Michael Speier

DIE ASSASSINEN - ungeschnitten


Die Sonne war noch nicht ganz aufgegangen, aber erhellte den anbrechenden Tag bereits gemeinsam mit dem weichenden Mond. Der Tau lag auf den Blättern und dem Gras. Ein leichter Nebel zog über das Land. Im Morgengrauen dieses kalten Junimorgens erkannte man die provisorischen Bauten eines primitiven Dorfes. Mehr gutgemeint als Gut hatte man Palisaden um die kleinen Holzbauten gezogen. Sie boten Schutz vor wilden Tieren oder herumziehenden Gaunern, aber mehr wahrscheinlich auch nicht. Zwar waren die Palisaden hoch und an den Enden angespitzt, aber es war im Vergleich zu einer Stadtmauer nichts weiter als lächerlich. Vor einiger Zeit war ein kleines Völkchen aus dem Norden hierher gekommen um das Land zu bestellen und in Frieden zu leben. Große, kräftige Männer. Hübsche, hellhäutige und langhaarige Frauen. Sie alle waren des Herumziehens Müde und wollten ein ehrliches und bescheidenes Leben führen. Sie bestellten das Land und errichteten Hütten, primitiv aber wohnlich. Niemandem taten sie etwas zuleide und führten ein unbesonnenes Leben. Allerdings ist im Leben nichts umsonst, und so forderte der König eine jährliche Zahlung von den Menschen die sich hier am Fluss niedergelassen hatten. Diese sogenannte Steuer erbrachten die Menschen gern, denn sie konnten im Gegenzug dafür in Ruhe leben und auf den Schutz des Königs vertrauen. Doch sie wurden betrogen. Denn kaum hatte der König bemerkt das dieses naive Völkchen bereit war zu zahlen erhöhte er die Steuern und verlangte Sonderabgaben. Ferner schickte der König hin und wieder Soldaten die ihm ein und manchmal auch mehrere von den hübschen jungen Mädchen bringen sollten. Diese kamen meist einige Tage später wieder, geschunden und beschmutzt. Der König war nicht der Herrscher den man sich wünschte. Also beschloss dieses kleine Volk fortan nicht mehr auf den König den Hören, und auch die geforderten Steuern zahlten sie nicht mehr. Nachdem mehrere Versuche die Steuern gegen den Willen der Leute einzutreiben seitens des Königs erfolglos blieben, stellte der König eine Armee auf die Beine. Ihr Anführer war ein Mann namens Tobias Eisenglut, und die Männer um ihn herum nannte man die Eisenwölfe. Es waren allesamt die besten und erfahrensten Krieger die weit und breit zu finden waren. Brutale, hochgewachsene Krieger die den Umgang mit jedweder Waffe beherrschten. Und genau dieser Söldnertrupp zog an diesem Morgen über das taubedeckte Gras. Es waren an die Einhundert Soldaten, angeführt von Tobias Eisenglut. Auch wenn dieser Tag noch jung war und alles verschlafen dalag, der Schein war trügerisch. Denn die Männer und selbst einige der Frauen hatten sich bereits früh für die bevorstehende Schlacht gewappnet. Sie trugen Felle statt Rüstungen und schwangen Knüppel statt Schwerter. Es waren Barbaren, so jedenfalls nannte sie der König. Ihr Häuptling, wenn man dies so nennen konnte war ein Mann von kräftiger Statur mit Schulterlangen Blonden Haaren. Sein Name war Maraxus von Keld. Er alleine hatte bereits Kriegserfahrungen und ließ die Männer davon profitieren. Er saß auf einem wundervollen weißen Ross, eine Lederweste über seinem Hemd und einen wollenen Mantel gegen die Kälte. An seiner Seite hing ein Langschwert mit vielen Einkerbungen das schon bessere Zeiten gesehen hatte. Es war plump und schwer, aber Maraxus wusste damit umzugehen. Er ritt langsam aus dem Tor heraus und auf die Männer zu. Tobias Eisenglut, Hauptmann der Eisenwölfe ritt Maraxus entgegen. In der Mitte trafen sie sich.
“Seit ihr der Sprecher dieses Haufens?“ fragte Tobias.
“Ja, so ist es. Mein Name ist Maraxus von Keld, und wer steht vor mir?“
“Tobias Eisenglut, Heerführer der Eisenwölfe, freie Söldnerarmee, momentan im Dienste des Königs.“
“Wenn ich denn erfahren dürfte was ihr wünscht?“
“Wie bereits erwähnt, der König schickt uns, Herr. Wir sind gekommen um euch eine letzte Möglichkeit zu geben eure Schulden gegenüber dem Land und seiner Regierung abzutragen, so wie es das Gesetz verlangt.“
Maraxus musterte den Mann. Er hatte lange schwarze Haare und trug einen geschwärzten Brustpanzer mit herrlichen Verzierungen. Maraxus erkannte gleich das er hier einem erfahrenen Krieger gegenüberstand, aber hinter Maraxus standen Männer und Frauen die zu allem entschlossen waren, nur nicht zur Kapitulation.
“Unsere Schuld? Wenn überhaupt, dann schuldet dieser sogenannte König uns etwas. Wir haben jahrelang das gezahlt was er von uns verlangte. Wir haben selbst mehr gezahlt wenn er mehr verlangte. Aber er will alles. Alles was wir besitzen, und selbst das reicht nicht aus. Er nimmt uns unser Brot, er nimmt uns unsere Frauen und wenn er könnte würde er auch unser Leben nehmen.“
Tobias lächelte süffisant.
“Nun, aus genau diesem Grunde sind wir hier.“
Maraxus nickte.
“Ja. Aber wir werden nicht tun was der König von uns verlangt. Wir haben uns alles selbst aufgebaut, niemand hat uns geholfen und niemand hat uns geschützt. Plündernde Horden haben uns ein ums andere Mal überfallen, aber wir sind damit fertig geworden. Der König hat uns nicht zur Seite gestanden, wir haben uns selbst geholfen. Und mit euch werden wir auch fertig.“
Tobias sah Maraxus fragend an. Sein Blick wirkte zahm wie der eines kleinen Lämmchens.
“Sehen diese Männer hinter mir etwa aus wie Plünderer?“
Maraxus warf einen Blick auf die Söldnerarmee die vor seiner kleinen Siedlung stand. Natürlich sahen diese Männer nicht wie harmlose Räuber aus. Es waren perfekt ausgebildete Soldaten. Alle trugen robuste Rüstungen die sie mit ihren Waffen unmöglich durchdringen konnten. Aber jede Rüstung hatte ihren Schwachpunkt, und jeder Mensch konnte getötet werden. Maraxus war fest entschlossen herauszufinden wo der Schwachpunkt der Rüstungen dieser Männer lag.
“Nein. Aber auch wenn sie nicht so aussehen so sind sie doch genau das. Plündernde Diebe die gekommen sind um uns alles zu nehmen was wir haben.“
“Was uns von Plünderern unterscheidet ist das wir im Auftrag des Königs reiten.“
“Das spielt für den Ausgeraubten wohl kaum eine Rolle.“
Tobias ritt langsam um Maraxus herum. Dieser bewegte sich nicht von der Stelle.
“Ganz wie ihr es haben wollt. Ich gebe euch bis zum Abend Zeit, Barbar. Entweder ihr bring das was ihr dem König schuldig seid, oder wir sehen uns gezwungen es uns zu nehmen.“
Dann gab Tobias seinem Pferd die Sporen und ritt wieder zu seinen Männern. Auch Maraxus drehte sein Pferd um und ritt wieder in seine Siedlung zurück. Gleich hinter ihm schloss man das hölzerne Tor der Palisaden.

Am Abend war es soweit. Die Männer und Frauen die bereit waren zu kämpfen hatten sich auf dem Hauptplatz versammelt. Maraxus saß abermals hoch zu Ross, gewandet wie am Morgen. Einer der Männer, er war größer und kräftiger als die meisten anderen, rief nach ihm.
“Was gibt es?“
“Der Mann von heute Vormittag. Er ist gekommen um mit dir zu reden.“
Maraxus ritt zum Tor, sprang von seinem Pferd und erklomm die Leiter auf der zuvor noch der Hüne gestanden hatte. Er blickte nach draußen und dort stand Tobias Eisenglut mit seinem Pferd. Er trug zwar seine Rüstung und seinen Helm, aber er hatte offenbar keine Waffen dabei.
“Grüße“ rief er zu Maraxus herauf. Maraxus nickte zum Gruße zurück.
“Wie ich sehe seid ihr nicht willens das Geforderte zu übergeben, Herr von Keld. Nun, das ist ein Umstand den ich keineswegs begrüßen kann.“
“Dann müsst ihr es euch holen kommen, wenn ihr es wollt. Aber eines ist sicher. Eure Männer werden nicht alle lebend heimkehren.“
“So ist das nun mal in einer Schlacht, nicht wahr? Aber es muss nicht unbedingt sein. Wenn ich wollt, dann können wir verhandeln. Ich habe durchaus Verständnis für eure Lage. Ihr seit hierher gekommen, nur mit dem was auf dem Leib trugt. Habt mit euerer Hände Arbeit das Land bestellt und diese kleine Siedlung errichtet. Und dann fordert der König sein sogenanntes Recht, und ihr gebt von Herzen was ihr könnt. Aber dieser Tyrann fordert mehr von euch als ihr geben könnt. Und weil ihr euch anschließend weigert schickt er mich und meine Männer um zu holen was er verlangt. Und nun, obgleich ich eure Situation verstehe und einsehe das ihr so handelt wie ihr es tut, soll ich meine Männer in einen Kampf schicken der viele Leben kosten wird. Bitte, lasst mich herein. Ich will nicht das es zu unnötigem Blutvergießen kommt.“
Maraxus dachte nach. Dieser Mann vor dem Tor klang vernünftig und einsichtig, und wenn Maraxus verhindern konnte das es zu einer Schlacht kam die nicht gut für seine Leute aussah dann war es doch einen verdammten Versuch wert. Andererseits war es riskant das Tor zu öffnen.
“Wenn ihr unsere Lage so gut verstehen könnt, dann versteht ihr sicher auch das ich das Tor nicht öffnen werde. Es wäre eine Gefahr. Woher weiß ich ob ich euch trauen kann?“
“Die Frage ist nicht ob ihr mir trauen könnt, Maraxus von Keld. Die Frage ist ob ihr es euch erlauben könnt mir nicht zu trauen. Mein königlicher Befehl lautet die Steuern einzutreiben oder euch zu vernichten. Dies ist kein Geheimnis.“
Maraxus blickte zum Lager der Eisenwölfe herüber. Es war leer. Merkwürdig. Wo waren die Söldner?
“Es ist unhöflich seinen Gesprächspartner nicht anzusehen“ rief Tobias Eisenglut mit sanfter Stimme.
“Wo sind eure Männer?“
Tobias blickte sich um.
“Meine Männer? Sie sind im Wald. Ich dachte es wäre ein netter Zug von mir mit euch zu verhandeln ohne meine Streitmacht sichtbar im Rücken zu haben. Ich will euch nichts böses. Ich will euch auch nicht erpressen. Ich will nur ein unnötiges Blutvergießen verhindern.“
In diesem Augenblick ertönte ein lauter Hornstoß aus dem nahen Wald. Tobias wendete sein Pferd und ritt auf den Wald zu. Auf halber Strecke, eben dort wo er sich am Morgen mit Maraxus getroffen hatte blieb er stehen und drehte wieder um. Ein weiterer Reiter kam aus dem Wald und brachte Tobias sein Schwert.
“Feuer! Feuer!“
Maraxus blickte entsetzt herunter zu seinen Leuten. Die Palisaden brannten. Tobias´ Soldaten hatten die Stadt umzingelt und den Schutzwall angezündet. Nun zogen sie weiter nach hinten und begannen Pfeile über die Palisaden zu schießen.
“Macht das ihr da weg kommt.“ brüllt Maraxus während er von der Leiter herabsprang. Der Hünenhafte Barbar kam angerannt.
“Aber das Feuer, Herr.“
“Macht euch kampfbereit. Das Feuer können wir wahrscheinlich nicht löschen. Jetzt gilt es unser Leben zu retten. Geh dort hinauf und erstatte mir Bericht wenn etwas geschieht. Aber halt deinen Kopf unten.“
Eine Neue Pfeilsalve regnete auf den Hauptplatz nieder. Man brachte Eimer mit Wasser heran und versuchte die Feuer zu löschen, aber es gelang nicht. Maraxus verfluchte sich das er solange mit diesem verdammten Verräter gesprochen hatte. Er hatte gar nicht daran gedacht zu verhandeln, er wollte nur seine Soldaten in die Richtige Position bringen.
“Herr, sie haben eine Kriegsmaschine. Sie bringen sie auf das Feld.“
“Lass mich sehen.“
Maraxus blickte wieder über das Feld. Dort stand ein Katapult, nicht groß, etwas sehr seltsames. Eine neuartige Art von Katapult. Leicht und wendig. Mit Schrecken sah Maraxus was nun passierte. Tobias Eisenglut hob sein Schwert in Luft und ließ es niedersausen. In diesem Augenblick betätigte ein Soldat einen Hebel an der grauenvollen Waffe, ein Felsbrocken flog auf das Tor zu und zerschmetterte es. Maraxus wurde von der Leiter geworfen, fasste sich aber rasch, nahm sein Schwert und kämpfte wie ein Berserker. Aber es war zu spät, denn in jenem Augenblick in dem das Tor geöffnet wurde strömten die Eisenwölfe in die Stadt. Sie legten Feuer, erschlugen die meisten Männer und selbst die Frauen. Nur unter Aufwendung all ihrer Kräfte war es einigen der sogenannten Barbaren um Maraxus von Keld möglich zu entkommen. Sie flohen, einige kamen so mit dem Leben davon, aber Maraxus hatte große Verluste einstecken müssen.

Die Barbaren waren geschlagen und verstreuten sich, viele wurden getötet, doch Maraxus konnte fliehen. Auch er ging in ein fernes Land im Osten und erlernte dort die Kunst des lautlosen Mordens. Auch er wurde zu einem Assassinen, man nannte ihn fortan DIE KLINGE, und er zog auf der Suche nach Aufträgen durch die Länder. In einer Taverne in den Karpaten lernte er eine weibliche Mörderin kennen, Caysha war ihr Name, doch ob ihrer Künste nannten sie alle nur DEN SCHATTEN. Als er sie das erste Mal traf hatte sie in aller Öffentlichkeit in der Taverne einen Stadtbekannten Raufbold und Mörder getötet, niemand hatte gesehen wie es geschehen war, und als sie den Raum wieder verließ machte niemand Anstalten sie aufzuhalten. Ihr Auftreten und ihre besonders geschmeidige Art des Tötens, so schnell und so lautlos das selbst Maraxus nicht gesehen hatte wie sie es angestellt hatte imponierte ihm. Geheimnisumwoben war sie, gefürchtet und bewundert. Gerüchte rankten sich um sie, es hieß sie sei weder lebendig noch wäre sie tot. Maraxus erlag ihrer Anziehungskraft. Ähnlich wie Karon und Rajhada erging es auch ihm und Caysha. Sie verliebten sich ineinander und zogen fortan gemeinsam umher.

***

Im jenem fernen Land Umata lebten die Menschen in Frieden und Wohlstand. Ein Neuer König regierte und überließ die Verwaltung der Provinzen verschiedenen Adligen. Es gab viele Provinzen, die sich gegenseitig unterstützten, im Großen und Ganzen jedoch ihr eigenes Leben führten. Aber es gab auch Provinzen die sich nicht miteinander vertrugen, und manchmal kam es sogar zu einem kleinen Krieg.

Da in diesen Gegenden oftmals Bedarf an Menschen bestand die es verstanden zu töten zogen Karon und Rajhada in dieses Land und machten sich dort einen Namen. Bald wusste jeder von den Assassinen. Krieg wurde immer seltener. Man fürchtete sie, denn wenn jemand das Land mit Krieg überschatten wollte, so fand sich früher oder später jemand der bereit war dafür zu bezahlen das dieser Jemand von der Bildfläche verschwand. Jeder wusste das es sie gab, aber niemand hätte versucht etwas gegen sie zu unternehmen. Karon und Rajhada setzten sich in einer dieser kleinen Provinzen ab die ihnen sehr gefiel und lebten fortan dort. Auch andere Assassinen kamen, und das war gut, denn der Schatten des Krieges hing drohend über den Köpfen der Menschen. Bald würden die Assassinen gebraucht werden. Bald würden sie beweisen können was sie konnten.

***

Gerbot wünschte sich er hätte die Türe nicht geöffnet. Es war schon spät in der Nacht, es regnete und stürmte, es war einfach nur kalt und ungemütlich. Gerbot war müde. Er hatte den ganzen Tag geschuftet und geschuftet. Er hatte die Dielen geschruppt und die Betten bezogen, gekehrt – obwohl das Wirklich nicht nötig gewesen wäre. Es war Herbst, und kaum hatte Gerbot die Blätter weggekehrt, schon lagen wieder neue da. Er hatte sich in sein Zimmer zurückgezogen und es sich gemütlich gemacht. Und dann auf einmal klingelte die Türglocke. Gerbot sah auf, entschied sich aber dafür nicht zu öffnen. Sicher, dies hier war eine Pension, und zwar nicht die beste. Sie war auf Gäste angewiesen, so wie Gerbot auf Brot angewiesen war. Aber es war schon spät, und um diese Zeit ließen die Torwächter auch niemanden mehr in die Stadt. Dies würde wiederum bedeuten das diese nächtlichen Ruhestörer bereits länger in der Stadt gewesen waren und es bisher nicht für Nötig gehalten hatten hier ein Quartier für die Nacht zu beziehen. Jetzt hielt Gerbot es seinerseits nicht für Nötig die Türe zu öffnen. Ganz sicher haben diese umherziehenden Lumpen vor der Tür bis gerade eben noch in Herberts Keller gesessen und gezecht. Jetzt war der Schankraum zu und sie suchten eine warme Unterkunft. Da konnten sie noch weitersuchen. Gerbot lehnte sich zurück als die Glocke wieder geläutet wurde, diesmal drängender als vorhin. Verdammte Ruhestörer, dachte sich Gerbot. Es dauerte nicht lange, da wurde die Glocke zum dritten Mal geläutet, dicht gefolgt von Fäusten die gegen die Türe klopften. Jetzt reichts, dachte Gerbot. Er erhob sich von seinem Platz und schlappte zur Türe. Durch das milchige Fenster konnte Gerbot die schattigen Umrisse zweier Personen erkennen. Sie hatten offenbar Mäntel an deren Kapuzen sie ins Gesicht gezogen hatten. Gerbot wurde neugierig. Er ging näher an die Türe und entzündete eine Petroleumlampe.
“Wer ist da?“ fragte Gerbot.
“Gäste. Lasst uns herein, wir wünschen die Nacht bei euch zu verbringen.“ Die Stimme klang dunkel und erhaben, sehr deutlich, fast schon königlich. Bedeutsam, sozusagen, aber eines war sie nicht – alkoholdurchtränkt. Der Besucher schien nüchtern zu sein.
“Wir haben schon geschlossen. Kommt morgen früh wieder.“
“Sollen wir etwa auf der Straße schlafen, guter Mann? Es regnet in Strömen und ist bitterkalt.“
Gerbot dachte nach. Sicher war es kalt draußen, und es hatte schon den ganzen Tag geregnet. Sicher war auch das die Pension bereits geschlossen hatte. Aber genauso sicher war auch das Gerbot auf Gäste angewiesen war, wenn er den nächsten Monat nicht verhungern wollte. Zu ihm kamen nur selten Gäste, und jene die doch kamen waren in aller Regel Lumpen und Streuner, Diebe und ähnliches Gesindel. Gerbot war in all der Zeit vorsichtiger geworden. Er selbst war auch nicht ganz blütenrein, aber er hatte sich doch einen gewissen Anstand bewahrt.
“Habt ihr überhaupt Geld? Die Zimmer sind nicht umsonst, wisst ihr?“
Der Fremde vor der Tür kramte irgendwo unterhalb des Gürtels. Gerbot konnte nichts genaues erkennen, die Scheibe war milchig und schmutzig, aber er dachte sich schon das man draußen eine Geldkatze durchsuchte. Dies schuf nicht gerade Vertrauen in Gerbot, denn wenn jemand eine Geldkatze durchsuchen musste um festzustellen ob und mit was sie gefüllt war, dann gehörte sie in aller Regel vor kurzem noch jemand anderem.
“Was kosten denn die Zimmer in eurer Herberge, guter Mann?“
Gerbot überlegte. Er hatte keine festen Preise, die Preise legte er von Person zu Person unterschiedlich fest. Die Einen waren nicht in der Lage die Preise zu zahlen die für andere lächerlich waren. In diesem Fall legte er die Preise unverschämt hoch an. Es sollte schon etwas kosten wenn er zu so später Stunde noch aufschließen und arbeiten sollte. Außerdem waren die Besucher nicht in der Position Forderungen zu stellen.
“Na ja, die Zimmer kosten Zwei, nein – Drei Kreuzer pro Nacht.“
“Doppelzimmer?“ fragte der Mann vor der Türe.
“Oh, ihr wollt ein Doppelzimmer? Nun ja, die kosten, ähh, Fünf Kreuzer.“ Nach einer Kurzen Pause in der er sich überlegt hatte das dieser ungewöhnlich hohe Preis die möglichen Gäste vertreiben könnte fügte er schnell noch hinzu “Mit Frühstück.“
Zu seinem Erstaunen war der Besucher nicht abgeschreckt, sondern fragte statt dessen “Was würde das Zimmer kosten wenn wir es eine ganze Woche nehmen?“

Das war zuviel für Gerbot. Eine ganze Woche? Solange hatte es noch keiner seiner Gäste ausgehalten. Er witterte ein Geschäft das sich zu lohnen schien. Hastig drehte er den großen Schlüssel um und öffnete die Türe. Er lächelte mit seinen gelben Zähnen die unter seinem grauen Bart verdeckt lagen in die Stockdunkle Nacht.
“Ihr kommt besser erst einmal herein, Herrschaften. Hier drinnen lässt es sich doch besser reden als durch die geschlossene Türe.“
Die beiden Besucher traten ein. Sie waren beide ungewöhnlich groß, waren ganz in schwarz gekleidet und hatten die Kapuzen ihrer Mäntel wirklich weit ins Gesicht gezogen. Die eine Seite des Mantels war bei den beiden über die Schulter geworfen worden, so das der Mantel sie völlig umschlang. Als sie in den Raum hineintraten bemerkte Gerbot das die Neuankömmlinge unter den Mänteln Schwerter trugen. Die Spitzen schauten hinten unter dem Mantel hervor. Gerbot war etwas mulmig zumute, dann aber überlegte er das nicht jeder dahergelaufene Dieb sich ein Schwert leisten konnte, und diese Schwerter waren viel mehr als plumpe Haudegen. Es waren offenbar lange Schwerter die ein kleines Vermögen kosteten. Dies würde bedeuten das die beiden Geld hatten, Geld das bald den Besitzer wechseln würde und das freute Gerbot sehr, denn er wähnte sich als den neuen Besitzer des Geldes. Nachdem Gerbot die Türe wieder verriegelt hatte eilte er an den beiden vorbei und ging vor zu den Zimmern. Das einzige Doppelzimmer lag gleich unter dem Dach. Er klappte die Leiter aus und ging voran, gefolgt von den beiden vermummten. Er entzündete eine weitere Lampe und stellte sie auf den Tisch.
“So, das ist das gute Stück. Ein wunderschönes Zimmer, warm und gemütlich, findet ihr nicht?“
Der größere der beiden blickte sich skeptisch nach allen Seiten um während der andere wie starr dastand und Gerbot musterte. Der Blick des Fremden erfüllte ihn mit Unbehagen. Er lächelte unsicher und begann zu schwatzen was ihm gerade in den Sinn kam.
“Nun, was treibt ihr hier, mitten in der Nacht?“
Der Große drehte sich um, so schnell das ihm dabei der Mantel von der Schulter rutschte und sich vorne öffnete. Er hatte gleich die Hand hervorgeschoben, packte das Ende und hielt es schützend vor sein Gesicht. Gerbot konnte allerdings einen kurzen Blick auf die Gestallt werfen. Es war ein Mann, das hatte er schon an der Tür gehört. Er hatte dunkle Haare, oder kam es ihm nur so vor, denn der Raum an sich war nicht gerade hell erleuchtet. Irgendwoher kannte Gerbot das Gesicht, er wusste nur nicht so recht woher.
“Wie wir bereits erwähnten suchen wir eine Unterkunft.“
“Ja, hmm. Und nicht nur für eine Nacht, wie? Für eine Woche, sagtet ihr.“
“Ja, fürs erste. Allerdings wären wir euch dankbar wenn ihr das Zimmer nicht schon vorher nach Ablauf der Woche weitervermieten würdet.“
Gerbot grinste. Er hatte diesen Bretterhaufen nun seit Fünf Jahren, noch nie hatte irgendjemand bei ihm reserviert. Aber das wussten die beiden Fremden ja nicht.
“Das könnte schwer werden. Wenn jemand fragt ob er dieses Zimmer ab der nächsten Woche haben kann, und ich nicht weiß ob ihr dann noch da seid, dann muss ich es wohl oder übel doch vermieten, sonst geht mir ja der Kunde und das Geld durch die Lappen.“
“Nicht wenn ich bereits für die nächste Woche im Voraus zahle, gleich ob wir dann noch hier sind oder nicht, richtig?“
Gerbots Augen glänzten vor lauter Geldgier. Wäre dies ein Comic, dann könnte man sehen wie seine Pupillen Dollarzeichen formten.
“Jaaa, das stimmt natürlich, werter Herr. Aber, ich will ja nicht neugierig sein, wie kommt es das ihr mitten in der Nacht dieses Quartier bezieht? Ich will nicht unverschämt sein, aber dies ist mehr als ungewöhnlich.“
“Sagen wir, wir sind gerade erst angekommen und haben noch keine Gelegenheit gehabt nach einer Unterkunft Ausschau zu halten.“

Mitten in der Nacht angekommen? Seltsame Zeiten, fürwahr. Die Wächter nahmen es nicht mehr so genau seit der Graf alles ein wenig schleifen lies, aber das Tor sollte bei Einbruch der Dunkelheit geschlossen werden.
“So ist das also. Und was treibt euch in unsere schöne kleine Stadt, wenn ich fragen darf? Geschäfte? Auf der Durchreise scheint ihr ja nicht zu sein, sonst würdet ihr nicht so lange bleiben, nicht wahr?“
“Du darfst nicht fragen“ herrschte ihn der Zweite an, der bisher nur starr dagestanden hatte. Es war eine Frau.
“Doch, natürlich darf er fragen, Liebste. Warum auch nicht. Wir sind auf der Suche nach jemandem.“
Gerbot wurde hellhörig.
“So, auf der Suche seid ihr also? Ich nehme an ihr sucht einen alten Freund dem ihr noch Geld schuldet, ihr wirkt auf mich jedenfalls wie ein ehrenvoller Mann. Nun, ich hoffe ihr findet ihn. Geht mich ja auch nichts an. Mich interessiert nur ob ihr dieses Zimmer nehmt oder nicht.“
Der Mann griff unter seinen Mantel, kramte ein wenig herum wobei das Geklimper von Münzen – vielen Münzen – zu hören war.
“Sicher nehmen wir es. Dies dürfte für zwei Wochen reichen, guter Mann.“
Der Fremde schnippte Gerbot eine Münze entgegen, und bereits im Flug konnte Gerbot erkennen was es war. Die Art wie die Münze im Schein der Lampe aufblitzte, der Klang beim Wegschnippen, und das glatte Gefühl in Gerbots Hand als er sie auffing. Gold. Er liebte Gold. Nun, er liebte alles was irgendwie wertvoll war und ihm den Magen füllte, und wenn auch noch der ein oder andere Becher Met dabei mit rum kam war ihm das nur Recht. Er verbeugte sich tief und schlappte rückwärts wieder zu der Öffnung im Boden um die beiden alleine zu lassen.
“Ihr werdet es hier ruhig und gemütlich haben, ehrenwerte Herrschaften. Ich werde euch ein wundervolles Frühstück servieren, gleich morgen früh, und übermorgen früh. Wenn ihr irgendetwas braucht, dann ruft nach mir.“
Der Mann kam polternden Schrittes auf Gerbot zu. Gerbot erschrak und blieb wie angewurzelt stehen.
“Ihr könnt in der Tat vielleicht etwas für mich tun.“
“Ich werde niemandem von euch erzählen, ganz gewiss nicht.“
“Oh, das ist es nicht. Ich will ja das du erzählst was du weißt.“
Er griff wieder unter seinen Mantel und kramte ein zusammengerolltes Stück Pergament hervor, entrollte es und zeigte den Steckbrief Gerbot.
“Ich suche diesen Mann.“
Gerbot sah auf das Bild, wurde leichenblass und erschrak bis ins Gebein.

***

Blitze durchzuckten die schneeruhige, mondlose Nacht. Düster lag das Schloss im Dämmerlicht, hoch oben auf dem Hügel. Das Schloss wurde Nebelschloss genannt, denn Morgens und manchmal auch Abends lag es gut verdeckt im Nebel verborgen. Es war ein gut befestigtes Schloss. Nur ein Narr hätte versucht es einzunehmen. Ein Gang schlängelte sich wie eine gewaltige Python um den Hügel auf dem es stand. Ein Angreifer musste einen weiten Weg auf sich nehmen, auf dem er sich ständig in der Schusslinie der Bogenschützen der Burg befand. Ferner waren zwischen dem Aufgang und dem Schlosstor, das wenn es geschlossen war ohnehin fast unüberwindbar war, 7 Wachposten angebracht, die rund um die Uhr mit schwer bewaffneten Wächtern besetzt waren. Man könnte annehmen das der Herr dieses Schlosses einen schweren Angriff erwartete. Aus weiter Ferne konnte man das Licht sehen, das in einem der Fenster des Schlosses schien, der Rest lag im Dunkeln. Dunkel waren auch die Gespräche und Geschäfte die hier besiegelt wurden. In dem einen Raum der erleuchtet war saß ein alter Mann krumm in seinem Sessel. Vor ihm stand ein weiterer Mann, der allerdings um Jahre jünger zu sein schien. Er war ganz in einen dunklen Mantel gehüllt, und eine Kapuze verhinderte das man sein Gesicht sehen konnte. Der Alte sprach, oder besser, er flüsterte dem Dunklen heiser zu. Die Kerzen die in schweren Metallständern um den Sessel standen flackerten kaum wenn der Alte sprach.
“Gebt acht, es ist nicht so leicht wie es scheint. Herr Karon ist ein gerissener Mann. Hinterhältig und gefährlich.“
“Das ist mir durchaus bewusst, Herr. Und deshalb muss er ausgeschaltet werden. Ihr tatet gut daran mich mit dieser Aufgabe zu betrauen.“
“Ja, Balthasar. So ist es. Aber ich warne euch nochmals. Gebt gut acht. Er ist nie unvorbereitet, und gerade in Zeiten wie diesen ist er besonders auf der Hut. Ich habe schon viele Männer ausgeschickt.“
“Ich habe ebenfalls Männer losgeschickt. Aber nur meine besten Männer sind mit dieser Aufgabe betraut, Herr. Ich versichere euch, es wird nichts schief gehen. Bevor der Morgige Tag zu Ende geht ist Karons Lebenslicht erloschen.“
Der Alte Mann blickte zu Balthasar auf. Er nickte. Und dann kam ein leiser, erstickender Laut aus seinem Mund. Es klang fast wie ein böses Lachen.


Eisige Kälte lag in der Luft, und ein dichter Teppich aus Schnee lag weiß über der Burg. Es war November. In der Stadt herrschte ein reges Treiben, denn es war Markt. Vielbeschäftigte Frauen tätigten ihre Einkäufe, während die Männer in den Tavernen und an den Ständen Met und Bier soffen und sich unterhielten. Im Grunde genommen waren alle bester Laune, obwohl es mit der Stadt eigentlich gar nicht gut aussah. Graf Ubiert aus der Nachbarprovinz hatte es sich in den Kopf gesetzt die Stadt samt der dazugehörigen Burg zu ruinieren, um seinen Reichtum und seine Macht noch weiter zu vergrößern. Und dazu war ihm jedes Mittel recht. Die Meisten Angriffe richteten sich gegen das Volk und allen die dem Grafen beistanden. Der Graf selbst war ein alter und gütiger Mann. Leider litt er seit längerem bereits an einer furchtbaren Krankheit. Er sah die Gefahr zwar, war aber außer Standes Maßnahmen zu ergreifen. Die Bevölkerung war froh das sich gelegentlich Söldnergruppen in und vor der Stadt aufhielten. Es gab kein Abkommen, aber die Bürger hielten einiger der Söldner frei, gaben ihnen Speis und Trank, und zum Dank beschützten die Männer die Burg und ihre Bewohner. Die Meisten der Söldner waren brutale Kämpfer, Schlächter, die für Geld ohne viel Aufsehen in den Krieg zogen. Und dann gab es da noch diejenigen die sich jahrelang in der Kunst des Tötens geschult hatten. Teilweise kamen sie aus weit entfernten Ländern oder hatten lange Zeit dort verbracht und sich die Kunst des Lautlosen Mordens angeeignet. Einige von Ihnen waren Meister im Mischen von Gift, andere, die Mehrzahl, zog es vor aus dem Schatten heraus anzugreifen und zu töten, schnell, lautlos und effektiv. Diese Männer nannte man Assassinen, bezahlte Attentäter. Sie töteten ebenso wie die Söldner auch für Geld, aber nie ohne dem Opfer eine Chance zu geben. Ihre ungeschriebenen Gesetze hielten sie stets ein.


