Markus Köppel

Alles ist so still

Endlich 17:00 Uhr und Feierabend. Heute war wieder so ein Arbeitstag, der stressiger nicht sein konnte.
Ich gehe zum Firmenparkplatz und suche in der Menge von Autos meinen kleinen roten Opel Corsa. Den habe ich mir vor zwei Jahren gekauft, weil der Van ja einen Totalschaden hatte. Ich steige ein und fahre zusammen mit vielen anderen Kollegen zum Tor raus.

Den Heimweg fahre ich, ohne richtig auf den Strassenverkehr zu achten. Jeden Tag der selbe Weg, jeden Tag die selbe Kolonnenfahrt. Heute gehe ich noch schnell in den Blumenladen, 9 Rosen kaufen. Ich mache das jeden Mittwoch, schon seit zwei Jahren.

Nach knapp einer halben Stunde bin ich auch schon zu Hause angekommen. Ich steige die Treppen zu unserer Wohnung hoch, sperre die Türe auf und rufe laut "Hallo Schatz, hallo Kinder". Das mache ich immer so.
Es ist ruhig in der Wohnung. Kein Laut ist zu hören. Kein "Hallo Schatz, da bist Du ja. Wie war´s heute?". Auch kein lautes "Hallo Papa" meiner Kinder dröhnt durch die Wohnung.
Ich gehe ins Wohnzimmer. Spielzeugautos und ein Bilderbuch liegen auf dem mittlerweilen hellgrünen Teppichboden.
Wie die Sonne doch den Teppichboden in den letzten Jahren ausgebleicht hat.

In der Küche stehen noch die Teller vom Mittagessen auf dem Tisch. Die Speisereste sind schon ganz eingetrocknet.

Alles ist so still.

Ich nehme die Blumenvase vom Wohnzimmertisch und werfe die 9 alten Rosen in den Mülleimer. Mit frischem Wasser und den neuen Rosen stelle ich die Vase wieder an ihren Platz.

Ich setzte mich auf das Sofa und schalte den Fernseher ein. Ich schalte auf den Kinderkanal, weil um diese Zeit immer der Kinderkanal läuft. Bin das halt so gewohnt.
Ich sehe eine Weile zu und gehe dann zum Kühlschrank. Ist ziemlich leer. Meine Frau konnte halt nicht einkaufen gehen.

Ich hol den Staubsauger aus dem Schrank und fange an, das Wohnzimmer zu saugen. Die Spielzeugautos und das Bilderbuch lege ich auf den Wohnzimmertisch. Wie dunkelgrün doch der Teppich unter dem Buch geblieben ist. Auch unter den Autos erinnern die dunklen Stellen an die alte Farbe. Im Kinderzimmer von Janina ist aller aufgeräumt - vorbildlich mein Kleine. Nur das Bett ist nicht gemacht - was soll´s. Bei Joel im Zimmer ist allerdings nicht aufgeräumt. Vielleicht haben die kleinen Racker ja auch hier zusammen gespielt. Nein, die ganzen Spielsachen räume ich nicht auf. Ich mache die Zimmertüre zu.

Langsam wird es dunkel. Ich fühle mich einsam. Alles ist so still.

Ich gehe in die Kinderzimmer und lasse die Rolläden herunter. Wir machten das immer so.

Ich gehen ins Bad, nehme die Kinderzahnbürsten und streiche die Zahncreme auf den Bürstenkopf. "Los Kinder, kommt - Zeit zum Zähneputzen" rufe ich laut.

Alles ist so still.

"Schatz, hast Du Kaba gekauft?" rufe ich aus dem Bad "Der ist nämlich bald aus".

Es ist jetzt draußen dunkel geworden. Alles ist so still.

Vor knapp zwei Jahren hat es mit der Stille angefangen - aber ich habe das Gefühl, als ob eben erst der Polizist an der Wohnungstür geläutet hat.
An unserem neunten Hochzeitstag begann die Stille. Meine Frau fuhr mit den Kindern in das Einkaufscenter am Rande der Stadt. Mit dem Van. Sie kam nie dort an.

Ein Lastwagen hat den Van übersehen. Mit einem Schlag war alles, was mir wirklich wichtig war, so einfach ausgelöscht.

Ich will wieder das lustige Geschrei meiner kleinen Kinder hören. Ich will jetzt meine Frau in die Arme nehmen, Ihren Duft einatmen, Ihre Stimme hören..

Seit zwei Jahren frage ich mich, ob ich nachkommen soll. Soll ich?

Ich fühle mich so leer, so ausgebrannt, so unendlich einsam. Tränen stehen in meinen Augen - seit zwei Jahren ist das so.

Alles ist so still.

Werde ich jemals begreifen, was geschehen ist?

Ich nehme mir noch ein Glas Wasser mit ans Bett. Ich mach das schon seit zwei Jahren.
Die Tabletten liegen schon da. Ich lege mich ins Bett, nehme die Tabletten und schlucke den Tablettencocktail mit dem Wasser runter.

Ich werde müde, sehr müde. Alles ist so warm. Alles ist so still. Ich freue mich auf meine Frau und meine Kinder.

Stille

Keine wahre Geschichte - aber möglich wär´s doch - oder?Markus Köppel, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.09.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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