Rolf Bormuth

Der Stein des weisen Jungen

In einer lauen Sommernacht. Ein Fischer, in die Jahre gekommen und mächtig eigensinnig, saß auf der Pier vor seinem gewaltigen Fang: Ein Fisch, so groß, daß ein ganzes Dorf davon satt werden könnte. Dies gesehen und freudig wahrgenommen, kamen immer wieder Dorfbewohner mit der Bitte, ihnen doch ein winziges Stückchen abzugeben. Doch der von Starrsinn gezeichnete Mann schaute regungslos auf seine Trophäe, unwillig sich auch nur von einem Gramm seiner Beute zu trennen.

 

Da kam ein Junge: “Schauen Sie, guter Mann, ich habe einen Stein, einer, der gute Laune machen kann.“ “So ein Blödsinn“, brummte ihm der Fischer entgegen.

 

“Diesen Stein habe ich selbst entdeckt, so wie Sie Ihren großartigen Fisch. Doch niemals würde ich diesen Schatz hergeben. Er ist mein ganzer Stolz, der schönste den ich in meinem ganzen Leben je gesammelt habe.“

 

“Aber das ist doch nur ein Kieselstein,“ kam es genervt zurück. “Stimmt und ich kann ihn genauso wenig essen, wie Sie diesen riesigen Fisch alleine verzehren können. Aber ich mache eine Ausnahme, ich schenke ihn Ihnen, denn dieser Stein ist klein, Sie können ihn überall mit hinnehmen. Dann haben Sie immer gute Laune und können Ihren Fang viel mehr genießen. Ich selbst habe bereits gute Laune, deshalb werde ich einen neuen Stein finden.“

 

Da zog ein winziger Schimmer von Lächeln über das Gesicht des Fischers. “Und ich bin doch ein guter Fischer, also werde ich neue Fische fangen,“ Dachte er sich, zückte ein Messer und teilte den Fisch in viele dutzende Teile. “Rufe alle Dorfeinwohner herbei, jeder soll ein Stück haben!“

 

Heute sind der Junge und der Fischer gute Freunde und die Dorfbewohner finden den Mann gar nicht mehr so furchtbar.

 

 

Es ist schon viele Jahre her. 18 Jahre zählte ich. Meine Tante leidet an dem WW-Syndrom. Ich weiß nicht ob das eine Krankheit ist und auch nicht ob man deswegen überhaupt einen Arzt aufsuchen könnte. Vielleicht leide ich unter dem Gegenteil, dem AH-Syndrom. Nein, das ist nicht etwa das Aha-Syndrom, sondern die Marotte, zu viel aufzuheben, der Gegenpart zum Wegwerfsyndrom. So geschah es, daß sie meinem Cousin, ihrem Sohn, ein dreigeteiltes Ultimatum auf die Brust schmierte. Bis zum Datum X1 sollte er den Dachboden von seinen vielen Büchern frei räumen, bis zum Datum X2 würden die Bücher zum Stöbern freigegeben und die Deadline X3 wäre dann der Count down zum großen Wegwerfen. Puuuuuuuh, das war hart, wie kann man denn lauter Bücher wegwerfen. Ich habe ein gespaltenes Verhältnis zum WW. Klar machte ich mich auf die Socken, genehmigte mir ein HS. „Heiteres Stöbern“.

Dann stieß ich auf ein Buch, das mein Leben verändern sollte. Verstaubt wie alle Bücher, lag es unter einem großen Stapel dicker Schmöker. „Dale Carnegie – wie man Freunde gewinnt“. Ahaaaa, so, so. Tatsächlich hatte ich zu jener Zeit Freunde so viele wie Pickel auf dem Hintern. Ups, wollte ich doch jetzt gar nicht die Außenfassade meines Allerwertesten beschreiben. Ich verschlang das Buch wie kaum ein anderes.

Dann probierte ich es aus. Zum besseren Verständnis sei gesagt, ich litt an SF. „Stink faul“. Die Latein Hausaufgaben zu vergessen, kostete mich denn auch keine große Überwindung. Das gehörte zu mir wie der Flügelschlag zu einem Vogel. Eigentlich war ich sehr mutig, denn die Lateinlehrerin mag zwar mächtig viel Verständnis für das Flattern von Vögeln gehabt haben, gar keines aber für Schlamperei. Als es mal wieder soweit war, konnte die Prognose denn auch nur lauten „Riesenanschiß“! Was tun, dachte ich mir. Hey, da waren da doch die vielen hübschen Thesen aus Dale Carnegie. „Ich werd’s ausprobieren. Na warte, Dich kriege ich!“

„Frau Hettenhausen, Sie müssen mir einen Anschiß verpassen, ich habe die Hausaufgaben vergessen!“ Oh Mann, jetzt ist es raus. Hatte ich mich verspekuliert? „Den Anschiß kriegst du nicht, liefere sie aber bitte morgen nach.“

Kein Problem, jetzt haben sie ja die anderen gemacht, endlich Quellen zum Abschreiben. Aber aber, was war denn geschehen? Warum reagierte diese Frau so ganz anders als sonst? Ich erschrak über meine eigene Courage und fühlte mich ganz schön schlau, vielleicht gar ein bißchen weise. Ein Wissenschaftler namens Maslow (Erklärung unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Maslowsche_Bed%C3%Bcrfnispyramide) hatte die sogenannte Maslowsche Bedürfnispyramide aufgestellt. Danach gibt es eine Hierarchie von 5 Bedürfnissen, die alle Menschen in sich tragen. Dazu gehören auch Bedürnisse „ein guter Mensch zu sein“ und das Bedürnis nach „Macht“.

Hatte ich demnach der Frau einen riesen großen Gefallen getan, gleich zwei Grundbedürfnisse befriedigt? Genau, das war geschehen. Indem ich der Lehrerin sagt, sie müsse mir einen Anschiß verpassen, zeigte ich ihr, daß sie mächtig ist und gab ihr gleichzeitig die Chance, ein guter Mensch zu sein, in dem sie mir den Anschiß nicht verpaßt.

Im Grunde machte ich sie für einen kleinen Moment glücklich.

Dieses Erlebnis, war die Inspiration zur Fabel mit dem Jungen und dem Fischer.

Herzlichst, Euer Rolf
Rolf Bormuth, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.08.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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