Silke Möbus

Zerbrochen wie Glass

Eine Freundschaft muss man pflegen wie eine Blume, sonst geht sie ein, sagte meine große Schwester immer, wenn ich weinte, dass ich keine Freunde hätte.
Doch mich wollte niemand. Ein kleines schüchternes Mädchen, mit den hässlichsten Klamotten der Klasse, dem dämlichsten Haarschnitt und schlechten Schulnoten. Fast jeden Tag in der Schule wurde ich verprügelt oder gehänselt. Ich fürchtete mich am Abend vor dem neuen Tag und weinte mich in den Schlaf. Viele Jahre ging das so. Manchmal knüpfte ich Freundschaften und dachte nun hast du endlich eine Freundin oder einen Freund, doch meist hielten die Freundschaften nicht lange. An eine erinnere ich mich heute besonders. Ich kam an eine neue Schule, die Waldorfschule. Für mich der ideale Ort mich weiter zu entwickeln. Wir lernten Zeichnen, mit Ton und Holz arbeiten, Theater und Musikinstrumente spielen. Wie an jeder anderen Schule hatte ich meine Probleme mich einfach anzupassen. Immer wollte ich mit dem Kopf durch die Wand. Doch an dieser Schule lernte ich Peggy kennen, meine vielleicht beste und einzigste Freundin. Sie war nicht hübsch, sie war auch nicht intelligent, aber unheimlich lieb. Ständig war sie verliebt, jede Woche in einen anderen Jungen. Sie hatte eine kleine nervige Schwester, die wir überall mit hinnehmen mussten. Wir saßen in der Schule zusammen, wir verbrachten unsere Nachmittage gemeinsam und ich glaubte, wir hätten die perfekte Freundschaft. Wir erzählten uns einfach alles. Auch ich war verliebt, aber viele Jahre in den gleichen Jungen, Gregor. Wir brauten Liebestränke, dachten uns Liebeszauberei aus. Es klappte natürlich nie. Wir verstanden uns einfach super. Doch mit den Jahren schlich sich in unsere Freundschaft Routine ein. Wir waren die Außenseiter und Peggy wollte zur Klassengemeinschaft gehören, unsere Freundschaft reichte ihr nicht mehr. Sie begann sich schön zu kleiden, sich zu schminken und zu frisieren. Sie wurde ihre hässliche Zahnspange los und wurde ein richtig hübsches Mädchen. Doch ich entwickelte mich nicht weiter. Meine Eltern waren nicht bereit mehr Geld für meine Kleidung auszugeben, mein Taschengeld reichte nicht für Schminkzeug und mit meinen Haaren ließ sich einfach nichts machen. Es war mir eigentlich auch nicht besonders wichtig, wie ich aussah, weil ich glaubte, ich sei ein netter Mensch. Unsere Interessen gingen auseinander. Sie war hinter den Jungs her und ich vergrub mich in meine Bücher, meine Malerei und beschäftigte mich mit Dingen, die man am Besten alleine macht. Zu diesem Zeitpunkt begann unsere Freundschaft zu bröckeln, aber sie hielt noch, denn wir waren so sehr daran gewöhnt. Wir waren vier Jahre befreundet, ohne uns einmal wirklich gestritten zu haben oder ein böses Wort füreinander gehabt zu haben. Doch in unsere Klasse kamen zwei neue Mädchen, Petra und Susan. Eine war so bescheuert wie die andere, dachte ich. Peggy war meiner Meinung, glaubte ich. Dann wurde ich krank und war viele Wochen nicht in der Schule, als ich wiederkam war irgendwas geschehen, aber ich wusste nicht was. Peggy saß immer noch neben mir, sie schien sich auch zu freuen, dass ich wieder gesund war. In den Pausen jedoch hockte sie mit Petra und Susan zusammen. Dabei dachte ich mir nichts. Mit der Zeit wurde es immer schwieriger zwischen uns. Wir fingen an uns wegen Kleinigkeiten zu streiten. Petra