Günter Schrön

Burlero

Sie hatten ihm den Namen Burlero gegeben, aber er brauchte eigentlich gar keinen Namen, denn man sollte einem Gott keinen Namen geben, er bestimmt ihn selber.

Burlero scharrte mit den Hufen im trockenen Sand der Arena. Er wartete auf den Torero, der ihn herausfordern aber nicht töten sollte. Selbst wenn er, Burlero, diesen Torero töten würde, war sein Leben zu schonen, denn Burleros Leben war dem großen Matador vorbehalten. Burlero wußte, daß dieser Matador eines Tages kommen würde und mit ihm der Kampf, bei dem auch das Tier eine reelle Chance hatte.

Sie hatten ihn lange für diesen Tag trainiert, die farbenfroh gekleideten Picadores auf ihren flinken Pferden und mit ihren mit Widerhaken versehenen Waffen, welche sich schmerzhaft in sein Fleisch bohrten und die noch jungen Toreros mit dem blitzenden Stahl vor der roten Capa, welche mit dem Toro zu spielen glaubten, bis sie endlich von den Picadores geschützt werden mußten, wenn Burlero die Zeit für gekommen hielt, das Spiel zu beenden.

Oft schon hatte er den hellen Sand der Arena mit ihrem Blut gefärbt, noch ehe die wendigen Pica-dores ihn abdrängen konnten.

Gelassen sieht der große Matador auf das mächtige Tier. Er sieht die starken Narben schlecht verheilter Wunden, welche ihm die Picadores zugefügt haben und das helle Feuer in Burleros Augen. Es ist nicht allein das Feuer jener urweltlicher Kraft, welche in dem rätselhaften Tier schläft und bereit ist, hervorzubrechen. In Burleros Augen leuchtet das jahrtausende alte Wissen um den Kampf zwischen Mensch und Tier, wie es in der Corrida seinen elementaren Ausbruch findet. Mit gesenktem Kopf und scharrenden Hufen, welche den Staub aufwirbeln, bis der das blauschwarze Fell grau färbt, sieht Burlero auf den großen Matador.

Für einen Augenblick scheint die Welt still zu stehen und dann rückwärts zu laufen: Minotaurus und Theseus stehen sich nach Jahrtausenden wieder gegenüber.

Es ist die Zeit des Labyrinths von Minos, dessen ewige Dunkelheit den Göttern vorbehalten bleibt. Minotaurus, halb Mensch, halb Stier, muß mit dem Schrecken des Labyrinths leben, die Menschen können das Entsetzen gegen den Tod tauschen.

Bis eines Tages Theseus kommt, eine lächerliche Rolle Garns in seinen Händen. Burlero versucht sich zu erinnern, aber die Jahrtausende heben den Schleier des Vergessens nicht. Es bleibt nur die Erinnerung, welche mit dem Tod des Minotaurus endet.

Die Antwort liegt im Fluß der Zeit, welcher nur alle tausend Jahre einmal anhält, um die Sekunden der Wahrheit des Lebens erkennen zu lassen.

Der große Matador schaut stumm in Burleros Augen. Auch ihm scheint es, als hätte es vor Jahr-tausenden schon einmal eine Begegnung auf Leben und Tod gegeben. Vielleicht waren sie schon damals von dem Willen beseelt, daß nur einer von ihnen die Arena verlassen sollte.

Er erinnert sich an die Sage von König Minos und dem Labyrinth unter seinem Palast. Beinahe spürt er noch das Garn in seinen Händen, welches den Weg zum Tag weisen soll.

Da sind dunkle Gänge und Gewölbe, feucht-modriger Geruch wird wieder Gegenwart und die bleichen Knochen der Opfer des Minotaurus im zitternden Licht der Fackel, welche das Grauen nur unzurei-chend erhellen kann.

Und da ist er endlich, der Minotaurus, der unvermittelt aus einer Felsspalte des Labyrinths auftaucht, plötzlich vor Theseus stehend. Gibt es Erinnerungen, welche Jahrtausende der Menschheitsge-schichte überdauern können?

Wieder einmal hat der Fluß der Zeit für wenige Sekunden der Wahrheit angehalten und Burlero und der große Matador sehen sich beinahe erkennend und verstehend an.

Bereits Stunden dauert der Kampf in der Arena von Colemar Viejo, welche schon ebensolange in der Sonne kocht. Erschöpfung zeichnen Publikum, Toro und Matador.

Reglos verharren die Picadores und Burlero steht schweißglänzend unter dem Stahl aus Toledo in des Matadors Hand. Sekunden der Wahrheit künden sich an.

Der Fluß der Zeit hält an und wieder einmal stehen sich Theseus und Minotaurus in einer letzten Entscheidung gegenüber.

Fast spielerisch gleitet silbrigglänzendes Metall unter blauglänzendes Fell, den Weg zum Herzen des Minotaurus suchend.

Sterbend bricht Burlero in die Knie und der Matador beugt achtungsvoll das Haupt vor dem verenden-ten Tier, ehe er sich dem nun tobenden Publikum zuwendet.

Doch Burlero will nicht noch einmal so sterben wie vor Jahrtausenden im Labyrinth von Minos. Noch einmal erhebt er sich und ehe die Picadores reagieren können, bohrt sich sein Horn in den Rücken des Matadors.

Es läßt die Rippen wie Glas brechen und trennt das Herz in zwei Teile. - Erst jetzt stirbt der Minotaurus.

Sich noch einmal aus dem blutgetränkten Sand der Arena erhebend, taumelt der Matador ziellos zu den Logen, ehe er von den Ärzten aufgefangen wird. Vorsichtig legt man ihn in den Sand. Schon die nur oberflächliche Untersuchung zeigt, daß er unwiderruflich dem Tode geweiht ist. Noch zwei letzte Worte flüsternd, sie klingen wie: "Sagt Ariadne...", schon brechen seine Augen im hellen Licht der Arena von Colemar Viejo.

Der Fluß der Zeit setzt seinen Weg in die Ewigkeit fort, die Sekunden der Wahrheit mit sich nehmend, er fließt durch das Labyrinth von Minos und durch das Leben aller Menschen, welche jemals auf dieser Welt gelebt haben.

Dort bleiben allein der Minotaurus und Theseus zurück, wartend, daß der Fluß der Zeit wieder einmal innehalten möge, ihnen scheinbares neues Leben zu ermöglichen. Doch der Fluß fließt weiter zum Meer der Ewigkeit und keiner der in der Arena von Colemar Viejo betroffen schweigenden Menschen bemerkt etwas davon.

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