Schwer stapften die Stiefel durch den mittlerweile festgetretenen Schnee. Der Mann ging stur, ohne sich umzusehen. Sein dunkler Kapuzenmantel wehte hinter ihm im Wind, und gab den Blick auf das blitzende Schwert und den Dolch, den er am Gürtel trug, frei. Die Kapuze lag nur auf dem Kopf, war aber nicht ins Gesicht gezogen. Das hätte zwar einen unheimlichen Eindruck gemacht, aber der grimmige Blick und vor allem die Größe des Mannes tat diesen Dienst ebenso gut. Es war der gleiche Mann der am Vorabend in Gerbots Pension ein Zimmer genommen hatte. Nun war er allein, von seiner Gefährtin fehlte jede Spur. Gerbots Reaktion auf den Steckbrief hatte ihn zutiefst erfreut. Die gesuchte Person war allgemein bekannt, er hätte sie auch ohne Gerbots Hilfe gefunden, aber so hatte er natürlich Zeit gespart. Da der Gesuchte feste Gewohnheiten hatte und Gerbot ihm, für eine kleine Gefälligkeit in Form von anerkannten Zahlungsmitteln, diese verriet hatte der Fremde jetzt ein Ziel, Er sah dieses Ziel, wollte gerade das letzte Stück des Weges zurücklegen als ein offenbar betrunkener Mann ihn am Arm packte und festhielt.
“Heda, ihr. Was soll das?“
Der Fremde blieb stehen und sah den Betrunkenen an.
“Was?“
“Das Schwert. Hier herrscht Marktfrieden. Ihr dürft kein Schwert mit euch führen.“
Der Fremde sah dem betrunkenen Mann in die Augen, ohne jedoch seine Kapuze zurückzuschlagen. Den Mann packte plötzlich die Furcht. Wenn jemand den Marktfrieden störte indem er ein Schwert bei sich trug, so konnte man in der Regel davon ausgehen das er den Umgang mit dieser Waffe beherrschte.
“Wollt ihr es mir etwa abnehmen?“
Der Betrunkene lächelte verlegen. Er ließ den Arm los, hielt die Hände schützend vor sich und trat einige Schritte zurück.
“Nein, nein. Bitte. Ich wollte euch nur darauf hinweisen. Nichts für Ungut.“
Der Fremde ließ den Betrunkenen stehen und drehte sich um und setzte den Weg fort. Er ging nur langsam, dann blieb er stehen, denn er war an seinem Ziel angekommen, überlegte noch kurz und ging auf den schmalen Mann zu der vor dem Vorhang des Zubers stand. Unterweg löste er, wie nebenbei, den schmalen Lederriemen der um seinen Dolch gebunden war um zu verhindern das ein Langfinger ihn an sich brachte. Einmal hatte es einer versucht. Er hatte mit seiner Hand dafür bezahlt. Nein, er hatte sie noch, aber der Fremde hatte ihm beim Versuch den Dolch zu stehlen die Hand gebrochen. Er packte zu, im gleichen Augenblick wie der Dieb. Es machte kurz knack, und der vermeintliche Dieb entschloss sich abrupt ein besseres Leben zu beginnen. Er fristet nun sein Dasein als Eselszüchter in einem weit entfernten Land. Die Hand des Fremden lag, unter dem Mantel verborgen, nun auf den Griff seines Dolches um ihn sofort ziehen zu können. Das Schwert hätte auf diesem vollen Markt zuviel Aufsehen erreget. Es wahr ein schweres Schwert mit einem ganz besonderen Griff. Er war mit Silbernen und Goldenen Ringen verziert und auf der Stirnseite waren Buchstaben eingraviert. Sie bildeten Zwei Worte: DIE KLINGE. Jeder wusste wem dieses Schwert gehörte, denn es war einzigartig. Der Eigentümer dieser Waffe hatte viel Geld dafür bezahlt, und niemand würde wagen ein Duplikat anzufertigen. Um ehrlich zu sein, die meisten Schmiede wären dazu auch gar nicht in der Lage gewesen. Die Klinge war aus einem ganz besonderen Material, niemand hätte sie kopieren können.
“Seit gegrüßt, Gevatter“, brummte er den Bader an, der vor dem Zuberzelt saß und seine Goldstücke zählte. Einige von ihnen drehte er im Licht der Morgensonne hin und her, biss mit seinen wenigen noch verbleibenden Zähnen hinein und grinste während er sie in seiner Geldkatze verschwinden ließ.
“Seit gegrüßt, mein Freund. Womit kann ich euch dienen? Wollt ihr ein schönes, warmes Bad nehmen an diesem Kalten Tag, den Kummer und die Sorgen bei einem schönen, heißen Met hinter euch lassen und die Last der Arbeit von den Müden Gliedern spülen? Dann seit ihr hier genau richtig. Ihr müsst euch lediglich noch ein wenig gedulden, denn der Zuber ist im Moment noch besetzt, und der Edle Herr will nicht gestört werden.“ Der Bader lächelte ihn zahnlos an. Der Fremde lächelte zurück, allerdings wirkte sein Lächeln so boshaft und berechnend dass der Bader sich von seinem Stuhl erhob und sich dem Fremden vorsichtshalber schon einmal entgegenstellte. Damit stellte er eine ziemlich alte und gebrechliche Barriere zwischen dem Neuankömmling und dem Zubereingang dar.
“Aber ich bin gekommen, ihn zu stören, Gevatter.“
Mit diesen Worten schob der Fremde den Bader zur Seite und ging nach hinten zum Zuber. Für einen kurzen Moment wollte der Bader den Fremden aufhalten, doch im Vorbeigehen sah er noch kurz den Mantel zur Seite wehen, und das kurze Blitzen der Schwertschneide ließ seine Meinung ins Gegenteil umschlagen. Wenn der Edle Herr im Zuber nicht mit diesem Fremden reden wollte, so würde er sicher einen Weg finden nicht mit ihm reden zu müssen.

Im Zuber saß ein junger Mann. Er hatte die Augen geschlossen und seine Arme hingen heraus. Dampf stieg auf, denn im Gegensatz zur Luft hatte das Wasser eine angenehme Wärme. In der Mitte des Zubers hing ein Brett von den Stützbalken des Zubers herab, mit einem Becher und einer Karaffe darauf. Daneben lag ein Rasiermesser, sowie ein Pinsel, ein Spiegel und ein Topf mit Seife. Es duftete nach Orangen. Der Fremde ging auf den Zuber zu, und obwohl der Mann ihn hörte, bewegte er sich weder, noch öffnete er die Augen.
“Wie kommt er hier herein. Ich habe meinen Wunsch nach Ruhe doch ausdrücklich geäußert.“
“Ganz Recht. Ich habe ihn missachtet, Herr.“
“Das ist mir nicht entfallen. Und was ist so wichtig das ihr mich beim Bade stört?“
“Ihr Seit doch Karon Sturmfels, der Bärtige, nicht wahr?“
Der Mann öffnete die Augen einen Spalt breit und sah den Fremden an. Der Fremde war hochgewachsen, größer als einen Meter achtzig, und damit einen halben Kopf größer als er selbst. Er hatte kurzes, blondes Haar und einen kleinen Bart unter dem Kinn. Nicht so einen Bart wie der Badende selbst. Er hieß nicht umsonst der Bärtige. Sein Bart ging an den Koteletten herunter, den Hals entlang, dann seitens des Mundes wieder hoch und kam über den Lippen zusammen. Die Kinnpartie war, mit Ausnahme eines schmalen Streifens, frei. Ein Barbier brauchte sicherlich seine Zeit um diese Geschichtsbehaarung zu modellieren. Alles in Allem schien der Fremde jünger zu sein als Karon, aber sein Blick wirkte entschlossen und zu allem bereit.
“Ihr seit gekommen um mir das zu sagen? Ich muss Euch enttäuschen, denn der Weg war vergebens. Diese Information ist nicht neu für mich.“ Dann tauchte er seinen Kopf kurz unter Wasser, griff nach einem Pinsel, tauchte ihn in den Topf und begann sich das Gesicht einzuseifen. Anschließend nahm er das Rasiermesser, stellte den Spiegel auf und begann damit seinen Bart auszurasieren.
“Man nennt mich die Klinge.“
Der Bärtige hielt einen kurzen Moment lang inne, als würde er nachdenken. Dann rasierte er sich weiter.
“Die Klinge? Warum nennt man euch die Klinge?“
Maraxus schob den Mantel beiseite und ließ den Bärtigen einen Blick auf sein Schwert werfen.
“Oh, ich verstehe. Nun, ich habe natürlich von euch gehört, Maraxus von Keld. Um ganz ehrlich zu sein, ich habe euch mir anders vorgestellt. Älter.“
Karon musterte den Neuankömmling. Er war muskulös, und er trug ein Kopftuch. Dies allein wirkte auf Karon sehr befremdlich. Er hatte von Maraxus gehört, aber das meiste von dem was er gehört hatte hielt er für Gerüchte. Sicher, die Barbarenaufstände waren im Ganzen Land und auch über die Grenzen hinaus bekannt, aber wenn auch nur die Hälfte von dem Wahr gewesen sein mochte was man sich über Maraxus erzählte, wie er kämpfte und wie lange er standgehalten hatte, und vor allem die Dinge die anschließend geschehen sein sollten, dann wäre es töricht gewesen wieder in dieses Land zurückzukehren. Und es wäre ebenso töricht seine Identität preiszugeben. Das war ohnehin etwas was ein Assassinen so gut er konnte zu vermeiden wünschte. Karon war es lange Zeit gelungen, aber dennoch kannten die meisten Bewohner der Stadt ihn. Er war so etwas wie ein guter Geist.
“Ihr seht gar nicht aus wie ein Assassine, Maraxus von Keld.“
“Wenn ich so aussähe wäre ich im Falschen Gewerbe.“
“Da habt ihr recht. Ein Assassine also? Seit ihr gekommen um mich zu töten, Maraxus?“
“Wenn das mein Vorhaben wäre, so wäre das Wasser bereits rot von eurem Blut, Karon. Nein, ich bin nicht gekommen um euch zu töten. Ich möchte euch einen Handel anbieten.“
“Was könnt ihr mir schon bieten, Maraxus. Ich habe alles was ich brauche.“
“Einen Verbündeten könnte ich euch anbieten.“
“Einen Verbündeten?“
“So ist es. Verbündete sind wichtig in dieser Zeit, vor allem wenn man ein so gefragte Mann ist wie ihr. Viele würden ein Vermögen dafür bezahlen euch tot zu sehen.“
Maraxus griff unter den Mantel und holte ein gerolltes Blatt Papier hervor. Er entrollte es und ganz offenbar zeigte es ein Bild von Karon. Über dem Bild standen die Worte GESUCHT WEGEN MORDES. Karon blickte gelangweilt auf den Steckbrief und schloss dann wieder die Augen. Dieser Steckbrief hing überall in der Stadt. Diese Tatsache führte dazu das man Karon noch besser erkannte, selbst wenn man ihm noch nie begegnet war. Der Graf sah sich gezwungen diese verdammten Dinger auszuhängen, so sicherte er sich die Ruhe. Graf Ubiert aus der Nachbarprovinz war es der die Zettel drucken lies, und auch wenn Graf Gotard nicht viel an Karons Ergreifung, eher noch am Gegenteil, gelegen war, so hing er sie doch in der Stadt aus. Man wollte immerhin Frieden, und wenn der Herrscher einer Stadt Steckbriefe aufhängen lies, so ging man in der Regel davon aus das er dem Gesuchten keinen Unterschlupf gewährte. Somit waren diese Dinger auch noch eine gute Tarnung für Karon was außerstädtische Besucher anging. Karon störte sich nicht weiter daran. Es ehrte ihn sehr zu sehen wie viel er wert war.
“Das ist nun mal die Last meines Geschäftes, wie ihr wisst. Ihr seit doch schließlich selbst ein Assassine. Wenn ihr gekommen seit um das Kopfgeld zu kassieren, bitte. Versucht es.“
Maraxus lächelte. Er ließ sich nicht von seinem ursprünglichen Plan abbringen, rollte das Papier wieder zusammen, steckte es weg und tat so als hätte er den Steckbrief gar nicht erst hervorgeholt.
“Meint ihr nicht das wir zusammen effektiver wären, Karon?“
“Effektiver? Tot ist Tot, und das ist alles was in diesem Geschäft zählt.“
“Ja, aber es gibt doch Personen, an die man nicht so ohne weiteres herankommt, da wäre doch eine Allianz das Beste.“
“Eine Allianz ist nicht von Nöten. Bisher bin ich Recht gut ohne Euch ausgekommen. Bisher ist mir noch jeder Auftrag geglückt, und es waren zahlreiche komplizierte und auch einige recht gefährliche darunter. Aber wie Ihr zweifellos seht bin ich noch lebendig.“
“Ja, euer Ruf eilt euch wie gesagt voraus. Alle Achtung. Ihr seit der Beste von uns, keine Frage.“
“Wenn ihr wirklich Maraxus von Keld seid, dann ist euer Ruf auch nicht zu verachten. Und wenn ihr es nicht seid dann frage ich mich wie ihr in den Besitz seines Schwertes gekommen seid. Man sagt er hüte es wie seinen Augapfel. Wie auch immer, all dies spricht für eure Qualitäten. Und trotz alledem kommt ihr hierher, um mich zu fragen ob ich mit euch zusammenarbeiten möchte? Ihr seit sehr leichtsinnig mich in meiner Ruhe zu stören.“
“Was sollte mir den schon passieren? Ich bin bewaffnet, und ihr nicht. Ich bin eindeutig im Vorteil.“
Der Bärtig sah Maraxus an.
“Seit ihr da so sicher?“
Plötzlich wich das Lächeln aus Maraxus Gesicht, denn er spürte einen Dolch in seinem Rücken. Eine Hand umfasste ihn und öffnete seinen Gürtel, so dass seine Waffen zu Boden glitten.
“Wie ihr seht bin ich weder wehrlos noch alleine. Ich bin bereits eine Allianz eingegangen. Hinter euch steht Rajhada, genannt “Die Wölfin“.“

Maraxus verdrehte die Augen, aber alles was er sah waren einige Strähnen schwarzen Haares.
“Ja, ich habe von Ihr gehört. Man sagt sie sei ein Profi im Umgang mit dem Messer. Ihr habt also vorgesorgt. Ich hätte damit rechnen müssen, nicht wahr? Ihr alleine wäret schon eine beachtliche Gefahr für mich gewesen, darum musste ich natürlich vorsorgen.“
Es machte sssssttttt, und der Vorhang gleich neben dem Zuber klaffte auseinander. Eine junge Frau, ganz in Schwarz, tauchte blitzschnell in das Zelt und richtete eine Handarmbrust auf Karon.
“Wenn ich euch meine Verbündete vorstellen dürfte. Caysha, genannt “Der Schatten“.“
Karon nickte, und Caysha lächelte ihn freundlich an und nickte ihm ebenfalls zu, doch ihre Armbrust zielte immer noch auf Karons Herz.
“Ihr seit ein kluger Mann, Maraxus.“
Karon nickte Rajhada zu und sie ließ das Messer sinken. Sie trat um ihn herum und stand nun neben Maraxus. Jetzt erst konnte er sie sehen. Sie war groß und schlank, war ebenfalls ganz in schwarz gekleidet und zeigte bei jedem Lächeln ihre weißen Zähne. Maraxus seinerseits gab Caysha ein Zeichen und sie nahm die Armbrust herunter, nahm den Bolzen heraus und entspannte die Waffe.
“Also gut. Demnach sind wir zu Viert“, sagte Karon. “Daraus lässt sich doch was machen.“
Mit diesen Worten erhob sich Karon aus dem Zuber und stand nackt im Raum. Um seinen Oberschenkel hatte er einen Lederriemen gebunden an dem mehrere blanke Wurfmesser befestigt waren.
“Also, reden wir. Aber nicht hier, der Zuber hat zu viele Ohren. Gehen wir in die Taverne.“
Maraxus lächelte.
“Was seht ihr mich so an? Gebt mir ein Handtuch, oder wendet euren Blick ab, wenn ich euch errege.“
Maraxus schüttelte den Kopf.
“Nein, das ist es nicht.“
“Was ist es denn dann?“
“Ich dachte im Zuber sei man nackt.“
“Da seht ihr es mal wieder, Maraxus. So ein Zuber steckt oftmals voller Überraschungen.“

***

Kurze Zeit später saßen die Vier Assassinen in der Taverne der Stadt. Dies war die Stammtaverne der Burgwache, oder besser dem was noch davon übrig war. Die Burgwache war zerbrochen. Einige der früheren Beschützer waren heimtückisch ermordet worden. Nicht von Assassinen, soviel war klar. Es waren gemeine, heimtückische Mörder ohne Ehre gewesen, und insgeheim wusste jeder wer sie geschickt hatte, nur beweisen konnte es niemand. Von der alten Burgwache waren nur noch wenige Kämpfer übrig. Paolo, der Schwertmeister und Ausbilder, Thomas, ein schlanker und wachsamer Mann, seine Frau, die sehr gut mit dem Schwert umgehen konnte, was man ihr auf den ersten Blick nicht ansah, und Zwei oder Drei weitere Kämpfer. Der struppige Wirt saß am Nachbartisch und scherzte mit zwei Gästen. Er hatte ein Intelligenzspiel aufgebaut bei dem es darum ging 7 Nägel auf einem weiteren Nagel zu balancieren, ohne das diese herunterfielen. Es war zu schaffen, aber nicht nach einer gewissen Menge Bier. Einer der Gäste starrte auf die Nägel. Es gefiel Ihm nicht das er so von den anderen Anwesenden beobachtet wurde. Er beugte sich zu Herbert und flüsterte Ihm etwas ins Ohr. Herbert zog seine Stirn in Runzeln.
“Was?“
“Ob ich vielleicht...“, der Rest war so leise geflüstert das man es nicht hören konnte. Herbert sprang auf und sprach so laut das man ihn in der Taverne trotz des Lärmpegels gut verstand.
“Ein Glas Wasser? Tja, dann muss ich doch mal sehen, ob ich ein Glas Wasser habe. Irgendwo werde ich doch wohl ein Glas Wasser haben. Ach, ja, da fällt es mir gerade wieder ein. Wasser, genau. Draußen im Burggraben, klar. Da war doch Wasser. Ich hole Euch was. Bin gleich wieder zurück.“
Unter lautem Gelächter verschwand er aus der Taverne und ließ einen Gast zurück der nun am liebsten im Erdboden versunken wäre. Kurz darauf kam Herbert wieder zurück. Er trug ein Glas mit einer leicht bräunlichen Flüssigkeit.
“Bitte sehr. Ein Glas Wasser. Ich denke mal, das geht aufs Haus.“ Der Gast betrachtete das Glas und schob es dann langsam weg.
“Ich hätte dann doch gerne einen Met“, stammelte er.
“Sicher. Aber zuerst müsst Ihr das Glas Wasser austrinken, immerhin geht es aufs Haus. Ihr wollt mich doch nicht beleidigen?“
Zögernd, und nicht ohne einen gewissen Ekel, trank der Gast das Wasser. Er hatte das Glas gerade abgestellt, als er aufsprang und die Taverne verließ. Herbert begann aus vollem Halse zu lachen, und der Rest der Gäste stimmte in das Gelächter mit ein. Herbert war ein Spaßvogel, so kannte und liebte man ihn. Er war ebenfalls ein Mitglied der Burgwache gewesen, der Hauptmann, aber sein Alter und das Auflösen der Burgwache hatten ihn in die Taverne getrieben und irgendwann fand er nicht mehr den Weg heraus. Dann hatte er sich entschlossen sein Hobby zum Beruf zu machen. Er entschied sich die Taverne zu kaufen und zu leiten, auf diese Art konnte er sogar hier im Schankraum schlafen ohne nach dummen Ausreden suchen zu müssen. Er war nun mit Leib und Seele ein Wirt und nur noch sein Kettenhemd und sein Schwert hingen über dem Kamin und wiesen auf seine Jugend und seine Taten hin. Manchmal kam jemand um ihn herauszufordern, um auszutesten ob er noch mit dem Schwert oder nur noch mit dem Zapfhahn umgehen konnte. Diese Menschen erfuhren oft sehr schnell das dieser Alte, merkwürdig aussehende Mann immer noch den Umgang mit der Waffe verstand. Ferner verstand er den Umgang mit den merkwürdigsten Spirituosen. Auf seiner „Speisekarte“ fanden sich solch verlockende Getränke wie Krötenblut, Schwarzer Tod, und nicht zuletzt der berühmte Eytrige Fiesling. Was genau für Zutaten in diesen Gemischen enthalten waren war Herberts großes Geheimnis, aber Berichten zufolge sollte übermäßiger Verzehr blind machen, und beim Eytrigen Fiesling war übermäßiger Verzehr dem Sagen nach alles was über einen winzigen Schluck hinausging. Karon saß am Nebentisch, paffte seine Pfeife und beobachtete das Nagel-Spiel durch den aufsteigenden blauen Dunst hindurch. Er hatte nun einen Mantel übergeworfen und sich die Kapuze ins Gesicht gezogen. Den Mantel selbst zog er sich eng um den Leib, als wenn ihm kalt wäre. Maraxus saß ihm gegenüber und redete in einem fort, während die Damen es vorzogen auf einer Bank neben dem Kamin zu sitzen von wo sie alles im Blick hatten.
“Also, im Prinzip wäre es leichtsinnig sich mit einem Assassinen anzulegen, das dürfte jedermann klarsein, aber wenn sich mehrere zu einer Gruppe zusammenraffen, wäre es nicht nur leichtsinnig, sondern glatter Selbstmord. Was denkt Ihr?“
Karons Kopf drehte sich zu Maraxus, ob er ihn allerdings ansah konnte dieser nicht sehen, denn auf seinem Gesicht lag ein Schatten.
“Ich meine es ist leichtsinniger dies hier unter so vielen Mithörern laut auszusprechen. Warum verkünden wir nicht gleich laut wer wir sind und was unser Geschäft ist.“
“Vor was fürchte Ihr Euch, Karon? Diese Leute sind mit uns. Sie stehen uns bei.“
“Wenn es soweit ist, dann werden wir sehen wer uns beisteht, und wer das nicht tut. Bis dahin tut Ihr besser daran zu schweigen.“
Dann nahm Karon einen weiteren Zug und legte die Pfeife neben seinen Bierkrug.
“Wenn würde es interessieren, mein Lieber? Ihr und ich, das genügt doch schon, und eines könnt ihr mir glauben, Caysha macht ihrem Beinahmen „Der Schatten“ aller Ehre.“
“Mag sein, mein Lieber, aber dennoch müsst ihr es nicht herausposaunen wie ein Marktschreier, sonst ist unsere Geheimhaltung keinen Pfifferling wert.“
“Geheimhaltung ist nicht mehr wichtig. Das Gesetzt besagt...“
“...Leute wie wir stehen über dem Gesetz, Maraxus. Und daneben. Einerseits ist der Beruf des Attentäters in dieser Stadt und in den meisten Gegenden in der Nähe anerkannt, das ist Wahr, aber andererseits ist es Wichtig das nicht jeder weiß wer wir sind. Sieh das Ganze einfach mal von der Finanziellen Seite. Wenn ein Attentäter als solcher erkannt wird, dann ist er ein Stümper.“
“Euere Einwände sind nicht von der Hand zu weisen.“
“Wenn Ihr Euch mit mir zusammentun wollt, dann tut Ihr was ich Euch sage, oder Ihr tut es nicht und könnt alleine weiterarbeiten.“
“Demnach wollt Ihr unser Anführer sein?“
Karon antwortete nicht sondern blies einen großen blauen Rauchring aus seiner Pfeife. Maraxus und Caysha blickten sich kurz an, er nickte ihr zu und die Beiden verließen den Raum. Rajhada rückte ein wenig näher an Karon heran.
“Was meinst Du? Was haben sie vor?“
“Dieser Maraxus ist ein guter Kerl. Ich habe schon viel von Ihm gehört. Er ist leider aufbrausend und denkt manchmal nicht weit genug voraus. Aber er ist vernünftig.“
“Und Du wirst einfach nicht Deine Herrschsucht los.“
“Ich bin ein König.“
“Nein, Du warst ein König. Dein Volk gibt es nicht mehr, keiner mehr da den Du regieren kannst.“
“Einer muss der Anführer sein, wenn mehrere zusammenarbeiten, sonst geht alles drunter und drüber. Und wer wäre besser dazu geeignet als ich?“
Maraxus und Caysha kamen wieder herein. Rajhada rutschte wieder ein wenig von Karons Seite weg. Maraxus setzte sich neben Karon und reichte Ihm die Hand.
“Gut. Ihr seit unser Hauptmann. So soll es sein.“
Karon lächelte, zögerte kurz, und ergriff dann Maraxus Handgelenk und begann es zu drücken. Maraxus machte das Gleiche.
“Ich gebe nie die Hand. Man weiß nicht in was für Gefahren man sich damit begibt.“
“Ihr seit klug, Karon.“
Maraxus goss sich aus dem Krug der auf dem Tisch stand seinen Becher wieder mit Met voll und begann zu trinken. Auf einmal drangen schwer stampfende Schritte in den Raum hinein. Der Eingang zur Taverne führte durch einen schmalen Gang, daher waren Neuankömmlinge lange vorher zu hören als zu sehen. Karons Hand verschwand fast unbemerkt unter seinem Mantel während er sich weiter in eine Ecke zurückzog. Dann waren die Verursacher der Schritte da. Zwei finster aussehende Gesellen, unrasiert und mit struppigen Haaren. Sie trugen beide Kettenhemden die bis knapp über die Knie gingen, darüber einen Überwurf mit einem seltsamen Wappen das eine Art Hund zu zeigen schien der irgendeine Art Vogel unter seinen Pfoten zerdrückte. Der Wirt stand auf und ging zu den beiden hin.
“Seid gegrüßt, wie kann ich euch helfen? Ein Bier, einstweilen, oder lieber doch einen heißen Met zur kalten Jahreszeit?“
“Weder das eine, noch das andere, alter Mann.“ Die Stimme des Mannes klang rau und hart, und damit passte sie zu ihm.
“Wir sind auf der Suche nach jemandem. Sein Name ist Karon Sturmfels, auch bekannt als der Bärtige.“ Diesen Satz hatte der Andere gesagt. Seine Stimme klang ebenso unfreundlich, war jedoch wesentlich lauter und scheinbar an alle Anwesenden gerichtet. Ein Raunen ging durch den Saal. Da plötzlich meldete sich einer von den beiden Männern die am Nebentisch gesessen hatten zu Wort.
“Meint ihr etwa den Assassinen Karon Sturmfels? Was wollt ihr denn von ihm? Habt ihr eine offene Rechnung zu begleichen, oder seit ihr anderweitig auf Streit aus? Wenn es darum geht, dann könnt ihr ihn auch bei uns finden. Wenn ihr jemanden aus dem Weg geräumt haben wollt, dann wendet euch ruhig an uns. Wir erledigen das vielleicht nicht ganz so sauber und stilvoll, aber tot ist euer „Problem“ anschließend ebenso, und billiger werden wir auch sein.“

Der Fremde sah den vorlauten Sprecher an. Er ging zu ihm, beugte sich vor und blickte ihm in die Augen. Reine Bosheit sprang daraus hervor.

“Wenn ihr nichts rechtes zu sagen habt, so haltet euer dämliches Mundwerk.“

“Was?!?“ brüllte der Mann. “So redet niemand mit Boron Stahlfaust.“ Dann schlug er mit der bloßen Faust auf den Tisch der unter der ungeheuren Erschütterung bebte und splitternd nachgab. Sofort hatte der Neuankömmling sein Schwert gezogen und richtete es auf Boron, während Borons Kollege ihn an der Schulter festhielt und ihn somit davor bewahrte in die blanke Klinge zu springen. Mit einem galanten Hieb ritzte der Mann eine schmale Wunde in Borons Kinn.
“Bellen könnt ihr ruhig, aber das Beißen stände euch schlecht zu Gesicht, glaubt es mir. Und nun haltet euer Mundwerk im Zaum oder sagt was ihr wisst.“
Da erhob sich Maraxus.
“Dürfte ich vielleicht erfahren was ihr edlen Herren von besagtem Karon wünscht? Die Frage drängt sich doch sehr auf.“
“Eigentlich geht es euch nichts an, doch er wird wegen Mordes gesucht.“
Ein Lachen ging durch die Taverne. Herbert, der Wirt, sagte “Ach so, wegen Mordes. Ein Assassine der wegen Mordes gesucht wird, hmm? Seltsam, sehr seltsam.“ Herbert begann zu lachen, doch da traf ihn eine flache Hand platschend ins Gesicht und das Lachen erstarb. Einen Kurzen Moment lang überlegte Herbert. Er war zwar ungeschlagen mit dem Schwert, aber diese Beiden schienen gefährlich zu sein. Außerdem hing sein Schwert neben dem Kettenhemd über dem Kamin. Es zu erreichen und von der Wandaufhängung zu lösen, und das alles in kürzester Zeit, denn die beiden würden ihm sicher keine lange Gelegenheit zum Widerstand geben, war nahezu unmöglich. Diesmal war es der andere Mann der zuerst gesprochen hatte.
“Serviert ihr lieber euer gepanschtes Bier, und haltet euch aus dem Ärger heraus, dann bekommt ihr auch keinen.“
“Also“, sprach jetzt wieder der Zweite, der immer noch das Schwert auf Boron gerichtet hatte. “Karon Sturmfels. Wer hat ihn gesehen?“
“Ich!“
Karons Herz blieb einen kurzen Moment lang stehen. Maraxus Stimme zu hören gefiel ihm jetzt überhaupt nicht. Hatte er etwa im Sinn ihn zu verraten? Der Erste ging auf Maraxus zu und blieb kurz vor ihm stehen.
“Ja?“
“Ja! So ist es. Ich habe ihn gesehen. Er ist ein Mann von edler Gestallt, nicht so abgehalfterte Lumpen wie ihr beiden. Wenn er sähe wie ihr hier mit diesen Männern umgeht, würde Herbert bereits euer Blut vom Boden wischen.“
“Ach ja, meint ihr? Karon von edler Gestalt, was? Wisst ihr was?“, jetzt hatte er seine Stimme erhoben und ging langsam durch den Raum. “Dieser Karon ist ein Geschwür, eine Eiterbeule. Er stinkt und mordet feige aus dem Verborgenen. Er würde euch nicht verteidigen, er würde sich über Euch lustig machen. Er wird immer reicher und reicher, indem er eure Frauen schändet bevor er sie tötet, und Eure Kinder sehen dabei zu, bevor er auch sie umbringt.“
Der Zweite hielt noch immer das Schwert auf Borons Hals gerichtet, ein dünnes Rinnsal lief Borons Hals herunter und er kochte sichtbar vor Wut, während der Erste jetzt auf Karon zukam. Er versuchte Karon zu provozieren, und selbst Maraxus Kopf wurde immer dunkler. Bald würde es aus ihm herausplatzen das Karon dort saß und sich dies sicher nicht länger gefallen lassen würde.
“Wo ist er? Ihr sagtet, ihr hättet ihn gesehen.“
“Ja, so ist es. Ich habe ihn gesehen. Unzählige Male. Euch hingegen, habe ich noch nie gesehen. Er wäre sicher erfreut hier zu sein, und euch den Lebensfaden zu kürzen.“
“Er ist ein Feigling, der sein Gesicht nicht wäscht, darum bleibt er auch stets verborgen. Eine Schande ist er für diese Stadt und seine Familie, und eine Schande ist jeder der ihm Zuflucht gewährt. Und doch ist unser großzügiger Auftraggeber bereit demjenigen Fünfzig Goldstücke zu zahlen der uns diesen Sohn einer dreckigen Hure ausliefert.“
Jetzt geschah alles blitzschnell. Karon sprang auf, riss einen Dolch hervor und bohrte ihn tief in den Hals des Mannes der da so große Reden sprang. Dieser sank mit einem erstickenden Röcheln auf die Knie. Beinahe gleichzeitig löste sich der Bolzen seiner Armbrust und durchbohrte den Arm des Zweiten Mannes. Dieser lies auf der Stelle sein Schwert fallen und taumelte nach hinten. Karon stürzte ihm sogleich hinterher, riss den Dolch aus dem Gürtel des Mannes und hielt ihn ihm an den Hals.
“Ich würde dich leben lassen, aber du bist nicht schnell genug um deinem Herrn Botschaft zu bringen, denn ich habe irgendwie das Gefühl das der Herr hier am Tisch dich nicht lebend aus diesem Raum lässt, und du rennst sicher mit diesem Hemd nicht so schnell wie er.“
Mit diesen Worten schlitzte Karon auch diesem Mann die Kehle auf. Dann wischte er die Klinge an dem Waffenrock des Fremden ab und steckte ihn wieder in die Scheide. Anschließend setzte Karon sich wieder an den Tisch und leerte seinen Krug in einem Zug. Maraxus setzte sich wieder und starrte Karon an.
“Warum willst du wissen?“
Maraxus nickte.
“Über mich kann er sagen was er will. Ich kann mich wehren. Aber meine Mutter, Gott hab sie selig, hätte er besser aus dem Spiel gelassen.“

***

Als die Vier Assassinen aus der Taverne traten wurden sie von dem hellen Sonnenlicht geblendet. Die Taverne lag im Keller und außer ein paar Kerzen und einem Kamin war kaum Licht vorhanden. Karon ging voran, hob die Hand vor sein Gesicht um sich vor der Sonne zu schützen, und blieb plötzlich stehen. Da hinter der Tür einige Stufen nach oben zur Straße hin lagen ging es für die ihm Nachfolgenden natürlich nicht weiter.
“Du hältst den Verkehr auf“, sagte Maraxus, der hinter ihm ging.
“Wenn du möchtest, dann lasse ich dir den Vortritt.“ Mit diesen Worten trat Karon ein wenig zur Seite und Maraxus schob sich an ihm vorbei. Auch er wurde von der Sonne geblendet, aber er konnte deutlich die Männer sehen die mit angelegten Speeren im Halbkreis um die Taverne standen. Sie trugen alle den gleichen Überwurf wie die beiden Männer die Karon in der Taverne getötet hatte. Vermutlich war dies die Nachhut. Es gibt viel Torheit unter den Menschen, aber anzunehmen das man einen Assassinen mit nur zwei Soldaten abführen konnte war eine Torheit die schon zum Himmel schrie. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das Licht. Es waren ungefähr Zehn Männer. Zehn Speerspitzen waren auf die Vier Assassinen gerichtet. Ganz langsam hoben sich die beiden Speere in der Mitte nach oben und die beiden Speerträger nahmen Haltung an. Der Halbkreis zog sich ein wenig auseinander und aus der Lücke tragt ein Mann hervor. Er war genauso gekleidet wie die Übrigen, aber trug er noch einen Roten Mantel über dem Überwurf. Er trat auf Maraxus zu und lächelte ihn siegessicher an.
“Karon Sturmfels?“
Maraxus Miene blieb hart.
“Wer weiß?“
Ein lautes Klatschen ertönte als der Mann Maraxus eine schallende Ohrfeige gab. Maraxus Hand glitt zu dem Dolch an seinem Gürtel, doch kurz bevor sie ihn erreichte hatte er schon die Spitzen von zwei Speeren an der Kehle. Er hielt es für besser den Dolch nicht zu ziehen. Karon schob Maraxus bei Seite und trat vor.
“Ich bin Karon Sturmfels.“
Der Fremde musterte Karon von oben bis unten.
“Karon Sturmfels. Endlich haben wir Euch. Es war gar nicht so schwer wie ich angenommen hatte. “
“Ich schätze Eure Vorhut ist da anderer Meinung. Ich hoffe es waren nicht gerade gute Männer. Es täte mir wirklich leid.“
Der Mann holte zu einer weiteren Ohrfeige aus, diesmal allerdings um Karon zur Ordnung zu rufen. Karon jedoch war schneller. Er fing die Hand des Mannes ab und drehte sie ihm auf den Rücken.
“Das, mein Freund, würde ich nicht tun.“
Mit diesen Worten stieß er den Mann von sich weg. Er stolperte auf seine Männer zu und fiel vor ihnen auf den Boden. Die Speerträger kamen einen Schritt näher und begannen Karon zu umzingeln. Dieser stand nur da und bewegte sich nicht. Der Mann hatte sich wieder aufgerappelt und kam nun wieder auf Karon zu, blieb jedoch in einigem Abstand vor ihm stehen.
“Dieser Angriff wird Eurer langen Liste von Vorstrafen noch hinzugefügt. Aber selbst wenn er nicht stattgefunden hätte wäre Euch der Galgen sicher, doch werdet ihr vorher noch die Peitsche zu schmecken bekommen.“
“Hmm, das dachte ich mir. Aber ich denke sie wird mir nicht so sehr schmecken wie Euch der Matsch. Übrigens, ihr hab da noch was im Gesicht.“ Karons Miene verzog sich zu einem Lächeln.
“Das Grinsen wird Euch noch vergehen, Herr Sturmfels.“ Er drehte sich zu seinen Männer um. “Abführen, den Mann.“ Die Speerträger setzten sich in Bewegung und drängten Karon aus dem Eingangsbereich auf den freien Marktplatz. Die anderen Drei Assassinen standen da und sahen zu was geschah. Die Speerträger umzingelten Karon. Einer, er sah nicht gerade glücklich aus, trat vor und legte Karon Ketten an. Er schwitzte trotz der eisigen Kälte und war heilfroh das Karon keine Gegenwehr leistete. Als er die Ketten fest hatte trat er hastig zur Seite. Der Trupp setzte sich langsam in Bewegung und trieb Karon vor sich her aus dem Burgtor heraus. Karon sah ein letztes Mal zu seinen Kollegen zurück und lächelte. Kaum hatten die Männer den Burghof verlassen legten sie Karon eine Augenbinde an.


