Keno tom Brooks

Wie´s mit dem Schreiben funktioniert....


Was für ne Scheiße. Da sitz ich hier an diesem Mistcomputer, laß´ mich von fahlem Licht bescheinen und schreibe Zeug, das höchstens noch eine einsame Hausfrau am Küchentisch begeistert, wenn sie die Wunden ihrer vernarbten einsamen dunklen Seele leckt.
Ich wollte immer Schriftsteller werden, vom Schreiben leben, aber ich hatte mir nie wirklich Gedanken darüber gemacht, was ich schreiben wollte. Sicher, Faulkner, Hemmingway, Bukowski, Joyce, Irving, Steinbeck, ich hatte alle gelesen und noch ein paar hundert mehr. Meine Bibliothek steht voll mit den geistigen Orgasmen der Literaten, doch je mehr ich las, desto mehr wendete ich mich ab von dem Geschwall, den Schachtelsätzen, dem unklaren Kitsch einsamer Schreiberlinge die im Leben nicht zurechtkamen und sich auf dem Papier verkotzten.
Was ich schreiben wollte, was ich zu sagen hätte, darüber habe ich nie nachgedacht. Buchstaben an Buchstaben, Worte an Worte und Sätze an Sätze. Political Correctness, bloß keinem auf den Schwanz treten. Als es `n bisschen lief, hab´ ich mich sogar verbogen und was über´s Ficken und Lutschen geschrieben, nur damit einer, der mir erklärt hat, das man mit Titten alles verkaufen könne, meine Geschichten verlegt.

Da hacke ich nun seit mehr als zwanzig Jahren auf die Maschine ein und bin so hoffnungslos, daß ich die gleiche manufakturierte Literaturindustrie für die geistig Armen bediene wie Mankel oder dieser drittklassige Horrorgeschichtenschmierer mit seinen hunderten von Berufsschreibern.

Offensichtlich ist der Geschmack der meisten doch der, der Besten. Zumindest in Deutschland hat sich das Proletariat des Mittelmaßes durchgesetzt. Mittelmäßige Autos, mittelmäßige Jobs, mittelmäßige Frauen, mittelmäßige Geschäfte, mittelmäßige Politik, mittelmäßige Ficks. Die Macht des Durchschnitts.

Und ich sitze hier, ganz alternder Rebell mit wehmütigen Gedanken an die unbedarfte Jugend und Träume immer noch von Neuem, Besseren, Schöneren. Anschluss verpasst und keine Chance mehr, sich vor den Zug zu schmeißen. Gefangen in der staatlich geförderten Leichtigkeit mittelmäßigen Seins schreibe ich, um andere aufzuschrecken, damit sie die Scheisse riechen, in der sie bis zum Hals stecken. Nur so kann ich die feige Bande von JA-JA-JA-Sagern terrorisieren und zum Schweigen bringen. Ich hab´ mich lange genug im Sturm rumgetrieben, ich weiß, wie es ist, wenn du nirgends festmachen kannst, wenn es keinen Hafen und keine Bucht weit und breit gibt, wenn der Orkan immer stärker bläst und droht, dich zu packen, dich fortzureißen und dich an den Felsen im Niemandsland zerschmettern. Inmitten dieser Stürme und Schiffbrüche wurde ich ruhig und eins. Ich erwarte nichts mehr, weder von Freunden noch von Fremden. Absolut nichts. Ich ruhe in mir, um mich der tosende Orkan des Lebens, bin zu Bukowskis „Frozen Man“ geworden und darüber hinaus gelangt und ehern geworden. Die Idioten, die aus Leibeskräften aus ihren sicheren Häusern gegen den Sturm anbrüllen sind mir egal. Ich kann sie in ihrem traurigen, langweiligen, einsamen Todeskampf nicht hören !

