Holger Gerken

Jugend forscht

„Was soll aus dem Jungen bloß werden?“
„Ich weiß es nicht, Gork“, sagte sie. „Aber wenn er immer nur zwei Steine aufeinander schlägt, wird aus ihm nie ein vernünftiger Jäger werden, der die Sippe ernähren kann.“
„Das liegt an deiner scheiß-liberalen Erziehung. ‚Der Junge ist eher geistig interessiert‘ hast du immer gesagt. Hallo, wir leben in der Steinzeit, da kommt es auf das nackte Überleben an.“
„Vielleicht war es doch nicht richtig, schon mit ihm die Bäume runterzugehen.“, sagte die Frau. Wir sind einfach noch nicht soweit.“
„Ach, auf einmal. Du hast doch immer gesagt: ‚Komm, wir müssen unbedingt runter von den Bäumen und aufrecht gehen. Das ist der letzte Schrei, unten im Tal tun das alle, bloß wir nicht.‘ Ich sage dir was: diese so genannte Evolution wird sich nie durchsetzen. Der Junge erlebt jetzt schon seinen neunten Sommer, es wird Zeit, dass er mitkommt auf die Jagd. Wir brauchen jeden Mann. Ich spreche mal ein ernstes Wort mit ihm.“
Gork stapfte aus der Höhle heraus zu dem Plateau, auf dem sich die Sippe manchmal zum abendlichen Plausch traf. Der Junge saß bei den Brombeerbüschen über einem Häuflein getrockneter Getreidehalme und klopfte zwei graue Steine aufeinander. Neben ihm lag der Büffel, den die Männer heute erlegt hatten. Einer der Jäger teilte ihn schon mit der Steinklinge in grobe Stücke. Am Abend würde die Sippe endlich wieder etwas ordentliches zu essen haben.
„Tak, ich muss mal mit dir reden“, sagte Gork.
Der Junge schlug weiter die Steine aufeinander. Plötzlich sprang ein Funken auf das Stroh über, die Halme verfärbten sich zuerst braun, dann schwarz und plötzlich gab es ein merkwürdiges gelbes Leuchten, das immer größer wurde.
„Schluss mit dem Quatsch!“ rief Gork, packte in das leuchtende Stroh und warf es augenblicklich wieder fort in den trockenen Busch.
„Autsch! Das tut verdammt weh! Was machst du denn da für ein dummes Zeug? Du solltest lieber lernen, wie man einen Büffel fängt. Ab morgen kommst du jeden Tag mit auf die Jagd.“
„Aber Papa, ich könnte uns allen besser helfen, wenn ich hierbleiben und weiter experimentieren würde. Ich war gerade kurz davor, etwas zu entdecken, aber jetzt hast du es kaputtgemacht.“
„Ach, was! Blödsinn, keine Widerrede. Du wirst... Moment mal, was riecht denn hier so...?“
Gork drehte sich um. Der Busch, in den er eben in das Stroh geworfen hatte, knisterte und knackte jetzt ganz merkwürdig und färbte sich schwarz und dieses gelbe Flackern war ganz groß geworden. Gork trat mit seinem Fuß in den Busch, um es zu verscheuchen. Blitzartig zog er ihn wieder zurück, sprang einen Satz rückwärts und fiel auf den Felsboden. In dem Moment kam ein Wind auf, das Flackern griff auf den Strauch daneben über und war bald so groß wie die Büsche selbst. Dort in der Nähe wurde es so warm wie sonst nur an ganz heißen Sommertagen.
„Schau nur, was du gemacht hast, Tak!“ rief der Vater und hielt sich den schmerzenden Fuß.
„Hurra, es funktioniert!“
„Willst du etwa sagen, du hast das mit Absicht gemacht? Das ist eine ganz gefährliche Sache. Mach das weg.“
„Aber Papa“, sagte Tak. „Das ist meine neue Erfindung. Ich nenne es ‚Feuer‘, das gelbe ist die Flamme und ich glaube, es kann uns wirlich nützen.“
„So, wozu soll das denn gut sein, wenn du deinem Vater Hände und Füße ruinierst?“
„Das Feuer kann uns Licht geben, wenn es dunkel ist, und es kann uns Wärme schenken, wenn es kalt wird.“
„Ach, wenn die Natur gewollt hätte, dass es dauernd hell und warm ist, dann würde die Sonne auch nachts scheinen und das ganze Jahr über wäre Sommer. Wir sollten den Göttern da nicht ins Handwerk pfuschen. Außerdem ist dein Feuer, wie du es nennst, viel zu gefährlich.“
„Ich gebe zu, ich beherrsche die Technologie noch nicht völlig, aber es gibt bestimmt unendlich viele Anwendungsmöglichkeiten dafür.“
„Das soll der Rat entscheiden“, sagte Gork und warf ein paar Holzstöcke in die Büsche, um das Feuer zu vertreiben. Aber es schien sogar noch größer zu werden.
