Andreas Schindler

Über 30...

Als ich 35 Jahre alt wurde, welches nun ja schon einige Jahre her ist, kam mir plötzlich ein Gedanke. Manchmal passiert so etwas eben. Die folgende Überlegung ging mir damals nicht aus dem Kopf:

Als ich 20 Jahre alt war, da war ich ständig unterwegs,traf mich mit Freunden, zog am Wochenende von Fete zu Fete. Ich war ständig verliebt und hörte Musik in voller Lautstärke. Kurz, ich lebte.

Vom Standpunkt es 35 jährigen war das gerade mal 15 Jahre her, also quasi vorgestern. Soweit war meine Überlegung ja ok, Erinnerungen müssen sein und mit 35 hat man natürlich auch andere Schwerpunkte. Weiter brauchte ich damals auch nicht darüber nachdenken.

Doch plötzlich schoss mir die 15 wieder durch den Kopf. Richtig, die wilde Zeit lag gerade mal 15 Jahre zurück. Und jetzt begann ich einen folgenschweren Fehler: 15 Jahre in die Zukunft, also quasi übermorgen, bin ich 50 Jahre alt. Alle mir bis dahin bekannten Vorurteile kamen mir in den Sinn. Ich bekam Angst: 50 Jahre alt!

Nun, obwohl sich meine Lebensschwerpunkte in Bezug auf 20 drastisch geändert hatten, so blickte ich doch auch ein wenig mit Wehmut zurück. Ich wollte zwar nicht mehr 20 Jahre alt sein, trotzdem war es irgendwie beruhigend, dass ich von den 20 Jahren noch nicht soweit entfernt war. Eine Überlegung, als wolle ich mir eine Hintertür offenhalten.

Und nun kam die Erkenntnis, dass die Zeit nicht Rückwärts läuft, sondern permanent ins Ungewisse führt. Zusätzlich die 50 jährigen, die ich in meiner Umgebung kannte und die mir jeden Tag aufs Neue zeigten, wie ich nie werden wollte. Es war eine schwere Zeit, voller Selbstzweifel und ich redete mir immer wieder ein: Du wirst 50, so oder so, und damit hast du schon verloren! 35 Jahre ist zwar noch reichlich früh für eine Mid-lifecrises, aber wenn es eine war, so eine kleine, stinkige, die nervt. Graues Haar zeigt von einer gewissen Reife., sagt man, doch: Reifes Obst fault auch schnell, ist die Kehrseite der Medaille.

Ich weiß nicht wie, etliche Therapien, Schönheitsoperationen und Kuraufenthalte stellten mich wieder auf die Beine. Ein paar Narben blieben zwar, aber im großen und ganzen konnte ich dann doch ohne Beruhigungsmittel meinen 40 Geburtstag erleben, von feiern konnte ja wohl keine Rede sein. Und in mir wuchs die Zuversicht, das man ab 30 nicht alt und verstaubt ist, mit einigen Abstrichen gilt das auch für 40 und 50. 60 ist ja noch weit, weit weg. Ich kann mittlerweile meine Medikamente absetzen und habe auch wieder Augen für das Schöne in dieser Welt. Bis... ja bis zum heutigen Tag.

Heute fand ich in meinem eMail - Postfach einen Newsletter:

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Ich hatte mich also selbst belogen, hatte den Therapeuten geglaubt, auch sie logen mich an: Über 30 ist man alt, wird langsam schon an Animationsprogrammen der Altersheimen heran geführt. Ich hatte recht, über die 20er Jahre hinaus, benötigt man Hilfe um das Leben aktiv zu gestalten, Lebensgefühl, Spass und Abwechslung zu haben. Und ich bin mittlerweile schon 41. Hätte es doch damals, als ich 35 Jahre alt war, so etwas gegeben... Gut dass ich mit Hilfe einer ziemlich verkorksten Therapie der letzten Jahre wenigstens noch regen Anteil an den Geschehnissen in meinem näheren Umfeld nehmen kann...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.08.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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