Gaby Schumacher

Trugschluss



Gähnende Langeweile. Fieberhaft überlegte sie, was dagegen zu tun wäre. Fernsehen: kein vernünftiges Programm. Lesen: Überhaupt keinen Bock dazu.
Frustriert ließ sie ihren Blick durch den Raum wandern. An allen vier Wänden entlang. Sogar bis zur Zimmerdecke. Und wieder zurück. Er glitt zu ihrer Kommode und blieb dort an dem Radio hängen. Blitzartig kam ihr die rettende Idee. Ja, sie würde sich seit langer Zeit ´mal wieder eine vernünftige Rundfunksendung anhören. Ein entsprechendes Programmheft lag leider nicht griffbereit. So stellte sie auf gut Glück einen Sender ein.
Zuerst war nur ein lautes Knacksen im Apparat zu hören. Doch dann...
„...Ja, wissen Sie, wenn man so alt geworden ist wie ich...“, tönte es ihr da aus dem Äther entgegen.
„Eine merkwürdige Stimme!“ dachte Annabel. „Irgendwie so schrappend.“
„Ein sehr langes Leben und eine tolle, aufregende Karriere. Es wäre sicherlich für unsere Zuhörer von großem Interesse, etwas darüber zu erfahren.“
„Ah“, sagte sich Annabel, „anscheinend eine berühmte Persönlichkeit.“ Ihre Neugierde wuchs, weiter zuzuhören.
„Na gut, da Sie mich ja so nett drum bitten, werde ich gerne aus meinem Leben erzählen. Ich fang ganz von vorne an.
Ich bin ja nun nicht gerade dünn ausgefallen. Schon bei meiner Geburt war ich ein ausgesprochen dicker, praller Wonneproppen. Alle Welt war entzückt, dass es mich gab. Meine Wiege stand bei jedem Wetter draußen, damit ich genug frische Luft tanken konnte, um für den Kampf des Lebens gewappnet zu sein. Alle meine Verwandten, und das waren nicht gerade wenige, umsorgten mich mit geradezu glühender Begeisterung. Zum Dank dafür lernte ich innerhalb kürzester Zeit das Laufen, Rennen und Springen. Ich entwickelte einen gehörigen Ehrgeiz, möglichst schnell zu sein. Stellen sie sich vor: Das führte dazu, dass ich vor Begeisterung auch schon ´mal den Bodenkontakt verlor und in irrem Tempo sowie mit gewaltiger Kraft durch die Luft segelte. Ich war ein sehr lebhaftes Kind. Mich zu lange an ein- und demselben Fleck aufzuhalten, kam für mich nicht in Frage. Ich gierte förmlich nach Bewegung. In meiner Kindheit wurde ich von zahllosen Freunden umringt, die um meine Gunst buhlten. Es fand ein regelrechter Wettstreit statt, wem ich wohl meine Zuneigung schenkte. Wer dann mit mir spielen durfte. Immer war ich umschwärmter Mittelpunkt. In fast jedem Spiel der Schnellste. Die Anderen hatten größte Mühe, mit mir Schritt zu halten. Ich geriet nämlich regelmäßig außer Rand und Band, konnte mein Temperament kaum zügeln. Meine ständig wachsende Freundesschar unterstützte mich begeistert bei all meinen Unternehmungen. Meine Lieblingsspiele waren Wettrennen und Fangen. Sehr geschickt ging ich dabei vor, schlug überraschende Haken wie ein Hase. Wich routiniert jedem Fangversuch aus. Und mich zu halten, schafften nur die Wenigsten. Und ich übte mich intensivst im Boxen. Mich durchzuboxen, energisch mich zu wehren. Je älter ich wurde, um so größer wurde meine Fangemeinde. Meiner Meinung nach gab es wohl kaum ein anderes Kind, dass sich solcher Beliebtheit erfreute wie ich!
„Wer angibt, hat´ s nötig!“ murmelte Annabel.
„Wie Sie gerade andeuteten, kannte man Sie ja nicht nur in ihrem Heimatort?!“
Unterbrach ihn der Reporter.
„Oh nein!“ Trumpfte sein Gegenüber auf.