In Ketten gelegt die in der Wand verankert waren und ihm ein hinsetzen oder gar legen unmöglich machten wartete Karon auf seine Hinrichtung. Eine Gerichtsverhandlung hatte es nicht gegeben. Nachdem er in das Verließ außerhalb der Stadt gebracht worden war hatte man ihn angekettet und geschlagen. Karons Lächeln wich nicht für einen Augenblick von seinem Gesicht während seine Peiniger anwesend waren und ihn sahen. Das machte die Männer noch rasender vor Zorn. Nach einigen Stunden trat ein Mann in einer Schwarzen Kutte zu ihm in den Kerker, begleitet von Zwei Männern die wieder diesen Merkwürdigen Überwurf trugen. Der Mann in Schwarz verlas ihm die Anklage und das Urteil. Man hatte Karon mehrere Morde angelastet, die meisten hatte er tatsächlich begannen, aber bisher hatte niemand Anstoß daran genommen. Immerhin war er ein Assassine. Er brachte die Leute nicht aus persönlichem Interesse um, sondern weil er dafür bezahlt wurde. Nach ungeschriebenem Gesetzt konnte man ihn dafür nicht zur Rechenschaft ziehen, verantwortlich war einzig und alleine der Auftraggeber, aber das spielte hier scheinbar keine Rolle. Zuletzt standen die beiden Männer auf der Liste die er in der Taverne getötet hatte, und deren Tod ging einzig und alleine auf seine Kappe.
“... ferner hat er sich der Verhaftung wiedersetzt und einen Beauftragten von Recht und Ordnung angegriffen. Aus diesen Gründen wird der hier festgehaltene Karon Sturmfels morgen Mittag auf dem Marktplatz öffentlich am Halse aufgeknüpft und hängen gelassen bis der Tod eintritt. Ferner soll ihm der Schädel abgetrennt werden und zur Warnung vor den Stadttoren aufgespießt werden.“ Der Mann trat näher an Karon heran, so nahe das Karon seinen stinkenden Atem riechen konnte.
“Ihr seid doch ein Keltischer Assassine, nicht wahr? Dann müsstet ihr den Brauch mit den abgeschlagenen Köpfen doch gut finden?“
“Ja, so ist es. Mein Volk hat auch die Köpfe ihrer Feinde als Trophäen mitgenommen. Allerdings dürfte es für Euch doch ein Armutszeugnis sein. Immerhin ist es Euch nicht gelungen mich alleine zu töten.“
“Das spielt kaum eine Rolle. Ihr werdet genauso tot sein als hätte Euch ein Mann getötet.“
Dann gingen die Drei heraus und ließen Karon wieder alleine. – Doch er war nicht alleine. In der anderen Ecke des Kerkers hockte eine dürre, halb verhungerte Gestallt auf dem Boden. Auch er war angekettet, aber seine Ketten waren bedeutend länger als Karons. Bei ihm hatten sie scheinbar keine große Angst das er etwas anstellen würde. Als von den Dreien nichts mehr zu hören war kam der Kleine auf seine Beine und humpelte zu Karon herüber.
“Was haben die gesagt? Assassine haben die gesagt! Karon Sturmfels haben die gesagt? Seid ihr das? Karon Sturmfels?“
Karon blickte den Mann an und nickte. Er war in schmutzige Kleidung gehüllt, seine Zähne waren faulig und seine langen Haare hingen ihm strähnig vom dreckverkrusteten Schädel herab. Alt war der Mann, mindestens 50, wenn nicht älter.
“Dann ist der alte Salix doch wichtiger als er angenommen hat. Man sperrt mich mit einer Legende in einen Kerker. Mit dem großen Karon Sturmfels. Ich muss was ganz besonderes sein, wuuääähhh!“
Besonders verrückt, dachte Karon.
“Ich habe nur wenige umgebracht, Zwei oder Drei, und dann hamse mich geschnappt. Ne Schande is das, könnta mir glauben.“
“Zwei oder Drei?“
“Hmm,... hmm,... bin mir nich sicher obs den letzn erwischt hat. Hat noch geröchelt als ich ihn verlassen hab... Glaub schon dasa krepiert is, aber man weiß es nicht so genau.“
Salix blieb in der Ecke stehen und musterte Karon von oben bis unten. Lange, sehr lange. Dann begann er zu grinsen. Erst ganz wenig, dann immer mehr und mehr.
“Tuta mir einen Gefallen, Herr Sturmfels?“
“Was denn?“ Karon war genervt von diesem aufdringlichen, stets schnaubenden Mann der ihn da angaffte wie eine Hyäne die abschätzte ob die Beute sich wirklich nicht wehren konnte.
“Ich werde übermorgen aufgeknüpft.“
“Und?“
“Na, wisstas nich? Was kann der alte Salix wohl von Euch wolln, hää? – Befrein sollta mich. Losmachen sollta mich, bevor der Tod eintritt, wie die ja so schön sagn.“
Karon lächelte Salix an.
“Wie soll ich denn das bitte machen? Ich werde vor Euch aufgehangen.“
“Ja, ja,.... schon, schon, aber ihr seid ein Assassine, nich? Ihr werdet sicha nich sterbn, nich? Ihr werdet Euch befrein, nich? Und dann befreit ihr den alten Salix, bevor ihn der Teufel holt.“
Ganz deutlich waren Schatten an der Wand zu sehen. Es waren die Schatten der Wachleute. Sie schienen einfach nur dazustehen, aber in Wahrheit hörten sie jedes Wort mit großem Interesse mit an. Karon lächelte wieder, diesmal ein wenig breiter als zuvor.

***

Scheinbar war an diesem Morgen die gesamte Stadt auf den Beinen. Auf dem Marktplatz hatte man eine Schlinge am Galgen befestigt und sie in den Abendstunden mit Säcken ausprobiert. Man wollte kein Risiko eingehen, die Hinrichtung sollte ohne Problem verlaufen. Nicht auszudenken wenn dieser Mann frei käme. Bereits kurz nach Sonnenaufgang hatten sich an die hundert Bürger aller Klassen auf dem Mark versammelt. Sie hatten nichts gegen Karon, einige von ihnen wussten noch nicht einmal wer überhaupt an diesem Morgen im Winde tanzen sollte, Hauptsache es gab mal wieder etwas zu sehen. Maraxus, Rajhada und Caysha hatten sich ebenfalls auf dem Marktplatz versammelt. Sie standen ziemlich weit vorne am Galgen. Maraxus hatte sich einen tollkühnen Plan ausgedacht um Karon vor dem Tod durch den Strang zu retten. Er hatte den ganzen Tag und die Nacht nach der Verhaftung hindurch in der Taverne gesessen und überlegt. Der Plan war gut, so gut wie er nur sein konnte, bedachte man die kurze Zeit der Planung. Maraxus war ein Mann der Tat. Am liebsten wäre er mit gezogenem Schwert auf den Galgenturm gestürmt und den Henker enthauptet, hätte sich Karon über die Schulter geworfen und wäre mit ihm außer Landes geflohen. Aber sein richtiger Plan war um einiges komplizierter. Unter anderem hatte er mit der berühmten Spezialmischung von Herbert zu tun, und mit schnellen Pferden.


Karon wurde mit Verbundenen Augen und den Händen auf dem Rücken auf einen Leiterwagen gebunden. Links und rechts neben dem Wagen gingen jeweils zwei Lanzenträger, und der Kutscher auf dem Bock trug eine volle Rüstung (eigentlich lächerlich, denn wäre Karon frei gewesen und hätte es darauf angelegt, dann wäre die Rüstung kein Hindernis für einen richtigen Assassinen.) Hinter der Kutsche sammelten sich weitere Dreißig Soldaten in Kettenhemden mit Überwurf. An der Seite trug jeder von ihnen ein Langschwert. Der Wagen setzte sich langsam in Bewegung. Die Wächter ließen Karon keine Sekunde aus den Augen. Einer wäre sogar beinahe über einen Stein gestolpert weil er so konzentriert auf den gefesselten Assassinen achtete. Er erwartete jede Sekunde das Karon sich irgendwie befreien und alle Fünf enthauptet hätte, und das alles in dem Bruchteil einer Sekunde während er gerade blinzelte. Er war heilfroh als endlich der Galgen in Sichtweite kam.


Mit lautem poltern holperte der Wagen mit Karon auf den Markt. Zielstrebig steuerte er auf den Galgen zu. Die Soldaten zogen seitlich an dem Wagen vorbei und bildeten eine Gasse durch die der Wagen bis zum Galgen hin fuhr. Der Wagen blieb stehen. Vier Lanzenspitzen senkten sich und zielten auf Karons Brust, dann stieg der Kutscher schwerfällig nach hinten und band Karons Hände vom Wagen ab, doch die Hände waren immer noch fest auf Karons Rücken gebunden. Der Kutscher zog seinen Dolch aus der Scheide und berührte mit der Spitze Karons Nacken, mit der anderen Hand schob er den gefesselten Assassinen langsam Richtung Galgen.

“Es wäre eine Schande Euch so kurz vor dem Tanz ausbluten lassen zu müssen, aber so wahr Gott mein Zeuge ist, ich werde es tun wenn Ihr auch nur eine Bewegung macht die mir nicht gefällt.“
Maraxus´ Hirn pochte. Jede Sekunde war es soweit. Karon wurde bereits auf den Galgenturm gebracht. Jede Sekunde würde man ihm die Schlinge um den Hals legen. Es konnte nur noch wenige Augenblicke dauern. Dann würde Maraxus´ große Stunde schlagen. Er war ein wenig nervös. Seine Stirn war feucht, seine Hände jedoch zitterten kein bisschen. Er blickte zu Rajhada die links von im gleich neben dem Galgen stand. Sie stand starr und unbeweglich da. Auf der Rechten Seite neben dem Galgen stand Caysha. Sie hatte einen Trinkschlauch in der linken Hand. Maraxus war zufrieden. Alles schien bestens zu laufen. Langsam schob sich seine Hand in die Geldkatze an seinem Gürtel, als er plötzlich einen spitzen Dolch seinem Rücken verspürte.
“Lass das sein, so schnell bist du nicht, Meuchler. Am Liebsten würde ich Dich auf der Stelle erstechen, aber vorher sollst Du noch mit ansehen wie Dein Kollege im Wind tanzt.“
Nun begannen Maraxus Hände doch langsam zu zittern. Die Stimme kante er, und er würde sie wohl auch so schnell nicht vergessen. Es war der unverschämte Bursche gewesen der ihm an Vortag eine Ohrfeige verpasst hatte. Er dachte angestrengt nach. Sollte er seinen tollkühnen Plan in die Tat umsetzen und sein eigenes Leben riskieren, oder sollte er einfach so dastehen und zusehen wie sein Kollege und Freund langsam sein Leben aushauchte. Am liebsten hätte er zuerst diesen verdammten Mistkerl aus dem Weg geräumt, aber er befürchtete das er nicht alleine war, und die Chancen standen gut das er Recht hatte. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr, Karon stand bereits auf der Falltür, und der Henker stand mit der Schlinge hinter ihm. Alle Augen waren wie gebannt auf die Schlinge gerichtet, somit bemerkte auch niemand das Caysha den Trinkschlauch auf die Bühne geworfen hatte, der nun ganz dicht neben Karons Füßen lag. Nun hatte der Henker den Strick um Karons Hals gelegt und ihn festgezogen. Langsam ging er auf den Hebel zu der die Falltüre öffnete. Maraxus musste eine Entscheidung treffen.


Plötzlich geschah alles auf einmal. Maraxus wollte seinen Plan in die Tat umsetzen, doch langsam war es zu spät. Er entschied Karons Leben zu retten, und die eigene Haut so gut es ging zu schonen. Maraxus sprang nach vorne, aus der Stichlinie des Dolches heraus, gleichzeitig zog er die Zunderbüchse aus der Geldkatze. Er hatte sie so präpariert das sie Funken schlug wenn sie hinfiel oder geworfen wurde. Und er schleuderte sie auf die Bühne in Richtung Wasserschlauch. Der Wasserschlauch war mit einem Elixier gefüllt das der Tavernenwirt „Eytriger Fiesling“ nannte. Auch außen war er damit getränkt, und somit sollte man es auf gar keinen Fall in die Nähe von offenem Feuer bringen. Die Büchse landete auf der Bühne, verfehlte jedoch den Schlauch um wenige Zentimeter, Die Funken schlugen, doch der Schlauch fing kein Feuer, und die erhoffte Wirkung blieb sogar ganz aus. Aber gleichzeitig wirbelte Maraxus herum und trat seinem Peiniger zwischen die Beine, zog seinen Dolch „Von-Ohr-zu-Ohr“ und rammte ihn dem Widerling in den Hals. Auf der Bühne zuckte der Henker zusammen, denn der Gegenstand der da angeflogen kam erschrak ihn sehr. Er hatte mit einem Angriff gerechnet, und das hatte seine Angst noch weiter gesteigert. Er trat einen Schritt zurück und ließ den Hebel los. Gleichzeit wurde eine Axt auf die Bühne geworfen und ein Pfeil sauste heran. Ein Meisterschuss wäre eine untertriebene Bezeichnung. Der Pfeil ritzte Karons Schlinge an und durchbohrte im Gleichen Flug die Brust des Henkers. Dieser sank sofort tot zu Boden. Caysha und Rajhada sprangen auf die Bühne und zogen ihre Armbrüste. Sie waren selbst sehr verwundert von wo die Axt und der Pfeil gekommen waren, aber im Moment war das nicht weiter wichtig. Rajhada schnitt Karons Stricke durch, während Caysha ihm die Augenbinde abnahm. Die Soldaten stürmten auf die Bühne, konnten sich allerdings ob ihrer schweren Rüstungen nicht so recht bewegen. Auf einmal stürzten sie links und rechts die Treppe herunter, denn von hinten stürmten Zwei baumhohe Hünen mitten durch sie hindurch und stürzten sie von der Bühne. Es waren die Beiden aus der Taverne. Der Eine blieb wie ein Fels vor der Treppe stehen, während sich der Andere nach seiner Axt bückte und sie mit beiden Händen aufnahm. Als er sie gefasst hatte sprang er wieder von der Bühne und hieb nach den Köpfen von jeder Person die ein Kettenhemd mit dem merkwürdigen Überwurf trug. Blutfonthainen spritzten ins Publikum und der Galgenturm erhielt einen neuen, seiner Aufgabe entsprechenden Anstrich. Sein Partner stand weiterhin auf der Bühne und verhinderte das weitere Personen die Bühne betreten konnten. Auch er hatte eine Axt in seinen Händen. Soldat um Soldat versuchten es, aber die beiden Barbaren hieben mit Ihren Äxten nach ihnen als wären es Zielscheiben. Wie die Kegel fielen sie um. Einige kamen bereits nicht mehr durch, denn die Leichen Ihrer Kollegen lagen ihnen im Weg. Mit geschickten Fußtritten verschaffte der Eine der Beiden sich Durchgang und stürmte, die Axt über seinem Kopf kreisend, in die Menge der Soldaten die versuchte zu fliehen. Abermals flogen Pfeile heran und bohrten sich in die ungeschützten Hälse einiger Soldaten die den Axthieben des Barbaren entkommen waren. Das Ziel des Barbaren war der Leiterwagen. Mit einem gewaltigen Schlag seiner Axt zertrümmerte er die Räder und spaltete den Wagen mit einem weiteren Hieb in Zwei Teile. Sein Bruder stand indessen auf der Bühne des Galgens und sah sich die Raserei an. Maraxus stürmte auf die Bühne zu, lief um sie herum und stand nun hinter der Bühne.
“Na los, komm da runter, oder willst du da oben Wurzeln schlagen?“
Der Barbar drehte sich zu Karon um und nickte ihm zu.
“Geht Ihr nur. Wir kommen hier schon zurecht. Meinem Bruder gefällt das hier sehr gut. Wir kommen dann bei Gelegenheit nach. Kümmert Euch nur um Eure Flucht.“
Karon lächelte ihm zu, nickte und sprang hinten von der Bühne. Caysha und Rajhada folgten ihm. Die Assassinen flüchteten aus der Stadt. Dieser Ort war nicht mehr sicher für sie. Weiterhin hörten sie wie das Gemetzel hinter ihnen weiterging. Hin und wieder hörte man auch noch weitere Pfeile durch die Luft sausen, gefolgt vom Röcheln eines Armen Teufels der es hinter sich hatte. Woher die Pfeile kamen würden sie noch früh genug feststellen...

***

In der Stadt herrschte helle Aufregung. Alle Dreißig Soldaten waren tot, der Henker war tot, der Delinquent war entkommen, seine Freunde mit ihm, die beiden riesigen Männer die für dieses Blutbad verantwortlich waren und der geheinmissvolle Bogenschütze waren wie vom Erdboden verschwunden. In der Taverne wurde eine Art Party gefeiert, Herbert hatte eingeladen, geschlossene Gesellschaft.
“Ein Hoch auf Karon Sturmfels und seine Freunde, möge er ewig leben!“
Die gefüllte Taverne, hauptsächlich Angehörige der ehemaligen Burgwache, aber auch einige Freunde und gute Bekannte, stimmten in den Trinkspruch mit ein.
“Es fließt der Wein, es fließt das Bier. Hoch die Krüge, trinken wir.“
Im Kamin lagen die Überwürfe der Soldaten mit dem merkwürdigen Wappen. Sie waren fast gänzlich verbrannt. Man konnte leicht erraten was hier von diesen Leuten gehalten wurde.
“Aber wo mögen sie hingegangen sein?“ fragte einer.
“Wer weiß, in Sicherheit vermute ich mal.“
“Schon, aber wohin?“
“Warum willst du das denn wissen, willst du sie verpfeifen?“
“Im Gegenteil, ich bin so froh das er entkommen ist und das diese verdammten Wichtigtuer aus der Nachbarschaft eins auf den Deckel bekommen haben. Was bilden die sich eigentlich ein hier Richter und Henker zu spielen. Eine Sauerei ist das, jawohl.“

“Du kennst diese Kerle?“
Es wurde etwas ruhiger. Man hatte es zwar verdammt, aber letzen Endes hingenommen das diese Leute in der Stadt umherzogen und taten was ihnen beliebte. Wenn man jemanden mit diesem merkwürdigen Wappen auf der Kleidung sah versuchte man ihm so gut es ging aus dem Weg zu gehen. Der Graf schien es ebenfalls so zu halten, denn er unternahm nichts gegen diese Personen. In der Taverne war ein jeder froh über den Umstand das nun Dreißig dieser Wappenträger nunmehr Würmerfraß waren. Auch waren alle mit der Tatsache zufrieden das die Assassinen entkommen waren. Es bestand eine gute Chance das nun noch mehr von diesen unerwünschten Personen das Zeitliche segneten.


Unweit von der Burg befand sich ein Zeltlager verschiedener Söldnergruppen. Sie campierten dort gerne und der Graf war froh das sie dort waren. Oft schon hatten raubende Banden versucht die Burg zu überfallen, und fast immer konnten die Söldner das Schlimmste verhindern. Auch Karon war dort ein gerngesehener Gast. Im Grunde genommen waren Assassinen nichts anderes als Söldner, nur das sie nicht in den Krieg zogen, sondern die Personen verschwinden ließen die den Krieg auslösten, oftmals bevor es soweit war. Den Söldnern war dies recht und billig, die Stadtbewohner waren froh dass die Männer dort waren, und da in der meisten Zeit Ruhe und Ordnung herrschte hatten sie öfter die Gelegenheit die Elixiere der Gräflichen Destille zu verköstigen. Zwischen den einzelnen Landsknechtzelten waren Bänke aufgestellt und ein Feuer entzündet worden. Am Feuer saßen Zwölf ganz in schwarze Kapuzenmäntel gehüllte Gestallten. Einer, offenbar der Älteste von ihnen, er hatte einen struppigen weißen Bart und die Haare waren ebenfalls weiß und zu einem Zopf zusammengebunden, ergriff das Wort.
“Eine recht tollkühne Aktion war das, alle Achtung.“
“Danke,“ sagte derjenige der ihm gleich gegenüber saß. Es war Maraxus. “Obgleich es anders geplant war.“
“Ja,“ sagte der Weißhaarige wieder. “der Schlauch. Er ist mir aufgefallen. Was war darin?“
“Herbert nennt es „Eytriger Fiesling“.“
Einige der Gestallten bäumten sich auf und schüttelten sich, nur Zwei, Drei von ihnen zeigten keine Reaktion was bedeutete das sie entweder noch nie von diesem Elixier gekostet hatten oder das sie standhafte Männer waren denen starker Alkohol nicht ausmachte.
“Und damit wolltest du mich in die Luft sprengen, Freund?“ Karon war es der nun ohne den Kopf zu heben zu Maraxus sprach.
“Blödsinn. Der Schlauch sollte Feuer fangen und die Leute ablenken. Dann hätte Rajhada den Henker erschossen, Caysha wäre auf die Bühne gesprungen und hätte Dich losgeschnitten, und ich hätte die Pferde geholt und wäre mit dir abgehauen.“
“Nun, das mit den Pferden hat ja soweit ganz gut funktioniert, aber der Rest...“
“Irgendwie müssen die das mitbekommen haben. Ich hatte auf einmal ein Messer am Rücken. Ich hab Dich schon am Galgen hängen sehen. Na ja, letztendlich bist du hier und lebst noch. Das ist doch das Wichtigste.“
“Du hast Recht, du hast Recht. Aber wem habe ich das zu verdanken. Ich habe ja nichts sehen können.“
“Woher der Pfeil kam kann ich dir auch nicht sagen, aber die beiden die mit diesen Kerlen aufgeräumt haben waren die Zwei aus der Taverne. Du erinnerst dich? Die Beiden die am Nebentisch gesessen hatten. Wie hießen sie noch?“
“Der Eine hieß Boron Stahlfaust, oder so ähnlich, der andere hat sich nicht vorgestellt, oder?“
Der Weißhaarige Söldner sah auf.
“Boron und Ötsch heißen die Beiden. Ich kenne sie, es sind Barbaren. Sie haben mal hier übernachtet. Brutale aber ehrliche Leute. Man sollte sie nur nicht reizen. Einer von uns hat mit ihnen Armdrücken gemacht.“
“Ja, und er hatte nicht die Spur einer Chance gegen die beiden. Sie haben eine Kraft die nicht von mehr Normal ist.“
Karon zündete sich seine Pfeife erneut an, sie war ihm ausgegangen.
“Aber wer von Euch hat den Pfeil abgeschossen?“
“Von uns keiner, das kann ich dir versichern. Mir wäre niemand bekannt der einen Pfeil so genau abschießen könnte. Es war so ein Tumult, die Gefahr jemand anderen zu treffen wäre viel zur Groß. Außerdem kam der Pfeil von oben, als ob jemand auf einem Baum gesessen hätte.“
“Auf einem Baum?“ Karon kratzte sich am Schädel. Langsam, ganz langsam, schob sich ein Federkiel durch das Gebüsch gleich neben dem Feuer. Einer der Männer bemerkte es, doch es war zu spät. Wie ein Blitz schoss eine dunkle Gestallt durch das Dickicht, sprang auf einen Stein, stand dort und hatte einen Bogen gespannt.
“Nicht auf einem Baum. Auf dem Dach eines Hauses habe ich gesessen.“
“Verdammt noch mal, wer ist das?
“Keine Angst, bleibt sitzen. Ich werde Euch nichts tun.“
“Eine Frau!“ Der Weißhaarige war verwundert. “Da hol mich doch der Teufel.“
“Diesen Wunsch solltet Ihr nicht zu deutlich aussprechen. Möglicherweise wird er Euch erfüllt.“
Karon stand auf und schlug seine Kapuze zurück. Er hob die linke Hand grüßend nach vorne, in der Rechten hielt er seine Pfeife. Die Frau ließ den Bogen sinken. Noch immer hatte sie die Kapuze ihres Grauen Mantels tief ins Gesicht gezogen. Dennoch schien sie selbst mit diesem eingeschränkten Geschichtsfeld noch gut mit ihrem Bogen umgehen zu könne.
“Ihr seit also meine Retterin. Dafür möchte ich mich herzlich bedanken. Darf ich Euren Namen erfahren?“
“Mein Name ist Andarah von Irendor. Sei mir gegrüßt, Karon Sturmfels.“ Ihre Stimme klang ruhig und sanft.
“Sei mir gegrüßt, Andarah. Danke für den Meisterhaften Schuss. Er hat mir das Leben gerettet.“
“Und ein anderes Leben gekostet, so ist es immer.“ Sie steckte den Pfeil zurück in ihren Köcher und hielt den Bogen sachte in der Linken. Mit der Rechten schlug sie die Kapuze zurück. Ihr junges Gesicht lächelte Karon zu.
“Wo habt ihr so schießen gelernt?“ Maraxus war aufgesprungen und ging auf Andarah zu.
“Auf dem Hof meines Vaters. Er war ein guter Bogenschütze, und ich habe viel von ihm gelernt. Von ihm habe ich auch diesen Bogen.“
Sie hatte in der Tat einen wundervollen Bogen. Er war knapp 10 Zentimeter länger als sie selbst. Sie war klein, dadurch wirkte der Bogen noch größer. Er schien aus einem sehr edlen Holz gefertigt worden zu sein. Er schimmerte ein wenig im Schein des Feuers.
“Bereits als kleines Mädchen lehrte mein Vater mich die Kunst des Bogenschießens. Er war ein Berühmter Bogner und Jäger der durch seine Kunst des Bogenbauens zu Reichtum und Ansehen gekommen war. Diesen Bogen fertigte er nur für mich an. Es ist sein Meisterstück. Eigentlich war er dafür gefertigt worden Hirsche und Rehe zu schießen, aber ich habe einen anderen Weg eingeschlagen als der den mein Vater für mich vorgesehen hatte.“
“Das wird ihm sicher das Herz brechen.“
“Das geht leider nicht mehr. Sein Herz wurde von einem Schwert in Zwei Hälften geteilt. Seitdem bedeutet mir ein Leben nicht mehr viel. Außer natürlich mein eigenes.“
“Und ganz offensichtlich das meinige.“
“Ja, Karon Sturmfels. Das Eure ebenfalls. Ich brauche Euch ja noch. Und so wie ich das sehe braucht Ihr mich.“
Maraxus trat zwischen Karon und Andarah.
“Und ob wir Euch brauchen, Frau von Irendor. Aber sagt, wie kommt es das Ihr von seiner Hinrichtung wusstet, und wie kommt es das Ihr zur Rechten Zeit am Rechten Ort wart?“
“Ich hatte euren Plan am Abend in der Taverne gehört. Er schien mir recht.... lückenhaft. Nehmt es mir nicht übel, aber ich dachte ich müsse selbst eingreifen, sonst wäre das Leben dieses Mannes vertan. Und wie bereits gesagt liegt mir sehr viel an seinem Leben. Ich will mit Euch ziehen.“
“Mit uns ziehen? Wohin?“
“Zunächst einmal zu dem der euch an den Galgen gebracht hat. Ich denke mal ihr wollt Euch für die Gastfreundschaft bedanken die Euch zuteil wurde, Herr Sturmfels.“
“Ihr wisst wem ich das zu verdanken habe?“
“Sind wir Partner?“
“Partner?“
“Ein gezielter Schuss kann ein Leben leicht verkürzen, wenn jemand bereit ist Geld dafür zu bezahlen.“
“Also sind wir nun Fünf? Langsam sollten wir mal darüber nachdenken ob wir uns nicht organisieren sollten.“ Karon lächelte Andarah an und warf dann einen kurzen Blick zu Maraxus, der ebenfalls lächelte.
“Aber das sind wir doch schon. Ganz offenbar sind wir schon ein eingeschworener Orden. Verbunden durch das Blut unserer Opfer und das Geld unserer Auftraggeber. Ein Geheimorden von Professionellen Mördern. Der Orden der Assassinen.“

***

“Ihr habt versagt, Balthasar, versagt. Ich hasse Versager, das wisst ihr.“
Balthasar war vor dem Thron auf die Knie gegangen. Sein Herr sah ihn düster an.
“Verzeiht mir, Herr. Ihr hattet Recht. Ich habe Ihn unterschätzt.“
“Dreißig Männer, Balthasar. Dreißig Männer sind tot, und das nur wegen Eurer Unfähigkeit. Wie denkt Ihr das ich mit Euch verfahren sollte?“
“Gebt mir die Gelegenheit meine Verfehlungen wieder zu bereinigen.“
“Und wie wollt Ihr das anstellen, Balthasar?“
Balthasar stand auf und ging ein wenig im Thronsaal auf und ab. Der Alte auf dem Thron sah ihm nach. Irgendetwas an Balthasar beunruhigte ihn. Sicher, er war einer der Zuverlässigsten Männer die er hatte, aber Karon Sturmfels war ihm entkommen. Er hatte schon die Schlinge um den Hals, und doch war er Ihm entkommen.
“Dieser Salix, Herr. Der Irre im Kerker.“
“Was ist mit Ihm?“
“Er soll morgen gehängt werden. Das ist die Gelegenheit.“
“Ich kann Euch noch nicht recht folgen, Balthasar.“
“Die Wachen haben mitangehört wie er Karon darum bat ihm zu helfen. Karon gab ihm sein Wort. Sicher wird er kommen um ihn zu befreien. Und dann, wenn er gerade versucht die Hinrichtung zu vereiteln, dann schnappen wir zu, und anstelle einer verpatzten Hinrichtung gibt es dann zwei. Oder, wer weiß, vielleicht sogar noch mehr. Karon wird nicht alleine kommen. Der Henker sollte auf jeden Fall reichlich Stricke bereithalten.“
Der Alte sah Balthasar einen kurzen Moment lang an. Dann schüttelte er mit dem Kopf.
“Es ist euch nicht gelungen Karon hinzurichten als er schon den Kopf in der Schlinge hatte, und jetzt wollt ihr ihn einfangen? Ihr seit verrückt, Balthasar, das ist alles. Und woher wollt ihr wissen das Karon überhaupt kommt um diesen Irren zu befreien?“
“Er gab mir sein Wort“, klang eine Stimme aus einem Schatten im Thronsaal.
“Wer hat das gesagt?“ Der Alte sah sich in dem Saal um. Dieses Gebäude, insbesondere dieser Raum, war absolut sicher. Niemand, absolut niemand könnte ihn betreten ohne das der Alte es vorher wusste und genehmigt hatte.
“Herr.“ , Balthasars Stimme war nun fest und fast schon triumphierend. “Das ist Salix. Oder sollte ich vielleicht sagen....“
“Nein, ich will gar nicht seinen richtigen Namen wissen.“
Salix löste sich aus dem Schatten und nickte langsam und bedächtig dem Alten zu.
“Er gab mir sein Wort, und er ist ein Mörder. Unter uns gibt es so was wie Ehre. Wenn ein Verbrecher einem Anderen etwas verspricht, so ist er daran gebunden wie an einen Vertrag. Glaubt mir, Herr. Er wird kommen.“
Der Alte lächelte zufrieden.
“Das will ich für Euch hoffen. Wenn nicht, dann wird Euch eventuell doch noch der Tod ereilen.“
“Ja? Ich dachte schon ich sei unsterblich. Immerhin bin ich schon mehrfach zum Tode verurteilt worden.“
“Wenn Ihr versagt, wenn Karon nicht durch Eure Hilfe gefangen werden kann, dann versichere ich Euch dass Ihr herausfinden werdet ob Ihr unsterblich seid. Aber nicht auf dem schnellen Wege. Ihr werdet Euch wünschen sterblich zu sein, das kann ich Euch garantieren.“
“Keine Bange. Ich verstehe mein Handwerk.“


Der Tag war noch jung. Im Lager vor der Stadt herrschte bereits reges Treiben. Es war kalt, und diejenigen die bereits wach waren, waren damit beschäftigt die Überreste des letzten Abends wegzuräumen. Einige andere waren dabei sich die Mägen mit etwas zu füllen das den Hunger stillte. Oder aber den unglaublichen Brand. Karon saß auf einem Baumstumpf und starrte ins Nichts. Langsam kam Maraxus zu Ihm und legte Ihm die Hand auf die Schulter.
“Was denkst Du?“
“Ich bin noch immer am überlegen wem ich diese Aktion zu verdanken habe. Und ich überlege was ich mit ihm anstelle wenn ich ihn in die Finger bekomme.“
“Nichts, es sei denn jemand gibt dir Geld dafür.“
“Nein, das ist persönlich. Dafür braucht mich niemand zu bezahlen.“
“Bezahl doch einfach du mich. Dann ist alles geregelt.“
Karon lächelte. “Aber du weißt doch überhaupt nicht wer deine Zielperson ist.“
Maraxus zog die Stirn in Falten und zuckte mit den Achseln.
“Nun, könnte es sein das du gewisse.... Dinge angestellt hast die dir nicht nur Freunde eingebracht haben.“
Karon drehte seinen Kopf und sah Maraxus an.
“Ich? Was denn?“ Dann lächelte er, aber seine Augen lächelten nicht mit.
“Es ist doch so, wir werden dafür bezahlt jemanden umzubringen der sich Feine gemacht hat“, sagte Maraxus.
“Reiche Feinde“, erwiderte Karon.
“Das ist ja wohl klar. Aber warum sollte jemand wütend auf uns sein? Ich meine, so ist es eben. Wer etwas tut muss sich stets über die Konsequenzen seiner Tat im Klaren sein. Wer einen Herzog oder Grafen beleidigt der muss damit rechnen meuchlings erdolcht zu werden.“
“Das ist Richtig. Aber irgendeiner muss etwas gegen uns haben. Speziell gegen mich. Und außerdem weiß ich....“

