Ernst Heissenberger

Damals in Afrika

Komm, sagte Ernie, gehen wir ein paar Löwen schießen.
Es war verdammt heiß, und wir saßen jetzt schon seit zwei Stunden unter dem riesigen Schirm, und vor uns standen einige leer getrunkene Flaschen Whiskey. Ernies Frau lag in ihrem Zelt und wollte nichts von ihm wissen. Er selbst tat so, als ob ihm das egal wäre, aber ich merkte natürlich, dass ihn das ordentlich ärgerte.
Komm, sagte Ernie, komm, machen wir ein paar von den Viechern kalt. Er stellte sein leeres Glas vor sich auf den Tisch und rülpste laut. Ich wusste, was jetzt kommen würde. Der große Schriftsteller auf Ego-Trip. Nachdem er aufgestanden war, schlenderte er langsam zu dem Zelt, in dem die Gewehre untergebracht waren, griff sich eines davon, steckte ein paar Patronen ein und kam zu mir zurück.
Was ist, lallte er, willst du nicht oder was?
Aber klar, Ernie, sagte ich, klar, schießen wir ein paar von den Viechern.
Das Lager war wie ausgestorben. Jeder hatte sich in sein Zelt geflüchtet oder lag regungslos im kühlen Schatten irgendeines Baumes. In der Ferne hörte man das Stampfen einer Zebraherde, und irgendwo kreischten unermüdlich ein paar Vögel.
Los, komm schon, sagte er wieder, jetzt ein wenig weinerlich. Er schien Angst zu haben, dass auch ich nicht mehr tat, was er wollte. Seit Tagen ging er mir mit diesem verdammten Löwen-Schießen auf die Nerven. Ich hasste es, jetzt aufzustehen und in die pralle Sonne rauszugehen, tat es aber trotzdem, weil ich nicht mit ansehen wollte, wie Ernie hier vor mir zusammenbrach und zu heulen begann.
Also nahm ich die leeren Flaschen und ging mit ihm zu dem Platz, an dem wir auch schon gestern gewesen waren. Ich stellte sie im Abstand von einem Meter auf den ausgetrockneten, heißen Boden und ging dann zurück zu Ernie, der inzwischen sein Gewehr geladen hatte. Ich stand jetzt einige Schritte neben ihm und ich sah ihn von der Seite an. Er war dick, und er keuchte.
So, ihr verdammten Viecher, sagte er mit heiserer Stimme, hob sein Gewehr und zielte. Ich sah, wie der Lauf seines Gewehres hin und her wackelte, und als er abdrückte und der Knall brutal die Mittagsruhe zerriss, spritzte ein paar Meter hinter den leeren Flaschen eine kleine Staubfontäne in die Luft.
Verdammte Viecher, schrie Ernie verärgert, Mistviecher, aber ich erwische euch schon noch.
Neben dem Zelt seiner Frau rührte sich etwas. Es war einer der angeheuerten schwarzen Jäger, der von dem Schuss aufgeschreckt zu uns herüberblickte, sich aber sogleich, nachdem er erkannt hatte, dass es das gleiche Spiel wie gestern war, wieder in den kühlenden Schatten zurückfallen ließ. In der flirrenden Hitze sah ich den schwarzweißen Farbfleck der Zebraherde, die sich langsam in Richtung Westen bewegte.
Ernie hatte nachgeladen und zielte wieder auf die Flaschen. Aber er traf, wie schon an den vorhergegangenen Tagen, auch mit seinem zweiten Schuss nichts. Ernie war nicht nur ein mieser Schriftsteller, er war auch ein miserabler Schütze, und das nicht nur, wenn er besoffen war. Aber, dachte ich, als Ernie fluchend mit seinem Gewehr in der Luft herumfuchtelte, in letzter Zeit war er eigentlich nur noch besoffen, weil seine Frau nichts mehr von ihm wissen wollte und ihm keine Ideen einfielen für neue Geschichten. Wenn die in Amerika nur diese jämmerliche Gestalt sehen könnten, dachte ich, dieses besoffene Stück Literatur, was sie wohl dazu sagen würden?
