Daniel Lohmeyer

Abend im Dunkeln

Haben Sie schon mal bei einem Kumpel und seiner Freundin den Babysitter gespielt? Nein? Vielleicht ist das ihr Glück. Ich habe es getan – zum ersten Mal!
Fremde Wohnung in einer fremden Gegend. Und wie es der Zufall wollte war das komplette Mietshaus zu der Feier in der Gartenanlage in Kapellen eingeladen. Nur ich und der kleine Lukas blieben zu Hause. Lukas ist ein Jahr alt, hat braune Haare und ein kleines Knetgummigesicht was immer wenn er einen Menschen sah den er kannte und lieb fand lächelte. Ein weiterer Vorteil war das er nie schrie. Egal was war – ich konnte mich also getrost auf einen ruhigen Abend vor dem Fernseher mit Premiere einstellen. Nur das Rauchen würde mir ein Gräuel werden. Seit Lukas da ist herrscht im Haushalt meines Kumpels und seiner Freundin striktes Rauchverbot.
„Geh auf den Balkon wenn du eine Rauchen willst.“ hat mein Kumpel gesagt bevor er Arm in Arm mit seiner Freundin das Haus verließ. Ich schaute zum Fenster und musste beinahe heulen. Draußen entstand ein Unwetter. Schon in mehreren Kilometern Entfernung konnte ich die Wogen und Blitze des Gewitters spüren. Dazu kam noch das es leicht anfing zu regnen – und auch das nur noch für ein paar Minuten. Danach prasselte der Regen gegen die Fenster als wolle er versuchen sie einschlagen. Alles im allen eine Nacht die Edgar Allen Poe zu einer weiteren Geschichte inspiriert hätte.