Die Plane eines kleinen Zeltes wurde zurückgeschlagen. Andarah von Irendor war erwacht und schaute in den nebelverhangenen Morgen. Sie trat aus dem Zelt und ging auf die Wassertonne zu um sich zu waschen.
“Eine Frau.“
“Warum bist du so beeindruckt, Maraxus?“
“Der Bogen. Es ist etwas ganz besonderes. Und außerdem kann sie auch noch damit umgehen.“
“Und zwar verdammt gut, wie sie uns bewiesen hat.“ Karon rieb sich seinen Hals. Dann stand er auf, streckte sich, drehte sich zu Maraxus um und klopfte ihm auf die Schulter.
“Du bist doch nicht etwa neidisch, Maraxus, oder?“
“Neidisch? Ich? So ein Unsinn. Ich kann selbst ganz gut mit dem Bogen umgehen, weißt du, aber ich bevorzuge den Kampf Mann gegen Mann. Ich will meinem Feind in die Augen sehen wenn ich ihn töte. So aus der Ferne kann das ja jeder.“
“Es wird Zeit die anderen zu wecken. Wenn ich wiederkomme hoffe ich dass alle fertig sind.“
“Soll ich mit dir kommen?“
“Das ist nicht nötig. Ich gehe nur kurz in die Stadt. Habe noch etwas wichtiges vor.“
Karon drehte sich um und ging los. Er hatte kaum die Lichtung verlassen als Maraxus zu ihm eilte.
“Ach, das hätte ich fast vergessen. Ich habe hier noch etwas für Dich. Es soll Dir Glück bringen. Ich denke mal Du kannst Glück gebrauchen.“
Maraxus griff in seine Tasche und holte einen kleinen, ledernen Tabakbeutel heraus und reichte ihn Karon. Karon sah ihn sich glücklich lächelnd an.
“Danke. Womit habe ich das denn verdient?“
“Zum Einen wollte ich Dir damit meine Aufwartung machen. Du bist unser Hauptmann, und Du sollst Dich immer daran erinnern das wir alle zu Dir stehen.“
“Und zum Anderen?“
“Zum Anderen möchte ich Dir damit zum Geburtstag gratulieren.“
Karon dachte nach.
“Aber ich habe doch überhaupt nicht Geburtstag.“
Maraxus grinste Karon über beide Backen an.
“Das würde ich schon sagen. Nach der Aktion von gestern mit dem Galgen würde ich schon Geburtstag feiern wenn ich Du wäre.“
Karon lächelte und nickte Maraxus an.
“Wahrscheinlich hast Du Recht.“


Der Marktplatz war nahezu leer. Es waren nur wenige gekommen um diese eigenartige Gestalt am Galgen baumeln zu sehen. Zum Einen war diese Hinrichtung weniger Interessant, dann war es wesentlich kälter als am Vortag, es war viel früher, so das viele noch gar nicht richtig wach waren, und außerdem hatte die nicht stattgefundene Hinrichtung am Vortag einigen die Freude an derlei Veranstaltungen genommen. Der Galgen war noch immer besudelt, es stank nach geronnenem Blut und überall lagen noch kleine Teile von toten Körpern herum die man vergessen hatte zu beseitigen. Dieser Zustand war alles andere als wünschenswert. Je mehr Leute auf einem Platz zusammenkamen, desto weniger fiel der Einzelne auf. Der Assassine war in seinen dunklen Mantel gehüllt deren schwarze Kapuze er sich tief bis ins Gesicht gezogen hatten. Er stand etwas abseits, aber neben ihm stand ein Mann der ebenfalls mit einem dunklen Mantel bekleidet war. Er war deutlich kleiner und schmaler als Karon, und auch er hatte die Kapuze weit ins Gesicht gezogen. Der Wagen mit dem Gefangen kam. Der Todgeweihte hatte die Hände auf dem Rücken zusammengebunden und einen schwarzen Sack auf dem Kopf. Begleitet wurde der Wagen nur von Vier Soldaten. Scheinbar handelte es sich nicht um jemand Wichtigen. Oder es waren einfach zu viele Soldaten auf der Strecke geblieben, als das man mehr hätte entbehren können. Karon sah sich um. Auf dem Platz befanden sich in etwa 30 bis 40 Leute. Die Meisten von Ihnen trugen, genau wie er, schwarze Mäntel. Nur die wenigsten Interessierten sich für das Geschehen. Der Wagen hielt an. Einer der Soldaten stieg auf den Wagen und führte den Gefangenen auf das Podest mit dem Galgen. Langsam zogen einige der Besucher näher. Der Gefangene bekam den Strick um den Hals gelegt. Es schien fast so als würde der Mann husten wollen oder so, aber er schien irgendwie nicht dazu in der Lage zu sein. Außerdem schien er zu wanken, fast als hätte man ihn betrunken gemacht oder dermaßen verprügelt das der Arme Kerl nur noch mühselig in der Lage war sich ohne Fremde Hilfe fortzubewegen. Karon blickte auf. Unter seinem Mantel hatte er die gespannte Armbrust im Anschlag. Der Henker griff nach dem Hebel für die Falltür und zog ihn nach hinten. Die Klappe öffnete sich und der Maskierte fiel. Der Strick straffte sich und der Hingerichtete begann mit den Beinen zu strampeln. In Todesangst suchte er den Boden unter seinen Füssen, aber der war noch knapp einen Meter weiter unten. Einige der Marktbesucher standen da und sahen sich das Spektakel an. Zwei Alte Weiber standen etwas abseits und tuschelten miteinander, eine der beiden lachte laut auf. Es dauerte eine Weile, dann sah man deutlich wie die Pisse am Bein des Hingerichteten herunterlief und er aufhörte zu zappeln. Karon und der Fremde standen da und bewegten sich nicht.
“Gefällt Euch das Schauspiel, Herr Sturmfels?“
“Nein, nicht wirklich.“
“Aber ihr habt schon viele Sterben sehen.“
“Ja, aber im Kampf. Jeder von ihnen hatte eine reale Chance.“
“Die hatte er auch, aber er hat sie verpasst. Aber das war ja ohnehin zu erwarten. Und außerdem hat er den Tod verdient. Man wird sicher überrascht sein wenn man ihm die Maske abnimmt.“
“Das denke ich auch. Ihr habt ihn geknebelt, nicht wahr?“
“Es ist Euch aufgefallen? Ihr seit brillant.“
“Es ist ein Wunder das es nur mir aufgefallen ist. Nur Schade das wir das niemandem in Rechnung stellen können.“
“Ihr habt ständig einen Scherz auf den Lippen, das gefällt mir, Herr Sturmfels.“
“Man muss sich seinen Humor bewahren, das ist alles was man heutzutage noch hat. Habt ihr ihn betrunken gemacht?“
“Ich bitte Euch, wie sollte ich es denn sonst machen?“
“Ja. Schade um das gute Destillat.“ Karon dachte kurz nach während er den Bolzen aus der Armbrust nahm und sie entspannte. “Also, das war der Erste. Wie viele sind es noch?“
“Das kann ich nicht genau sagen. Aber ich werde es schon noch herausfinden.“
“Das ist Gut, mein Freund. Gehen wir. Mir gefällt es hier nicht.“
Karon drehte sich um und ging auf das Stadttor zu. Der Fremde folgte ihm. Ungehindert verließen die beiden bemäntelten Männer den Burghof und gingen wieder Richtung Söldnerlager. Als sie etwas weiter weg waren entspannten die Beiden sich
“Ich möchte Euch übrigens noch zu Eurer Flucht gratulieren. So etwas hat man hier schon lange nicht mehr gesehen, wenn überhaupt schon einmal. Vor allem der Schuss mit dem Bogen war eine Meisterleistung. Ihr seit voller Überraschungen.“
“Ich bin selbst froh das alles so gut geklappt hat, aber mir müsst Ihr keine Bewunderung aussprechen. Das alles habe ich meinen Freunden zu verdanken, und der Schuss, da muss ich Euch zustimmen. So etwas ist wirklich ungewöhnlich.“
“Wie ich bereits sagte. Wer hat ihn übrigens abgeschossen.“
“Ihr Name ist Andarah von Irendor.“
“Ihr Name? Eine Frau?“
“Wenn man Euch reden hört könnte man meinen Ihr vertraut Frauen nicht.“
“Vertrauen? Vertrauen habe ich nur zu mir selbst, zu niemand sonst. Aber Frauen kann man grundsätzlich nicht vertrauen.“
“Vertrauen hin, Vertrauen her, Ihr traut einer Frau so was nicht zu, stimmt es?“
“Spielt das eine Rolle? Ich habe gelernt dass das was ich jemandem zutraue und das was dieser jemand kann grundsätzlich etwas anderes ist. Nehmen wir beispielsweise diesen Armen Mann der jetzt mit Seilers Braut tanzt, er hat euch unterschätzt. Hätte er so gedacht wie ich denke, dann könnte er jetzt irgendwo an einem warmen Kamin sitzen und einen Guten Schluck zu sich nehmen. Apropos warmer Kamin und guter Schluck, wo habt ihr Euch versteckt?“
“Versteckt kann man nicht sagen. Wir sind im Söldnerlager vor dem Tor. Zum Glück waren dort ein paar Freunde die auf uns gewartet haben.“
“Aber wird man Euch dort nicht suchen? Woher wisst Ihr das Ihr diesen Männern vertrauen könnt?“
“Ich vertraue Ihnen weil sie mir vertrauen, das muss reichen, und ja, man wird vermuten das wir dort sind. Aber keiner ist so wahnsinnig und fällt in ein Söldnerlager ein. Diese Männer sind Schlächter, die reinsten Barbaren. Eine Schlacht gegen sie in ihrem eigenen Lager wäre eine verlorene Schlacht, noch dazu von so schlecht ausgebildeten Kämpfern wie die die mich verhaftet haben. Barbaren, so kann man es sagen. Wie die beiden die bei meiner Flucht geholfen haben. Unerwartet, soviel ist mal sicher. Und wären sie nicht gewesen, wer weiß ob dann alles so gut gelaufen wäre wie es gelaufen ist. Ihr wisst nicht zufällig was mit ihnen passiert ist. Sie sind in dem Tumult zurückgeblieben, und ich möchte ihnen gerne danken.“
“Du meinst Boron und Ötsch?“
“Ja, und was ist mit ihnen? Sie wurden doch nicht etwa geschnappt?“
Der Fremde blieb stehen und blickte auf den Boden.
“Ötsch ist entkommen. Aber Boron...“
Karon blieb ebenfalls stehen und sah ein wenig erschüttert zu Boden.
“Er wurde von mehreren Armbrustbolzen getroffen. Das hat Ötsch in Raserei versetzt. Keiner der Soldaten hat überlebt.“
“Und Boron?“
“Tot, es tut mir leid. Man hat ihm den Kopf abgeschlagen und auf der anderen Seite der Stadt aufgespießt, als Warnung.“
Karon kochte vor Wut. Er riss sich die Kapuze vom Kopf und eilte auf den anderen Mann zu.
“Was? In der Stadt steht...“
“... Nein, nicht in der Stadt. Der Graf würde so etwas nicht dulden. Er steht vor der Stadt, auf der anderen Seite. Ungefähr einen Kilometer vor dem Tor. Und jetzt schlagt wieder die Kapuze über. Wenn jemand euer Gesicht sieht, dann könnte er in Versuchung geraten, obwohl ich das Bezweifle. Ihr genießt ein hohes Ansehen. Aber wer weiß, immerhin sucht man nach Euch, und das Kopfgeld ist nicht gerade niedrig, ihr wisst was ich meine.“
Karon besann sich und schlug die Kapuze wieder über. Sie gingen wieder zurück ins Lager.
“Dafür wird jemand bezahlen. Das schwöre ich, bei meinem Blut.“

***

Salix rannte nervös durch das dichte Unterholz. Er war auf der Flucht. Irgendwas war schief gelaufen. Die Hinrichtung hätte nicht stattfinden sollen. Karon hätte sie verhindern müssen, aber statt dessen hing nun ein Unschuldiger. Na ja, so konnte man es nun auch nicht unbedingt sagen. Der Mann war in ein Haus eingedrungen und hatte einige Dinge mitgehen lassen. Unter anderem stahl er auch die Unschuld der jüngsten Tochter des Hausbesitzers. Aber ein paar Peitschenhiebe und vielleicht einige Stunden am Pranger hätten die Sache erledigt. Statt dessen tanzte der arme Teufel jetzt mit dem Wind. Salix sah sich kurz um, blieb einen kurzen Augenblick lang stehen um zu verschnaufen und rannte dann weiter. Er wusste nicht wohin er rannte und eigentlich bestand überhaupt keine Notwendigkeit zur Eile. Gut, Karon war ihm entwischt, sein Plan war fehlgeschlagen und er hatte versagt. Der Alte hasste Versager. Er hatte Angst den Häschern des Alten ins Netz zu gehen. Immerhin war er ja am Vormittag erhängt worden. Wenn Karon oder einer seiner Freunde ihn hier sehen würden, würde Karon dann keinen Verdacht schöpfen? Doch, dachte er, und der Alte würde ganz genau so denken. Man würde ihn verschwinden lassen. Wahrscheinlich würde man ihn nicht töten, höchstens wegsperren. Unweigerlich dachte er an tiefe Verliese und schwere, eisern Masken die das ganze Geschichte verhüllten. Der Alte würde nicht zulassen das irgendjemand ihn noch lebend sah, denn immerhin war er ja offiziell tot. Er rannte weiter. Rannte um sein Leben, das eigentlich nicht in direkter Gefahr war, und doch plötzlich und völlig unerwartet ein jähes Ende nahm. Wenn man im Unterholz unterwegs ist dann solle man auf seine Füße achten. Wurzeln neigen dazu die merkwürdigsten Verwachsungen aufzuweisen in denen sich unachtsame Füße just verfangen konnten. Und wenn dann auch noch ein Baumstumpf dem fallenden Körper genau auf Kopfhöhe im Wege war, dann konnte es sein das man den Sturz nicht überlebte. Armer Salix. Der Galgen war für einen Anderen das Ende, aber er fand das seine nicht ganz eine Stunde später im Wald vor der Burg. Sein Körper war so oder so an diesem Vormittag in der Nahrungskette weit nach unten gefallen (im Wahrsten Sinne des Wortes). Schade.


Karon und der Fremde erreichten das Lager der Söldner. Karon zog mit einem Ruck die Bänder seines Mantels auf und warf ihn im Vorbeigehen auf einen Baumstumpf der abgesägt und zum Sitzplatz umfunktioniert worden war. Er war noch immer voller Wut, und er würde alles tun was in seiner Macht stand um den Frevel dieser Tat zu sühnen. Der Fremde blieb weiterhin mit der Kapuze im Gesicht etwas abseits stehen. Karon ging zu Maraxus der ihm bereits entgegenkam. In seiner Hand hielt er ein Stück Wurst. Er reichte es Karon der es dankbar annahm und zu essen begann.
“Was ist los, Hauptmann?“
“Diese verdammten Schweine haben einen der Barbaren geschnappt.“
Maraxus´ Blick verfinsterte sich.
“Wir holen ihn raus, soviel ist mal sicher. Keiner der unseren...“
“...er ist tot. Sie haben ihm den Kopf abgeschlagen. Und das ist noch nicht das Schlimmste.“
Maraxus sah Karon fragend an. Er ahnte schlimmes.
“Sein Kopf steht auf einem Pfahl vor dem Burgtor. Er soll als Abschreckung dienen.“
“Diese verdammten Teufel. Das Herz werden wir ihnen rausreißen.“ Maraxus kochte vor Wut.“
“Es waren ganz sicher die Gleichen wie die die es auf uns abgesehen haben. Wir werden sie schon kriegen, Einen nach dem Anderen. Der Erste wäre schon beseitigt.“
“Und wer?“
“Der Rädelsführer, würde ich sagen, aber das weiß ich nicht ganz genau. Auf jeden Fall ist es einer von den Oberen, wenn auch nicht der Oberste. Den werden wir wohl erst zum Schluss bekommen, wenn wir rausgefunden haben wer er ist. Ich habe da zwar eine Vermutung, aber die muss sich erst bestätigen. Ich will keinen Unschuldigen Töten, so was habe ich noch nie gemacht.“
Maraxus sah etwas finster zu dem Fremden der, noch immer mit vermummt, einige Meter weit weg stand und das Geschehen beobachtete.
“Was ist mit ihm?“
“Der ist okay, er gehört zu mir.“
Maraxus nickte. “Mir gefällt nicht das ich sein Gesicht nicht sehen kann.“
“Merkwürdig. Das ist doch das wichtigste in unserer Zunft. Nicht erkannt zu werden.“
“Wir sind hier unter uns.“
“Ach,“ Karon sah sich um “sind wir das?“ Er sah zu einem etwas dünnerem Mann herüber der Holz am Hacken war.
“Wer ist das da?“
“Das ist Owin. Du kennst ihn doch. Er gehört zu den Söldnern.“
“Hmm. Ja, ich kenne ihn. Hab ihn ein paar mal hier gesehen. Hab auch schon das Ein oder Andere mit ihm getrunken. Erst gestern Abend noch. Aber ich meine, wer ist er?“
Maraxus sah Karon fragend an. “Ich weiß nicht was du meinst.“
“Du kennst ihn nicht. Er könnte ein Spion sein, ein Spitzel. Gerade in der letzten Zeit, wo unsere Köpfe auf einmal bares Geld wert sind. Du musst schon viel Vertrauen haben wenn du dich zu erkennen gibst.“
“Also hat der da kein Vertrauen zu uns?“ Maraxus deutete auf die bemantelte Gestallt die nun scheinbar genauer zuhörte.
“Vertrauen? Zu uns? Ich bitte dich Maraxus, wir sind Mörder.“ Karon lachte. Dann gab er Maraxus einen Klaps auf die Schultern und wandte sich von ihm ab und steuerte auf den Tisch zu. Er griff sich einen Stuhl neben Rajhada die bereits mit den Anderen am Tisch saß, setzte sich und nahm sich einen Laib Brot. Er schnitt sich mit einem Dolch ein Stück davon ab und schob es sich in den Mund. Kurz darauf begann ein Lebhaftes Gespräch mit den anderen Assassinen die am Tisch saßen. Sie wollen alle wissen was in der Stadt vorgefallen war. Der Fremde schenkte dem allen keine besondere Aufmerksamkeit. Er drehte sich um und verlies das Lager in Richtung Wald. Maraxus stand noch immer da. Er sah zum Tisch und überlegte kurz. Er hatte schon gegessen, und außerdem war ihm wichtiger herauszufinden wer der Fremde war und wo er so plötzlich hin wollte. Sein Misstrauen war geweckt. Schon oft hatte es ihm das Leben gerettet, und wie Karon bereits sagte, in der Momentanen Lage sollte man misstrauischer sein denn je. Er wartete eine kurze Weile ab und folgte dem Fremden dann langsam und unauffällig.


Der Fremde war an den Nahe gelegenen Weiher gegangen. Er hatte sich nahe des Ufers auf den Boden gesetzt und begonnen sich eine Pfeife zu stopfen. Die Kapuze seines Mantels hatte er noch immer auf dem Kopf, obgleich er sie ein wenig zurückgeschoben hatte um das zugefrorene Wasser zu betrachten. Es sah wundervoll aus, die Luft war klar und kalt. Maraxus lauerte in der Nähe in einem Gebüsch. Der Fremde hatte sein Schwert neben sich in den Boden gesteckt. Da er saß war es ihm nicht möglich sie zu ergreifen, herauszuziehen und einen etwaigen Angreifer abzuwehren. Maraxus sah seine Chance gekommen. Er hatte nicht vor ihn zu töten, wollte nur zu ihm eilen, ihn von hinten packen und den Dolch an die Kehle halten. Gut, wenn er in Erfahrung gebracht hatte wer der Fremde war, vielleicht, aber nur vielleicht, hätte er ihn dann anschließend doch noch getötet. Aber das war nicht seine Absicht. Er wartete noch bis der Fremde die Pfeife entzündet hatte und die Erste Blauer Wolke des Tabakrauches über seinem Haupt war. Maraxus spannte sich, riss seinen Dolch „Von-Ohr-zu-Ohr“ aus der Scheide und sprang mit dem Dolch voran auf den Fremden zu. Er war nur noch ein Haar weit entfernt, die Schneide des Dolches hatte bereits den Fremden umrundet und steuerte auf seine Kehle zu, da rollte er sich nach rechts ab, sprang auf die Beine, wirbelte herum, ergriff sein Schwert und stürmte auf Maraxus zu. Die Handkante des Fremden schmetterte Maraxus den Dolch aus der Hand. Er flog in die Luft, drehte sich und landete zielsicher in der freien Hand des Fremden. Dieser warf den Dolch auf Maraxus Gürtel, traf, und irgendwie schnitt der geworfene Dolch etwas woraufhin Maraxus Schwert auf den Boden fiel. Sofort war der Fremde bei Ihm und setzte Maraxus sein Schwert an die Kehle. Maraxus war wie paralysiert. Auf einmal hörte er ein leises Händeklatschen. Es kam aus dem Busch am anderen Ende. Der Busch teilte sich und Karon, Rajhada, Caysha und Andarah traten hervor. Sie lächelten.
“Was hat das zu bedeuten?“
“Ein Test“, antwortete Karon, der auf die beiden zukam.
“Ein Test? Und, hab ich bestanden?“ Maraxus wirkte gereizt.
“Oh, es war kein Test für Dich. Es war ein Test für ihn. Er ist wirklich schnell, nicht wahr?“
Maraxus nickte. “Das kann man wohl sagen. Und darf ich jetzt erfahren wer er ist?“
“Natürlich. Er ist „Der Schnelle“.“
“Witzig. Wirklich witzig.“
Der Fremde lies sein Schwert sinken, steckte es in seinen Gürtel, hob seinen Fuß ruckartig in die Höhe und forderte somit Maraxus´ Schwert wieder nach oben. Gekonnt fing er es auf und reichte es seinem Besitzer.
“Tut mir leid wegen deinem Gürtel, bekommst einen Neuen von mir.“
Dann schlug er seine Kapuze zurück.
“Funkenschlag mein Name. Desmond Funkenschlag. Freut mich Euch kennen zulernen.“
Er reichte Maraxus die Hand. Maraxus starrte Desmond einen Augenblick erbost an, lächelte dann und ergriff Desmonds Hand.
“Willkommen im Orden des Assassinen, Desmond Funkenschlag.“

***

“Dieser Mann wird mehr und mehr zu einer Plage. Er ist einfach nicht totzukriegen. Es kann doch wohl nicht wahr sein. Unmöglich.“ Der Alte war sauer. Obwohl, sauer ist nicht das richtige Wort. Er war mehr als sauer.
“Dreißig meiner besten Soldaten, tot. Es kann nicht wahr sein. Und was für Verluste hat die Gegenseite?“
“Nun, Herr, wie ihr wisst handelt es sich um professionelle Meuchelmörder. Sie leben davon andere zu töten. Diese Leute ermorden Leute für Geld.“
“Und was macht ihr?“
Der Mann starrt zum Boden. Es war Tobias Eisenglut, Hauptmann der Söldnergruppe die für Graf Ubiert unterwegs war. Ein brutaler und eiskalter Mann, intrigant und hinterlistig. Es gab für ihn kaum eine größere Freude als dabei zuzusehen wie Menschen sich gegenseitig umbrachten. Doch im Moment war er ratlos.
“Um Ehrlich zu sein, Herr, wir sind bereits dabei einen Plan...“
“...einen Plan? Was für einen verdammten Plan? Ich kann das Wort Plan nicht mehr hören. Ich will Taten sehen, damit das klar ist. Ich will Karon Sturmfels´ Kopf, und zwar so schnell wie möglich.“
Der Alte erhob sich von seinem Thron und ging auf Tobias zu. Er blieb nahe bei ihm stehen und brachte seinen Mund an Tobias´ Ohr.
“Uns läuft die Zeit davon, Hauptmann. Ihr wisst das dieser Karon gefährlich ist, unterschätzt ihn nicht. Balthasar hat ihn unterschätzt.“
“Und das hat ihn sein Leben gekostet. Schade um ihn.“
“Schade? Es ist nur Schade das ich ihn nicht umbringen konnte. Ich hätte ihm das Herz herausreißen lassen, dann hätte er dabei zusehen können wie es aufhört zu schlagen.“
“Ich frage mich nur wie er das geschafft hat. Balthasar war kein Dummkopf. Er war auch immer sehr vorsichtig, und doch hat dieser verdammte Bastard es irgendwie geschafft ihn zu fesseln und zu knebeln und ihn mit unserem Lockvogel auszutauschen.“
“Und niemand hat etwas davon mitbekommen.“
“Nun, so ist es auch wieder nicht, Herr. Die Wachen haben etwas mitgekommen.“
“Ja, einen festen Schlag auf den Kopf.“
Der Alte ging wieder zu seinem Thron und setzte sich wieder hin.
“Wie ich sagte, unterschätzt diesen verdammten Karon nicht. Er ist ein cleverer Fuchs, und die Leute die er um sich scharrt sind ebenso gerissen. Ich habe gehört das sich ihm ein gewisser Maraxus von Keld angeschlossen hat. Habt ihr schon von ihm gehört?“
Tobias erbleichte. Natürlich kannte er Maraxus, nur zu gut. Er erinnerte sich daran wie er die Barbarenaufstände niedergerannte hatte. Maraxus war entkommen, aber er hatte gekämpft wie kein Anderer vor ihm, und das obgleich die Eisenwölfe weitaus in der Überzahl waren. Obgleich die Eisenwölfe siegreich waren war ihre Zahl durch Maraxus und seine Männer stark geschrumpft. Aber was Tobias am meisten störte war die Narbe die er dank Maraxus im Gesicht hatte. Nach dem die Aufstände beendet und Maraxus´ kleines Dorf niedergebrannt worden war zogen er und die Eisenwölfe ab, doch Maraxus hatte ihn und seine Söldner in einen Hinterhalt gelockt und das Feuer eröffnet. Nur durch Tobias´ vorbildliches Reaktionsvermögen konnte er dem Pfeil ausweichen, doch er streifte seine Wange und hinterlies eine tiefe Narbe die hin und wieder bei kalten Witterungen schmerzte. Und in diesem Land war es nahezu immer kalt. Maraxus war geflohen als er sah das er Tobias verfehlt hatte, sie hatten ihn gejagt, aber konnten seiner nicht habhaft werden. Tobias hatte aus verschiedenen Quellen erfahren das Maraxus nach den Aufständen das Land verlassen und die Kunst des lautlosen Tötens erlernt hatte, aber er hielt das Ganze nur für sinnloses Kriegergeschwätz. Oftmals war es so das große Krieger sich einen Namen auf dem Schlachtfeld machten, besiegt aber nicht getötet wurden. Dann erfand man die wildesten Geschichten über sie. Aber in Tobias keimte langsam ein schrecklicher Verdacht. Was wäre, wenn diese Gerüchte wahr wären? Könnte Maraxus nun ein Attentäter sein, und könnte es sein das er sich mit Karon Sturmfels zusammengetan hatte? Die tollkühne Flucht vom Galgen jedenfalls könnte tatsächlich zu Maraxus passen.
“Resultate, Tobias. Das ist es was ich brauche. In sechs Tagen muss Karon Sturmfels und jeder andere der ihm beisteht beseitigt sein. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen was alles davon abhängt, Tobias?“
“Nein, Herr. Ich werde tun was in meiner Macht steht.“
“Das ist nicht genug, Tobias. Bei weitem nicht genug. Bring mir diesen Karon. Wenn es sein muss brenn die ganze Stadt nieder.“
“Jawohl, Herr.“
Daraufhin ging Tobias seines Weges. Im Hof des Schlosses hatten sich seine Söldner versammelt. Sie alle waren an die Zwei Meter hohe Hünen, trugen Schwerter und Äxte, hatten Kettenpanzer und Kettenbeinlinge an. Auf den Köpfen trugen sie glänzende Helme. Auf den Ersten Blick konnte man erkennen das es sich hierbei um eine nahezu unbezwingbare Streitmacht handelte. Die Gelegenheit für eine Zweiten Blick bekamen die Meisten nicht. Wo diese Gruppe in Rüstung und Waffen auftauchte blieb niemand am Leben. Diese Gruppe hatte nur ein Ziel. Aber dieses Ziel musste vorerst zurückgesteckt werden. Tobias setzte sich seinen Helm auf. Er sah fast so aus wie die Helme der Soldaten, nur hatte seiner noch eine Gravur auf der Rückseite. Sie sah ein wenig aus wie ein Totenkopf.
“Männer!“ sprach er zu Ihnen.
“Männer, bald ist es soweit. Wir werden die beste Schlacht schlagen in die wir jemals gezogen sind. Unsere Feinde werden kaum Widerstand leisten, und unsere Belohnung ist so hoch das niemals wieder einer von uns eine Waffe in die Hand nehmen muss wenn er nicht will. Der Sieg ist uns gewiss. Aber eines muss zuvor geschehen. Ein Feind der versucht uns aus dem Schatten heraus auszuschalten hat sich in das Geschehen eingemischt. Die Assassinen stellen sich uns in den Weg. Unter ihnen befindet sich jemand den die Meisten von Euch kennen. Es scheint so als hätten wir es wieder einmal mit Maraxus von Keld zu tun. Er steht dem Grafen bei und muss vernichtet werden. Wieder einmal kämpfen wir gegen Maraxus von Keld. Auch dieses Mal werden wir Siegreich sein, aber dieses Mal werden wir seinen Toten Körper durch die Stadt ziehen. Wir werden zu Ende bringen was wir damals begonnen haben. Der Sieg ist unser!“
Die Gruppe auf dem Hof brach in Jubel aus. Es war ein euphorischer Jubel den man weit bis ins Tal hören konnte.


Die Söldner und die Assassinen hatten sich versammelt. Sie saßen an drei Tischen die Hufeisenförmig aufgestellt worden waren. Karon stand dazwischen und redete zu ihnen.
“Ich weiß das Euch das nichts angeht, und wenn Ihr ablehnt, so werde ich das Akzeptieren.“
Der Söldner mit dem struppigen weißen Bart und den langen weißen Haaren stand auf und ergriff das Wort.
“Ich weiß, ich kann hier nicht für alle sprechen, aber Ihr seid unsere Freunde, wenn man so etwas sagen kann. Ihr habt uns stets beigestanden, aber mit Verlaub gesagt, dies sind schwierige Zeiten, und ihr habt nichts was ihr uns für unsere Dienste geben könnt. Und selbst wenn, dies ist Euer Krieg, nicht der Unsere. Wir werden uns nicht in den Sicheren Tod begeben, nur weil Ihr eine persönliche Rechnung begleichen wollt.“
“Da habt ihr Recht, aber ich will Euch auch nicht kaufen. Wenn Ihr mir folgt, dann tut dies aus freien Stücken.“ Karon sah in die besorgten Gesichter der Söldner. “Oder tut es gar nicht. Die Entscheidung liegt bei euch. Ich werde euren Entschluss respektieren, gleich wie er ausfällt.“
“Versteht das bitte nicht falsch. Wir würden Euch helfen. Aber wir sind Krieger. Wir kämpfen, ja, das ist es was wir können, und da töten wir auch. Aber das ist auf dem Schlachtfeld. Was ihr vorhabt ist kein offener Krieg, sondern ein Krieg aus dem Schatten heraus. Wir wären ungeeignet für Angriffe aus dem Hinterhalt, ebenso wie Ihr ungeeignet wäret für einen Krieg auf dem Feld. Sicher, ihr seit erfahrene Kämpfer, und ihr versteht es zu töten, aber dennoch sind unsere Fähigkeiten anders verteilt, auch wenn das Resultat am Ende das Gleiche ist. Wir würden Euch sicher weniger nutzen als schaden. Wenn wir Euch helfen können werden wir es tun, aber wir sind keine Attentäter sondern Soldaten.“
Ein anderer Söldner erhob sich von seinem Platz.
“So ist es, Herr Karon. Gerne würden wir Euch beistehen, und werden dies auch tun so gut wir können, aber für heimtückische Angriffe aus dem Hinterhalt sind wir nicht geeignet. Wenn Ihr getan habt was getan werden muss, so habt Ihr unsere volle Unterstützung, doch bis es soweit ist seit Ihr auf Euch selbst gestellt.“
Karon holte seine Pfeife hervor, öffnete den kleinen Tabaksbeutel den er von Maraxus geschenkt bekommen hatte, stopfte sich langsam und übertrieben vorsichtig die Pfeife, steckte sich seine Pfeife an und blies langsam den Rauch aus.
“Ich danke Euch für Eure Unterstützung. Wir wissen sie ehrlich zu schätzen und auch wir werden stets für Euch da sein, wenn Ihr uns braucht. Wenn Ihr es Euch anders überlegt, dann bitte ich Euch mir dies kundzutun. Wir werden uns nun in unser Zelt zurückziehen und beratschlagen was weiter zu geschehen hat. Ich denke Ihr respektiert die Abgeschiedenheit des Kriegsrates. Ihr habt genug Schlachten geschlagen um zu wissen das er nur im Verborgenen stattfinden kann.“
Er wandte sich ab und sprach nun zu seinen Komplizen.
“Assassinen, kommt. Wir haben etwas zu bereden.“
Damit wandte er sich von den Tischen ab und ging zu einem großen Zelt das etwas abseits stand. Die anderen Assassinen erhoben sich von ihren Plätzen, nickten den Söldner freundlich zu und folgten ihrem Hauptmann in das Zelt. Desmond kam als letzter und löste das Band welches die Zeltplane aufhielt, so das sie zuviel und das Zeltinnere vor Blicken geschützt war. Kaum war die Plane herab gefallen ergriff Maraxus das Wort.