Ich beobachtete ihn lange. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen, und als er neue Patronen in den Gewehrlauf stecken wollte, fielen sie ihm aus der Hand in den Sand. Er bückte sich nach ihnen, verlor dabei das Gleichgewicht und schlug der Länge nach hin, mit seinem Kopf auf den Gewehrkolben. Er begann zu bluten und zu fluchen.
Ich half ihm auf und führte ihn, obwohl er weiter auf die leeren Flaschen schießen wollte, ins Lager zurück. Komm, sagte ich, wir müssen das erstmal verbinden.
Scheiß drauf, schrie Ernie und wollte mich wegstoßen, was ihm aber nicht gelang, weil er seine Bewegungen nicht mehr koordinieren konnte. Hilflos saß er da in seinem Sessel, in den ich ihn gesetzt hatte, und er stöhnte. Ein schmales Rinnsal aus Blut rann links von seiner Nase quer über sein Gesicht. Als ich den Dreck aus der Wunde waschen wollte, kam seine Frau aus dem Zelt und sah zu uns herüber.
Na, Ernie, sagte sie, als sie seine Verletzungen sah, hat sich der große Jäger wehgetan?
Ernie hatte die Augen geschlossen und tat so, als hörte er sie nicht.
Du Versager, sagte seine Frau ruhig und ohne näher zu kommen, du mieser Versager. Du bist sogar zu dumm, um ein paar leere Flaschen zu treffen.
Ernies Hände verkrampften sich in den Armlehnen seines Sessels. Er saß da und sagte nichts, aber ich merkte, dass er nahe daran war zu explodieren.
Weit entfernt brüllte ein Löwe. Ich legte den Verband um Ernies Stirn und rückte den Sessel, auf dem er saß, in den Schatten. Seine Frau war wieder in ihr Zelt zurückgegangen. Ernie saß bewegungslos da und hatte seine Augen geschlossen. Er lallte leise unverständliches Zeug.
Abends, als wir beim Abendessen rund um das Lagerfeuer saßen und Ernie wieder halbwegs nüchtern war, erzählte er von früher, von seinen Afrikareisen und von seinen Erlebnissen während des spanischen Bürgerkrieges. Seine Frau saß neben mir. Wenn Ernie eine witzige Stelle erzählte und alle lachten, verzog sie keine Miene, und wenn er etwas Trauriges vom Krieg erzählte und ihn alle betroffen ansahen, lachte sie laut auf. Ernie achtete nicht auf sie und sah sie kein einziges Mal an. Ich bereute wieder einmal, dass ich mitgekommen war. Diese Reise war von Anfang an eine Qual für uns.
Als Ernie mich aufforderte, doch auch etwas zu erzählen, wusste ich nicht was. Aber dann fiel mir die Geschichte von dem Fischer ein, den ich vor einigen Jahren getroffen hatte. Von diesem Fischer, der nach einigen glücklosen Wochen einen riesigen Fisch fängt, den ihm dann aber Haie wegfressen, sodass er am Ende genau so viel hat wie zu Beginn.
Ernie hörte aufmerksam zu. Die Geschichte schien ihm zu gefallen. Seiner Frau gefiel sie nicht. Sie meinte, dass das ungerecht wäre. Wenn der Fischer schon so einen großen Fisch, dann können den die Haie nicht so einfach wegfressen.
Kurz darauf sagte Ernie, dass er müde sei, und er ging in sein Zelt.
Als ich später ebenfalls in mein Zelt ging, um mich schlafen zu legen, wartete dort seine Frau auf mich. Sie war nackt und sagte: Dieser Idiot schläft tief und fest. Komm her zu mir.
Sie hatte schöne feste Brüste, die im Mondschein, der durch das Zelt drang, milchig weiß leuchteten. Ich zog mich langsam aus und legte mich zu ihr. Eine Stunde später ging sie zu Ernie zurück. Ich drehte mich auf den Rücken und sah zum Zeltdach nach oben und überlegte, ob sie das getan hatte, weil sie mich mochte oder um sich an ihrem Mann für irgendeine Gemeinheit zu rächen.
Jahre später, ich war mittlerweile wieder zurück in Europa, hörte ich, dass Ernie für die Geschichte, die ich ihm damals in Afrika erzählt hatte, den Nobelpreis bekommen hatte. Was für ein mieser Kerl, dachte ich.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.08.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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