Birgit Enser

Götterdämmerung

Wieder einmal fanden sich die Schauspieler ein, um in und an einem neuen Stück mitzuwirken. Dieses Mal spielte es in einem kleinen Ort irgendwo in Deutschland.

Die Sonne, normalerweise mit einem offenen, herzlichen und lebenslustigen Wesen und mit optimistischer Ausstrahlung, wurde nun in eine Rolle gesteckt, dessen Kostüm etwas schwerfällig machte. Sofort wurde sie eigensinnig und meinte ‘Nun gut, dann beweg ich mich eben nicht so viel, wird schon schiefgehen. Ich halte viel aus, ich bin geduldig und glaube, ich werde mich sowieso zufriedener fühlen, wenn ich vertraute Dinge und Menschen um mich habe.´.

Doch der Autor des Stückes, ein stattlicher, älterer Herr mit weißem Haar, hatte sein Stück etwas anders geplant und schubste die Sonne in eben diesen kleinen Ort in Deutschland, in dem zuerst einmal nichts wirklich sicher war.

Mars, der ewige Krieger und Draufgänger, feixte. Doch nicht lange, da kam auch schon der Autor und gab ihm sein Kostüm, das ihm so gar nicht behagte. Es war klamm, so dass er beim Gehen ständig über seine eigenen Füße stolperte, schimmerte mal hell, mal dunkel und ständig wehte der Wind ihm diesen dämlichen Schleier vors Gesicht, das er kaum noch etwas erkennen konnte. Er fühlte sich in diesem Ding schrecklich hilflos und ohnmächtig, wollte schon in alter Manier laut protestieren, dass man so etwas mit ihm, einem Kriegsgott, nicht machen könne, da fing er einen Blick von Neptun auf, der dieses Gewand normalerweise trug.

Neptun schaute zwar geheimnisvoll drein wie immer, doch heute schien er doch irgendwie anders. Er hatte ein Kleid bekommen, das Mars auch schon mal getragen hatte. Damals hatte es ihn, wenn schon nicht spontan und abenteuerlustig, so doch mit seelischer Stärke, Leidenschaft und Charisma ausgestattet. Also glaubte Mars, er könne mit seiner neuen Rolle schon klarkommen. Neptun flüsterte ihm auch noch zu ‘Mach dir keine Gedanken, wir schaukeln das Stück schon. Du bist nun voller Inspiration, du besitzt Feingefühl und Hingabe. Du kannst die Menschen mit deiner Art dazu bringen, sich zu öffnen und dich zu lieben, du musst sie nicht mehr im Kampfe erobern.´.

‘Da würde ich mal nicht drauf wetten´ klang plötzlich eine dunkle Stimme. ‘Du bist völlig willenlos, alles was du nun kannst, ist zu sagen ‘Oh, ich möcht aber so gern´. Pluto lachte beinahe hämisch. ‘Sowas nenn ich impotent! Du bist leicht zu manipulieren, du bist der Brutalität und dem Machthunger der anderen hilflos ausgeliefert. Und du hast nun selbst eine skrupellose Ader, du bist verletzend und rachsüchtig.´

‘Na, du musst es ja wissen´ meinte Neptun, der ja nun Pluto´s Kleid trug. Das machte ihn etwas sarkastisch, doch es gefiel ihm durchaus. Er hatte wenig Lust auf die ewigen Opferrollen, die er sonst so spielte.
‘Diesmal verführst du die Frauen mit deiner Sinnlichkeit´ meinte er zu Mars gewandt. Doch der rief hilflos von unten: ‘Dieses Stück spielt aber im Leben eines Mädchens!´ Neptun seufzte und rief zurück: ‘Nun wart´s doch ab, Mädchen haben schließlich auch einen Willen, oder? Außerdem, Gefühle sind wichtiger. Und da drüben hängt noch ein Kostüm, das mit den Mondsteinen, wenn das vergeben wird, bekommen wir Hilfe.´

Doch das Kostüm wurde nicht vergeben, und der eigentliche Besitzer, der Mond, stand schon eine ganze Weile völlig verzweifelt da und heulte ‘Ja, aber wie mach ich denn das? Ich bin zwar hübsch abzusehen, aber mag man mich wirklich? Wie muss ich denn sein, damit mich jemand liebt? Jetzt hab ich auch noch gehört, ich soll in diesem Designerfummel den Karren aus dem Dreck ziehen, soll Optimismus versprühen und kreativ sein!´

