Wolfgang Hermsen

Die Regenbogenbrücke

In einem Heuschober brachte eine Hündin acht Welpen zur Welt. Da sie unerwünscht waren, wurden sie in einen mit einem Stein beschwerten Sack gesteckt und in den tiefen Fluss geworfen. Einer der Welpen war unbemerkt ins Heu gekrochen und entging so seinem Schicksal. Stumm hatte die Hündin mit ansehen müssen, wie ihr die Jungen weggenommen wurden. Als sie ertranken, sah sie ihre Seelchen über die Regenbogenbrücke gehen. Wo war der letzte geblieben? Sie witterte ihn im Heu und zog ihn wieder hervor als sie alleine war. Wie konnte sie ihn verbergen und unauffällig am Leben erhalten? Sie säugte ihn und schob ihn zurück ins Heu.
In der Nacht huschte sie in den Heuschober, holte den Kleinen hervor und säugte ihn. Sie hatte ein Versteck in einem verlassenen Fuchsbau gefunden. Behutsam nahm sie ihren Sohn im Nacken und trug ihn nach dem Säugen geschwind dorthin. Vorher hatte sie die Höhle ein wenig ausgepolstert, damit ihm nicht kalt wurde.
Fast vier Monate ging es gut und niemand bemerkte etwas. Eines Tages wunderte sich der Besitzer der Hündin, warum sie manchmal verschwand. Er wartete ab und folgte ihr heimlich mit einem Spaten. Aus einiger Entfernung konnte er beobachten, wie sie ihr Fressen erbrach und etwas aus der Erde gekrochen kam. Er erkannte einen Junghund. Wutentbrannt rannte er zum alten Fuchsbau. Da war ihm doch einer von diesen unnützen Fressern entkommen. Mit dem Spaten wollte er ihn erschlagen. Die Hündin merkte sofort, was passieren sollte. Mit dem Mut einer Mutter verteidigte sie ihren Sohn. Sie sprang ihren Herrn an und wollte ihn vom Töten abhalten. Dabei wurde sie am Hals vom Spaten getroffen und ihre Halsschlagader riss auf. Tödlich verletzt landete sie auf dem Boden. Vor Schreck rannte ihr Sohn in weiten Sätzen davon. Der Besitzer ärgerte sich: “Blödes Vieh! Muss ich mir wieder ‘nen neuen Köter besorgen. Der Fuchs wird sich wohl bald den unnützen Balg holen.“
Jetzt lief die Hündin selbst über die Regenbogenbrücke. Sanftes Licht umfing sie und schmeichelte ihren Augen. Ihre Welpen begrüßten sie schon von weitem. Es war Frühling und die Sonne schien durch die zart ergrünten Zweige der großen Bäume. Ein Bächlein floss murmelnd durch die Wiese und speiste in der Ferne einen Weiher. Lichtes Strauchwerk umstand ihn und eine große Trauerweide ließ ihre Äste fast ins Wasser hängen. Auf der Wiese tollten andere Hunde herum. Manche Hunde ließen sich von der Sonne bescheinen und blinzelten wohlig müde mit ihren Augen. Wieder andere unterhielten sich. Einige verschwanden langsam und neue Besucher trafen ein. Es war so schön hier. Nur Frieden und Harmonie, es war einfach paradiesisch.
Der Junghund musste einige Tage Hunger leiden, wurde aber von tierlieben Menschen gefunden. Sie nahmen ihn zu sich und ließen ihn wieder zu Kräften kommen. Er hatte ein sehr angenehmes Leben bei diesen lieben Menschen. Als seine Zeit gekommen war, blieben sie bei ihm, bis das Leben von ihm gewichen war. Er ging auch über die Regenbogenbrücke in die Anderwelt. Es war das reinste Hundeparadies. Hier konnte er tun und lassen, was er wollte. Schwanzwedelnd wurde er von allen begrüßt. Es war ein ständiges Kommen und Gehen. Was war das? Da kam ja seine Mutter und auch noch seine Geschwister stellten sich ein.
Da vernahm er einen Ruf. Er sollte wieder auf die Erde zurück, seine Liebe würde gebraucht. Freudig kam er dem nach und fand sich als Welpe wieder. Als Junghund wurde er zum Blindenhund ausgebildet. Jahrelang leistete er seinem Besitzer treue Dienste und gelangte nach seinem Tod wieder ins Jenseits. Dort stellte er fest, dass mehr kamen als gingen. Wie konnte er den Grund erfahren? Ein aufgestiegener Meister ging über die Wiese auf ihn zu. Er sagte, dass es verschiedene Planeten und Sonnensysteme gäbe, die eine höhere Ebene erreichen würden. Daher würden viele Tiere dort nicht mehr gebraucht und kämen ins Paradies zurück. Die Bevölkerungen dieser Welten bedurften der bedingungslosen Liebe der Tiere nicht mehr, denn sie hätten sie in sich selbst entdeckt.
Einmal passierte etwas sehr Seltsames. Eine Gestalt formte sich aus einem Nebelschleier. Sie hatte eine sehr traurige Ausstrahlung. Trotzdem wurde sie von mehreren Hunden freudig begrüßt. Diese Gestalt war der Tierquäler gewesen. Er litt jetzt selbst große Qualen: “Was hab‘ ich euch nur alles angetan. Wie kann ich das jemals wieder gut machen?“ “Gut machen wirst du das niemals können. Wir sehen aber, dass du deine Taten ehrlich bereust. Trotz allem vergeben wir dir, denn du musstest lernen, dass Tiere auch liebenswerte Geschöpfe sind.“ “Ich habe aber das Lernziel total verfehlt. Am letzten Tag meines irdischen Lebens habe ich noch Tiere geschlachtet und gegessen.“ “Du hast den freien Willen zu tun und zu lassen, was dir gefällt. Wir Tiere unterstützen die Menschen bedingungslos, weil wir die Liebe verkörpern. Wir stellen uns euch zur Verfügung und lassen Alles mit uns machen.“ “Wie könnt ihr das nur aushalten? Diese Quälereien in Versuchslaboratorien, die Massentierhaltungen, die Jagden, die Schlachthäuser usw.“ “Das ist die bedingungslose Liebe.“ “Wieso können wir Menschen die nicht leben?“ “Euer Ego behindert euch dabei und außerdem wollt ihr doch bestimmte Erfahrungen machen, die euch bei eurer seelischen Weiterentwicklung helfen.“ “Vielen Dank euch allen. Im nächsten Erdenleben werde ich Tierfreund.“ “Wir helfen dir dabei und spielen für dich bösartige Bestien.“ “Das werde ich aber sofort merken.“ “Nein, denn das musst du dir erarbeiten. Du wirst mit der Geburt auf der Erde alle Dinge, die hier im Jenseits abgemacht worden sind, völlig vergessen.“ “Hoffentlich mache ich dann nicht wieder die selben Fehler.“
So wie es das Hundeparadies gibt, hat jede Tierart ihr eigenes. Wir Menschen haben Zutritt zu allen Paradiesen, nicht nur im Jenseits.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.08.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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