos aus dem Norden. Eingewandert aus Angola haben sie hier heimlich die Macht übernommen, haben die Ureinwohner, die Buschmänner wie Karnickel gejagt und wie Schweine abgeschlachtet. Die Herero und Damara verdrängt, die Mischlinge in Rehoboth ins Abseits gestellt. Ihre eigenen Landsleute, Flüchtlinge vor dem großen Krieg jenseits der Grenze hungerten in Lagern wie Osire und hatten keine Zukunft. Oh ja, die Ovambo, die Herren im Land. Die Regierung. Schlimmer als die Weißen. Schlimmer als Vigs.

Johannes hatte noch vier Kinder, zwei Söhne und zwei Töchter. Aber die Töchter waren schon lange verschwunden, irgendwo in Windhuk in der großen Stadt lebten sie immer wieder bei anderen Männern, hatten selbst schon Kinder. Aber alle waren krank. Die anderen Söhne arbeiteten beide in Swakopmund, reinigten Teller in Hotels und Restaurants, leerten Mülltonnen, machten Hilfsarbeiten für 60 Namib Dollar im Monat. Davon konnten sie nicht leben. Oft stahlen sie Dinge, die sie in der Nachbarschaft für ein paar Cent, ein Bier oder etwas Dacha verkauften. Wenn sie erwischt wurden, gingen sie für ein paar Tage ins Gefängnis. Dann lungerten sie wieder in der Siedlung oder in Swakop herum, bis sie irgendwo einen Gelegenheitsjob fanden. Manchmal gingen sie Nachts auf Raubzug und stahlen in den Gärten draussen in Vineta oder dem Weißen Viertel Kramersdorf Möbel und Wäsche. Aber das war auch gefährlich, denn die Mauern um die Häuser hatten Glasscherben auf ihren Kronen und scharfe Hunde bewachten die Gelände. Da war es schon einträglicher, unvorsichtigen Touristinnen die Handtaschen zu stehlen. Oft hatten sie so schon hunderte von Dollars erbeutet, die aber nie lange anhielten. Die Familie hatte viele Mitglieder und alle wollten Leben.
Wenn solch ein Geldsegen über sie hereinbrach, dann stiegen sie in den Bus und fuhren nach Norden, hoch ins Okawango, wo sie empfangen wurden wie Stammesführer. Sie gaben ihr Geld großzügig aus, bezahlten Hochzeiten und Feiern, unterstützten diesen und jenen, gaben hier und da ein paar Dollar und fuhren, war das Geld verbraucht, mit dem Bus wieder zurück nach Mondesa. Im Okavango hielt man sie für Reich und nicht wenige versprachen jedesmal nachzukommen und auch ihr Glück zu machen.
Johannes war gerade erst von solch einer Fahrt zurückgekommen. Sie waren zu einem Initiationsritus nach Hause gefahren und er, Johannes, der Bruder des Vaters des Mädchens, der Onkel, Onkel Johannes hatte nach alter Tradition das Mädchen entjungfern dürfen. Sie war zwölf oder dreizehn Jahr alt und hatte feste Brüste und ein schmales Becken. Oh ja, trotz seiner 35 Jahre war er kein alter Mann, das Feuer brannte noch in ihm trotzdem er sich im Augenblick nicht wohl fühlte. Das wusste auch die Frau von nebenan, die er manchmal, wenn das Pombe besonders stark und er voller guter Geister war, besuchte. Dann schliefen sie direkt auf dem steinigen, sandigen Boden miteinander und er vergrub sich in die schwitzenden Fleischberge, besorgte es dieser schwarzen Mama wie ein zwanzigjähriger. Dann fühlte er sich wieder jung und kraftvoll und unbesiegbar wie ein Löwe in den Sümpfen des Okawango. Es störte ihn nicht, das die Nachbarin auch mit anderen schlief, mit allen, die ihr Essen und etwas Dacha brachten oder einen guten Schluck Pombe.
Er war besser als alle anderen. Oh ja, er war ein guter Liebhaber. Er hatte viele Frauen gehabt, viele Nichten ins Leben gerufen. Er hatte groote Ballas und einen dicken Piel, er würde noch lange die Frauen glücklich machen.