Obwohl: vielleicht sollte ich mich nicht so laut beschweren. Schließlich bin ich pleite. Nach einer kurzen, aber im nachhinein erfreulichen Episode, in der eine Volksbank, 1,3 Mio Deutsche Mark und ein paar phantasielose Geldverleiher, einige korrupte, geldgierige karrieregeile Insolvenzverwalter, denen die Pisstöpfe noch am Hintern klebten und ein völlig unfähiges Amtsgericht eine Rolle spielten, bin ich wirklich frei von den Zwängen der Gesellschaft.
Ich bin einen bürgerlichen Tod gestorben und meine Leiche wurde ans andere Ufer des Seins gerudert, wo ich aufwachte und frei war! Da sind die Wiesen genau so grün und man trifft dort mehr und mehr Menschen, die auch verstanden haben, das es sich als Schaf frei von den Staatszwängen unter Schafen wesentlich besser lebt als unter den Schafscherern. Wenn die erste Umstellung und Gewöhnung erstmal stattgefunden hat, wenn man alles, was man von seinen Eltern und der Gesellschaft über das Modell „Staat“ erfahren und verinnerlicht hatte, über Bord werfen konnte, dann will man diesen Zustand nicht mehr missen.

Meine fleißige Insolvenzverwaltung hat es geschafft, meine Schulden von 1,3 Millionen deutschen Mark auf 1 Million Euro hochzudrücken. Das hieß für mich, daß ich in meinem Beruf mindestens 186 Jahre lang ohne Wohnung, Essen und Bier arbeiten musste, um die Knete wieder reinzukriegen. Ohne Zinsen.
Ein beruhigendes Gefühl, denn wie heißt es so schön: »Hast du 20.000 Schulden, hast du ein Problem, hast du 2 Millionen Schulden, hat deine Bank ein Problem«.
Nun, die Bank hatte natürlich kein Problem. Die üben ihre Verbrechen legal aus. Drauf geschissen. Restschuldbefreiung kam für mich nicht in Frage. Sechs Jahre lang die Pfennige an die Advocaten abzahlen, die sich fett machen und die Gläubiger leer ausgehen lassen ?! Und dann sollen die einstimmig die Restschuld befreien ? Niemals! Es ist schließlich des Deutschen Eigenart, gerade nach jenen zu treten, die bereits sich windend am Boden liegen. Es gibt keine Befreiung, und es gibt keine Restschuld. Es gibt nur Schuldige und jene, welche Vorteile aus der Schuld anderer ziehen.
Befreit habe ich mich schon lange selber. Von Zwängen, von Ansichten anderer, von sozialen Allgemeinplätzen, dem täglichen Wahnsinn der Sinnlosigkeit, von den Verbrechen der Politiker, der Geldverleiher, der Versicherungen, befreit von allen Verpflichtungen.

Herrlich.
Keine Post mehr im Briefkasten von Leuten, die man nicht kennt und auch nicht kennen möchte, die einen aber dazu zwingen, ihnen dein Geld zu geben und dich damit zu ihrem Sklaven zu machen, weil du morgens um 5 raus musst knechten um die Kröten zusammenzukriegen bevor dich die Russeninkasso am Arsch hat. Oder die Polizei oder das Finanzamt. Egal. Alles die gleiche gekaufte und in Reih und Glied stehende Mischpoke. Dieser Wahnsinn ist nicht mehr meiner. Ich habe meinen eigenen, täglichen, netten freundlichen Wahnsinn. Meine Sorte von Wahnsinn.
Gut Warm und Edel.