“Diese feige Bande. Was denken sie sich eigentlich? Dieser Krieg geht uns alle etwas an, aber diese Memmen sitzen nur da und drehen Däumchen. Wenn der Feind sich weit genug ausgebreitet und seine Macht erst einmal errungen hat werden diese Söldner genauso dastehen wie wir. Alle werden sie hängen, er wird nicht zulassen das irgendjemand der dem Grafen beistand frei in der Gegend umherläuft und Gelegenheit bekommt ihn zu rächen. Ich wünschte sie hätten etwas mehr Courage.“
“So kannst du das nicht sehen, Maraxus.“ Caysha versuchte den aufgebrachten Krieger zu beruhigen. “Es ist so wie sie es gesagt haben. Sie sind Soldaten, keine Attentäter. Wenn wir in das Gebäude hereinkommen, was so gut wie unmöglich ist, dann dürfen wir auf keinen Fall auffallen. Wir sind alle geübt darin nicht aufzufallen, aber die Kunst von Soldaten auf dem Schlachtfeld ist genau das Gegenteil. Sie wollen auffallen. Während wir unsere Kräfte verstecken um aus dem Geheimen zuzuschlagen liegt Ihre Stärke darin nicht vorhandene Kraft vorzutäuschen um den Feind einzuschüchtern.“
“Caysha hat Recht“ sagte Rajhada. “Wir können auf sie zählen. Sie verstecken uns, obwohl das für sie eine große Gefahr bedeutet, und das ist mehr als wir erwarten können.“
Karon meldete sich wieder zu Wort.
“Wie auch immer, wir können es auch alleine schaffen in das Gebäude einzudringen, und vielleicht gelingt es uns sogar bis in den Thronsaal zu gelangen ohne entdeckt zu werden, aber wenn auch nur ein winziger Punkt dazukommt der fehlschlägt, dann haben wir ein Problem. Je weniger Wachen da sind um uns zu bemerken, desto größer ist die Chance das der Plan gelingt. In unserer Angelegenheit ist weniger mehr. Am unauffälligsten wäre ein Einziger von uns, aber das wird nicht funktionieren. Wir müssen die Wachen irgendwie ausschalten. Ich will so wenig von Ihnen töten wie es geht. Die Meisten haben nichts mit der Sache zu tun, sie stehen nur in Lohn und Brot bei diesem ...“
Karon unterbrach. Er horchte. Pferdegetrappel. In diesem Söldnerlager gab es zwar berittene Kämpfer, aber die Pferde waren etwas abseits des Lagers in einem improvisierten Gatter untergebracht. Wenn jemand zu Ross in dieses Lager ritt dann war es ein Fremder. Drei Fremde, um genau zu sein, denn Karon war sich sicher dass das Getrappel von mindestens drei Pferden stammen musste. Die Assassinen hatten es ebenfalls bemerkt. Lautlos verteilten sie sich so im Zelt das man sie nicht sofort sehen würde wenn die Plane zurückgeschlagen wurde. Die Pferde blieben stehen und die Reiter stiegen ab. Karons Vermutung bestätigte sich. Es waren Drei. Sie redeten kurz mit dem weißhaarigen Söldner. Die Assassinen konnten nicht genau verstehen was die Männer draußen redeten, aber sie hörten einen Namen. Die Reiter suchten nach jemandem. Karon griff zu seinem Schwert.

***

Langsam kamen die Schritte näher. Es waren Zwei Personen, zumindest klang es danach. Einer von Ihnen sagte laut “Dieses Zelt?“. Die Stimme kam ihnen bekannt vor.
Sie hörten wie der Weißhaarige die Frage bejahte.
“Er hat uns verraten. Ich habe es doch gesagt. Er hat uns verraten.“
“Sei still, Maraxus. Und mach dich auf einen Kampf gefasst, aber halt dich zurück. Es sind nur Drei. Wer wäre so wahnsinnig zu Dritt hier aufzutauchen und sich mit uns anzulegen?“
“Wieso zu Dritt, Karon. Die Söldner stehen denen doch ganz offenbar bei. Du hast doch gehört das sie ihnen unser Zelt gezeigt haben.“
Maraxus hatte sein Schwert gezogen und hielt es kampfbereit in seiner linken Hand. In der Rechten hatte er seinen Dolch „Von-Ohr-zu-Ohr“. An der anderen Seite des Zeltes stand Andarah und hatte ihren gespannten Bogen auf den Zelteingang gerichtet. Die enorme Anspannung und die aufzuwendende Kraft um den Bogen zu spannen merkte man ihr in keiner Weise an. Der Pfeil lag ganz sicher auf der Sehne und zitterte kein bisschen. Links und Rechts neben Ihr standen Rajhada und Caysha, jeweils mit einer Armbrust. Sie zielten ebenfalls auf den noch verhangenen Eingang des Zeltes. Gleich links neben dem Zelteingang stand Desmond mit einem langen Krummsäbel. Er trug ihn stets verborgen unter dem Mantel. Sein Schwert steckte noch in der Scheide. Er hatte den Säbel gewählt weil er damit schneller zuschlagen konnte. Karon stand in der Mitte des Zeltes, seinen Claymoore hielt er fest in beiden Händen. Sie horchten auf die Schritte die sich dem Zelt langsam näherten. Es waren zwei Personen. Der Eine trug leichtes Schuhwerk, so wie es die Söldner in ihrem Lager trugen. Der Andere trug offenbar feste Stiefel, denn es pochte bei jedem Schritt den er näher auf das Zelt zukam. Plötzlich blieben sie stehen. Die Assassinen hörten eine Stimme von draußen. Sie gehörte dem Weißhaarigen.
“Wenn Ihr jetzt die Zeltplane zurückschlagt seit ihr ein Toter Mann.“
Maraxus sah fragend zu Karon herüber.
“Aber warum sollten sie mich denn umbringen?“
Karon kannte die Stimme von irgendwo, und auch die anderen Attentäter grübelten darüber nach woher sie die Stimme kannten. Einzig Desmonds Mine erhellte sich ein wenig. Er steckte den Säbel wieder in die Scheide die er auf dem Rücken trug.
“Steckt die Waffen weg, es ist alles in Ordnung.“ Er wollte gerade die Zeltplane zurückschlagen da gewahrte er ein zischendes Geräusch. Es stammte von Caysha. Sie hatte ihre Armbrust herumgerissen und zielte jetzt auf Desmond.
“Vergiss es. Du bist zwar schnell, aber nicht so schnell wie der Bolzen. Nimm die Hand da weg, oder ich jage dir einen hinein.“
“Was soll das? Bist du verrückt geworden? Das ist doch Ötsch.“

“Das ist mir egal. Wir werden jetzt nicht herausstürmen wie Lemminge und denen in die Schwerter laufen. Sollen die doch zu uns hereinkommen. Dann werden wir sehen ob du recht hast.“

“Aber es ist Ötsch. Er hat Karon das Leben gerettet. Währe er nicht gewesen dann wäre Karon jetzt tot. Er ist nicht unser Feind. Er hat alleine mindestens Zehn Soldaten getötet, und die haben seinen Bruder enthauptet und seinen Kopf ausgestellt. Er hat die gleichen Beweggründe wie wir. Wir können ihm vertrauen.“
Obwohl sie jetzt alle die Stimme erkannt hatten blieben sie noch skeptisch. Natürlich hatte Desmond Recht mit dem was er sagte, es schien allen einzuleuchten. Aber dennoch mussten sie vorsichtig sein. Maraxus sprach aus was alle anderen dachten.
“Wir können niemandem vertrauen. Um ganz genau zu sein nicht einmal dir.“
“Maraxus, was soll das? Wir sind hier doch sicher. Karon hat selbst gesagt, niemand wäre so wahnsinnig hier nur zu Dritt aufzutauchen und...“
“...da haben wir es doch schon. Zu Dritt. Wer sind denn die anderen Beiden?“
“Vollkommen gleichgültig wo sie sind, vermutlich warten sie noch bis wir herauskommen. Sie haben vielleicht Angst das sie sich einen Armbrustbolzen oder einen Schwerthieb einfangen obwohl sie in friedlicher Absicht kommen. Und wenn ich mir das hier so ansehe haben sie ja auch Recht mit dieser Vermutung.“
Von draußen erklang laut die Stimme des Weißhaarigen. Sie war an die Assassinen gerichtet.
“Hört zu, Freunde. Ich komme jetzt herein. Hier ist Besuch für Euch. Es sind Freunde. Tut mir nichts.“
Langsam schob sich die Hand des Söldners zwischen die Zeltplane und schlug sie vorsichtig zurück. Karon ließ sein Schwert sinken, hielt es aber weiterhin fest in beiden Händen. Der Kopf des Weißhaarigen schob sich in das Zeltinnere. Er lächelte und nickte.
“Ganz wie ich es mir gedacht habe. Seht Ihr, wenn Ihr einfach so hineingegangen wäret, so würden wir Euch jetzt betrauern müssen.“
Hinter dem Söldner erkannten die Attentäter das Gesicht des Barbaren der ihnen in der Taverne begegnet war und Karon später bei der Flucht geholfen hatte. Auf seiner linken Wange war eine frische Hiebwunde von einem Schwert oder etwas ähnlichem. Er grinste über das Ganze Gesicht.
“Ja, betrauern würden sie es. Immerhin bin ich gekommen um ihnen zu helfen, und Hilfe ist es doch die sie am nötigsten brauchen. Kommt heraus, ich habe jemanden mitgebracht.“
Langsam entspannte sich die Situation. Caysha und Rajhada nahmen die Bolzen aus den Armbrüsten und Andarah entspannte ihren Bogen. Nur Karon steckte sein Schwert nicht zurück sondern behielt es in der Hand als sie das Zelt verließen.
In der Mitte des Söldnerlagers standen die Drei Pferde. Es waren prachtvoll gewachsene Shire-Horses, groß und kräftig. Die beiden anderen Reiter standen bei ihren Pferden, trugen zwar Waffen hatten diese aber nicht gezogen. Bei genauerer Betrachtung der Sachlage war dies auch das Beste was sie machen konnten. Einige der Söldner standen um die Beiden herum und beobachteten sie misstrauisch. Sie hatten alle irgendwelche Waffen in der Hand, wenn auch nur ganz beiläufig. Andere Söldner beobachteten die Neuankömmlinge aus einiger Entfernung. Sie trugen Bögen oder Armbrüste. Die Armbrustschützen hatte ihre Waffen bereits gespannt, aber noch keinen Bolzen eingelegt. Karon fühlte sich in seiner guten Meinung über diese Menschen bestätigt. Zwar waren es auch käufliche Schlächter, aber die Freundschaft zu den Attentätern war ehrlich und hatte keinen Preis. Karon war sich sicher das diese Leute sie nicht verraten würden. Die Gruppe aus dem Zelt ging auf die Beiden Reiter zu. Sie trugen ebenfalls dunkle Kapuzenmäntel, hatte diese aber einseitig über die Schulter geworfen. So sahen sie aus wie schwarze Geister. Sie waren komplett in den Mantel gehüllt, und man konnte nichts von ihnen erkennen. Es wäre übertrieben zu sagen das sie furchteinflößend waren, aber sie wirkten schon ein wenig unheimlich. Karon deutete den übrigen Attentätern stehen zu bleiben. Er selbst, Ötsch und Maraxus gingen weiter bis sie bei den Fremden angelangt waren. Sie blieben bei den Beiden stehen.
“Ihr seit Karon Sturmfels?“ fragte der Eine der Beiden.
“So ist es. Was wollt ihr von mir?“
Der Fremde schwang den Umhang beiseite und nahm die Kapuze ab. Es war ein fremdländisch wirkender Mann von schmaler Gestalt. Er hatte einen dünnen Kinnbart und seine Haut war leicht gebräunt. Dichtes, schwarzes Haar hing ihm bis auf die Schultern herab. Er trug ein Kettenhemd und darüber einen Rot-Weißen Waffenrock auf dessen Brust das Wappen der Burgwache prangte.
“Mein Name ist Paolo. Ich bin Schwertmeister der früheren Burgwache. Dies ist mein Adjutant Uther. Freut mich Euch wohlauf zu sehen, Herr Karon.“
Karon war sichtlich erfreut über den Besucher. Er kannte den Mann nicht persönlich, aber die Burgwache war seit jeher mit den Assassinen befreundet.
“Seit willkommen, Paolo. Auch ich bin erfreut einen Freund hier zu begrüßen, und keinen Häscher den man nach mir ausgesandt. Sagt, was soll die Maskerade und die Geheimniskrämerei?“
“Schwere Zeiten dieser Tage, Herr Karon. Wir leben in verdecktem Krieg. Das Wappen der Burgwache ist nicht mehr das was es einmal war.“
“Leider. Mögen bald bessere Zeiten anbrechen.“
“Dann hättet Ihr aber kaum noch etwas zu tun, nicht wahr?“
Karon, Maraxus und die beiden Wächter lachten erleichtert. Es tat gut nach der Anspannung der letzten Zeit einmal kurz zu lachen.
“Aber jetzt mal im Ernst. Was treibt Euch her zu mir? Und wie habt Ihr mich gefunden?“
“Gefunden haben wir Euch durch Zufall. Wir hofften das die Söldner über Euren Aufenthaltsort bescheid wüssten, und wir hatten ja auch Recht damit. Wir sind gekommen um euch eine Nachricht vom Grafen der Burg zu bringen.“
“Der Graf? Das ist interessant. Was lässt der Graf mir denn ausrichten, mein Freund?“
“Ich soll Euch wissen lassen das er nicht den Befehl für Eure Verhaftung gab, und das es nicht sein Befehl war das ihr hingerichtet werden solltet. Es ist ihm wichtig das Ihr dies wisst. Er will Euch nicht zum Feind haben. Ihr genießt nacht wie vor seine Freundschaft. Um dies zu Beweisen soll ich Euch mitteilen das Ihr auf der Burg nach wie vor willkommen sein werdet und dort auch Unterschlupf findet.“
Karon nickte zufrieden. Er war erfreut das der Graf so dachte und auch noch befohlen hatte das man ihm dies mitteilte. Er wusste das der Graf ein Alter und Kranker Mann war, aber er war noch immer klaren Verstandes.
“Sagt dem Grafen das ich dieses Angebot dankend ablehnen muss. Die Stadt und nicht einmal die Burg sind sichere Plätze für mich. Ich weiß das er nichts damit zu tun hat, denn ich kenne den Schuldigen und ich werde ihn zur Rechenschaft ziehen.“
Paolo sah Karon fragend an.
“Ihr kennt den Schuldigen?“
“Ja, so ist es. Ich habe einen Verdacht der sich mehr und mehr bestätigt.“
“Einen Verdacht? Nur einen Verdacht? Aufgrund eines Verdachtes wollt Ihr Euch in Gefahr begeben?“
“Gefahr besteht für mich, ob ich mich in sie hineinbegebe oder abwarte bis sie mich findet. Ich ziehe es dann vor die Gefahr abschätzen zu können indem ich ihr entgegentrete.“
“Ich vermute das ihr glaubt es...“
“...ich denke ihr vermutet Richtig, mein Freund.“
“Aber wenn es der ist den ich meine, wie wollt Ihr es bewerkstelligen? Ein Eindringen in sein Domizil scheint unmöglich, Herr Karon.“
“Wie Ihr bereits sagtet, es scheint unmöglich, ist es aber nicht. Alles, jedes Gebäude, jede Burg und jede Festung hat seine Schwachstelle.“
“Eine Schwachstelle die Euch bekannt ist?“
Karon lächelte. Und Paolo erkannte in Karons Lächeln das er einen Plan hatte, und zwar einen Plan der Erfolg versprach.
“Paolo, mein Freund. Kann ich auf Eure Unterstützung in dieser Sache rechnen?“
Paolo sah kurz zu seinem Adjutanten herüber. Dann zog er langsam sein Schwert hervor und zeigte mit dessen Spitze auf den Boden vor Karons Füßen. Paolos Begleiter tat ihm dies gleich.
“Auf meine Ehre. So wie ich dem Grafen, der Burg und Stadt gedient, so werde ich sie nun verteidigen, komme was wolle.“
“Ich bin froh das zu hören. Es ist gefährlich, aber mit Euch könnte der Plan den ich habe gelingen. Wir waren gerade dabei einen auszuarbeiten, aber Euer Unterstützung in dieser Angelegenheit kommt uns so recht das der Ursprüngliche Plan gelingen könnte.“
“Ich werde Euch folgen, und auch der Rest der noch vorhandenen Burgwache wird mitkommen, sie gehorchen zum Großteil meinem Befehl. Aber ich muss zuvor den Plan erfahren.“
“Alles zu seiner Zeit. Ihr dürft zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur wissen das wie das Nebelschloss einnehmen werden.“
“Das klingt so leicht, Herr Karon. Aber es gibt Wachen.“
“Die kann man ablenken oder notfalls ausschalten.“
“Und der Weg dorthin ist ebenfalls ungesehen nicht zu bestreiten.“
“Ja, das ist Richtig. Wir werden gesehen. Auf jeden Fall werden wir gesehen, da kommen wir nicht drum herum.“
“Aber wenn Ihr gesehen werdet, wie könnt Ihr Euren Plan dann noch durchziehen?“
“Aber Paolo, mein alter Freund. Das wir gesehen werden ist doch ein sehr wichtiger Teil des Plans.“
An einen Baum gelehnt stand der Weißhaarige Söldner. Er wusste von dem Plan, darum hatte er auch abgelehnt. Es war nicht nur schwierig, es war unmöglich, soviel war ihm klar. Er wartete und hörte gespannt zu. Die Sache wurde sehr interessant. Möglicherweise könnte es klappen. Aber was wenn nicht?

***

Der Aufgang zum Schloss war hart und beschwerlich, und die Kälte und der liegende Schnee machten es noch schwerer für den Mann. Immer wieder rutschte er mit seinen schweren Stiefeln auf dem gefrorenen Boden weg. Mühselig tastete er sich weiter den Berg hinauf. Bereits am Ersten Tor begannen die Schwierigkeiten.
“Halt, wer da?“
“Ich bringe eine Nachricht für Euren Herrn, den Grafen.“
“Wer seit Ihr?“
“Das ist nicht von Interesse für Euch.“
Eine Klappe in der Tür wurde geöffnet und eine Armbrust zielte auf ihn.
“Doch, allerdings ist es das.“
Er sagte wer er war und was er wollte. Daraufhin forderte man ihn auf sein Schwert durch eine Durchreiche im Unteren Teil der Tür zu reichen. Er schnallte sich missmutig das Schwertgehänge ab und reichte es den Türwächtern. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet. Einer der Wächter zielte weiterhin mit seiner Armbrust auf ihn, während der Andere ihn von Kopf bis Fuß auf Waffen absuchte. Sie fanden den Dolch den er im Stiefel bei sich trug.
“Ich bitte Euch, dies ist doch kaum mehr als ein Messer um Brot und Fleisch zu schneiden.“
“Dann werdet Ihr es sicher nicht brauchen, denn wenn man Euch zum Essen eingeladen hätte, so wüssten wir davon, und wenn man Euch wider Erwarten etwas anbieten sollte, dann wird auch Besteck dazu gereicht.“
Die Wachen lachten laut und boshaft.
“Aber es war ein Geschenk.“
“Und Du wirst es wiederbekommen, wenn Du auf Deinem Rückweg wieder hier vorbei kommst. Und wenn nicht, dann brauchst Du es auch nicht mehr. Und jetzt scher dich fort.“
Wiederstrebend erkannte der Mann das die Beiden ohne Zweifel im Vorteil waren. Sie waren bewaffnet, er nicht mehr. Und zu allem Überfluss zielte einer der Beiden mit einer Armbrust auf ihn. Was ihn beruhigte, wenn die Beiden ihn hätten töten wollen, dann hätten sie es bereits getan. Fortan musste er den Weg also unbewaffnet bestreiten. Gefahr drohte ihm ohnehin keine, jedenfalls keine die er mit einem Schwert oder Messer hätte abwehren können. Ein Blick nach oben zum Schloss hin verriet ihm das er unter Beobachtung stand. Armbrustschützen pattroulierten auf den Burgzinnen und waren durch eine mannshohe Brustwehr vor feindlichen Fernangriffen geschützt. Jetzt verstand er umso besser warum niemand es wagen würde diese Burg anzugreifen oder auch nur daran dachte sie einzunehmen. Es war schier unmöglich. Er zog seinen grauen Kapuzenmantel enger um die Hüften um dem Wind besser zu trotzen. Gleich war er am Ziel angelangt. Er dachte kummervoll an die Gefahren die auf ihn lauerten. Und sollte sein Vorhaben gelingen und er dürfte wirklich mit dem Herrn des Schlosses reden, dann kam die Gefahr des Abstiegs. Er Berg war steil, sehr steil. An der Einen Seite ragte ein blankgeschliffener Felsen hervor, niemand sollte die Möglichkeit haben den Berg auf einem andern als dem vorgegeben Berg zu beschreiten, und auf der Anderen Seite fiel der Berg ebenso steil und glatt ab. Er hatte keine Ahnung ob man ihm Gehör schenken würde, er hatte auch keine Ahnung ob er Gelegenheit bekommen würde den Abstieg zu wagen. Er konnte nur hoffen. Hoffnung war alles was einem dieser Tage blieb. Karon hoffte auch. Er war unten im Söldnerlager. Er hoffte auf ein gutes Gelingen seines noch nicht ganz ausgereiften Planes. Die ehemaligen Burgwächter jedenfalls waren bereit ihn in seinem Vorhaben zu unterstützen. Durch diese unerwartete Hilfe konnten auch einige der Söldner umgestimmt werden. Aber nicht alle. Die Situation begann sich zuzuspitzen.


Der Alte saß mit leicht geöffneten Augen auf seinem Thorn. Er war müde. Die Sorgen um die Ausführung seines größten und wichtigsten Schlages hatten ihn nächtelang nicht zur Ruhe kommen lassen. Dieser Karon Sturmfels und seine Gesellen mussten um jeden Preis ausgeschaltet werden, koste es was es wolle. Er vertraute darauf das Tobias und seine Söldner gute Arbeit leisten würden, aber das hatte er auch von Balthasar gedacht, bis zu jenem Tage an dem man ihn vom Galgen losband. Wie hatte dieser vermaledeite Schurke das nur bewerkstelligt? Am meisten Sorge bereitete ihm das Gesichte das Tobias gemacht hatte als der Name Maraxus fiel. Tobias war ein harter und tapferer Mann, aber irgendetwas ließ Zweifel in dem Alten aufkommen. Er wusste von der Schlacht die Tobias gegen die Barbaren geschlagen hatte, und er hatte auch davon gehört das der Kriegsfürst dieser Wilden ein noch größerer Schlächter war als Tobias. Auch war ihm zu Ohren gekommen das Tobias seine Narbe Maraxus zu verdanken hatte. Tobias soll angeblich jahrelang Kopfgeldjäger entsandt haben die ihm über Maraxus verbleib Auskunft geben sollten. Viele kehrten nie wieder zurück, aber wenn sie zurückkamen war alles was er zu hören bekam Mythen und Legenden von einem Mann der wie ein Schatten war. Stets tauchte er irgendwo auf und verschwand so spurlos wie er gekommen war. Na ja, spurlos nicht gerade. Ständig gab es Tote. Es gab einen dezenten aber dumpfen Ton als die Tür zum Thronsaal geöffnet wurde. Der Lakai des Alten Mannes betrat den Saal und blieb kurz vor der Tür stehen. Müde sah der Alte auf.
“Herr, verzeiht die Störung, aber da möchte Euch jemand sprechen. Er sagte es ginge um den Attentäter den Ihr sucht.“
“Wer ist es?“
“Karon Sturmfels, Herr. Ihr wisst schon, Ihr sucht...“
“...Verdammter Tölpel! Wer ist an der Tür?“
“Es ist einer der Söldner aus dem Lager vor dem Dorf, Herr.“
Schlagartig war der Alte hellwach. Er setzte sich gerade auf und wirkte hochherrschaftlich und erhaben in seinem Thorn. Nichts deutete mehr auf seine Müdigkeit und Sorge hin.
“Lasst Ihn eintreten.“
Der Diener verbeugte sich kurz und schritt leichtfüßig wieder aus dem Saal. Nur einen Atemzug später trat ein hochgewachsener Mann in den Saal dicht gefolgt von Zwei Wachen mit vollen Rüstungen und Hellebarden. Die Helme schränkten ihr Blickfeld erheblich ein, die Visiere waren heruntergeklappt, so wie der Alte es befohlen hatte. Niemand sollte seine Wachen mit irgendetwas ausschalten können. Der Besucher trug schwere Stiefel und einen langen Grauen Kapuzenmantel. Die Kapuze hatte er auf dem Haupt aber nicht ins Gesicht gezogen, somit konnte man ihn mehr oder weniger erkennen. Es war der weißhaarige Söldner mit dem struppigen Bart, den er fein säuberlich gekämmt hatte. Er blieb einige Schritte vor dem Alten stehen, die Wachen standen links und rechts neben ihm, und verbeugte sich kurz aber höflich. Irgendwie wirkte diese Geste aufgesetzt.
“Seit gegrüßt, Herr des Nebelschlosses.“
“Sprecht. Wer seit Ihr und was habt Ihr für mich?“
“Schön warm habt Ihr es hier. Man könnte Euch fast beneiden, Herr. Ich denke mal das Ihr auch nie Hunger leiden müsst, und für Eure „Unterhaltung“ ist sicherlich auch ausreichend gesorgt. Oder macht Ihr Euch nichts mehr aus Unterhaltung?“
“Hütet Eure Zunge. Ich habe Euch etwas gefragt.“
“Was ich für Euch habe dürftet Euch bekannt sein, oder zumindest vermutet Ihr es. Die Frage ist: Was habt Ihr in diesem Fall für mich?“
Der Alte blickte den Söldner eisig an. Dann nickte er seinen Wachen zu.
“Lasst uns alleine.“
Einer der Wächter protestierte.
“Aber Herr...“
“Tut was ich Euch sage“, brüllte der Alte ungehalten.
“Man hat ihn doch auf Waffen untersucht. Welche Gefahr stellt er für mich dar? Raus!“
Die Wächter verließen etwas missmutig und besorgt den Thronsaal und schlossen die schwere Eichentür, blieben jedoch davor stehen. Die Tür war massiv und schwer. Sie waren ein wenig verwundert. Fremden gegenüber war ihr Herr immer schon misstrauisch gewesen, und gerade in der jetzigen Zeit war es noch mal so vorsichtig wie jemals zuvor. Und dazu kommt auch noch das dieser Fremde von dem Mann sprach der die größte Gefahr für ihren Herrn darstellte. Was wenn dieser Fremde nicht in freundlicher Absicht gekommen war? Was wenn er doch noch irgendeine Waffe verborgen am Körper trug? Was wenn er vielleicht gar keine Waffe brauchte um jemanden zu töten? Hätte der Alte um Hilfe gerufen, wären sie niemals rechtzeitig bei ihm gewesen.
“Also, du weißt also wo sich Karon Sturmfels aufhält, ja?“
Der Söldner lächelte verschmitzt.
“Jetzt fallen wir aber mit der Tür ins Haus.“
“Ja oder Nein? Meine Zeit ist kostbar.“
“Könnte schon sein, alles eine Frage des Geldes.“
“Die Frage des Geldes ist bereits geklärt. Ihr wisst was ich für die Ergreifung ausgesetzt habe. Fünfzig Goldstücke für den der mir Karon Sturmfels bringt, Tot oder lebendig. Natürlich...“ der Alte grinste boshaft “Tot wäre er mir lieber.“
“Das glaube ich gern. Immerhin ist er schwer totzukriegen, nicht wahr. Nicht einmal der Galgen ist eine zuverlässige Methode wenn man zu lange mit ihr wartet. Übrigens. Mir ist das Missgeschick mit Eurem Getreuen zu Ohren gekommen. Wirklich bedauerlich.“
Das Grinsen wich sofort aus dem Gesicht des Alten.
“Also? Wisst Ihr etwas oder vergeudet Ihr hier nur meine Zeit?“
“Ich weiß wo er ist, aber diese Information kostet Euch mehr als nur Fünfzig Goldstücke. Immerhin ist er gefährlich, wie Euch bekannt sein dürfte. Fünfzig Goldstücke kostete seine Ergreifung schon bevor Ihr ihn gefangen hattet. Bevor er Dreißig Eurer Männer auf dem Gewissen hatte. Oh, Verzeihung. Ich vergaß. Es sind ja indessen Einunddreißig, nicht wahr. Man sollte Ihn dazuzählen. Demnach würde ich sagen für jeden Eurer Männer kommt ein weiteres Goldstück hinzu. Ergo würde Euch die Information...“ der Söldner rechnete angestrengt nach “... sie würde Euch also Einhundert Goldstück kosten.“
“Hundert Goldstücke!“ brüllte der Alte. Im Gleichen Moment wurde die schwere Tür einen Spalt geöffnet. Einer der Wächter sah neugierig hinein.
“Verschwinde! Es ist alles in Ordnung.“
Der Wächter zog verschüchtert wieder den Kopf aus dem Raum und die Tür hinter sich zu. Der Alte sprang graziler auf als man ihm zugetraut hätte. Wieselflink war er bei dem Söldner angelangt.
“Du sollst Deine Hundert Goldstücke bekommen, aber dafür musst Du auch die Regeln befolgen. Die Belohnung war für den der mir Karon Sturmfels bringt, und nicht für den der mir sagt wo er sich aufhält. Früher oder Später finden wir ihn ohnehin, aber ich kann nicht so lange warten. Also?“
Der Söldner nickte.

“Ja, das dache ich mir bereits. Ihr seit vorsichtig geworden, immerhin könnt Ihr nicht riskieren noch mehr Männer zu verlieren. Schwere Zeiten dieser Tage. Ich glaube fast Ihr würdet mir auch noch mehr bezahlen.“
“Für diese Arroganz würdet Ihr für Gewöhnlich hingerichtet. Aber ich sage Euch etwas. Ihr bekommt von mir die 100 Goldstücke und dürft fortan in meine Dienste treten, vorausgesetzt es gelingt Euch in der Tat mir diesen Mann zu bringen.“
“In Eure Dienste treten? Welche Ehre.“ Der pure Spott klang in der Stimme des Söldners mit.
“Soll das heißen Du lehnst ab?“
“Oh, so will ich das nicht sagen, aber ich lege mich ungern fest. Ich verdiene mein Geld lieber Stück für Stück.“
“Ja, aber wie Ihr lebt werden selbst 100 Goldstücke rasch aufgebraucht sein.“
“In der Tat. Ich denke ich sollte mehr verlangen. Was gebt Ihr mir für die Anderen?“
Der Alte blickte erschrocken.
“Die Anderen? Wie viele sind es denn? Ich weiß nur von Einem der sich ihm angeschlossen hat.“
“Ich meinte generell.“
“Das klingt mir ganz nach einem Komplott. Dieser Karon ist ein Mann der weiß was er will, und er kann auch Soldaten befehligen. Und von diesem Maraxus von Keld weiß ich ebenfalls dass er ein Anführer ist.“
“So wie Ihr das sagt klingt es nach einer ganzen Armee.“
“Wie viele sind es denn bereits?“
Der Söldner lächelte. “Ihr wisst doch, Zahlen sind nicht so meine Sache.“
“Bring mir erst einmal Karon Sturmfels, und dann sehen wir weiter.“
Der Alte bewegte sich jetzt wieder auf seinen Thron zu, allerdings deutlich langsamer als zuvor.
“Keine Sorge, Sir. Er ist schon so gut wie in Eurer Hand.“
Der Alte lächelte zufrieden, und auch der Weißhaarige Söldner schien zufrieden zu sein. Er hatte die Gelegenheit den Abstieg zu wagen, und ganz sicher würde er auch seine Waffen wiederbekommen. Er würde sie noch bitter nötig haben, das wusste er. Er hatte bisher nie an seinen Fähigkeiten mit der Waffe gezweifelt. Bald würde er sicherlich Gelegenheit bekommen herauszufinden wie gut er wirklich war. Er war so angespannt das er nicht einmal bemerkte das ihm jemand lautlos folgte.