Nur in letzter Zeit fühlte er sich schwach, verließ das Haus nur noch, um sich vorne auf die kleine Mauer an der Straße zu setzen. Aber das war bestimmt nur vorübergehend. Zu wenig zu Essen. Jeden morgen Millipap mit etwas Fett und Zucker, manchmal, wenn Geld da war, gab es auch Millipap mit Tomaten und Zwiebeln. Fleisch hatte er schon lange nicht mehr gegessen. Außer bei den Festen, aber dann wurde ihm auch immer schlecht von dem vielen ungewohnten Essen und er musste sich oft übergeben. Nein, nein, er würde schon wieder auf die Beine kommen und seinem Piel Arbeit geben.
Die Batterie vor ihm platzte mit einem leisen Knirschen auf. Johannes warf den Stein zu Seite, nahm die Batterie geschickt mit einer Hand auf und beförderte sie mit einem Schwung in die Plastikschüssel neben ihm, damit kein Tropfen der bräunlichen Säure verloren ging. Er leckte sich die Lippen. Das würde ein gutes Pombe werden. Ein Fest. Er würde damit hinüber gehen, zu seiner Nachbarin. Sie würden trinken und irgendwann würde er sie fragen: »Wil jy met my naai«? Und sie würde ihn nehmen und an sich drücken und er würde wieder in ihr versinken und schwitzend und schreiend das Leben genießen. Er musste nur noch Geduld haben müssen, bis das Bier fertig war, bis die Batteriesäure ihre Wirkung beendet hatte, bis das Bier ordentlich schäumte. Dann...!
Neben ihm stöhnte sein Sohn. Fiebrig und unruhig wälzte er sich schwitzend auf der Decke. Johannes versuchte ihn zu ignorieren. Er konnte ihm nicht helfen, hatte keine Medikamente, kein Essen. Den Fetischtrank, den er aus dem Okavango mitgebracht hatte, war verbraucht. Sein Sohn hatte alles getrunken. Etwas hatte auch Johannes probiert, nur ein wenig, einen kleinen Schluck, weil es ihm auch so schlecht ging und wenn der Zauber bei seinem Sohn wirkte, dann könnte er doch auch ihm etwas helfen?! Jetzt war nichts mehr da und seinem Sohn ging es nicht besser. Johannes hatte in einer alten Plastikflasche etwas Wasser von dem öffentlichen Wasseranschluss, der einen Großteil des Viertels versorgte, geholt und seinem Sohn damit die Stirn gekühlt. Trinken mochte er schon seit gestern nicht mehr. Immer erbrach er alles, fühlte sich hinterher noch schlechter und Johannes musste die grünliche Flüssigkeit mit einem alten Lappen vom Boden wischen. Die anderen beiden Taugenichtse waren wieder irgendwo in der Stadt betteln, stehlen oder auf der Suche nach Arbeit. Martin, der ältere der beiden wollte unbedingt nach Lüderitzbucht. Dort hatte man die Kaianlage ausgebaut und große Touristenliner legten jetzt dort an. Da war Geld zu machen. Vielleicht ist er dorthin? Vielleicht auch zu dem Herero, der das neue Bestattungsgeschäft oben in der 10th Avenue aufgemacht hat. Der stellte aus den Brettern der abgerissenen und verlassenen Behausungen Särge her. In letzter Zeit starben viele hier in der Mondesa und zu Hause im Okawango. Zu viel schlechter Zauber. Aber ein gutes Geschäft. Der kleine Friedhof draussen in der Wüste wuchs schneller als Mondesa.
Johannes rührte mit einem Stock in dem weißlich schäumenden Gebräu vor seinen Füßen.
Ah, sein Pombe würde gut werden. Alles würde gut werden. Seine Söhne würden Arbeit finden, sein Jüngster gesund werden und sie würden noch viele Feste feiern und viele Nichten zu Frauen machen. Seine Schmerzen würden gut werden, sein Hunger würde vergehen und die Nachbarin würde mit ihm Liefde machen sooft er wollte.
Johannes nahm die Schüssel mit beiden Händen, hob sie an den Mund und begann mit tiefen Zügen zu trinken.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.07.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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