Ich ging zu Lukas ins Zimmer und sah nach ihm. Natürlich schlief er noch nicht. Lukas fing an zu lächeln, als er mich sah und quiekte etwas in seiner Babysprache.
„Na, Partner. Keine Lust zu schlafen?“ fragte ich und holte ihn aus seinem Bettchen. Kerstin hatte wohl vergessen ihm sein Schlafzeug anzuziehen. Also ging ich ins Bad und erledigte dieses. Während ich ihm seinen Strampler anzog, flackerte das Licht bedenklich. Ich schaute auf. Es beruhigte sich wieder und leuchtete mit voller Stärke.
„Wird wohl ne Schwankung im Stromkreis gewesen sein.“ dachte ich und begab mich mit Lukas im Arm wieder in sein Zimmer. Nachdem ich ihn dort abgelegt und zugedeckt hatte löschte ich das Licht.
„Schlaf schön und Träum süß“ sagte ich leise und schloss die Tür. Ich ging ins Wohnzimmer und erstarrte mitten in der Bewegung. In den paar Minuten die ich mich um Lukas gekümmert hatte war es rasch dunkler geworden. Unsicher trat ich näher ans Fenster und spähte hinaus. Schwärze! Nichts als Schwärze! Als würde die Welt hinter dem Fenster einfach aufhören zu existieren. Mein Körper zeigte mir auch an das es Zeit war eine zu rauchen. Ich öffnete die Balkontür und trat nach draußen.
„Scheiß Regen!“ dachte ich verärgert und verwünschte mich selbst das ich keine Jacke mitgenommen hatte. Innerhalb von Sekunden war ich durchnässt. An rauchen war nicht zu denken. Als ich mich umdrehte schoss ein Blitz wie Gottes Finger vom Himmel und schlug in einem Feld ein. Verwundert schaute ich auf die entfernte Stelle wo er niederging. Da das Mietshaus ziemlich außerhalb lag konnte ich gut in die Stadt Kapellen hineinsehen. Dann das grollen des Donners was den Balkon leicht schwanken lies. Ich hielt mich am Geländer fest und spähte weiter auf das Feld. „Geh rein!“ rief eine innere Stimme mir zu. Langsam, ohne mich umzudrehen, trat ich auf die Tür zu. Wieder zuckte ein Blitz! Ich erstarrte in der Bewegung. Und noch einer! Dort wo sie einschlugen stob Erde empor. Angst machte sich in mir breit. „Was soll ich tun wenn sie das Mietshaus treffen?“ dachte ich hilflos als mehrere Blitze vom Himmel schossen. Als würden sie etwas suchen, knallten sie jeweils einige Meter voneinander entfernt in das Feld und kamen der Stadt immer näher. Der Lärm des nachhallenden Donners war so laut das ich mir die Ohren zuhielt. Dann erreichten sie das erste Haus. Glück im Unglück konnte man sagen. Wie ich wusste war das Haus verlassen. Aber es war noch an den Städtischen Strom angeschlossen und der Blitz fuhr Mitten durchs Dach. Das Licht im Wohnzimmer flackerte wieder bedenklich. Ein weiterer Blitz strahlte auf und schlug an der gleichen Stelle im Haus ein. Die ersten Häuser am Rand von Kapellen wurden Dunkel. Bei einigen flackerte ebenfalls das Licht bis es ganz erlosch. Ein grinsen entstand in meinem Gesicht.
„Separate Stromverteilung ist doch nicht so schlecht.“ murmelte ich und wollte in die Wohnung zurück. Solange der zweite Stromverteiler nichts abbekam würde dieser Teil wo das Mietshaus stand erleuchtet bleiben. Meine Kleidung hing wie ein nasser Sack an meinem Körper und ich war nass bis auf die Knochen. Als die Erde leicht bebte. Mein Hirn hinderte mich daran reinzugehen und Schutz zu suchen. Ich blickte wieder in Richtung Kapellen und sah wie ein Blitz genau in den ersten Stromverteiler raste. Der Knall der entstand war bestimmt Kilometer weit zu hören. Bei der Bundeswehr habe ich mit Sprengstoffen hantieren dürfen und war an Lärm gewöhnt, aber das? Funken stieben auf und der Schall trug den Krach auf das Mietshaus zu. Wie tausend Kanonen knallte es als die Wiederstände des Verteilers durchbrannten. Sofort war halb Kapellen im Dunkeln. Quietschende Reifen, ein Knall! Ein Auto war wohl in der Dunkelheit gegen ein anderes geknallt. In die Dunkelheit spähend versuchte ich zu erkennen wo es passiert war. Lukas schrie aus seinem Zimmer. Ich schloss schnell die Tür und rannte in Richtung Schlafzimmer als das Licht im Mietshaus ebenfalls erlosch. Dazu muss ich sagen das ich mich im Dunkeln sehr gut bewegen kann, vorrausgesetzt ich weis wo alles steht. Die Schrankwand im Wohnzimmer wurde mir zum Verhängnis. Mit der rechten Schulter knallte ich dagegen und fiel zu Boden. Lukas schrie immer lauter. Mühsam versuchte ich aufzustehen als ein weiteres Stakkato an Blitzen irgendwo runterkam und der Donner mir in den Ohren dröhnte.
„Scheiße! Wo haben die ihre Taschenlampen!“ schrie ich in die Dunkelheit als ich es endlich geschafft hatte mich an der Schrankwand hochzuziehen. Leicht desorientiert vom Klingeln in meinen Ohren tastete ich mich mit ausgestreckten Arme ins Schlafzimmer. Als ich das Bett erreichte packte ich Lukas mit einem Arm und hob ihn hoch.
„Ist ja gut. Ich bin doch da.“ flüsterte ich beruhigend. Er kniff mir in die Arme das es leicht brannte. Er hatte tierische Angst und zugegeben: Ich auch! Vorsichtig Schritt für Schritt ging ich ins Wohnzimmer und setzte mich auf die Couch. Verbot hin oder her jetzt muss ich wirklich eine Rauchen. Mein Zippo flammte auf und kurz darauf hörte ich das beruhigende Knistern der Zigarette. Ich lies das Zippo brennen und stellte es auf den Tisch um wenigstens etwas Licht ins Dunkle zu bringen. Vom Fenster her erleuchteten Blitze kurzzeitig immer das Zimmer und dann wieder das ohrenbetäubende Donnern. Ohne es zu merken drückte ich Lukas fester an mich als könnte er beim nächsten aufblitzen nicht mehr da sein. Dann hörte ich vom Flur her ein Klimpern. Die Tür wurde aufgeschlossen. Zwei dunkle Gestalten betraten den Raum – in diesem Moment musste der Strom wohl wieder hergestellt worden sein, den das Licht flammte auf und Kerstin und mein Kumpel standen wie zwei begossene Pudel im Wohnzimmer. Lukas quiekte vor Freude und ich musste lachen.
Kerstins Blick lag auf der Zigarette.
„Du rauchst hier drinnen? Wir haben gesagt auf dem Balkon!“ herrschte Sie mich an. Dieser Satz lies mich noch lauter lachen.

- Ende -

© 2002 by Daniel Lohmeyer

Diese Geschichte ereignete sich vor zwei Jahren, als wir über Deutschland diesen netten starken Sturm hatten. Natürlich nicht genauso wie ich es hier wiedergegeben habe, einige Ausschmückungen sind schon dabei. Aber es war ein Stromausfall der besonderen Art für mich. Und meine Zigarette musste ich auch noch draußen im Regen rauchenDaniel Lohmeyer, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.08.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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