***

Das Söldnerlager wirkte ruhig und gelassen. Im Grunde genommen war es so wie es immer war. Die Söldner übten sich im Bogenschießen und im Schwertkampf. Dabei kam in der Regel niemand zu Schaden. Die Assassinen übten ebenfalls mit den Söldnern. Es war immer Gut im Training zu bleiben, gerade wenn ein Kampf bevorstand. Andarah von Irendor war bei den Bogenschützen. Sie standen um sie herum und bewunderten ihren Bogen. Sie konnte den „starken Männern“ noch etwas beibringen, zumindest wenn es um die Kunst des Bogenschießens ging. Rajhada stand etwas abseits und sah dem regen Treiben lieber zu. Sie wusste das sie gut mit dem Schwert war. Sie hatte keine besondere Taktik, sie schlug lieber wild und hart um sich. Das klingt zwar unkoordiniert, aber in Wahrheit war sie eine reißende Wölfin, was ihr auch den Spitznamen einbrachte. Sie hätte bei einem Training eher die Waffe des Gegners zerstört, so wild und stark schlug sie zu, daher hielt sie es für besser zuzusehen. Caysha übte, allerdings alleine. Sie stand in einer Ecke unter einem Baum und vollzog Schattenübungen. Obwohl sie den Umgang mit dem Schwert und der Armbrust beherrschte zog sie zum Töten eine Sichel vor. Sie schlich sich für Gewöhnlich von hinten an das Opfer heran, brachte die Sichel von hinten an die Kehle und schlitzte ihm die Schlagadern durch. Irgendjemand hatte einmal behauptet gesehen zu haben wie Rajhada anschließend den Kopf des Getöteten nach hinten zog und das ausströmende Blut getrunken haben sollte. Aber das waren selbstverständlich nur Gerüchte die niemand beweisen konnte. Ebenso legendär war die Geschwindigkeit mit der sie sich bewegte. Sie blieb stets nur ein Schatten, für das Auge kaum wahrnehmbar. Zu allem Überfluss kam sie auch noch aus einem kleinen Dorf in Rumänien, was die Spekulationen auf die Spitze trieben. Aber wie gesagt, Gerüchte sprechen sich schnell herum und der Wahrheitsgehalt blieb meistens auf der Strecke. Karon, Maraxus und Paolo, der Schwertmeister der ehemaligen Burgwache, nahmen nicht an den Übungen teil. Sie saßen im Zelt und berieten über Karons tollkühnen Plan.
“Also, bei aller Ehre und allem Respekt, Herr Karon, ich bin nicht so zuversichtlich wie Ihr das dieser Plan aufgehen wird. Ihr habt zu viele Lücken und unbedachte Eventualitäten.“
“Das ist Richtig, deshalb haben wir uns ja hier zurückgezogen um diese Lücken auszufüllen und die Eventualitäten auszuklammern. Erst wenn alles was den Plan scheitern lassen könnte beseitigt ist werden wir zuschlagen.“
“Und selbst dann gibt es noch keine Garantie. Niemandem ist es bisher gelungen in das Nebelschloss einzudringen, niemandem.“
“Die Wahrheit ist das es noch niemand versucht hat.“
Betretens Schweigen herrschte.
“Also, fangen wir noch mal von vorne an. Ich werde zusammen mit Rajhada...“
Von draußen erklang plötzlich ein Gewirr von Stimmen. Alle liefen wie wild umher. Irgendjemand rief Karons Namen. Am Klang der Stimme konnte Karon erkennen das es sich um einen Notfall handelte. Er sprang sofort auf, griff auf dem Weg zum Zeltausgang zu seinem Schwert das er neben sich in den Boden gesteckt hatte und eilte aus dem Zelt. Maraxus war beinahe zur gleichen Zeit aufgesprungen und hechtete seinem Hauptmann hinterher. Die Söldner standen im Kreis um etwas herum das auf dem Boden lag. Karon und Maraxus drängten den Auflauf auseinander um sehen zu können was es war. Es war eine Leiche. Karon beugte sich über den Toten und drehte das Gesicht des Armen so das er es erkennen konnte.
“Wir haben ihn im Wald gefunden, nicht weit von hier.“
Es war Salix, der Verrückte mit dem Karon sich eine Zelle geteilt hatte, kurz vor Karons „Hinrichtung“.
“Er wurde nicht erschlagen oder erschossen. Er muss hingefallen sein. Er hat sich den Kopf an einem Baumstumpf aufgeschlagen. Ich denke mal er hat sich das Genick gebrochen.“
Karon sah den Söldner der zu ihm gesprochen hatte an. Er war es auch der Salix gefunden hatte.
“Er wurde zum Tode verurteilt, er sollte gehängt werden. Dabei wäre ihm ebenfalls das Genick gebrochen worden. Es gibt schon seltsame Zufälle, nicht wahr?“
Die Menschenmenge stob auseinander und machte Platz für einen weiteren Mann der sich nach vorne gekämpft hatte und nun dicht neben Karon in die Hocke ging. Es war Desmond.
“Es ist ein Verlust. Er war sicher auf dem Weg hierher.“
Einer der Söldner protestierte.
“Was? Auf dem Weg hierher? Das ist doch ein Spitzel des Grafen, ist doch ganz klar. Er sollte gestern gehängt werden, statt dessen hat man einen anderen gehängt.“
“Ja, das war mein Werk“, bestätigte Desmond.
“Ich glaube es ist an der Zeit etwas zu erklären“ sagte Karon.
Karon und Desmond standen auf und begannen den Söldnern den Sachverhalt zu erklären. Karon war bereits vor einiger Zeit klar geworden das es zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Grafen Gotard, dem Herrn der Stadt und seiner geliebten Burg, und dem Grafen Ubiert vom Nebelschloss kommen würde. Graf Gotard war alt und krank, seine Burg und die Stadt nur noch durch die Söldener und die Assassinen vor der Übernahme geschützt, und diese galt es auszuschalten. Söldner kämpften nur für Geld, das wusste Ubiert, und Geld hatte Graf Gotard nicht. Die Stadtbevölkerung hätte ebenfalls nicht genug Geld aufgebracht wenn es zum Krieg gekommen wäre. Also waren nur noch die Assassinen da, die zwar auch käuflich waren, aber die Graf Ubiert verabscheute. Er hätte niemals anerkannt das ein Attentäter der für Geld mordete frei herumlief, was unter anderem daran lag das er selbst nicht gerade beliebt war. Er selbst war schon Mehrmals Ziel eines Attentates gewesen, allerdings wurden diese Taten von normalen Menschen verübt, und so konnte er stets den Angriff abwehren. Aber die Assassinen waren ihm ein Dorn im Auge. Sie würden stets dem Grafen Gotard beistehen und waren damit eine Gefahr für ihn. Also hatte er begonnen sie zu jagen. Karons Verhaftung war nur möglich gewesen weil Graf Gotard krank und schwach war und die Burgwache nicht mehr bestand. Der Krieg zwischen den Beiden hatte mit dieser Verhaftung bereits begonnen. Zum Glück hatte Karon vor einiger Zeit Desmond Funkenschlag kennen gelernt und die Beiden schmiedeten für den Fall der Verhaftung einen tollkühnen Plan. Desmond überredete einen Mann namens Salix, der ohnehin des Mordes angeklagt war, sich von den Häschern des Grafen Ubiert schnappen zu lassen. Er wurde ins Verließ gesteckt. Dort traf er ein Abkommen mit dem ersten Berater des Grafen, einem Mann namens Balthasar. Er erzählte ihm das, sollte Karon Sturmfels jemals gefasst werden, es einen Plan gäbe mit dem er wieder frei käme. Aber er, Salix, würde in diesem Fall dafür sorgen das Karon wieder in die Gewalt des Grafen käme, indem er Karon darum bitten würde ihn vom Galgen zu befreien und Karon sicherlich einwilligen würde. Und genau so kam es ja auch. Karon wurde gefasst, er versprach Salix ihn zu befreien (und sorgte natürlich dafür das die Wachen diese Unterredung auch mitbekommen würden), wurde zum Galgen gebracht und kam frei. So weit, so gut. Nun war es an Salix, der das Vertrauen von Balthasar gewonnen hatte, diesen an Stelle seiner an den Galgen zu bringen. Er machte ihn betrunken, schlug ihn nieder und verpasste ihm einen Sack über den Kopf. Er nahm sich den Helm und die Rüstung und kam aus dem Verließ frei. Balthasar wurde hingerichtet, natürlich ohne auf die Rettung durch Karon hoffen zu können, da dieser eingeweiht war. Aber Karon war sich darüber im Klaren das der Krieg damit entgültig ausbrechen würde. Salix hatte sicher in Erfahrung gebracht wer der Drahtzieher hinter alldem war. Das Balthasar im Auftrag von Graf Ubiert operierte war vollkommen klar, und Graf Ubiert selbst war ebenfalls ein ganz Großer in der Verschwörung. Aber die wichtigste Frage war, woher kam das Geld für diese Angriffe. Graf Ubiert war ein verbitterter Alter Mann, der nur zu gerne die Macht über die Burg und die Stadt haben würde, aber er war nicht mutig genug einen so entgültigen Schlag zu befehligen. Irgendjemand gab ihm Order, und sein Lohn wäre die Herrschaft über die Stadt und die Burg. Aber wer war es der über ihm stand, ihn beriet, aufwiegelte, das Geld gab und vor allem... was bezweckte dieser Jemand damit? Deshalb war Salix auf dem Weg zum Söldnerlager gewesen. Er war ein Spitzel, das stimmte, aber er war kein Spitzel des Grafen Ubiert gewesen, sondern ein Spitzel der Assassinen. Die Söldner wussten nun bescheid, aber ihre Neugier war noch nicht befriedigt.
“Also ist Graf Ubiert überhaupt nicht der Drahtzieher des Ganzen?“
“Nein, er ist nur eine Marionette.“
“Aber wer ist es denn dann?“
“Das versuche ich noch herauszufinden.“
“Aber wenn Graf Ubiert gar nicht der Drahtzieher ist, warum wollt Ihr dann alles riskieren um in das Nebelschloss zu kommen?“
“Weil von dort aus die ganze Sache gesteuert wird. Und außerdem war es Graf Ubiert der mich verhaften ließ. Und er war es auch der verantwortlich für diese Sauerei mit Boron ist. Allein dafür muss er zahlen. Ich habe es geschworen, bei meinem Blut.“
Maraxus meldete sich zu Wort. Er hatte die ganze Zeit über nur dagestanden und zugehört. Er war sehr aufgebracht das man ihn nicht in diesen Plan eingeweiht hatte. Man hatte einfach darauf vertraut das Karon schon irgendwie frei käme, auch ohne seine Hilfe. Aber er hatte sich mittlerweile wieder gefasst.
“Jeder der einen Krieg mit unserer Stadt anzetteln will muss sterben. Die Bürger sind keine Kämpfer, und die Burgwache kann die Stadt nicht alleine verteidigen. Ein Sieg auf unserer Seite währe aussichtslos.“
Karon ging zu Maraxus und legte den Arm um seine Schulter.
“So ist es. Selbst wenn jeder Söldner hier im Lager die Stadt verteidigen würde, die Streitmacht des Feindes könnte um ein Vielfaches Größer sein. Wir wissen es nicht, aber einen Krieg gegen einen Feind zu führen den wir nicht kennen wäre töricht. Also werden wir Assassinen jeden töten der dahintersteht. Es wird nicht zu einem Krieg kommen. Aber wenn doch, seid ihr dabei?“
Ein lautes Grölen erfüllte das Lager der Söldner. Sie waren bereit zu kämpfen. Sie waren bereit ihr Leben für den Grafen zu lassen. Diejenigen die vorher noch nicht ganz überzeugt waren hielten sich zurück, stimmten aber im Nachhinein in das Grölen mit ein. Ihre Aufgabe war es die Stadt zu beschützen, und das war es was sie konnten. Niemand verlangte von Ihnen meuchlings zu Morden. Was man von Ihnen verlangte war Krieg zu führen. Dafür lebten sie, dafür waren sie da. Dies war ihre Bestimmung. Es würde wieder Blut fließen, Schwerter würden klirren und Pfeile würde durch die Luft sausen. Sie freuten sich. Niemand der euphorischen Söldner bemerkte den Weißhaarigen der nun ungesehen in das Lager schlich und sich unter seine Kameraden mischte.
Maraxus und Karon zogen sich wieder in das Zelt zurück. Als die Plane wieder zu war sah Maraxus Karon tief in die Augen.
“Sag mal, dieser Plan mit Salix war ja gut und schön, aber warum war ich nicht eingeweiht? Was wäre wenn ich dich nicht hätte befreien wollen?“
“Aber Maraxus. Hätte ich dich eingeweiht, dann wärst du zuversichtlich gewesen das schon alles Gut geht. So war es viel besser. Du hast gedacht ich würde gehängt, und Du hast dir daraufhin etwas ausgedacht mich zu befreien. Und es hat geklappt. Darauf kommt es doch an.“
“Also hast Du mir vertraut? Du hast darauf vertraut das ich versuche Dich zu befreien?“
“Nein. Ich habe nicht darauf vertraut das Du es versuchst, ich habe darauf vertraut das Du es schaffst. Du warst Teil meines Plans, und Du hast es perfekt durchgezogen. Ohne Dich hätte der Plan nicht funktioniert. Ich danke Dir.“
Maraxus lächelte.

***

Die Feierlichkeiten hielten noch lange an. Es gab zwar nichts zu feiern, denn die Schlacht hatten sie weder gewonnen noch hatten sie gute Chancen, aber die Söldner fanden immer einen Grund zum Feiern, und wenn es auch der Grund war das sie vielleicht nie wieder Gelegenheit zum Feiern bekommen würden. Der Met floss in Strömen. Ein Bauer aus der Gegend war für eine Menge Geld bereit eines seiner Schweine zur Verfügung zu stellen und überlegte derweil ob sich ein größerer Bauernhof in einer anderen Gegend rentieren würde. Er entschied sich dafür hier zu bleiben und weiterhin auf Siegesfeiern zu hoffen (und hauptberuflicher Schweinezüchter zu werden). Überhaupt gab es Speis und Trank in Hülle und Fülle. Die Söldner feierten als gäbe es kein Morgen mehr. Genauer betrachtet hatten sie vielleicht sogar recht, aber der Alkoholspiegel stieg und stieg, und irgendwann war dieser Umstand ihnen nicht nur egal, sie sehnten ihn angesichts des unvermeintlichen Katers am nächsten Morgen sogar herbei. Sie saßen und standen an diversen Feuern die spontan entzündet wurden als der Abend hereinbrach und sangen das alte Söldnerlied. Bei dem Refrain “Was kann schöner sein am Siegen, als fürs Töten Geld zu kriegen?“ überschlugen sich die Stimmen und man konnte nur mit Mühe den Text heraushören, wenn man ihn nicht schon kannte. Aber das machte nichts, denn jeder hier im Lager kannte den Text. Ausgelassen und Fröhlich begannen einige der harten Männer tatsächlich auch zu tanzen. Nur einer hatte nicht ganz so viel Freude, und er trank auch nicht, denn was ihm bevorstand verlangte einen klaren Verstand und einen kühlen Kopf. Es war der Weißhaarige. Er ging ständig von Feuer zu Feuer, aß hier und da ein wenig, ließ sich auch Met in seinen Becher füllen und stieß mit seinen Kameraden an, kippte das goldene Getränk allerdings sehr zu seinem Leidwesen später ungesehen in die Büsche. Welch eine Verschwendung. Er überlegte ob er diese Verschwendung nicht einfach auf seine Rechnung stellen sollte, aber vermutlich hätte das alles ohnehin wenig Aussicht auf Erfolg. Er wollte keinen Verdacht unter seinen Kameraden erregen. Nur einige waren eingeweiht, einige von denen zu denen er vollstes, absolutes Vertrauen haben konnte. Mit ihnen hatte er sich verabredet. Sie wollten zu einem späteren Zeitpunkt, wenn alle anderen ihren Rausch ausschliefen, bereden wie vorzugehen sei.


Es war tief in der Nacht. Es brannte kein Feuer mehr, und die meisten der Söldner schliefen in Ihren Zelten oder einfach dort wo sie beim letzten Schluck gesessen hatten. Die spitzen Steine störten sie in ihrem gegenwärtigen Zustand kaum, und der nächste Morgen schien so oder so nicht angenehm zu werden, da spielten ein paar blaue Flecken oder abgefrorene Gliedmassen nur eine untergeordnete Rolle. Nur ein paar Männer standen, in dicke Mäntel gehüllt, etwas abseits des Lagers in einem Halbkreis. Keiner von ihnen wollte erkannt werden, darum hatte alle ihre Kapuzen auf dem Kopf, was eigentlich nicht nötig gewesen wäre, denn dichte Wolken hatten sich vor den Mond geschoben und man konnte kaum die Hand vor Augen erkennen wenn man sie nicht dicht genug vor den Augen hatte. So dicht, das man außer der eigenen Hand nichts weiter mehr erkennen konnte. Einer der Männer, es war der Weißhaarige, sprach zu den Anwesenden.
“Er scharrt eine Armee um sich, ich habe sie selbst gesehen. Es sind mindestens Hundert schwer bewaffnete Soldaten, erfahrene Kämpfer, die schon so manche Schlacht geschlagen haben. Sie werden angeführt von Tobias Eisenglut. Ihr kennt ihn alle, und Ihr wisst was das für Leute sind die er befehligt. Der Kampf wird bald beginnen. Es ist nur eines klar. Wir können jetzt noch zuschlagen und das schlimmst Blutvergießen verhindern. Ich war bei Ihm, ich habe mit Ihm abgemacht das ich ihm Karon Sturmfels bringe. Er versprach mir sogar Einhundert Goldstücke, das ist doppelt soviel wie er vorher bereit war zu zahlen. Natürlich wird es gefährlich werden Karon dort hochzubringen, aber ich bin sicher das wir es schaffen werden, wenn jeder von Euch tut was er tun muss.“
Einer der Umstehenden stellte eine Frage.
“Sind die Soldaten auf dem Schloss?“
“Nein, sind sie nicht“, antwortete der Weißhaarige. “Jedenfalls denke ich das sie es jetzt nicht mehr sind. Sie sind abgezogen, kurz nachdem ich angekommen bin. Vermutlich ziehen sie sich solange zurück bis sie den Befehl zum Losschlagen bekommen. Das würde bedeuten das sie nicht weit weg sind.“
Die Zuhörer standen weiterhin stumm da, einige von ihnen nickten. Ihnen war nicht ganz wohl bei der Sache. Natürlich, sie hatten es geplant, aber eine Gefahr war nicht von der Hand zu weisen. Sie hatten es mit gefährlichen Mördern zu tun, die nicht davor zurückschreckten ohne großes Tara ihre Messer und Schwerter in ihren Feinden zu versenken, aber das waren sie auch. Die Frage stellte sich nur wer gewissenloser war. Eines jedoch war ihnen klar. Diese Schlacht schien aussichtslos, und obwohl die Söldner gerne kämpften war keiner von ihnen sehr am Tod interessiert solange er sie selbst betraf. Diese Schlacht musste also um jeden Preis verhindert werden. Der Weißhaarige war besorgt.
“Was ist mit der Burgwache?“ fragte er.
Einer der Maskierten flüsterte dem Weißhaarigen und den Anwesenden leise die Antwort zu.
“Die steht fest und geschlossen hinter Karon und den Assassinen. Das haben sie geschworen, und so wird es kommen. Wenn es zum Kampf kommt dann stehen sie ihm bei und gehen, wenn es sein muss, mit ihm in den Tod.“
“Wie lange wird es dauern bis sie komplett hier ist?“
“Das kann niemand sagen. Die Burgwache wurde zerschlagen und ist weit verstreut. Herbert, der Tavernenwirt, war einst ihr bester Kämpfer, vielleicht ist er es heute auch noch. Die Männer und Frauen kommen auch heute noch zu ihm in die Taverne. Es ist ihr Stammlokal gewesen als die Wache noch so bestand wie damals, und heute gehen sie ihr Bier nicht woanders trinken, nur weil sie das Banner nicht mehr frei tragen dürfen. Herbert hat Kontakt zu seinen alten Freunden und Kameraden. Er wird wissen wo sich die Einzelnen befinden. Aber es wird seine Zeit dauern bis sie hier eintreffen, wenn sie sich alle entschließen sollten Karon zu helfen. Einige von ihnen werden ihren Schwur brechen, weil sie die Stadt verteidigen. Karon hat heute bereits einen Boten zu Herbert geschickt der ihn über die Gefahr aufklärt.“
“Wen hat er geschickt?“
“Aaron, einen aus dem Lager. Er schien vertrauensselig zu sein. Karon kennt ihn noch von früher.“
“Ja, ich kenne ihn auch sehr gut. Er mag zwar nicht der Cleverste sein, aber er ist sehr treu. Er kann allerdings kein Pferd reiten, soweit ich weiß. Also ist er zu Fuß gegangen. Das bedeutet das er frühestens am Abend in der Stadt war. Dann ist Herbert allerdings nicht mehr nüchtern, denn Herbert ist nicht gerade ein Feind des Alkohols. Er wird also frühestens Morgen Mittag mit Herbert vernünftig sprechen können, und dann vergeht mindestens noch ein weiterer Tag bis Herbert die alte Burgwache wieder zusammengetrommelt hat. Demnach werden diejenigen die sich den Assassinen anschließen frühestens in Drei Tagen hier ankommen.“
“Also gut, und was ist mit den Beiden die Heute hier angekommen sind?“
“Beides sehr gute Kämpfer. Vor allem Paolo. Er war der Schwertmeister der Burgwache bevor sie aufgelöst wurde. Und dieser Uther ist sein Adjutant und bester Schüler. Er ist ihm ebenbürtig. Paolo hat alles was er kann von Herbert gelernt. Und das es keinen besseren als Herbert gab der mit dem Schwert umgehen konnte ist allgemein bekannt. Aber ganz gleich ob die Beiden nun hier im Lager sind oder nicht, gleichgültig ob sie den Assassinen beistehen oder nicht, es wird sehr gefährlich was Du vor hast.“
“Gefährlich ist es, in der Tat. Aber diese Sache muss jetzt durchgezogen werden. Man muss Blut vergießen um ein größeres Blutvergießen zu vermeiden. Wenn wir zögern wird Graf Ubiert seinen Leuten befehlen die Stadt zu überrennen und einzunehmen. Er wird darauf vertrauen das Karon und seine Leute bei dem Angriff fallen werden. Es sind keine Soldaten, das weiß er auch. Wenn wir Glück haben wir er noch auf Verstärkung warten, aber bei allem was mir heilig ist, die Armee die ich gesehen habe braucht keine Verstärkung. Dies wird kein Krieg, sondern ein Gemetzel, und wir sind das Vieh das zur Schlachtbank geführt wird. Die Stadtbewohner sind keine Soldaten, und wir sind nur Wenige. Ich will nicht sterben wenn ich eine Chance habe meine Haut zu retten. Versteht mich nicht falsch. Ihr wisst das ich kein Feigling bin, aber eine Schlacht zu schlagen von der man weiß dass man verliert ist Schwachsinnig.“
Einige der Umherstehenden nickten, andere bewegten sich gar nicht, aber alle streckten ihre Hände aus um einzuschlagen. Es war beschlossen. Karon würde gefesselt werden, man würde ihn aus dem Lager schaffen und auf das Nebelschloss bringen. Am Besten man stülpte ihm auch noch einen Sack über den Kopf, das würde für weniger Aufsehen sorgen. Natürlich sorgte jemand der gefesselt mit einem Sack über dem Kopf von schwer bewaffneten Söldnern durch die Gegend geführt wurde immer für Aufsehen, aber Karon Sturmfels würde, wenn er von den Falschen erkannt wurde, sicherlich für noch mehr Aufsehen sorgen. Die Männer hofften nur das alles gut gehen würde.

***

Der Alte hatte die Nacht wieder einmal in seinem Thronsaal verbracht. Er saß auf seinem Thron und dachte über den bevorstehenden Schlag nach. Er hoffte nur das es diesem Weißhaarigen Söldner gelingen würde. Er hatte in der Nacht ein wenig geschlafen, wenn auch nicht viel. Die Sorgen das irgendetwas schief gehen könnte ließ ihn nicht los. Er wollte die Burg und die angrenzende Stadt, und vor allem war er an den Bürgern und den Steuern interessiert. Was sein geheimer Gönner für Pläne hatte konnte ihm egal sein. Er hatte ihm Gold gegeben, viel Gold. Gold mit dem er Waffen kaufen konnte, mit dem er Söldner anheuern konnte, und mit dem es ihm ganz sicher gelingen würde die Stadt binnen kürzester Zeit einzunehmen. Niemand würde Widerstand leisten, und dann, ja dann würde er, Graf Ubiert endlich über die gesamte Provinz herrschen. Dieser feige, alte, senile Graf würde ihm nicht mehr dazwischenfunken, er wäre tot und beseitigt, Graf Ubierts Macht und Einfluss wäre doppelt so groß wie bisher, und niemand, wirklich niemand würde es noch wagen ihm zu trotzen. Natürlich war Ubiert klar das dies alles nicht ohne Grund geschah. Das Gold hatte man ihm nicht aus reiner Menschenfreundlichkeit geschenkt, das wusste er auch. Es war so: Ubiert würde die Stadt einnehmen, Steuern eintreiben und einen Teil davon an seinen geheimnisvollen Gönner abführen. Dieser würde ähnlich mit anderen Provinzen und vielleicht sogar mit ganzen Ländern verfahren. Aber Ubiert war das egal. Sollte dieser geheimnisvolle fremde Mann doch machen was er wollte. Hauptsache er bekam was ihm zustand. Und das würde er auch bekommen.


Der Tumult war recht groß gewesen. Das Erste Tor wurde geöffnet, allerdings erst nach einiger Zeit. Ein ganzer Zug von maskierten Männern stand davor und bat, nein, verlangte Einlass. Sie hatten einen gefesselten Mann bei sich der einen Jutesack über den Kopf gestülpt hatte. Der Erste der Männer, es war der Weißhaarige, klopfte empört an das Tor. Ein Schießschacht öffnete sich und der Bolzen einer Armbrust ragte daraus hervor.
“Wer da?“
“Wir sind die Männer aus dem Lager. Du kennst mich, war gestern schon mal hier. Wir bringen Etwas für Deinen Herrn. Öffne, du Esel, oder es wird dir leid tun.“
Nervöses Gemurmel erklang hinter dem Tor. Die Wächter waren nur zu Zweit. Für gewöhnlich reichte das auch, denn dieses Tor konnte nicht so ohne weiteres eingenommen und gewaltsam geöffnet werden. Auch wenn vor dem Tor eine ganze Gruppe schwer bewaffneter Männer stand, der Wächter hätte nur in sein Signalhorn blasen müssen, und schon hätten die anderen Wächter von den anderen Toren das Feuer eröffnet. Er überlegte ob das sinnvoll war. Er entschied sich dagegen. Die Männer vor dem Tor sahen zwar gewalttätig aus, und sie waren überdies auch schwer bewaffnet, aber sie schienen nicht die Absicht zu haben anzugreifen. Der Wächter lugte durch den Schießschacht.
“Was bringt Ihr denn?“
“Die Frage müsste lauten „wen“ bringt Ihr denn? Wir bringen einen Gefangenen. Es ist Karon Sturmfels.“
Der Wächter erbleichte.
“Legt Eure Waffen ab.“
“Würdest Du Deine Waffen ablegen wenn Du Karon Sturmfels im Gepäck hättest? Sicher nicht. Wir sind auf Eurer Seite. Und nun öffnet endlich das Tor, oder wir ziehen wieder ab. Aber eines kann ich Dir versprechen. Wir werden Deinen Herrn wissen lassen das Du uns nicht einlassen wolltest.“

Der Wächter überlegte kurz was die Konsequenzen sein würden wenn Er es zu verantworten hätte das Karon Sturmfels wieder entkommen war. Zögernd öffnete er das Tor.
“Ihr könnt passieren, aber Eure Waffen... nun ja, also... ach verdammt, nehmt sie mit.“
“Ein kluger Mann, wahrlich. Sehr klug. Ich danke Dir.“
Der Zug passierte das Erste Tor. Die anderen Tore waren im Gegensatz hierzu nur noch ein Klacks. Sie wurden ebenso bewacht, aber wenn kein Warnsignal ertönte wurden sie für Gewöhnlich kommentarlos eingelassen. Der Weißhaarige blickte kurz auf den Berg und betrachtete das Schloss. Er wandte sich zu Karon, stupste ihn kurz an und sagte dann zu Ihm “Wir sind bald da, Herr Karon.“
Der Maskierte nickte unter seinem Sack.


Der Alte war gerade wieder ein wenig eingedöst als ein lautes Krachen und Poltern ihn wieder hochschrecken ließ. Kurz darauf erklangen leise, nicht ganz deutliche Stimmen und einige merkwürdige Geräusche. Dann wurde die Tür zu seinem Thronsaal geöffnet. Öffnen wäre das falsche Wort, denn die Tür wurde gewaltsam aufgestoßen, und der Lakai des Grafen eilte in den Saal. Ubiert war aufgebracht und plötzlich wieder hellwach. Er sprang von seinem Thron auf und stand da wie ein wütender Gott.
“Was ist los? Was störst Du mich, elender Bauerntölpel?“, schrie er den armen, zitternden Lakaien an.
“Sie sind hier, Herr. Hier. Sie stehen draußen in der Vorhalle, Herr.“ Die Stimme des Mannes zitterte. Er schien große Angst zu haben.
“Wer ist hier, verdammt noch mal, drück Dich anständig aus.“
“Die Söldner, Herr. Die Söldner sind hier, und sie haben.... sie haben....“
“Sie haben- Was?“
“Sie haben Karon Sturmfels, Herr, ja, sie haben Karon Sturmfels. Sie haben ihn gefesselt bei sich, Herr.“
Der Alte stand mit offenem Mund da. Dann verzog sich sein verwundertes Gesicht zu einem kalten Lächeln. Es war ein irgendwie erfreutes Lächeln, aber irgendwie auch das Lächeln von jemandem der Etwas bekommen hatte mit dem er niemals gerechnet hätte. Langsam und gemächlich ließ er sich wieder auf seinen Thron sinken.
“So, dann lasst die Söldner mal eintreten. Ich will ihn sehen.“
“Ja, ja, natürlich, Herr, natürlich.“
Der Lakai eilte wieder aus der Thronsaal, ließ die Tür geöffnet, sagte irgendetwas zu den Personen die sich im Vorraum aufhielten, und rannte davon als wäre der Teufel hinter ihm her. Dann traten Zwei der Wächter in ihren Rüstungen mit den Hellebarden in den Saal herein, dicht gefolgt von dem Weißhaarigen Söldner der wieder seinen Kapuzenmantel so trug das nur sein struppiger, weißer Bart zu erkennen war. Er hatte noch Sechs weitere Söldner dabei die ebenso angezogen waren, die den gefesselten Karon vor sich her schoben. Karon hatte einen Leinenbeutel über dem Kopf und schien geknebelt zu sein. Die Wächter nahmen links und rechts neben dem Thron Aufstellung, während die Söldner mit ihrem Gefangenen in der Mitte des Raumes zum stehen kamen. Der Weißhaarige nahm seine Kapuze herunter und trat auf den Alten zu.
“Herr, ich grüße Euch.“
“Bleib genau dort stehen, komm nicht näher, sonst werden meine Wächter dich aufspießen. Nimm dem Gefangenen den Beutel vom Kopf“, befahl der Alte.
“Ganz wie Ihr wünscht, Herr des Nebelschlosses.“
Der Weißhaarige drehte sich um und nahm den Beutel vom Kopf des Gefangenen. Es war in der Tat Karon Sturmfels. Er hatte ein Tuch im Mund das ihn am Sprechen und, was noch wichtiger war, am schreien hinderte. Der Alte lächelte euphorisch.
“Endlich. Karon Sturmfels, der gefährlichste Assassine weit und breit. In meiner Hand.“
“Entschuldigt bitte, Herr. Aber noch ist er nicht in Eurer Hand. Zuerst einmal möchte ich meine Bezahlung.“
Der Alte lachte leise.
“Ja, aber natürlich. Deine Hundert Goldstücke, nicht wahr? Die sollst Du natürlich bekommen.“
“Nein, Herr, nicht ganz. Hundert habt Ihr dem versprochen der Euch Karon Sturmfels bringt, und da wir ihn zusammen gebracht haben bekommt natürlich jeder von uns Hundert Goldstücke. Es war ja wohl klar das ich es nicht alleine schaffen würde Karon zu überwältigen. Wir bekommen also .... ähh... insgesamt Neunhundert Goldstücke.“
“Ihr seit wohl übergeschnappt was? Ich könnte mich dafür entscheiden Euch nur die Fünfzig Goldstücke zu bezahlen die auf Karon ausgesetzt waren, und nicht die vereinbarten Hundert. Ich könnte Euch aber auch von meinen Wachen erschießen lassen, dann würde ich alles sparen. Aber da es Euch gelungen ist diesen Mann herbeizuschaffen, wird es Euch doch sicher auch gelingen die Anderen zu mir zu bringen. In diesem Fall wäre ich vielleicht bereit diese Summe zu bezahlen. Auch wenn Ihr Euch wieder einmal verrechnet habt, Söldner. Sieben mal Hundert sind Siebenhundert Goldstücke, und nicht Neunhundert.“
“Ja, das stimmt. Aber vielleicht habe nicht ich mich verrechnet, sonder Ihr Euch verzählt. Denn Neun mal Hundert sind Neunhundert.“
Das Lächeln wich aus dem Gesicht des Alten.
“Neun? Ihr seit nur Sieben. Nicht Neun.“
Der Söldner lächelte, und sein Lächeln war sogar noch böser und mehr von Schadenfreude erfüllt als das des Alten.
“So, na dann wollen wir doch mal durchzählen. Ich selbst, Eins. Dann diese hier“, er ging zu den anderen Maskierten. “Nummer Zwei.“
Der Erste Maskierte nahm die Kapuze herunter. Er war Maraxus der in der Sekunde wo er die Kapuze zurückschlug sein Schwert zog. Der Alte war starr vor Schreck. Der Söldner ging weiter.
“Drei.“ Es war Desmond Funkenschlag, der seinen Säbel zog.
“Vier.“ Rajhada, sie hatte eine kleine Handarmbrust im Anschlag.
“Fünf.“ Caysha, ihre Sense in der rechten, einen Dolch in der linken Hand.
“Sechs.“ Andarah von Irendor. Sie hatte nicht ihren Bogen dabei, sondern ein feines und dünnes Samuraischwert.
“Sieben.“ Ötsch. Er hatte unter seinem Mantel eine Streitaxt verborgen, die er jetzt hervorholte und demonstrativ auf den Boden stellte. Er lächelte besonders Boshaft. Der Weißhaarige kam jetzt auf den Thron zu. Der Alte zitterte vor Angst, war aber ansonsten Starr vor Schreck. Er stotterte nur ein leises “Wachen, ergreift sie...“ aber der Weißhaarige konnte sein Lachen nur schwer unterdrücken.
“Acht.“ Zählte er weiter, und einer der Wächter, der Links neben dem Thron stand nahm seinen Helm ab. Es war Paolo, der Schwertmeister der Burgwache.
“Und Nummer Neun.“ Der Rechte Wächter nahm seinen Helm ab, und zum Vorschein kam Uther, der Adjutant von Paolo.
“Wie Ihr seht habe ich mich nicht verzählt, und schon gar nicht verrechnet.“
Maraxus zog seinen Dolch und schnitt Karon die Fesseln durch. Dieser nahm das Tuch aus dem Mund und spuckte ein paar Flusen aus, während er sich mit dem Tuch den Schweiß von der Stirn wischt.
“Das wurde aber auch Zeit. Dieser Sack hat nach Erde gestunken, und dieses Tuch schien mir auch nicht ganz sauber zu sein.“
Der Alte hatte kalten Schweiß auf der Stirn. Er sah sich bereits gemeuchelt auf seinem Thron liegen. Als Karon auf ihn zukam streckte er abwehrend die Hände aus. Karon blieb lächelnd vor dem Thron stehen.
“Aber, aber. Was habt Ihr denn? Ihr wolltet doch das man mich herschafft. Nun, hier bin ich.“
Der Alte stotterte vor sich hin. Karon nickte verständnisvoll.
“Eure Wachen?“
Der Alte nickte. Er wusste selbst das es seltsam aussehen musste, aber in solchen Situationen war das nicht weiter schlimm. Karon schrie “WACHEN!“. Es dauerte eine Zeit bis das Echo in den weiten Räumen verhallt war. Dann schrie Karon abermals, und wiederum geschah nichts. Er zuckte mit den Schultern.
“Hmm? Scheint keiner mehr da zu sein. Wie viele sollten es denn sein?“
Der Alte stotterte aber bekam kein Wort heraus.
“Meint ihr vielleicht Zwölf?“ fragte Karon leise und zog die Augenbrauen hoch. “Denn so viele haben wir leider beseitigen müssen.
Der Alte stammelte weiter, aber nun gelang es ihm einige Worte zu formulieren. “Aber, aber... Eure Waffen. Wie habt Ihr sie...?“
“An den Toren? Aber Ihr werdet doch wohl zugeben das ein Mann wie Karon Sturmfels nicht unbewaffnet eskortiert werden kann, selbst wenn er gefesselt ist. Er ist einfach zu gefährlich. Das haben sogar Eure Torwächter erkannt.“ Der Weißhaarige Söldner hatte geantwortet.
“Ihr werdet.... mich.... werdet.... bitte...“
“Ob wir Euch umbringen werden? Oh, da braucht Ihr keine Angst zu haben, wir sind doch Assassinen. Ihr kennt doch unser Motto. Jedes Leben hat einen Preis. Und solange den nicht irgendjemand bezahlt braucht Ihr keine Angst zu haben.“
Nervös bemerkte der Alte wie Desmond in seiner Geldkatze wühlte. Er schien etwas zu suchen. Wenn sich dieses „Etwas“ als Geld erweisen sollte, dachte der Alte, wäre eine Ohnmacht sicherlich das Beste was ihm hätte passieren können. Er sah vor seinem geistigen Auge all die Dinge die er schon so lange vergessen hatte. Innerlich hatte er bereits mit seinem Leben abgeschlossen. Ein ganzes Gebirge fiel ihm vom Herzen als Desmond nur einen Beutel mit Tabak hervorkramte und diesen glücklich beroch.
“So“, sagte Karon. “Und nun, da wir schon mal hier sind, hätte ich ein paar Fragen.“

***

Das Lager von Ubierts Armee lag gleich im Tal, versteckt zwischen den Bergvorsprüngen. Sie hatten dort ihre Zelte aufgeschlagen und warteten nur auf ihren Marschbefehl. Die übrige Zeit verbrachten sie mit Übungskämpfen und Übungsschießen. Die Männer, es waren Zwanzig berittene und Achtzig Fußsoldaten, waren schon ganz aufgeregt. Es waren blutdürstenden Barbaren, Schlächter, Vergewaltiger und Plünderer. Tobias Eisenglut, ihr Hauptmann, konnte sie nur mit Mühe zurückhalten. Am liebsten wären sie sofort aufgebrochen, hätten die Stadt und die Burg niedergebrannt und alles mitgenommen was nicht niet- und nagelfest war. Aber ein solcher Angriff musste wohl überlegt sein. Tobias´ Gruppe verfügte über alles. Sie hatten Brustharnische die aus bestem Erz geschmiedet worden waren, die selbst einem Armbrustbolzen aus gewisser Entfernung stand hielten. Aus der gleichen Schmiede stammten auch ihre Waffen. Jeder von ihnen verfügte über ein prächtiges Langschwert, und jeder von ihnen verstand damit zu töten. Ebenso hatten die meisten von ihnen Armbrüste, eine Meisterarbeit der Handwerkskunst, klein und leicht, aber dennoch von enormer Durchschlagskraft. Die gleichen Armbrüste benutzen auch die Assassinen, allerdings eher selten zum Töten, eher zur Verteidigung. Aber der größte Trumpf dieser Gruppe bestand darin das sie etwas hatten von dem niemand wusste. Sie hatten ein Katapult, eine Sonderanfertigung. Nicht so groß und plump wie gewöhnliche Katapulte, sondern klein und leicht, und absolut zielgenau. Man musste nicht studiert haben um dieses Katapult bedienen zu können, jeder Idiot konnte damit umgehen. Das machte es so gefährlich. Während bei einer gewöhnlichen Belagerung mit Katapulten der Angriff gestoppt werden konnte indem man den Bediener des Katapults erschoss, stand hier gleich der Nächste am Abzugshebel. Tobias war nervös. Natürlich wäre es ein Leichts die Stadt einzunehmen, aber was wäre dann? Was würde kommen? Seine Männer ließen sich nicht bremsen, es war wie eine entfesselte Naturgewalt, unaufhaltsam und zerstörerisch. Und dann bereitete ihm noch die Anwesenheit von Maraxus von Keld Magenschmerzen. Konnte es tatsächlich möglich sein? Allein der Name löste unter seinen Männern etwas aus das bei einem Angriff negativ sein konnte. Der Angriff stand kurz bevor, das wusste er, und seine Männer wussten es auch. Man konnte den Schlachtlärm förmlich hören. Tobias zog sich in sein Zelt zurück um zu beten.