mischte sich immer häufiger ein und tröstete Peggy, wenn wir uns mal wieder in der Wolle hatten. Petra tauchte überall auf. Wenn wir ins Kino gingen, wenn wir shoppen gingen. Ich fragte Peggy was das sollte, aber sie meinte nur, es wäre lustiger zu Dritt. Es war lustiger und zwar für die beiden. Sie machten Witze über mich und gaben mir den Spitznamen Mülli oder Müllauto. Das verletzte mich sehr und ich hatte das Gefühl, wenn ich nicht aufpasse, dann nimmt mir Petra meine beste Freundin weg. Ich mochte Petra nicht und sie mich auch nicht, also bekämpften wir uns. Petra machte Peggy viele Geschenke, lud sie ein und bezahlte immer für sie. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich vielleicht noch eine Chance gehabt unsere Freundschaft zu retten, aber ich nutzte sie nicht. Ich sagte Peggy nicht was mir unsere Freundschaft bedeutete, egal wie verschieden wir waren, ich sagte ihr nicht, dass ich mich ausgeschlossen fühlte, ich schwieg. Den ganzen Frust fraß ich in mich hinein. Eines Tages eskalierte die Situation. Peggy und ich stritten uns um ein Messer im Werkunterricht, dabei schnitt ich sie. Ich wollte sie schneiden, glaube ich. Als sie blutete tat es mir furchtbar leid, sie weinte und rannte zu Petra. Ich entschuldigte mich, aber es war zu spät. Petra konnte endlich meinen Platz einnehmen. Peggy und ich gingen einigermaßen normal miteinander um, aber uns verband nichts mehr, wir grüßten uns nur noch, redeten kaum noch miteinander. Petra beschimpfte mich jeden Tag und Peggy lachte manchmal über ihre bösen Bemerkungen. Ich war kein netter Mensch, wie ich immer von mir dachte. Eines Morgens vor dem Unterricht sagte Petra eh da kommt Mülli, Pickelfresse. Petra hatte diese Worte nicht ganz beendet, da ging ich auf sie los und schlug auf sie ein. Die Klasse jubelte, ja immer feste drauf, schlagt euch, wir wollen Blut sehen. Das sahen sie auch zur Genüge. Petra rührte sich nicht mehr und ein paar Lehrer holten mich von ihr runter, sie wimmerte nur noch. Zufrieden stand ich auf und klopfte meine Hose ab. Stolz sah ich Peggy an, aber sie hatte nur einen enttäuschten Blick für mich übrig. Es war ein Fehler, ja, aber ich wollte mich nicht bei Petra dieser dummen Pute entschuldigen. Die nächsten Wochen waren die Hölle. Zu der Klasse fand ich Kontakt, wurde seit der Schlägerei akzeptiert, aber unsere Freundschaft war endgültig zerbrochen. Mir fiel das sehr schwer und ich bat meine Eltern mich von Schule zu nehmen. Peggy verabschiedete sich an meinem letzten Tag an der Schule mit den Worten unsere Freundschaft ist zerbrochen wie Glass und ich antworte wir müssen die Scherben nun zusammenkehren müssen. Wir beide hatten Tränen in den Augen, aber sahen bis heute nie mehr wieder.
Meine große Schwester hatte Recht, auch wenn ich es nicht gern zugebe, Freundschaften muss man pflegen wie Blumen, sonst gehen sie ein, ich vergaß meine Freundschaft zu pflegen.

Hallo,

oft reden wir nicht über unsere Sorgen, Ängste und Träume und die Menschen, die verlieren sind wir selbst. Habt keine Angst euch lächerlich zu machen, weil ihr über Gefühle sprecht und wenn euch doch einmal jemand auslacht oder euch weht tut, reagiert nicht mit Gewalt.
Mfg Silke
Silke Möbus, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.09.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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