„Meine Berühmtheit wuchs rasant schnell. Nicht nur in ganz Deutschland, sondern in allen Ländern der ganzen Welt verehrte man mich. Ich wurde äußerst selbstbewusst. Kein Wunder! Denn überall dort, wo ich aktiv war, flippten Millionen von Menschen aus vor Begeisterung, brüllten und kreischten wie die Wilden herum. Das artete in einen regelrechten Fanatismus aus. Nicht ungefährlich dann für mich, denn so Manche versuchten mich zu stoppen, mir sogar ans Leder zu gehen. Doch da standen meine Leibgardisten bereit, die sic erfolgreich, unter Einsatz ihres eigenen Lebens, in Schach hielten. Sie notfalls aus meiner Reichweite entfernten. Damit die Bahn des Lebens für mich ohne Gefährdung jeglicher Art weiter rollte.
Mein Lieblingsspiele aus Kindertagen „Wettlauf und Fangen“ faszinierten mich mein ganzes weiteres Leben lang. Und ich übte mich dann intensivst im Boxen, ääh, eher im Durchboxen, brachte ich es notgedrungen zur Meisterschaft. Meistens waren es 22 Kameraden, die versuchten, sich im Kampf mit mir zu messen, mich zu dirigieren und dann auch zu regieren. Selten nur bezwangen sie mich. Denn ich hatte eine tolle Kondition. Meine Aktionen schlugen ein wie eine Bombe. Meist blieb ich Sieger. Denn aller meistens scheiterte ihr Versuch, mich einzuholen oder sogar zu überrunden. Ich war einfach zu fix. Manchmal raste ich in einem solchen Höllentempo vorweg, dass ich sogar abhob und dann durch viele Stationen meines bewegten Lebens nur so dahin flog. Und bei unzähligen Gelegenheiten ins strahlendweiße Tor des Erfolges traf. Dadurch dann nachhaltigen Eindruck hinterließ. Unendliche Verehrung und maßloser Jubel meiner Verehrer wurden mir zuteil. Ja, überall wurde ich beachtet und umschwärmt!.
„Eingebildeter Pinsel!“ Annabels Kommentar dazu. “Ein zweiter Baron Münchhausen. Fliegen...mit der(!) Figur??
„Sie sind bekannt dafür, dass Sie stets sehr stur ihren Weg verfolgten, sich auf oft mit Vehemenz durchsetzten. War das schon immer so?“
„Sturheit ist ja nun eine angeborene Eigenschaft. Natürlich war ich stur. Und doch auch wieder nicht.“
„Wie meinen Sie denn das?“ verblüffte, irritierte Frage des Reporters.
„Schon in meiner frühesten Kindheit erfuhr ich, dass das Leben hart ist. Dass es nicht immer nur vergnüglich ist. Aber gottlob war mir von meinem Ziehvater erklärt worden, wie wichtig es ist, eine dicke Haut zu bekommen. Diesen Rat nahm ich mir zu Herzen. Ich kann Ihnen verraten: Ich legte mir die reinste Elefantenhaut zu. An der dann fast alle Angriffe abprallten. Jeder muss damit rechnen, während seines Lebens auch häufiger getreten zu werden. Sich mit Intrigen und schlimmen Puffen auseinander setzen zu müssen. Und dann obendrein gezwungen zu sein, sich zu behaupten. Mir half mein gehöriger Dickkopf dabei. Ich nenne Ihnen lieber keine Zahl darüber, wie oft ich im Leben getreten wurde. Sie würden entsetzt sein. Aber ich gewöhnte mich auffallend schnell daran. Mir gefiel das sogar ausgesprochen gut. Konnte ich doch so tausendfach oder noch öfter, (genau weiß ich´s nicht mehr zu sagen...ist schon so lange her), meine dicke Haut beweisen. Tritte waren schmerzhaft, doch die allein auf mich konzentrierte Aufmerksamkeit von Millionen ließ mich den Schmerz vergessen, Half mir, mich mit einem enormen Selbstbewusstsein souverän in rasantem Tempo durch die ach so zahlreichen bedrohlichen oder auch sogar lebensgefährlichen Situationen zu drippeln. Wie gesagt, ich sonnte mich in der Bewunderung, ja – beinahe Anbetung meiner Fans, die sich die Kehle wund jubelten, wenn ich in Aktion war. Da nimmt man dann gerne in Kauf, hin und her gestoßen und auch übelst getreten zu werden.“