‘Das machen wir schon´ sprach da Uranus lässig ‘Ich kenn mich da auch ein wenig aus. Sei ein wenig extravagant und schrullig, du hast jetzt endlich mal Humor, gib dich unabhängig, glaub an die Zukunft.´

‘Red dem Kind nicht sowas ein´ brüllte die Sonne von unten. ‘Ich habs schwer genug hier. Wenn der Mond nun auch noch unzuverlässig und leichtfertig ist, wie soll ich mich da sicher fühlen?´

Uranus verdrehte verzweifelt die Augen. ‘Sagte ich irgendwas von Leichtfertigkeit? Was hast du eigentlich für Vorurteile mir gegenüber? Nur weil ich manchmal rebellisch bin, bin ich noch lange keine Skandalnudel, vor der man Angst haben müsste.´

‘Du machst hier einen auf cool und lässig, dabei hast du Angst vor Nähe. Du bist kühl, ich brauch aber Wärme und ein Dach überm Kopf, Sicherheit´ wütete die Sonne weiter.

‘Freunde, Freunde´ ließ sich da Merkur vernehmen, der gefährlich ungeschickt mit Mars´ Schwert herumfuchtelte. ‘Hört auf zu streiten, dafür bin diesmal ich da.´

‘Du?´ Mars schlug die Hände über dem Kopf zusammen. ‘Du kannst doch nur reden. Du bist ‘ne Klatschtante. Du besitzt keine Tiefe.´

‘Aber du, was? Du bist doch immer nur auf Konkurrenz aus, willst immer der Erste sein.´. - ‘Ja´ jammerte Mars. ‘Aber diesmal sind die anderen alle besser als ich, glaub ich.´

‘Du musst einfach nur lieben´ tönte da Venus´ zartes Stimmchen. Sie sah aus wie eine Fee, zart und zerbrechlich in ihrem weichen fließenden Gewand. ‘Du musst deinen Traum leben.´

‘Ich wünschte, ich könnte das.´ hauchte Mars matt.

‘Aber natürlich kannst du das. Schau mal, dein Kleid ist wie meines´ meinte Venus lächelnd. ‘Wir verzaubern und inspirieren, ist das denn nichts?´

‘Na, mit der Inspiration wird es schnell vorbei sein bei dir, Mäuschen´ dröhnte dumpf Saturn aus seiner Ecke. ‘Was glaubst du, wie du inspirierst, wenn ich dir das Zarte nehme und einen Trampel aus dir mache? Bezauberst du mit 15 Kilo zuviel auf den Hüften immer noch?´

‘Nun hör aber auf´ ließ sich Jupiter vernehmen. ‘Sei mal ein wenig fair. Schließlich hat sie von dir auch noch ein bisschen. Hast du nicht auch gute Eigenschaften wie Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit? Ist das nichts? Darauf kann sie sich immer noch berufen. Sei doch nicht immer so unnahbar, alter Freund.´

Saturn fühlte sich etwas gebauchpinselt, doch so recht wollte er nicht heraus aus seiner Ecke, und mit diesem zarten Persönchen wollte er sich erst recht nicht anfreunden. Die brach doch beim erstbesten Konflikt zusammen. Aber vielleicht hatte Jupiter ja nicht unrecht. Doch durfte man glauben, durfte man vertrauen?

‘Ich störe euch ja nur ungern da oben´ meinte die Sonne trocken. ‘Aber könntet ihr euren Hintern endlich hier runter bewegen? Das Stück fängt gleich an, das Kind wird geboren, und wie Mars schon sagte, ist es ein Mädchen.´

‘Oh, wie schön!´ rief Venus, breitete die Arme aus, dass ihr Kleid nur so flog und lief nach unten. Schüchtern und aus den Augenwinkeln verfolgte sie dann unten, wie Saturn mürrisch hinterherkam. Sie hoffte, er würde ihr dennoch ein guter Partner sein, zuverlässig und beschützend. Sie lächelte ihm zaghaft zu, doch Saturn schien unerbittlich.

Dann war das laute Weinen eines Säuglings zu hören, und alle zehn Schauspieler nahmen ihre Positionen ein.

Es war kurz vor Acht an einem Morgen im Mai. Das Leben hatte begonnen.

Birgit Enser 2004

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.08.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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