Manfred Gries

Wenn man seine Jeans nicht kennt

Es war ein Nachmittag wie jeder andere und all meine Sinne richteten sich auf den Feierabend aus. Die Aufgabeliste zeigte keine offenen Posten mehr und ich schickte mich an, die Rückfahrt anzutreten, lächelte der Verwaltungsangestellten zu. Meine rechte Hand griff in die vorgesehen Tasche meiner Jeans - ich trage Jeans, weil die meinen diversen Aufgabengebieten sehr entgegenkommen und leicht waschbar sind. Vorbei an der kleinen Zusatztasche, die sich in jeder Jeans befindet, griff meine Hand - ins Leere. Dabei war ich mir sicher den Autoschlüssel dort deponiert zu haben, dort in der rechten Hosentasche. Instinktiv überprüfte ich den Rest der amerikanischen Wohltat, die Männerhüften schlanker wirken lässt. Nichts. Dieser Schlüssel war nicht aufzutreiben und böse Erinnerungen stiegen in mir auf. Schon einmal hatte ich den Wagenschlüssel an einem Arbeitsplatz liegen lassen und war schon fast beim Lösen der Zugkarte, als man ihn fand. Nicht schon wieder presste die aufkommende Panik in mein Wunschdenken.

Zusammen mit der Verwaltungsangestellten ging ich die Stätte meines Wirkens erneut ab, suchte unter ihren vielsagenden Blicken nach dem Kleinod, dass ein Autofahrer nun einmal benötigt, um selbiges Gefährt zum Hof hinter unserem Haus zu lenken. Die Blicke begleiteten mich mit der Gewissheit, dass nun auch die Angestellte bald nach Hause wollte. Und dann würde dort alles verschlossen, egal, wo sich dieser Schlüssel befand. Verwaltungen haben nun einmal keine Knöpfe und auch keine Reißverschlüsse. Der einsetzende Regen begrüßte mich auf dem Hof vor der Wirkungsstätte, die zu verlassen mir nicht gewährt war. Was nun?

Diesmal war der Bahnhof hinter einer Mauer von Dauerregen verborgen und ich hatte nur eine Jeans bei mir, keinen Regenschirm. So musste ich mir etwas anderes einfallen lassen. Gott sei Dank besitze ich ein Handy und nenne einige Telefonnummern mein Eigen. Das Handy bewahre in der fünften Tasche an meinem Körper auf - der Hemdtasche - und dort fand ich es auch. “Entschuldige“, so sprach ich in den Hörer, nachdem meine Finger die nächstliegende Telefonnummer gewählt hatten. “Entschuldige, aber ich habe da ein Problem mit meiner Jeans.“ Normalerweise sprechen Männer nicht in Gegenwart von Frauen über ihre Beinbekleidung, aber am Telefon kann man da schon einmal eine Ausnahme machen. “Sie hat meinen Autoschlüssel verschluckt und nun muss ich einen Weg finden, den Ersatzschlüssel zu holen. Es regnet hier und der Weg nach Hause ist weit.“ “Ich kann in einer Stunde bei dir sein“, lautete die klare Antwort. Ich überlegte. Zu Fuß wäre ich wahrscheinlich entweder durchnässt nach 20 Minuten zum Bahnhof gelangt oder nach Ende des Dauerregens 2 Tage später an meinem Schreibtisch, in dem sich der Ersatzschlüssel befand. “Es wäre schön, wenn du mich abholen könntest,“ Die Antwort sprach ich persönlich ins Handy während mein Körper unter einem Hauseingang Schutz suchte. “Gut, dann bis gleich.“

Menschen kamen und gingen, Menschen mit Regenschirmen die weder ein Auto noch eine Jeans besaßen. Einer der Passanten hielt inne, schien mir irgendwie anzusehen, dass ich unfreiwillig in diesem Hauseingang stand. Eine Plastiktüte in der Rechten, sprach er mich an. “Ich bringe meine Wäsche zur Wäscherei. Das mache ich immer am Mittwoch.“ ´Stimmt, es war Mittwoch´, wurde mir bewusst. Innerhalb der nächsten viertel Stunde erfuhr ich einiges aus dem Leben des alten Mannes mit der Plastiktüte, hörte ihm zu, die Zeit überbrückend. Noch 45 Minuten, dachte ich, als er mich verließ. 30 Minuten später kehrte er zurück von der Wäscherei, der Regen hatte noch kein Ende gefunden und ich wartete geduldig auf das Erscheinen meines Retters mit der Telefonnummer. die ich kannte.

“Sie tragen eine Jeans wie ich sehe“, versuchte der Sozialhilfeempfänger das Gespräch wieder aufzunehmen. Unbewusst tastete meine rechte Hand nach meiner Beinbekleidung - von der Hüfte abwärts und ertastete oberhalb der rechten Hosentasche eine Erhebung. “Ja“, antwortete ich wahrheitsgemäß, während meine Fingerspitzen der ertasteten Erhebung nachgingen. “Die haben fünf Taschen, wussten Sie das?“ Natürlich wusste ich das - es war mir nur im Moment entfallen. Die rechte Tasche einer Jeans hat einen zusätzlichen kleinen Beutel, gerade groß genug, um einen Autoschlüssel zu beherbergen. Einen? Nein - meinen Autoschlüssel. Ich hatte an ihm vorbeigegriffen - Kleinigkeiten fallen im normalen Leben weniger auf. Hätte der Beutel Knöpfe besessen - mir wäre an diesem Nachmittag einiges erspart geblieben. Der ältere Mann mit der Plastiktüte - die war übrigens leer inzwischen - deutete mein Lächeln als Zeichen für das Ende des Gesprächs. Natürlich kann es auch mein Griff nach dem Handy gewesen sein, dass ihm ein höfliches ´Auf Wiedersehen´ entlockte. Inzwischen war meine Retterin sicherlich auf dem Weg zu mir und ich musste sie von der neuen Sachlage informieren.

“Wo bist du denn jetzt?“ erklang die berechtigte Frage aus dem Telefonhörer. “Ich sitze in meinem Auto“, erwiderte ich, während der Dauerregen einfach beschloss, sich ein anderes Betätigungsfeld zu suchen. Auf dem Weg zu unserem Treffpunkt konnte ich Passanten entdecken, deren Regenschirm zugeklappt am rechten Arm neben ihrer Jeans baumelte. Es waren männliche Passanten, die wahrscheinlich genau wussten, warum sie nicht mit dem Auto fuhren. Regenschirme passen nicht in Beuteltaschen und können somit schlecht verloren gehen. Gemeinsam beendeten die Telefonnummerbesitzerin und ich den Abend bei Geschnetzeltem. Ich, der Mann in Jeans und sie, die Frau mit Humor.

Trotz allem habe ich mich entschlossen, meine Liebe zur Jeans nicht aufzugeben. Eher schaffe ich mein Auto ab, wenn ich eines Tages alt bin. Dann werde ich mich zu den Regenschirmpassanten gesellen und die Plastiktüte schwingend Geschichten aus meinem Leben erzählen - Geschichten, die sich zutrugen, als ich jünger war.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.08.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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