Annabel war erschüttert. „Masochist ist der auch noch. Oh Gott!“
„Wie ging es dann weiter, ich meine, als Sie älter wurden? Wann entschieden Sie sich endgültig für diese Karriere?“
„Sehen Sie...da möchte ich Bezug nehmen auf das, was ich vorhin schon erwähnte. Ich bin immer sehr lebhaft gewesen, war nicht der Typ, um längere Zeit herum zu gammeln. Ich wünschte mir einen Beruf, in dem ich meine berühmte Durchsetzungskraft unter Beweis stellen konnte. Außerdem liebte ich es schon immer, im Mittelpunkt zu stehen.“
„Sie sagten es schon“, meinte der Reporter, ihn unterbrechend, „Ein Bürojob wäre also nichts für Sie gewesen. Sie brauchten Publikum wie Andere das tägliche Brot. Sie fühlten sich am wohlsten außer Hause, brauchten einfach die Luft zum Atmen. Es ist bekannt, dass erst dann sich Ihre Lebensfreude in vollem Maße zeigte.“
„Ach herrje. Und(!) ein Hansdampf in allen Gassen!“ Annabel verdrehte die Augen zur Decke.
„Aber in jedem Leben gibt es doch auch Tiefschläge. Wie sind Sie damit umgegangen?!“ forschte der Reporter nach. Mittlerweile genervt von der Angeberei seines Gegenübers.
„Tiefschläge im Leben sind dazu da, hingenommen, ausgehalten und überwunden zu werden. Nach dem Motto habe ich gehandelt. Wissen Sie, wenn sie so berühmt sind wie ich, dann haben Sie natürlich nicht nur Freunde, sondern genauso viele Feinde und Neider. So erging es auch mir. Die versuchten dann, mich in die Ecke zu drängen oder ins Aus zu stoßen. Sehr brutal ins Aus zu stoßen. Doch da lernten sie mich kennen. Hartnäckig, wie ich es immer war, wehrte ich mich. Steht man erst einmal in der Ecke, droht „Bedeutungslosigkeit“. Gottlob gab es ja da meine Freunde, die mich mit einem gewaltigen Tritt in den Allerwertesten zum intensiven Luftholen animierten, dem dann auch schnellstens wutgeballte Aktionen meinerseits folgten. Zum Ärger meiner Gegner, die dann deutlich geschwächt aus ihrer dreckigen Wäsche guckten. So sehr bloßgestellt, dass ihnen jegliche Energie fehlte, die rote Karte ihrer skrupellosen Verhaltensweise wegen wieder reinzuwaschen.
„Man weiß, dass Sie auch manchmal über die Strenge schlugen. Durch ungerechtes Verhalten von sich reden machten!“ warf ihm der Reporter vor.
„Dazu stehe ich. Niemand auf der Welt ist ohne Fehler. Ich auch nicht. Und manchmal gibt es Vorkommnisse, da staut sich der Zorn in einem so an, dass man gar nicht mehr anders kann.“
„Könnten Sie uns ein konkretes Beispiel nennen?“
„Gerne. Dann werden Sie mir zustimmen, dass ich im Recht war. Dass ich mir das nicht gefallen lassen konnte.
Es war in einer äußerst turbulenten Phase meines Lebens. Ich war etwa 30 und entsprechend voller Luft und Lust am Leben. Ja, und da passierte es. Bei einer Feierlichkeit, die damals sogar das Fernsehen in alle Welt übertrug. Ich besetzte, wie immer, die Hauptrolle. Da gerieten meine Fans so außer Rand und Band, so dass sie doch tatsächlich ihre gute Kinderstube vergaßen und mir immer mehr auf die Haut rückten, mir fast die Luft zum Atmen nahmen. Da rastete ich aus. Nahm all meine Kräfte zusammen, um dann vor lauter Zorn auf deren undiszipliniertes Verhalten hin fast aus sämtlichen Nähten zu platzen. Ich tat einen gewaltigen Atemzug, um dann mit mindestens verdoppelter Energie den Boden der Gelassenheit rasend vor