Bald hatten sich alle Männer der Sippe vor dem Feuer versammelt. Neugierig starrten sie auf die brennenden Pflanzen.
„Mein Sohn Tak hat eine Entdeckung gemacht“, verkündete Gork. „Er nennt es ‚Feuer‘ und ihr seht es dort im Gestrüpp. Tak sagt, wenn wir das Feuer eines Tages endgültig beherrschen, kann es uns Wärme und Licht geben. Ich finde es gefährlich. Man tut sich weh, wenn man es anfasst; mein Fuß ist ganz rot und hat Blasen bekommen. Was haltet ihr davon?“
Vorsichtig näherten sich die Männer. Es war tatsächlich behaglich warm um das Feuer herum und jetzt, als die Dämmerung einsetzte, spendete es ein angenehmes Licht.
„Feuer ist gut“, sagte einer der Männer. „Sowas will ich auch in meiner Höhle haben.“ Er trat an einen Busch heran und streckte die Hand aus, um sich ein Stück von dem Feuer mit nach Hause zu nehmen.
„Autsch, verdammt! Gork, du hast zwar gesagt, dass es weh tut, aber die Hand schmerzt ja noch, wenn ich das Feuer längst wieder losgelassen habe!“.
„Der Ältestenrat soll entscheiden, was wir mit dem Feuer machen“, sagte Gork schließlich. Also zogen sich die drei weisesten Männer der Sippe zur Beratung zurück.
Inzwischen waren von den Büschen nur noch einige verkohlte Zweige und ein Häufchen Asche übrig. Die Flammen waren ganz verschwunden, dafür stieg von den Überresten ein stechend riechender schwarzer Qualm auf.
„Das Feuer ist tot!“ rief jemand, und alle standen auf, um sich das tote Feuer genauer anzusehen.
„Und es hat die Sträucher, die uns immer diese leckeren Beeren geliefert haben, mit in den Tod genommen!“
„Ja, das Feuer ist nicht gut“, sagte der Sippenälteste. „Wir wollen froh sein, dass es nun tot ist und es soll nie wiederkommen. Es bringt nur Zerstörung über uns.“
„So, wenn das geklärt ist, dann können wir ja endlich den Büffel essen, den wir heute gefangen haben“, sagte Gork.
„Hurra!“ brüllten alle und die Frauen und Kinder kamen hinzu, um endlich zu Abend zu essen. Die Büffelstücke hatten die ganze Zeit vor dem Feuer gelegen und waren noch ganz warm. Gork stieß mit seiner Steinklinge in einen besonders schönen Brocken und schnitt ein Teil ab.
„Oh nein, ich fürchte, den Büffel können wir nicht mehr essen. Er blutet fast gar nicht mehr, sein Fleisch sieht so komisch aus und riecht seltsam. Das war auch dieses verdammte Feuer!“
Böse Blicke richteten sich auf Tak.
„Drei Tage sind wir unterwegs gewesen, um den Büffel zu fangen und jetzt das!“
„Probiert doch erstmal“ erwiderte der Junge. „Vielleicht ist ja nicht alles verdorben.“
Gork roch an seinem Stück Fleisch, verzog das Gesicht, biss vorsichtig hinein, kaute langsam und andächtig, biss nochmals ab und lächelte schließlich über das ganze Gesicht.
„Das schmeckt wirklich gut“, sagte er.
Sofort stürzten die anderen auf den Büffel und rissen Fleischstücke aus dem Rücken des Tieres. Bald saß die ganze Sippe schmatzend und rülpsend auf dem Plateau. Als dann alle satt waren, nahm der Sippenälteste Tak beiseite und sagte: „Das hast du sehr gut hingekriegt. Meinst du, du könntest morgen noch mal so ein Feuer machen?“
„Ich will es versuchen“, sagte Tak.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.09.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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