Aber ich will mich nicht beschweren. Ich hab alle Gläser ausgetrunken, die man mir hingestellt hat und ich hab´ alle Weiber gefickt, die sich angeboten haben. Sogar die, die mir ihre verzweifelten Ehemänner für´n Bier überlassen haben, damit sie mal für 5 Minuten Ruhe hatten. Und das waren nicht wenige. Obwohl, wenn man die Zeit meiner sexuellen Aktivität gegen die Anzahl rechnet, siehts schon wieder nicht mehr so gut aus. Da hätte deutlich mehr passieren können.
Okay, ich sitz also hier und sage mir: »Brooks, sag ich mir, so schlecht isses gar nicht«. Ich hab ein Dach über´m Kopf, zwei Kühlschränke, einer voll mit Bier, gute Zigarren aus Puerto Rico und Havanna, Grappa aus dem Cisalpina, Barrique im Keller, Freunde die mich ertragen, eine Frau die mich durchhält und einen Sohn, der das Leben lebenswert macht.
Wenn ich dran denke, das ich in der Knochenmühle einer Selbständigkeit mein Leben aushauchen müsste, nur um mir Sachen kaufen zu können, die ich nicht brauche um damit Menschen zu beeindrucken, die mir egal sind, dann muss ich sagen, das mir mein Leben jetzt wesentlich besser gefällt. Ich habe jede Menge Zeit für meine Frau, meinen Sohn, diese Maschine vor mir, meine Bücher.
Ich habe mir alle Lebensträume erfüllen können, weil ich die Zeit dafür hatte. Freie Zeit ist das höchste Gut des Menschen. Nichts ist so schlimm, wie seinen Arsch sklavisch an andere so teuer wie möglich zu verkaufen. Als „Boss“ hatte ich Ansehen, den Hungerlohn von 750 Euro im Monat Privatentnahmen und `ne Menge Leute, die was von mir wollten, weil sie selbst nichts hatten.
Heute krieg´ ich 1000 Euro Stütze, die mir keiner wegnehmen kann, jede Menge Zeit und niemanden, der vor meiner Schwelle liegt und mich anschnorrt oder nervt. Ich muss mir nicht mehr die Abende mit den Spinnern und Profilneurotikern in Stadtparlamenten und Bauausschüssen um die Ohren hauen, Bestechungs- und Korruptionsversuche abwehren und klarstellen, das mich Seilschaften gleich welcher Art nicht interessierten. Ich muß mich nicht mehr auf eine Seite ziehen lassen, mich in Vereinen, Parteien oder irgendwelchen anderen Organisationen binden und verkaufen, muß nicht mehr Samstag und Sonntag arbeiten, muß keine Rechenschaft gegenüber Finanz- und anderen -ämtern üben und vor allem:
ich muß mich von denen, die für mich gearbeitet haben nicht mehr anpissen und aussaugen lassen.

»Verdammt«, werdet ihr aufschreien, »ich hab´mein Leben lang gearbeitet, geschuftet und geknechtet«.

»Selbst dran Schuld!« sage ich. Das beweist nur, das ihr blöde Arschlöcher seid, dem das Mittelmaß das Hirn `rausgesaugt hat. Seht euch doch mal im Spiegel an: Sie haben euch um euer Leben beschissen und euch mit Methadonfussball und Placebobier das Maul gestopft.
AMEN!
Ihr latscht von Mutters Votze bis in die Grube, ohne euch jemals vom Leben auch nur streifen zu lassen.

Ich habe in den letzten Jahren meine Träume leben können, alle möglichen Scheine und Berechtigungen gemacht, das Hirn trainiert und Wert drauf gelegt, nicht vor 09:30 Uhr aufzustehen. Jeden Morgen um zehn denk´ ich beim Kaffee dankbar an Mosche Knobloch von der Volksbank und den verkrüppelten .....(Scheisse, jetz hab´ ich sogar den Namen vergessen. Traurig wenn sich nicht mal ein abhängiger Hund an die Schnauze seines Herrn erinnert)....die mir dieses Leben ermöglicht haben um dann nochmal zu meiner Frau ins warme Bett zu kriechen und eine oder zwei Nummern zu schieben, währen die beiden die nächsten leimen um dem Gott Mammon zu fröhnen und sich Weiber zu kaufen, die ihnen ohne Knete ins Gesicht spucken würden.
Ich werd´ mit dem Bier in der Hand auf ihre Gräber pissen und schmutzige Lieder dabei singen.