Wut unter mir zu lassen und mit irrer Wucht in deren Gesichtern der Aufdringlichkeit zu landen. Ich verpasste ihnen einen Denkzettel, den sie so schnell nicht wieder vergaßen. Die verloren dann urplötzlich total die Übersicht über das Geschehen rings um sie her. Und, hatte ich gut getroffen, dann auch schon ´mal das Bewusstsein. Allerdings, so gebe ich auch zu, ging mir bei dieser soundso kräftezehrenden Aktion wegen einer Schnittverletzung dermaßen die Puste aus, dass ich erst einmal für wenige Minuten pfeifend am Boden der Erschöpfung liegen blieb.“
„Aber Sie galten als Stehaufmännchen. Ließen sich nicht zerbeulen.“
„Das stimmt. Meine Leibgardisten waren diensteifrig zur Stelle, verarzteten die Schnittwunde, fächelten mir Luft zu, um meine Beulen, die ich mir während dieser aggressiven Aktionen geholt hatte, wieder auszubügeln. Ich war ja hart im Nehmen. Fast ungewöhnlich tapfer. Und sprang dann wieder ohne Sorgenfalten auf der Sonnenseite des Lebens herum!“
„Was Sie wirklich mit Bravour geschafft haben!“ anerkannte der Reporter. (Die Sendezeit lief ihrem Ende entgegen. Er wollte diesem Ausbund an Abgehobenheit möglichst rasch die Puste der Überheblichkeit rauben. Er war´s leid!).
„Danke, danke! Doch, wissen Sie, Sie sind nicht der Erste, der mir das sagt!“
Kam die überhebliche Antwort.
Der Reporter schnappte nach Luft. Um zu verhindern, dass er noch Beulen unterdrückter, mittlerweile aufsteigender Aggression wegen bekam.
„Es tut mir sehr leid, mein Herr. Leider geht unsere Sendezeit jetzt viel zu frühzeitig ihrem Ende zu. Ich bedanke mich sehr bei Ihnen für dieses Gespräch!“
„Es war mir ein rollendes Vergnügen ohne Ende! Der Dank liegt auf meiner Seite.“
Der Reporter richtete aufatmend ein letztes Wort an seine Zuhörer:
„Falls Sie noch irgendwelche Fragen haben...Unser Gast hat sich bereit erklärt, sie sogar telefonisch zu beantworten. Hier ist die Nummer: 11 22 11. Ich danke Ihnen für Ihr Interesse!“
„Der hat ganz vergessen, den Beruf dieses depperten Mannsbildes zu erwähnen. Macht
nix, den ruf ich an. Das will ich jetzt wissen.“ Meckerte Annabel.
Sie fischte sich ihr Telefon und wählte die besagte Nummer. Mit jedem weiteren, nachfolgendem Freizeichen steigerte sich denn doch ihre Aufregung.
Endlich, nach dem vierten Freiton wurde der Hörer abgehoben. Wieder vernahm sie die jetzt schon vertraute, schrappende Stimme:
„ Ja, hallo?
Hier Fidelius Ball!“


Annabel schluckte, schluckte nochmals.

Als Erstes plumpste der Hörer zurück auf seine Gabel...
.... und dann...Annabel auf ihren Teppichboden. (Gottlob fiel sie ja weich!).

Ob der urplötzlichen Erkenntnis:

Dieser Gast aus dem Rundfunk,
dieses ihr akustisches Gegenüber
war:

Ein Ball!!!

Gaby Schumacher, 18. Juli 04




Liebe Lseratten!

So kann man sich irren...!!!
Ich würde mich über kritik zu dieser Geschichte sehr freuen.

LG
Gaby Schumacher
Gaby Schumacher, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.07.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Sturmwind von Bernd Rosarius



Wenn erst ein laues Lüftchen weht,
das sich naturgemäß dann dreht
und schnelle ganz geschwind,
aus diesem Lüftchen wird ein Wind,
der schließlich dann zum Sturme wird,
und gefahren in sich birgt-
Dann steht der Mensch als Kreatur,
vor den Gewalten der Natur.
Der Mensch wird vielleicht etwas klüger,
seinem Sturmwind gegenüber.


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