Währenddessen bereiteten sich auch die Söldner auf einen Kampf vor. Der Kater war zwar schlimm, aber angesichts der Kälte und der harten körperlichen Arbeit verschwanden die Kopfschmerzen recht schnell. Sie hatten ihr Lager bereits gegen Zehn Uhr abgebrochen und waren zur Stadt marschiert. Dort erwarteten sie bereits einige Bewohner sowie die Angehörigen der Burgwache auf dem Marktplatz. Ded, ein hochgewachsener Mann mit hellblonden Haaren und klaren Augen wurde von den Söldnern zum Anführer ernannt. Es war besser wenn ein Einzelner die Befehle gab, so konnte man koordinierter vorgehen, und Ded war ein erfahrener Kämpfer. Außerdem hatte er am Vorabend fast nichts getrunken und war somit im Vorteil den Anderen gegenüber. Herbert trat durch die Menschenmenge und stand nun in der Mitte des Marktplatzes, Ded gegenüber. Sie nickten sich zur Begrüßung zu.
“Aaron hat mir schon erzählt was los ist, die Burgwache ist nahezu vollständig einsatzbereit.“
“Das freut mich sehr. Ihr müsst Herbert sein. Ich bin Ded, die Männer haben mich zu ihrem Anführer gewählt.“
Herbert schaute sich die verkaterten Söldner an und lächelte.
“Muss eine kurze Wahl gewesen sein.“
Ded lächelte ebenfalls und nickte.
“Es sind zähe Burschen. Sie werden kämpfen, und sie werden gut kämpfen, aber ich hoffe das es nicht soweit kommt. Es sind mit mir Zweiunddreißig erfahrene Kämpfer. Wie viele Männer habt ihr?“
“Wir haben, mich mitgerechnet, Fünfzehn Kämpfer, das war alles was wir auftreiben konnten. Die Bürger sind nicht geeignet. Viele von ihnen haben noch nie ein Schwert in der Hand gehabt.“
“Die Frauen und Kinder sollen sich in ihren Häusern einschließen, wenn es zum Angriff kommt, aber bis dahin brauchen wir jeden Mann. Das Stadttor muss verbarrikadiert werden. Auf dem Tor brauchen wir Steine, viele Steine, und jeder Mann sollte bereit sein damit zu werfen und zu töten.“
Es war wie ein lautloser Befehl. Einige der Männer stürmten los und begannen Holz und Steine zu sammeln und sie auf einem Haufen in der Nähe des Tores aufzustapeln. Andere Brachten lange Holzlatten und verbarrikadierten das Tor. Marktstände wurden von mehreren Männern angehoben und zum Tor getragen und auch der ein oder andere Viehwagen wurde hinterher gerollt.
“Wie viele Waffen haben wir?“
Herbert kratzte sich nachdenklich am Kopf.
“Nun ja, dies hier ist keine Stadt die auf den Kampf aus ist, Waffen werdet ihr hier kaum finden. Ein paar der ehemaligen Wächter haben zwar noch ihre Schwerter, ein oder zwei Bögen müssten sich auch noch auftreiben lassen, aber Pfeile haben wir keine. Im Großen und Ganzen sind wir unbewaffnet.“
Ded blickte nervös und nachdenklich von einer Ecke in die Andere. Vor ihm standen, neben den paar Burgwächtern, eingeschüchterte Leute, Stadtbewohner die nie Kampfesschreie gehört hatten. Viele von ihnen, selbst die Männer, würden beim Anblick der Angreifenden Armee die Flucht ergreifen, das war ihm klar. Seine Männer waren Söldner, perfekte Kampfmaschinen, aber einer Armee die mehr als doppelt so viele Kämpfer hatte, darüber hinaus auch noch bestens bewaffnet war, konnten sie nicht die Stirn bieten. Ihre Einzige Chance war der Erfolg der Assassinen. Ded wusste von dem Plan, er war bei der Beredung am Vorabend dabei gewesen, aber alles klang in seinen Ohren zu unausgereift. Darüber hinaus kannte er Tobias Eisengluts Männer. Es war nur eine Frage der Zeit bis sie auch ohne Befehl losschlugen. Waren diese Bestien erst einmal in der Stadt dann würde nichts und niemand sie aufhalten können. Einer Belagerung konnte diese Stadt möglicherweise für einige Zeit standhalten, aber wie lange, und vor allem mit welcher Aussicht? Irgendwann würden sie nachgeben, denn auf Verstärkung konnten sie nicht hoffen, niemand wusste von ihrer Lage, und es hätte wahrscheinlich auch niemanden interessiert.


Die Wächter am Aufgang zum Nebelschloss waren nervös. Sie hatten eine ganze Schar schwerbewaffneter Männer passieren lassen, dabei hatten sie die Meisten von ihnen nicht einmal erkennen können, da sie ihre Kapuzen ins Gesicht gezogen hatten. Sicher, Karon Sturmfels war eine Gefahr, und unbewaffnet hätten sie ihn auch nicht mitführen wollen, selbst in einer Übermacht, aber was wenn es eine Falle war? Der Wächter erinnerte sich wage. Irgendwoher kannte er den Weißhaarigen, Bärtigen Mann, und zwar nicht vom Vortag. Er hatte sich bereits am Vortag gefragt wo er das Gesicht schon einmal gesehen hatte, aber er kam und kam nicht darauf. Er saß mit seinem Partner hinter dem Tor und würfelte. Auf einmal sprang er auf und griff nach dem Signalhorn. Es war ihm wieder eingefallen. Er kannte den Weißhaarigen, natürlich kannte er ihn, er hatte ihn schon einmal gesehen, und damals wie heute hatte er Karon Sturmfels bei sich. Die Beiden waren Freunde, und der Wächter bezweifelte das sich daran etwas geändert hatte. Er stieß mit vollen Lungen in das Signalhorn, und alle Wächter der anderen Tore erschienen hinter ihren Verschlägen und blickten zu ihm herab.
“Eine Falle, das ist eine Falle. Der Graf ist in Gefahr. Schnell, wir müssen hoch in das Schloss.“
Viele Beine setzten sich in Bewegung, von den unteren beiden Toren rannte jeweils ein Wächter los, während die anderen Fünf Tore komplett unbewacht blieben. Alle stürmten den Berg hinauf um zu retten was noch zu retten war.


Unten im Tal hörte man ebenfalls den Hornstoß. Die Söldner von Tobias Eisenglut begannen zu jubeln. Tobias selbst schreckte aus seinen Gebeten auf und eilte aus dem Zelt.
“Hauptmann, man bläst zum Angriff.“
“Nein, nein, das ist nicht richtig.“
Tobias hatte alle Mühe seine Männer zu zügeln. Er stellte sich vor sie und brüllte aus vollem Hals.
“Das ist nicht das Signal zum Angriff. Irgendetwas ist auf dem Schloss geschehen. Ich werde jetzt dort hoch gehen und nachsehen was los ist. Keiner, und ich wiederhole, absolut keiner wird den Angriff eröffnen bevor ich nicht wieder zurück bin und weiß was geschehen ist. Sollte jemand meinen Befehl missachten droht ihm der Tod. Habe ich mich klar ausgedrückt?“
Die Söldner waren wütend, aufgebracht und nervös. Aber sie hatten verstanden.
“Gut. Also, ihr da, ihr kommt mit mir. Und ihr da auch. Der Rest wartet hier.“
Tobias schwang sich auf sein Pferd und mit Acht weiteren Männern ritt er den Pfad zum Nebelschloss hinauf.


In der Stadt verstand man das Signal ebenfalls falsch. Die Männer die soeben noch damit beschäftigt waren das Tor zu sichern ließen urplötzlich alles stehen und liegen und rannten wie aufgescheuchte Hühner wild umher. Einige von ihnen weinten sogar. Die Söldner und die Burgwächter hatten alle Hände und Füße voll zu tun um die Männer wieder zur Ruhe zu bringen. Sie arbeiteten unermüdlich weiter. Ded und Herbert saßen in der Taverne und berieten was zu tun sei. Unbewaffnet und ohne Siegesaussichten war guter Rat teuer. Als sie den Hornstoß hörten sprangen sie auf und eilten auf den Marktplatz.
“Was ist hier los, was hat das zu bedeuten?“
“Sie kommen, sie greifen an. Gott stehe uns bei“ rief einer der flüchtenden Männer. Herbert sah Ded an. Dieser schüttelte den Kopf.
“Nein, das ist noch viel zu früh. Sie greifen noch nicht an, das kann nicht sein, jedenfalls nicht auf einen Befehl hin. Ubiert ist zwar verrückt auf diese Stadt, aber nicht so verrückt. Die Armee ist noch nicht voll einsatzbereit, es wäre überstürzt. Es sei denn...“
Herbert ahnte was Ded sagen wollte. Alles was Ubiert von einem Angriff abgehalten hatte waren die Assassinen, und die waren nun vollzählig zu ihm gekommen, mehr oder weniger freiwillig. Die paar Söldner hatte er zwar bedacht, aber seine Armee war viel Größer und besser gerüstet. Ubiert wusste das ein Angriff Erfolg haben musste.
“Er hat Recht. Gott stehe uns bei.“


Die Assassinen hatten den Hornstoß natürlich auch gehört, Maraxus und Desmond eilten zum Fenster. Von dort aus konnten sie die Männer sehen die den schmalen Pfad zu ihnen hochkamen. Sie sahen auch die Neun Reiter die von unten her aufschlossen und die Wächter fast überholt hatten.
“Wie viele?“ fragte Karon, der seinen Dolch gezogen hatte und ihn Ubiert an die Kehle hielt.
“Neun Reiter in vollen Rüstungen, ich vermute es sind Söldner aus seiner Armee, und Zwölf Torwächter in einigem Abstand voneinander. Aber die Reiter werden bald hier oben sein.“
Der weißhaarige Söldner eilte aus dem Thronsaal und zog sein Schwert. Karon eilte ihm hinterher.
“Was soll das?“
“Ich bleibe hier draußen, verbarrikadiert die Tür von innen.“
“Du willst dich ihnen doch wohl nicht entgegenstellen?“
“Hast du etwa eine bessere Idee?“
“Jede Idee ist besser als diese. Das ist Selbstmord.“
“Dann ist es eben Selbstmord, aber eines verspreche ich Euch, Herr Sturmfels, ich werde nicht alleine gehen. Die werden schon noch an mir zu kauen haben.“
Karon reiche dem weißhaarigen die Hand, dieser packte sie und nickte zackig.
“Ihr seid der unvernünftigste Mann der mir je untergekommen ist.“
“Ich hatte gehofft das ihr mich für den tapfersten haltet.“
Der weißhaarige Mann lächelte, und Karon drückte seine feste, raue Hand.
“Und nun geht schnell wieder da rein und versperrt die Tür. Sie kommen bereits. Tut was ihr tun müsst, und ich werde meinerseits tun was ich tun muss.“
Karon nickte, ließ die Hand los und eilte wieder in den Thronsaal. Kaum war er wieder drinnen eilten Rajhada und Andarah zu dem schweren Tor, warfen es zu und verriegelten es mit den schweren Kerzenständern die neben dem Thron standen. Der Graf begann nun langsam und kehlig zu lachen. Karon eilte wütend auf den Alten zu. Auf dem Weg zu ihm hatte er bereits seinen Dolch gezogen und hielt ihn drohend in seiner rechten Hand. Als er den Thron erreichte hielt er ihn dem Alten an die Kehle. Dieser jedoch lachte weiterhin.
“Das Spiel ist aus. Ich an Eurer Stelle würde mich geschlagen geben. Diese Männer sind besser als ihr, sie sind kampferprobt, das wisst ihr. Einen offenen Kampf werdet ihr nicht überstehen.“
“Das mag sein, alter Mann, aber ihr werdet ihn ebenfalls nicht überstehen. Und wenn ich eine Wette abschließen würde wer von uns allen als Erster stirbt dann stehen meine Chancen gut wenn ich auf dich setzte.“
Der Alte lachte noch immer. Natürlich war ihm bewusst das seine Chancen schlecht standen, aber wenigstens hatte er eine Chance.
“Mein Leben gegen das deine, Herr Sturmfels. Und deines ist immerhin Einhundert Goldstücke wert.“
“Deines nicht. Deines ist nicht mehr wert als die niedrigste, von Grünspan überzogene Münze die sich irgendwo auftreiben lässt. Aber dennoch hast du nicht ganz unrecht, alter Mann. Du wirst uns hier rausbringen. Dieser Saal hat doch sicher einen Geheimgang.“
Das Lachen des Alten erstarb. Gleichzeitig erreichten die Pferde den Schlosshof und die Soldaten stiegen ab. Schwere Schritte eilten über den Hof zum Schlosstor.

***

Die Burgwache hatte Position bezogen. Sie standen in der alten Formation auf der Stadtmauer und warteten auf die Angreifer. Von hier oben blieb ihnen nichts anderes übrig als mit Steinen und ähnlichem zu werfen, denn Schusswaffen hatten sie kaum. Lediglich ein einziger Bogen stand ihnen zur Verfügung. Die wenigen Pfeile welche die Söldner hatten benötigten sie selbst. Sie hatten sich ebenfalls zum größten Teil auf der Stadtmauer postiert. Insgesamt hatten Fünf der Männer Bögen, aber es waren kaum mehr als Zwanzig Pfeile vorhanden. Die Einzige Chance die sie hatten war das Warten. Und das Hoffen. Aber Hoffnung wagten sie kaum zu hegen.


Im Lager der Söldner von Tobias Eisenglut herrschte große Unruhe. Zobiak, einer der Männer, er war besonders groß und stämmig, hatte sich auf sein Pferd gesetzt und ritt vor den Männern hin und her.
“Ihr werdet doch wohl nicht warten bis Tobias wiederkommt. Was ist denn wenn es eine Falle ist? Wir warten hier und warten und warten, während der Feind in aller Ruhe seine Vorbereitungen treffen kann. Ich sage: Wir schlagen sofort los. Soll Tobias doch machen was er will. Wir werden die Stadt im Handumdrehen eingenommen haben, auch ohne ihn. Alles was er will ist doch den Ruhm ernten. Also, wer ist dabei?“
Ein raunen ging durch die Männer. Sie dachten im Großen und Ganzen ebenso wie ihr neuer, selbsternannter Anführer, aber sie hatten auch alle großen Respekt vor Tobias Eisenglut.
“Ich frage noch mal, wer ist dabei? Und denkt daran, je weniger die Stadt einnehmen, desto mehr Kriegsbeute ist für den Einzelnen übrig.“
“Warum hast Du es so eilig, Zobiak? Willst Du etwa gegen Tobias wetteifern? Du tätest gut daran Dich wieder einzukriegen, abzusteigen und darauf zu warten das er wieder kommt. Wenn es eine Falle ist, so wird Tobias schon damit fertig.“
“Ich sage, er hat Recht. Schlagen wir sofort los. Wenn wir warten treffen wir auf einen gut vorbereiteten Feind.“

“Unseren Sold werden wir nicht bekommen, wenn wir jetzt sofort losschlagen. Befehlsverweigerung ist das, jawohl. Man wird uns aufhängen, ich kenne Tobias. Er wird diejenigen jagen und töten die sich seinem Befehl wiedersetzen.“
“Unsern Sold? Verdammt soll er sein. Die ganze Stadt wird uns gehören, ist das nicht Sold genug?“
“Ich bin dafür abzuwarten. Die Stadt kann leicht eingenommen werden, die Bürger sind keine Soldaten, und Waffen haben sie auch nicht, soweit ich weiß. Ich bin dafür keinen Verrat zu begehen und in aller Ruhe zuzuschlagen.“ Diese Worte kamen von Torben. Er war ebenso groß und so gewaltig wie Zobiak, aber er genoss höheres Ansehen unter den Leuten. Er war schon so lange in den Diensten von Tobias Eisenglut das die Männer ihn stillschweigend als seinen Vertreter akzeptierten.
“Und Du, Zobiak, besser wäre es wenn Du von Deinem Pferd absteigst und Dein Schwert nochmals schleifst. Du wirst es noch früh genug in den Feind bohren, wenn Tobias wiederkehrt. Niemand hier wird ihm berichten das Du seine Befehle verweigern wolltest, und alles wird so kommen wie es kommen soll, wenn es an der Zeit ist.“
Zobiak blickte Torben an. Er nickte wortlos und stieg von seinem Pferd.


Währenddessen hatten die Assassinen ganz andere Sorgen. Sie hatten sich ebenfalls in Position gebracht. Der große Thronsaal barg einiges an guten Verstecken, das hatten sie bereits herausgefunden, aber verstecken hätte keinen Erfolg gebracht. Karon hielt dem Alten immer noch seinen Dolch an die Kehle.
“Es gibt einen Weg hier heraus, habe ich Recht? Es gibt immer einen Weg heraus aus einem Thronsaal, für den Fall das man belagert wird. Und Ihr, Herr Graf, seit so paranoid das Ihr sicherlich jeden einzelnen Raum in diesem Domizil so angelegt habt das Ihr flüchten könnt. Also, wo ist er?“
Der Alte lachte krächzend und heiser.
“Sicher, Herr Karon, Ihr könnt mich jetzt töten, aber das Resultat das Ihr daraus ziehen werdet ist Euer eigener Tot. Und der Tot Eurer Freunde. Ihr seit sozusagen in der Zwickmühle.“
Maraxus eilte herbei, drängte Karon von dem Alten fort und zog ihm seinen Dolch über die Wange. Der Alte schrie auf als die scharfe Klinge seine Haut aufritzte und eine dünne Blutspur herunter zu seinem Hals lief.
“Ihr habt die Frage gehört. Wo ist der Fluchtweg?“
Der Alte starrte Maraxus aus großen und ausdruckslosen Augen an. Dann schüttelte er den Kopf.
“Mal sehen wer von uns mehr Geduld hat, Meuchler.“
Maraxus riss seinen Dolch zurück und wollte zustechen, doch blitzschnell war Karon bei ihm und hielt seine Hand fest.
“Er hat Recht, Maraxus. Wir werden alle hier sterben wenn er uns nicht hilft.“
“Aber er wird uns helfen.“
Maraxus grinste bösartig. So bösartig das der Alte sich vor Angst nass machte.
“Ich wünschte sie wären schon hier“ sagte Herbert.
“Mir persönlich wäre es lieber wenn Karon hier wäre und uns gute Nachrichten bringen würde. Ich bin nicht sonderlich erpicht auf eine Schlacht die wir nicht gewinnen können.“
Herbert sah Ded an. Natürlich hatte er Recht, aber den Feind zu sehen und ihn einschätzen zu können hätte die Sache sichtlich erleichtert. Ein Sieg, so dachte Herbert, kann zwar nicht errungen werden, aber wir werden alles tun um dem Feind den Sieg so schwer wie möglich zu machen. Auch wenn es keinen Sinn macht, und es einfacher wäre die Stadttore zu öffnen und sich zu ergeben, Herbert war gewillt zu kämpfen. Er hoffte inständig das es bald beginnen würde.


“Die Tür ist verschlossen, Hauptmann“ sagte einer von Tobias´ Söldnern. Sie hatten indessen das Schloss gestürmt und standen nunmehr in der Vorhalle des Thronsaals.
“Hier spricht Tobias Eisenglut, Hauptmann des Streitmacht dieses Schlosses. Ich verlange das Ihr die Türe öffnet und Euch ergebt, Karon Sturmfels.“
In diesem Augenblick erklang ein lauter Schrei. Metallisches Kratzen erklang als der weißhaarige sein Schwert zog und auf die Belagerer zueilte. Er lief mit ausgestrecktem Schwert auf Tobias zu, dieser drehte sich ruckartig um und konnte in letzter Sekunde dem Hieb ausweichen. Mit diesem Angriff hatten sie nicht gerechnet. Der Alte war für seine Gestallt überraschend agil. Er riss das Schwert herum und zog es einem der gräflichen Torwächter über die Brust. Blut quoll sofort hervor und der getroffene sank zu Boden. Er war verletzt, aber nicht tödlich. Sein Kettenhemd hatte den größten Teil des Hiebs abgefangen. Zu einem zweiten Schlag kam es nicht, Drei Söldner packten den Alten und rissen ihm das Schwert aus der Hand. Der weißhaarige wehrte sich und befreite sich aus der Umklammerung. Er war nicht nur überraschend agil, er war auch verdammt stark. Tobias zog sein Schwert.
“Du bist also die Vorhut, interessant. Ist das alles was diese Meuchler zu bieten haben?“
“Du wirst mich noch kennen lernen, du verdammter Bastard.“
Der weißhaarige stand da und hatte seinen Dolch gezogen den er stets in seinem Stiefel trug. Diesmal hatte man ihn ihm nicht abgenommen. Er stand bebückt und zum Sprung bereit da, aber Tobias lachte nur leise und schüttelte mit dem Kopf.
“Das ist nicht fair, alter Mann. Hey, du da, gib ihm sein Schwert zurück.“
Der Angesprochene zweifelte an den Worten die er soeben gehört hatte.
“Na los, wird’s bald?“ schrie Tobias ihn an. Er bückte sich, nahm das Schwert und reichte es dem weißhaarigen.
“Heldenmut soll belohnt werden, ich werde keinen unterlegenen töten. Na los, nimm das Schwert. Kämpf gegen mich. Niemand hier wird in den Kampf eingreifen, das verspreche ich dir, und solltest du gewinnen, dann werden meine Männer dich ungehindert gehen lassen.“
Die Männer sahen Tobias zweifelnd an.
“Habt ihr das alle verstanden? Niemand wird eingreifen, und sollte er mich töten dann kann er ungehindert verschwinden.“
Die Männer nickten zögernd. Der weißhaarige sah sich um. Er glaubte diesem Mann nicht, aber es war seine einzige Chance. Er lies seinen Dolch fallen und griff blitzschnell nach seinem Schwert das ihm der Soldat reichte den er eben fortgestoßen hatte. Kaum hatte er es ergriffen stürmte auch schon Tobias heran. Er hieb auf den Alten ein, zwei- dreimal, der Alte parierte die Schläge, aber die Wucht ließen ihn taumeln. Der Alte ging langsam zurück, parierte einen Schlag nach dem anderen, verlor aber mehr und mehr an Kraft. Tobias schlug mit einer Wucht und einer Geschwindigkeit zu das dem Alten nichts anderes blieb als zu parieren, einen Angriff konnte er nicht ausführen. Tobias lachte bei den Schlägen laut und drängte den Alten mehr und mehr zurück. Auf einmal hielt er inne und trat zurück.
“Nicht schlecht, Alter Mann, gar nicht schlecht. Ihr habt schon viele Kämpfe ausgefochten, wie? Na los, jetzt seid ihr dran mit dem Angriff.“
Provozierend hielt Tobias sein Schwert wie einen Degen hoch und legte seine linke Hand auf den Rücken.
“Worauf wartet ihr?“
Der Alte riss sein Schwert hoch, holte zum Hieb aus und sprang auf Tobias zu. Dieser jedoch machte einen schnellen Schritt zur Seite, stellte dem heranspringenden Angreifer ein Bein worauf dieser schwer zu Boden fiel. Er drehte sich auf den Rücken und wollte aufspringen, doch Tobias´ Fuß stellte sich auf die Brust des Alten und presste ihm die Luft aus den Lungen. Er lag vor ihm, mit ausgebreiteten Armen, während Tobias ihm die Schwertspitze ans Herz hielt.
“Gut. Wirklich gut. Ihr wärt eine Bereicherung für meine Truppe. Wie wäre es? Kämpft für mich.“
Der Alte Mann überlegte und wog seine Chancen ab. Dann ließ er das Schwert los das er noch immer mit letzter Kraft umklammert hielt und nickte.
“Soll das heißen das ihr zustimmt?“
Der Alte nickte wieder. Diesmal heftiger. Tobias nahm den Fuß von der Brust des Alten und ließ ihn aufstehen. Als der Alte sein Schwert ergreifen wollte bohrte Tobias ihm das seine von hinten in den Rücken, so fest das die Spitze vorne wieder vortrat. Er hob den Alten an und flüsterte ihm ins Ohr.
“Für Verräter habe ich aber nichts übrig.“
Dann setzte Tobias seinen Fuß auf das Steißbein des weißhaarigen und trat zu. Er rutschte von dem Schwert und fiel schwer zu Boden. Tobias schüttelte den Kopf, steckte sein Schwert wieder weg und ging wieder zu der Tür des Thronsaals. Er klopfte, jetzt allerdings leicht verärgert.
“Wenn ihr jetzt bitte öffnen würdet.“


Im inneren des Thronsaals herrschte eine gespannte Stimmung. Sie hatten Geräusche eines Kampfes gehört, aber es dauerte nur einige Augenblicke, dann war es vorüber. Viel Zeit für Trauer blieb jedoch nicht.
“Ich habe ja gleich gesagt : Lass uns diesen wieselgesichtigen Lakaien töten. Er ist sicher aus dem Schloss gerannt und hat Alarm geschlagen.<
“Kann sein, Caysha. Aber das ändert nichts an unserer jetzigen Situation.“
“Aber es hätte etwas daran geändert.“
Es pochte wieder schwer gegen die Türe.
“Wir sehen uns gezwungen die Türe aufzubrechen, wenn Ihr sie nicht sofort öffnet“ drang Tobias´ Stimme von draußen herein.
“Das können sie nicht“ sagte Desmond. “Ich habe die Türe gesehen, und ohne etwas wie einen Rammbock können sie die Tür nicht öffnen. Uns bleibt noch etwas Zeit.“
Der Alte schüttelte den Kopf.
“Wie viel Zeit kann Euch denn bleiben? Minuten. Und selbst wenn es Tage wären, Ihr seit hier drinnen eingeschlossen, wie Ratten auf einem sinkenden Schiff. Seht es endlich ein, Ihr habt verloren.“
Die Assassinen sahen den Alten erbost an. Sie sahen ein das er Recht hatte, aber jeder von ihnen wollte ihm dieses Schicksaal sühnen. Einzig Karons Miene verriet nichts von seiner Sorge.
“Ja. Er hat Recht. Also, wir werden sterben, aber nicht kampflos. Auch wenn unsere Chance gering ist und wir mit Sicherheit sterben werden, einige von denen da draußen werden mit uns gehen. Ihr wollt uns nach wie vor nicht helfen, sehe ich das Richtig?“


Von draußen erklang ein lautes und dumpfes Pochen. Die Söldner hatten eine der Bänke aus dem nahegelegenen Speisesaal herbeigeschafft und benutzen ihn als Rammbock. Desmond verfluchte sich innerlich für seine Worte. Der Alte lachte wieder. Karon sah ihn an, sah dann zu seinen Freunden und nickte zu dem Alten herüber.
“Dann gehört er Euch. Macht mit Ihm was Ihr wollt.“
Der Alte wurde totenbleich, versuchte in seinem Thron zu versinken, denn ganz langsam kamen die Assassinen auf ihn zu, ihre Waffen bereits gezogen.
“Du darfst, Caysha. Ich habe mal gehört das Du eine ganz besondere Art des Tötens entwickelt hast, und die würde ich gerne einmal sehen bevor ich selbst von dieser Welt gehe.“
Caysha grinste über das ganze Gesicht. Mit ihrer Sichel vollzog sie schnelle Bewegungen in der Luft. Es zischte als die Sichel hin und her bewegt wurde. Sie setzte sich rittlings auf den Schoss des Alten und hielt ihm die Sichel vors Gesicht. Es war eine besondere Sichel, und alles deutete darauf hin das sie nicht zum schneiden von Kräutern oder Gras hergestellt worden war. Sie war an der Außenseite gezackt wie eine Säge, und innen war sie so scharf das man sich förmlich daran schneiden konnte wenn man sie nur ansah. Unterhalb der Schneide, dort wo der Griff anfing, war etwas seltsames eingraviert. Es erinnerte an heidnische Symbole. Der Alte kannte sie nicht, aber sie verhießen nichts Gutes. Er starrte in ihre kalten, ausdruckslosen Augen. Irgendetwas schien mit ihnen nicht zu stimmen. Sie leuchteten nicht. Er hatte solche Augen schon einmal gesehen, und überlegte momentan wo. Plötzlich fiel es ihm wieder ein. Sein Vater, er hatte die gleichen Augen als er sie zum letzten Mal gesehen hatte. Allerdings, und das gab dem Alten zu denken, beim letzten Mal, als er die Augen seines Vaters gesehen hatte die den gleichen fehlenden Glanz aufwiesen, war dieser Mann tot gewesen. Sie hatte die Augen eines Toten. Der Alte erstarrte.
“Weißt Du, ich habe einen persönlichen Rekord. Mal sehen ob ich ihn überbieten kann. Ich hoffe Du hältst es lange genug durch, es wäre wirklich schade drum. Du bist das perfekte Individuum. Hoffentlich lassen Deine Männer uns auch genug Zeit, sonst müssen wir kurz unterbrechen und später weitermachen.“
Später? Wann später, dachte der Alte. Wenn ich tot bin, so wie Du? Was zum Teufel bist Du? Der Alte schrie nach Karon. Dieser stand mit dem Rücken zu ihm und dachte nicht im Traum daran sich zu ihm umzudrehen.
“Tut mir leid, ich habe zwar schon viel gesehen, aber nachdem was man sich so erzählt möchte ich dies lieber nicht mit ansehen.“
“Nein, ... Nein... bitte. .. ich .... ich werde ....“
Karon drehte sich jetzt wieder um.
“Ja?“
“Ich werde Euch alles sagen was Ihr wissen wollt, aber nehmt dieses Monster von mir fort.“
Karon eilte zu dem Alten, riss Caysha die Sense aus der Hand und hielt sie dem Alten an den Hals.
“Also? Und keine Spielchen. Du kommst mit uns, damit das klar ist.“
Karon packte den Alten am Kragen und riss ihn von seinem Thron. Mit einem gewaltigen Stoß schleuderte er ihn in die Mitte des Thronsaals. Auf allen vieren versuchte der Alte seine Lage auszuloten. Er war unbewaffnet, umzingelt von bewaffneten und zu allem entschlossenen Attentätern. Draußen warteten seine Soldaten, aber diese kamen nicht zu ihm hinein, jedenfalls nicht schnell genug um ihn vor den wahnsinnig gewordenen Meuchlern zu schützen. Sein einziger Ausweg bestand darin... Ja. Natürlich, dachte er. Das ist die Idee. Fast hätte er das vergessen. Er stand vorsichtig auf und ging zu dem Kamin. Er nahm den Kerzenständer der darauf stand und kippte ihn zu sich. Mit einem leisen knirschen öffnete sich gleich neben dem Kamin ein schmaler Durchgang. Karon eilte zu ihm hin.
“Wo führt dieser Weg hin?“
“Er führt aus dem Schloss hinaus in den Wald. Das ist der einzige Fluchtweg hier heraus.“ Das war gelogen, es gab noch einen anderen der in sein Schlafgemach führte. Von dort aus konnte man den Wehrgang erreichen, aber der Alte hatte einen Plan. Maraxus kam zu den Beiden hinzu und sah in den schmalen Durchgang. Es führte eine sehr schmale und steile Treppe nach unten. Weit konnte er nicht sehen, denn der Gang war nicht erleuchtet. Abermals erklang das laute Pochen von der Türe her, diesmal wurde es von dem Geräusch berstenden Holzes begleitet.

“Wenn der Durchgang hier oben wieder verschlossen wird tappen wir im Dunklen. Man kann dort drinnen nichts sehen.“
“Was habt Ihr denn erwartet? Warum sollte ein Fluchtweg ständig erleuchtet sein? Ihr müsst mir schon vertrauen.“
“Er könnte Fallen dort drinnen haben, für den Fall das dies hier passiert“ gab Maraxus zu bedenken. Wieder krachte die umfunktionierte Bank von außen gegen die Türe. Langsam wurde es eng.
“Und genau aus diesem Grund wird er vorgehen, nicht wahr?“
Der Alte sah sich nervös nach allen Seiten um. Karon hatte seinen Dolch gezogen und drückte ihn sanft gegen den Rücken des Alten.
“Also, los dann.“
Der Alte ging durch den Durchgang, Karon und Maraxus folgten ihm. Dann schlossen auch die Anderen Assassinen zu ihnen auf. Lediglich Paolo und Uther, sie trugen noch immer die Rüstungen der Schlossgarde, blieben im Thronsaal zurück.