Nach dieser Firmenpleite hatte ich zum erstenmal im Leben wirklich Zeit, wenn man mal vom Studium absieht, aber das war keine wirkliche Herausforderung. Man glaubt nicht, wie schnell die Zeit vergeht, wenn man nicht arbeitet. Das heißt, wenn man nicht in einen von Chefs und Stechuhren gerahmten Arbeitsablauf gespannt ist. Es ist nicht so, das ich nichts tue. Nein, eher schaffe ich heute mehr als früher. Ich schlafe acht Stunden, was allein schon für die meisten ein Luxus ist, stehe auf und lasse den Tag ruhig angehen. Ich setze mich vormittags an das Mäusekino und hacke mein Frust und meine Freude in die Maschine. Wenn ich 4 Stunden schreibe reicht das zum auspowern, mehr ist meist nicht drinn, an manchen Tagen nicht mal das. Ich kann´s mir ja aussuchen. Wenn´s nicht läuft unterhalten mich Khoreishi, Bukowski, Sartre, Rimbaud, T.C. Boyle, Kotzwinkle, Steinbeck, Irving und Goethe (JA: Goethe !).

Nachmittags gehe ich mit meiner Frau und dem Kleinen etwas spazieren oder, einkaufen und abends ein guter spanischer Barrique und in Ruhe kochen, Familienabend mit Vorlesen und spielen, Fernsehen.
Manchmal setzte ich mich Nachts noch an die Maschine. Wenn alle schlafen und sich die Dunkelheit über die Häuser legt, habe ich das Gefühl, allein auf der Welt zu sein, die Gedanken strömen aus meinem Gehirn durch die Finger, über die Tasten des Keyboards auf den Bildschirm und verschwinden in den Gedärmen des Computers.

Mein Leben lang habe ich das wahre Talent eines Menschen, die Phantasie, dem engen und verzweifelten Wollen der Phantasielosen überlassen. Inzwischen weiß ich, das dieses hohe Gut nur von wenigen geteilt wird. Phantasie und Vorstellungskraft werden schon in der Schule getötet und im späteren Leben zusätzlich verneint und vorsätzlich zerstört. Ohne Träumer und Phantasten wären Mathematiker, Physiker, Ingenieure und Unternehmer arbeitslos.

In meinen Gedanken kann ich erschaffen und zerstören, kann Welten entstehen und wieder verschwinden lassen, kann mir jede Möglichkeit und Unmöglichkeit ausdenken, kann planen und verwerfen, ohne das jemand mir sagt: das geht nicht, das funktioniert nicht, dafür haben wir kein Geld. Die Herrschaft des ängstlichen Erbsenzählers gilt hier nichts. Alles ist möglich und alles wird wirklich vor meinem geistigen Auge und in meinen Gedanken. Es nimmt Gestalt an und entsteht nur durch die Bewegungen meiner Finger, wird transportiert in die Gehirne der Leser, die ihre eigenen Bilder zu den Worten erschafft, ihre eigene Pappstadt aufbaut und ihre eigenen Gesichter sieht, sich selbst als ich oder der Held oder der Liebhaber oder der Mörder. Der Anfang ist immer die Realität. Das Leben ist ein Kriegsgebiet, voll von Dramen, Horror, Gestank und Perversion. Es gibt keinen besseren Ausgangspunkt für eine Geschichte als die Realität. Du findest sie auf der Straße, hebst sie auf und läßt sie mit beiden Händen auf´s Papier krachen. So einfach.

Ich lebe mit jeder Faser meines Lebens sorgenlos und frei. Sicherlich, andere hätten die Nummer nicht überlebt. Manche hätten sich schon erschossen, wenn man ihnen den Porsche aus der Garage fährt, aber um die gepuderten Yuppieärsche isses auch nicht schade.

Vorbei die Zeiten, in der man sich selbst die Knarre in den Mund steckte. Heute steckt man sie dem Geldverleiher ´rein, drückt ab, fickt seine drei minderjährigen Töchter, lässt seine Frau von einem aidskranken Fixer vögeln, sitzt bei guter Führung drei Jahre und pisst dann auf sein Grab.

Seht ihr, wie´s mit dem Schreiben funktioniert ?

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.07.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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