Die Assassinen waren gerade alle in dem Durchgang verschwunden als die Bank wieder gegen die Tür geschmettert wurde. Diesmal gab sie nach und brach mit lautem Poltern nach innen auf. Die Bank wurde fallengelassen und die Soldaten zogen ihre Schwerter. Tobias, er hatte kein Schwert gezogen, ging als erster durch die Türe. Es verwunderte ihn sehr das er niemanden vorfand, nur die beiden Wächter. Sie standen neben dem Thron, hatten ihre Helme wieder aufgesetzt und hielten ihre Hellebarden tapfer nach oben gerichtet. Tobias kam auf die zu und blieb dicht bei ihnen stehen. Paolo ergriff als erster die Initiative.
“Was fällt Euch ein den Herrn so zu verschrecken. Er ist vor Euch geflohen. Er dachte ihr wäret Karon Sturmfels.“
Tobias musterte den Mann.
“Schwachsinn. Der Graf kennt mich. Wo ist er?“
“Wie ich bereits sagte, er ist geflohen. Ich befehlte Dir diesen Ort sofort zu verlassen, oder wir müssen Dich festnehmen.“ Paolos Stimme zitterte. Dieser Plan war bei weitem nicht so gut wie sein anderer, bei dem es darum ging aus dem Fenster zu springen und zu hoffen das ein See oder Fluss aus dem Nichts materialisieren würde und den beiden Flüchtenden das Leben rettete. Vorher hätten sie natürlich die Feinde allesamt ermutigt ihnen durch das Fenster zu folgen, und wenn sie unten ankommen würden wäre der See längst wieder ein steiler Felsen gewesen, genau wie vorher.
“Du willst was?“ erkundigte sich Tobias. Er glaubte nicht richtig gehört zu haben.
“Wohin ist er geflohen?“
“Du hast sicher Verständnis dafür das ich Dir das nicht sagen kann. Ich kenne Dich ja überhaupt nicht.“
Tobias kniff die Augen zusammen.
“Dann musst Du wohl neu sein.“ Blitzschnell, schneller als Paolo die Hellebarde sinken lassen konnte, hatte Tobias sein Schwert gezogen und es in Paolos Rüstung gebohrt. Das Schwert durchbohrte zuerst die Rüstung, dann Paolos Herz. Paolo röchelte als Tobias das Schwert wieder herauszog und sank in sich zusammen. Uther ließ die Hellebarde fallen und zog sein Schwert. In seiner Rüstung konnte er sich nicht wirklich frei bewegen, und das sie ein Schwert, wenn es mit genügend Kraft die Richtige Stelle traf, nicht abwehren konnte gefiel ihm überhaupt nicht. Die Soldaten wollten in den Raum stürmen, doch Tobias hob die Hand um ihnen Einhalt zu gebieten.
“Warte. Nimm den Helm ab und lass die Waffe fallen, dann geschieht Dir vielleicht nichts. Wir wissen das Karon Sturmfels hier war, ein flüchtender Lakai sagte es uns. Leider mussten wir ihn bestrafen, er begann Fahnenflucht, oder so was in der Art. Auf jeden Fall hat er seinen Posten verlassen, und so was kann ich nicht gutheißen. Du willst doch sicher nicht das er Dir so ergeht wie ihm. Oder wie Deinem Kollegen. Du hast wenigstens Mut gehabt hier zubleiben und uns entgegenzutreten. Und Du weißt wo er hin ist. Du weißt das ein Kopfgeld auf Ihn ausgesetzt ist, und Du könntest es Dir verdienen. Nebenbei gebe ich Dir die Möglichkeit in meinem Heer aufgenommen zu werden. Du wärst also wieder ein Echter Soldat, wie damals als Du noch in der Burgwache warst.“ Tobias lächelte wissend. Es war das gleiche Lächeln das Haie haben, kurz bevor sie über einen harmlosen Surfer herfallen. Sie wissen das es ein leckerer, schmackhafter Mensch ist, egal was man denkt, und hinterher kann man immer noch behaupten man hätte das Ding an der Wasseroberfläche für eine Robbe gehalten, und davon gibt es ja so viele.
Uther überlegte. Woher wusste dieser Mann davon. Er steckte sein Schwert in die Scheide, nahm den Helm und den Brustpanzer ab und starrte Tobias an.
“Also, wohin sind sie verschwunden?“
“In die Hölle. Genau dorthin sind sie verschwunden, in die Hölle. Und dort warten sie auf Dich.“
Uther riss sein Schwert aus der Scheide, jetzt, ohne die Rüstung konnte er sich freier und schneller bewegen, und das nutzte er aus. Er griff Tobias an. Der Kampf währte allerdings nur kurz, bereits den Fünften Hieb konnte Uther nicht mehr abwehren. Er schlitzte ihm die Bauchhöhle auf. Ächzend fiel Uther auf die Knie, ließ sein Schwert fallen und presste beide Hände auf die klaffende Wunde. Tobias grinste triumphierend und ging um den auf dem Boden knienden Uther herum.
“Dumm von Dir, mein Angebot auszuschlagen. Natürlich hätte ich Dich nicht an meiner Seite haben wollen, aber Dir wäre ein angenehmerer und vor allem schnellerer Tot beschert gewesen. Den kannst Du übrigens immer noch haben. Ich will nur wissen wohin die Schweine geflohen sind, weiter nichts.“
Uther spuckte auf den Boden.
“Also nicht. Schade. Du solltest wissen das Du mit einer solchen Wunde Stundenlang überleben kannst, während Du langsam verblutest. Welche Schmerzen Du dabei erleidest brauche ich Dir sicher nicht zu erklären, Du kennst sie ja mittlerweile.“ Da war wieder der Hai, mittlerweile konnte kein Zweifel mehr daran bestehen dass es sich nicht um eine Robbe handelte, aber die betreffende Person blutete schon, und jetzt war es sowieso egal. Blutgier war geweckt, und das ist für Haie immer eine gute Ausrede.
Uther ächzte. Er war nun umgefallen und lag auf dem Boden, beide Beine angezogen, die Hände noch immer krampfhaft auf die Wunde gedrückt. Er weinte vor Schmerzen. Tobias lächelte und nickte mit dem Kopf.
“Ein loyaler Soldat, bis in den langsamen Tod. Und dabei wäre mein Gnadenstoß ein Geschenk für Dich gewesen, denn ich kenne die Geheimwege aus diesem Saal heraus.“
Tobias ging langsam auf den Wandteppich zu, zog ihn zur Seite und blickte auf die noch verschlossene Tür. Dann ging er zum Kamin und öffnete den Durchgang. Er sah auf den Boden und lächelte. Fußspuren. In dem dicken Staub waren ganz deutlich Fußspuren zu sehen. Er nickte.
“Diesen Weg haben sie also genommen? Wie dumm.“
Dann ging Tobias, seine Männer folgten ihm, und Uther lag auf dem Boden und hauchte langsam sein Leben aus.

***

Langsam, still und leise tastete sich die Gruppe durch den schmalen, dunklen Gang. Die Luft war stickig und schwer, der Gang war alt und lange nicht benutzt worden. Gelüftet wurde er wohl nie. Es stank nach Moder und Verfall. Ganz vorsichtig setzten sie Fuß vor Fuß, alle Nerven wie Drahtseile gespannt. Sehen konnte man nichts, so lange man auch in die Dunkelheit starrte, die Augen konnten sich nicht an das wenige Licht gewöhnen weil es kein weniges Licht gab. Karons Dolch berührte noch immer den Rücken des Alten der die Gruppe anführte. Sie gingen nun schon einige Minuten, aber es kam ihnen wie Stunden vor. Keiner von ihnen sagte auch nur ein Wort und selbst das Atmen wurde so leise wie möglich gehalten. Sie waren zwar alleine, aber rechneten jeden Augenblick mit dem Schlimmsten. Fallen hätten hier aufgebaut sein können. Auch wäre es möglich das sie verfolgt würden. In diesem Fall hätten sie wohl die gleichen Überlebenschancen gehabt wie ein Einzapfen in der Hölle.


Die Pferde preschten den schmalen Weg des Schlosses herab und kamen in das Söldnerlager. Noch im Galopp sprang Tobias herunter und eilte zu seinen Männern. Er lachte.
“Und? Was ist geschehen?“
Tobias nickte, stand gebeugt vor seinen Männern und stützte die Hände auf seine Knie.
“Es ist soweit. Diejenigen die noch keine Rüstung tragen sollen sie jetzt anlegen und sich bewaffnen. Es wird zu einem Kampf kommen, und dieser Zeitpunkt ist nah, sehr nah.“
Die Männer stoben auseinander und begannen voller Vorfreude zu jauchzen. Schwerter wurden gezogen, Pfeilköcher nochmals befüllt, Bögen gespannte und Rüstungen geschnürt. Die Männer waren voller Blutdurst. Bald würden sie ihn stillen können.


Herbert und Ded standen noch immer auf der Stadtmauer und blickten voll böser Vorahnung in die Ferne. Noch war nichts zu sehen, es ging ein ruhiger aber kalten Wind, ansonsten war es ruhig. Es hatte wieder begonnen zu schneien. Es herrschte die berühmte Ruhe vor dem Sturm. Herbert hatte über seinem Kettenhemd einen schwarzen Wollmantel den er jetzt enger zuzog.
“Kalt ist es geworden.“
Ded sah den Alten Haudegen an. Herbert war ein gutes Stück größer als er, und sein Gesicht zeugte von vielen Kämpfen. Harte Züge, aber dennoch freundlich und gutmütig. Der Krieg konnte einen Mann in alles verwandeln, an keinem ging er spurlos vorbei. Herbert hatte viele Kriege erlebt, und viele Feinde zurückgeschlagen. Er hatte alles gesehen was es in einem Krieg zu sehen gab. Aber sein Gesicht zeigte Sorge.
“Es wird sicher noch kälter. Das Jahr ist noch nicht vorbei und der Winter ist gerade erst ins Land gezogen. Ihr werdet diese milden Temperaturen noch herbeisehnen.“
“Wenn ich Gelegenheit dazu bekomme.“


“So allmählich wird mir mulmig hier drinnen. Ich habe das Gefühl zu ersticken.“
“Du erstickst schon nicht, Caysha. Und außerdem, ich dachte immer das Du dunkle und modrige Räume vorziehst.“
“Noch so ein blöder Spruch und Du wirst in naher Zukunft einen dunklen, modrigen Raum Dein Zuhause nennen.“
“Wenn es etwas entspannter wäre, würde ich lachen. Aber unter diesen Umständen...“
“Leise dahinten. Wir nähern uns dem Ausgang. Da vorne ist ein Licht zu sehen.“
Tatsächlich wurde die Luft kälter. Aber sie wurde auch frischer. Sie näherten sich tatsächlich dem Ausgang. Der schmale Gang wurde breiter, dehnte sich zu einer Art Höhle aus und in der Wand befand sich eine schmale Spalte durch die das helle, blendende Licht des Tages hereinfiel. Caysha schloss an den Anfang der Gruppe auf. Sie konnte es nicht erwarten wieder frische Luft zu atmen. Sie wollte gerade an Karon vorbeistürmen als dieser ihren Arm ergriff und sie festhielt.
“Noch nicht. Wir sollten nichts überstürzen.“
“Blödsinn. Ich fühle mich hier drinnen nicht wohl. Ich habe das Gefühl zu ersticken.“
Karon sah sie fragend an.
“Du willst mir jetzt aber nicht sagen das Du Angst in engen Räumen hast?“
Caysha stützte ihre Hände provokativ in die Hüften und sah Karon wütend an.
“Du hast Platzangst? Du?“
“Was willst Du mir jetzt damit sagen?“
Karon konnte sich ein grinsen nicht verkneifen.
“Och, gar nichts. Ich meine nur das jemand wie Du keine Platzangst haben sollte.“
Caysha entschied sich diese Diskussion zu beenden und ging langsam auf den schmalen Spalt in der Wand zu. Er war so schmal das höchstens einer hindurchpasste, und der musste sich auch noch ziemlich schmal machen. Da Caysha von natur aus recht dünn war passte sie problemlos hindurch. Sie streckte zuerst den Kopf hindurch und lugte nach draußen.
“Und?“, fragte Maraxus.
“Scheint alles in Ordnung zu sein.“
“Gut“, sagte Karon. “Wir werden jetzt diesen verdammten Gang verlassen. Einer von uns, dann Du, Alter Mann, und dann der Rest. Wir werden zur Burg gehen und dann werden wir ein paar offene Fragen klären. Ich hoffe sehr für Dich das Du ein paar gute Antworten hast, denn Du bist nicht sehr beliebt, weißt Du.“ Der Alte schluckte.
“Also gut, ich bin dann weg.“
Caysha trat durch die schmale Öffnung nach draußen. Die Sonne blendete sie so das sie für einen Augenblick blind war. Nach ihr trat der Graf ins Freie, gefolgt von Karon, und Maraxus. Anschließend traten Desmond und Andarah durch die Spalte, Ötsch hatte seine Schwierigkeiten. Er war zu stämmig und blieb in der Öffnung stecken. Er trat wieder zurück.
“Das ist nicht ganz einfach, ich denke ich muss den Mantel ausziehen.“
Rajhada stand hinter Ötsch in der Höhle.
“Dann mach das doch einfach. Sag es nicht, tu es.“
“Immer langsam, ja. Diese Muskeln sind in solchen Situationen sehr hinderlich. Aber unter anderen Umständen seit ihr froh das ihr sie habt.“
Während Ötsch seinen Mantel in der Höhle auszog tasteten sich die Assassinen die bereits draußen waren wie blind über die Lichtung. Die lange Zeit in völliger Dunkelheit und nun das grelle Licht der Morgensonne. Es schmerzte in ihren Augen, die sich nur langsam an das Licht gewöhnten. Caysha, die als Erste gekommen war, atmete tief durch und sog die kalte und klare Luft in ihre Lungen. Sie reckte sich und breitete die Arme aus. Ein Armbrustbolzen traf sie in die Schulter. Sie ächzte, wirbelte herum und ging in die Knie. Die Assassinen reagierten sofort. Blind zogen sie ihre Waffen, aber sie waren nicht in der Lage anzugreifen. Sie konnten nichts sehen. Langsam, ganz langsam begannen schemenhafte Bilder Gestalt anzunehmen. Und es waren viele Bilder.
“Ich an Eurer Stelle würde die Waffen stecken lassen. Wir sind zu viele, und im Gegensatz zu Euch können wir sehen wohin wir schlagen. Dieser Bolzen war nur ein Vorgeschmack, lebend seit Ihr mehr wert.“
Karon versuchte etwas zu erkennen, aber es fiel ihm schwer die Augen offen zu halten. Jemand kam auf ihn zu, und er hatte irgendetwas in der Hand.
“Lasst das Schwert fallen, Herr Sturmfels. Mein Bolzen ist schneller als Euer Schwert. Das gilt auch für die Anderen.“
Karon tat was man ihm gesagt hatte, und nachdem die übrigen Assassinen Karons Zweihänder fallen hörten ließen auch sie ihre Waffen fallen. Einzig und allein Maraxus lies seine Waffe nicht los sondern senkte sie nur. Er war nicht bereit zu tolerieren das man auf Caysha geschossen hatte. Mit langsamem zwinkern versuchte er sich an das Licht zu gewöhnen. Diese Stimme. Sie kam ihm bekannt vor, er hatte sie schon einmal gehört. Sie gehörte Tobias Eisenglut. Seine Schritte näherten sich ihm.
“Alle beisammen, alle beisammen. Karon Sturmfels, der beste Assassine den man für Geld kaufen kann, sagt man. Und was hat er für eine nette Gruppe um sich versammelt. Wirklich hübsch.“
Nun stand der Besitzer der Stimme direkt vor Maraxus.
“Maraxus von Keld. Der große Maraxus von Keld. So trifft man sich wieder. Ihr habt Euch verändert, Kriegsfürst.“
“Ich bin froh das ich Euer Gesicht nicht sehen kann um sagen zu können ob Ihr Euch auch verändert habt, Tobias. Wahrscheinlich seit ihr immer noch so hässlich wie eh und je.“
Langsam begannen Maraxus Augen sich an das Licht zu gewöhnen. Er wollte gerade sein Schwert hochreißen als ihn eine behandschuhte Hand packte. Die Hand quetschte Maraxus Gesicht zusammen, eine andere Hand packte seinen Schwertarm. Sie griff so fest zu das Maraxus das Schwert fallen lies.
“Hässlich? Wenn ihr mit hässlich die Narbe auf meiner Wange meint, so wisst ihr doch sicher wem ich sie zu verdanken habe.“
“Hähe ich bescher geschoschen dann hähet ihr schatt der Narbe ein Loch im Geschicht gehabt, dasch wäre bescher für alle geweschen, auch für Euch.“ Maraxus hatte Probleme mit dem Sprechen, denn der Griff packte ihn unterhalb des Kiefers und hielt sein Gesicht fest umschlossen. Tobias nickte und grinste böse.
“Ja, das wäre besser für alle gewesen. Aber da ihr mich knapp verfehlt habt bin ich nun hier und kann Euch für diese Verzierung danken.“
Er griff nach Maraxus Dolch, zog ihn langsam aus der Lederscheide und zog ihn über Maraxus linke Gesichtshälfte.
“Man trifft sich im Leben immer zweimal, Kriegsfürst.“
Maraxus verzog keine Miene während Tobias ihm die Wange aufschnitt. Das Blut rann ihm das Gesicht herunter und in den Hemdkragen hinein. Nachdem Tobias fertig war steckte er „Von-Ohr-zu-Ohr“ wieder zurück und zurrte ihn wieder schön fest. Dann lies er Maraxus los und ging rückwärts wieder zu seinen Leuten. Maraxus´ Hand wischte das Blut ab, löste sein Kopftuch und hielt es auf die Wunde. Noch immer zeigte sich keine Regung in seinem Gesicht. Die Augen hatten sich mittlerweile an das Licht gewöhnt und die Assassinen konnten die Situation sehen in der sie sich befanden. Sie waren umzingelt von ungefähr Fünfzig bewaffneten Söldnern, keiner von ihnen unter Ein Meter Achtzig und alle stark gepanzert. Etwas abseits standen Pferde, sie befanden sich auf der Lichtung hinter dem Hügel auf dem das Nebelschloss lag, abgeschottet vor Blicken, aber nur unweit des Weges der zu ihrem Lager oder zur Burg führte. Dennoch, ein Fluchtversuch wäre ihnen sicherlich schlechte bekommen.
“Nun“, begann Tobias. “Da wir Euch jetzt haben könnten wir ja zur Stadt gehen und sie uns nehmen, nicht wahr. Vielleicht überlässt man uns ja die Stadt wenn sie sehen das wir Euch haben. Wie gesagt, Lebend seit ihr mehr wert.“ Tobias lachte.


Rajhada spinkste durch den schmalen Spalt nach draußen. Sie hatte den Schrei mitangehört und hatte sich spontan entschieden nicht nach draußen zu treten. Ihre Augen hatten sich an das Licht gewöhnt, denn sie beobachtete die Szene schon eine ganze Weile, hielt es aber für besser abzuwarten. Überraschungsmomente waren weitaus wichtiger als Feuerkraft, das wusste sie. Sie konnte noch nicht schießen. Wenn sie auf Tobias geschossen hätte, wäre eine vielfach überlegene Streitmacht auf der anderen Seite gewesen, außerdem stand Maraxus in der Schusslinie.

“Was ist da draußen los?“ fragte Ötsch. Rajhada kam, mit Tränen in den Augen wieder in die Höhle. Sie hatte ihre Armbrust fest in der Hand, ihre Fingerknöchel traten bereits weiß hervor, so fest hatte sie die Waffe umklammert.
“Hast Du Deine Armbrust dabei?“
“Ja, sicher. Warum?“
“Du solltest sie spannen.“


Graf Ubiert löste sich von Karon und kam auf den Hauptmann seiner Armee zu.
“Ich wusste es, ich wusste es“ intonierte er fröhlich. “Ich bin froh Euch zu sehen. Ihr habt ganz genau getan was ich von Euch erwartet habe.“
Tobias sah den Alten böse an. Da war schon wieder der Hai, und diesmal griff er den Surfer an ohne nach Ausreden zu suchen.
“Ihr habt auch genau das getan, was ich von Euch erwartet hatte, Alter Mann.“
Mit diesen Worten zog Tobias seinen Dolch aus der Scheide und rammte ihn dem Grafen in die Brust. Dieser zuckte zusammen und starrte verwirrt umher.
“Aber...“
“Aber? Ihr seit verwirrt, Alter Mann. Das war auch gut so, denn sonst hätte ich ein schwierigeres Spiel mit Euch gehabt, und wir würden immer noch nach diesen Männern suchen. Aber nun, da wir sie haben, werdet ihr nicht mehr gebraucht. Die Assassinen, und die Stadt. Bald wird das alles uns gehören, genau wie Euer Schloss.“
Tobias zog seinen Dolch, der noch immer in der Brust des Alten steckte, nach oben, und zog ihn dann heraus. In diesem Moment brach der Alte zusammen, zuckte kurz und starb. Tobias steckte den Dolch wieder zurück in seine Scheide.
“Also, fesselt diese Personen und macht euch marschbereit. Wir haben noch eine Stadt einzunehmen.“
Die Männer begannen zu jubeln. Im allgemeinen Tumult hatte niemand bemerkt das Caysha aufgestanden war. Sie hatte sich den Bolzen aus der Schulter gezogen, ihre Sichel zur Hand genommen und fiel jetzt wie ein wildes Tier über die Männer her. Die übrigen Assassinen konnten nur mit Ansehen was nun geschah, denn man zielte mit Armbrüsten auf sie. Caysha schnitt dem Ersten den sie in die Hände bekam die Kehle durch, tauchte unter den Schwerthieben hinweg, rollte sich ab und begann den nächsten zu attackieren. Ihn packte sie an den Haaren, zog seinen Kopf in den Nacken und schlitzte ihm ebenfalls die Gurgel durch. Die Armbrustschützen waren wirklich bemerkenswert gedrillt worden. Sie ließen die anderen Attentäter nicht eine Sekunde aus den Augen. Jeder Versuch Caysha zu helfen hätte einen tödlichen Schuss nach sich gezogen. Caysha bewegte sich blitzschnell, aber leider war Tobias schneller. Er hatte sein Schwert gezogen und sich von hinten genähert. Caysha bemerkte ihn überhaupt nicht. Mit einem gezielten Schlag hieb er ihr den Kopf ab als sie gerade den nächsten Soldaten gepackt hatte. Der Kopf flog einige Meter durch die Luft und fiel dann auf den Boden, rollte einige Zentimeter und blieb dann im Schnee liegen. Das Blut schoss aus ihrem Hals wie eine Fontaine, der Körper machte noch ein paar Schritte, schlug mit der Sichel nach Tobias, verfehlte ihn aber, und glitt leblos zu Boden. Die Assassinen erstarrten vor Schreck. Maraxus lies ein lautes “NEEEEIIIINNN!“ erschallen, wollte zu ihr eilen, aber Tobias war blitzschnell bei ihm und hielt ihm das Schwert an den Kehlkopf.
“Eure Freundin, hm?“
Maraxus Gesichtsausdruck zeigte stille Verzweiflung und Wut. Es wäre es ihm wert gewesen sein Leben zu lassen, aber er war davon überzeugt das Tobias mit dem seinen davonkommen würde, wenn er jetzt einen Angriff startete. Tränen rannen ihm über das Gesicht.
“Oh, der große, mächtige Kriegsfürst vergießt Tränen? Hätte nicht gedacht das ich das noch zu sehen bekäme.“
Maraxus Hand ballte sich zur Faust und hieb nach Tobias. Er streifte nur dessen Kinn, denn Tobias hatte den Schlag bemerkt und war zur Seite gesprungen. Drei Armbrüste zielten auf Maraxus, ein Bolzen bohrte sich drohend vor ihm in den Boden, gerade als er einen Schritt machen wollte. Ihm wurde klar das er besser abwarten würde. Tobias stand auf, blieb aber in sicherer Entfernung.
“Nehmt es nicht so schwer, Kriegsfürst. Sie war nicht die Erste, Eure beiden Torwächter mussten schon Bekanntschaft mit meiner Klinge machen, und es wird sicher nicht die Letzte sein. Tod gehört zum Geschäft, zu meinem und zu Eurem. Für Gefühle ist da kein Platz. Es wird noch viele Tote geben, verlasst Euch drauf. Ihr werdet dabei sein, und für Euch habe ich sogar etwas ganz besonderes arrangiert. Es wird euch gefallen, da bin ich sicher. Und ihr werdet lange genug Zeit haben es zu genießen.“
Maraxus kochte vor Wut.
“Lass es sein, Freund“ flüsterte Karon Maraxus zu. “Er ist es nicht wert. Wir werden ihn schon noch zur Rechenschaft ziehen.“
Maraxus blickte zu Karon. Seine Augen waren blutrot und der Kopf kochte. Aber Karon hatte Recht. Wenn er jetzt versuchen würde Tobias zu erledigen wäre das sein sicherer Tod, und Rache hätte er keine nehmen können. Man hätte ihn erschossen bevor er Tobias erreichen würde. Aber eine Gelegenheit würde sich sicher noch anbieten. Tobias ging auf seine Männer zu.
“Du, Du und Ihr da, fesselt sie. Wir gehen jetzt und bereiten alles vor. Wenn auch nur einer von ihnen mit der Wimper zuckt dann erschießt ihn.“
Tobias drehte sich nach diesen Worten um und verlies die Lichtung mit den meisten seiner Leuten. Wortlos sahen die Assassinen dies alles mit an. Fünf Männer waren dageblieben, Fünf, die sich absolut nicht wohl in ihrer Haut fühlten. Was hatten sie nur angestellt, dass ausgerechnet sie hier bleiben mussten? Vier von ihnen zielten mit Armbrüsten auf die Assassinen, der Fünfte kam und wollte sie fesseln. Zuerst fesselten er Desmond und Andarah, die beiden standen ganz außen und leisteten keinen Widerstand. Dann kamen sie auf Maraxus zu. Dieser lächelte ihn an. Zwar waren seine Augen immer noch von den Tränen gerötet, aber dennoch lächelte er. Das Lächeln brachte den Mann etwas aus der Fassung. Er war verwirrt, wenn nicht sogar eingeschüchtert.
“Was grinst Du denn so blöd, Mann? Dir wird das Grinsen schon noch vergehen. Herr Eisenglut hat mehr mit dir vor als dir nur deine Visage zu verstümmeln.“
“Ja? Das ist ja interessant.“ Seine Stimme krächzte nur noch.
Der Mann begann zu zittern. Er wurde unsicher. Na klar, hinter ihm standen seine Kollegen mit Armbrüsten, aber er stand hier vorne, direkt vor dem Mann der Hunderte von Soldaten abgeschlachtet hatte, und das alles bevor er das professionelle Töten in einem fernen Land erlernt hatte. Und dann musste er auch noch mit ansehen wie jemand den er liebte getötet worden war. Und jetzt sollte er ihn fesseln, und dieser Mann grinste ihn an.
“An Deiner Stelle würde ich mir noch gut überlegen ob Du mir die Fesseln wirklich anlegen willst. Es könnte sein das mir das nicht gefällt.“
“Und Dir würde es sicher nicht gefallen von einem Armbrustbolzen getroffen zu werden. Aber das ist es was Dir passiert, wenn Du es wagen solltest Widerstand zu leisten.“
Es klackte, dann folgte ein kurzes surren, ein Bolzen pfiff durch die Luft und bohrte sich in den Hals von eine der Armbrustschützen der sofort röchelnd zusammenklappte. Ein zweiter Bolzen traf seinen Nebenmann, aber nur in die Schulter, Ötsch konnte nicht so gut mit einer Armbrust umgehen wie Rajhada. Er war eher daran gewöhnt mit der Axt Schädel zu spalten. Die beiden übriggebliebenen Schützen wirkten verwirrt, schossen auf die Felsspalte, trafen aber selbstverständlich nicht. Maraxus hob sein Knie, rammte es dem verwirrten Fesselknecht in den Magen und schickte ihn zu Boden. Karon rollte sich ab, griff sein Schwert, sprang auf die beiden Armbrustschützen zu und hieb beiden mit einem Schlag den Kopf ab. Rajhada drängte sich durch die Spalte ins Freie, gefolgt von Ötsch, der nicht nur seinen Mantel sondern alles ausgezogen hatte, bis auf seine Hosen und die Stiefel. Dennoch hatte er schwer mit der engen Spalte zu kämpfen und schürfte sich die Haut auf.
“Verdammt eng.“
Rajhada eilte gleich zu Maraxus, Karon stand schon bei ihm und hatte Mühe ihn festzuhalten. Der Söldner den er zu Boden geschickt hatte versuchte, auf dem Rücken liegend, von Maraxus wegzukriechen. Doch Maraxus riss sich los, griff einen Ast und prügelte so lange auf den Mann ein bis von diesem kaum noch etwas zu erkennen war. Karon versuchte Maraxus festzuhalten, aber es gelang ihm nicht. Immer und immer wieder sauste der Ast auf den mittlerweile Leblosen Körper herab. Dann auf einmal lies er den Ast los, ging wankend zu Cayshas´ Körper, fiel vor ihr auf den Boden und begann zu weinen. Karon hatte Rajhada im Arm, der ebenfalls die Tränen herabliefen. Ötsch befreite indessen die beiden Gefesselten.
“Dafür wird er bezahlen“ sagte Karon leise. “Das war ein schwerer Fehler, den er da begannen hat. Und die Götter sollten ihm beistehen, wenn Maraxus ihn in die Finger bekommt.“

***

Tobias Eisenglut war mit seinen Männern in das Lager zurückgekehrt. Die übrigen Männer die zurückgeblieben waren hatten sich marschfertig gemacht. Sie erwarteten ihren Herrn voller Sehnsucht, denn sie wollten endlich wieder in den Krieg ziehen. Tobias galoppierte locker in das Lager und zog sein Schwert aus der Scheide. Er hob es in die Luft und alle Anwesenden erstarrten voller Ehrfurcht.
“Männer. Es ist soweit. Wir haben die Assassinen gefangen, auch Maraxus von Keld ist nun in unserer Gewalt. Wir werden jetzt die Stadt einnehmen, und wenn wir gesiegt haben werden wir diesen Meuchlern das geben was ihnen zusteht. Wir machen es wie damals bei den Barbaren, damit dieser Maraxus nicht vor Schreck tot umfällt. Es müsste ihm gefallen nochmals zu sehen wie man einen Krieg gewinnt. Ihr da, spannt die Pferde vor. Ihr seit mir persönlich dafür verantwortlich das diese wunderbare Waffe heil ankommt. Also versucht möglichst nicht alle Schlaglöcher mitzunehmen die auf der Straße sind, ja? Und nun, wie abgesprochen. Auf in den Kampf!“
Schwerter wurden gezogen, allgemeiner Jubel erklang. Die berittenen Söldner sprangen auf ihre Pferde und preschten an die Spitze zu ihrem Anführer. Blutdurst war ihnen ins Gesicht geschrieben. Die Fußsoldaten klopften sich mit den Schwertern an die Schilde. Der Lärm der aufgebrachten Männer war über viele Kilometer zu hören. Zobiak, der größte und wildeste seiner berittenen Soldaten kam mit seinem Pferd neben Tobias zum stehen.
“Sollen wir nicht lieber warten bis die Meuchler hier sind?“
“Wozu soll das denn gut sein, Zobiak?“
“Nun, sie sind nicht zu unterschätzen. Woher weißt du das sie uns nicht in die Quere kommen, Herr?“
Tobias sah Zobiak zornig an.
“Wie sollten sie? Sie werden sich nicht mit uns anlegen, sie sind vor uns geflohen, und da waren wir nur zu Neunt. Es sind Feiglinge die aus dem Hinterhalt angreifen. Einen offenen Kampf werden sie nicht wagen. Sie sind nicht so leichtsinnig wie du. Sie werden gefesselt und dann hinten an der Lichtung auf uns warten. Wenn sie sich bewegen werden sie erschossen, so einfach ist das. Ich habe Wachen hinterlassen. Wenn die Stadt uns gehört dann werden wir sie abholen. Und dann werden sie wünschen nie geboren worden zu sein.“
Mit diesen Worten wand Tobias sich ab, gab seinem Pferd die Sporen und ritt mit zwei seiner besten Männer los. Auch die anderen Soldaten setzten sich in Bewegung, allerdings deutlich langsamer.
“Es ist soweit. Habt ihr diesen Lärm gehört? Sie ziehen los. Wir müssen uns beeilen.“
Karon stand etwas abseits. Er trug bereits einen ledernen Brustpanzer. Rajhada, Desmond und Andarah hatten den erschlagenen Armbrustschützen die Rüstungen abgenommen und angelegt. Sie boten Schutz, zumindest ein Wenig, denn sie passten nicht so gut. Ötsch hatte wieder seine normale Kleidung angelegt die Andarah für ihn aus der Höhle geholt hatte. Die Brustpanzer waren ihm zu klein. Viel zu klein. Sie hatten den Männern auch die Armbrüste und Schwerter abgenommen, allerdings hatten sie nicht vor diese Waffen zu benutzen. Ihre Waffen waren ihnen lieber. Auch wenn es sich um die gleichen Armbrüste handelte, mit fremden Waffen kämpfte man nur dann wenn es keine andere Wahl gab. Sie hatten Caysha in die Höhle getragen, ihren Kopf wieder an den Hals gelegt und ihre Hände auf der Brust gefaltet. Anschließend hatte man sie mit ihrem Mantel bedeckt und gebetet. Sie wollten sie später holen und ordentlich bestatten, doch dafür fehlte momentan die Zeit. Es galt eine Schlacht zu schlagen, oder, wenn es noch möglich war, sie zu verhindern.
Maraxus kniete unweit von dem Platz wo Caysha erschlagen auf dem Boden und starrte ins Nichts. Karon ging zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. Er drehte sich nicht um.
“Sie ist im Kampf gestorben, so wie sie es sich immer gewünscht hat, und sie hat noch einige von ihnen mitgenommen. Aber verdammt, ich wünschte ich hätte noch etwas Zeit mit ihr verbringen können.“
Karon nickte. “Du hast sie geliebt, mein Freund. Und sie hat dich auch geliebt. Sie hat ihr Leben für dich geopfert. Sie ist jetzt an einem besseren Ort.“
Maraxus nickte.
“Und ich werde ihr dorthin folgen.“ Er erhob sich und klopfte den Schnee von den Knien ab. “Er wird vorreiten. Er wird mit Drei oder Vier Männern vorreiten. Er wird vortäuschen das er verhandeln will, das macht er immer so. Während er den großen, wohlwollenden Freund spielt gewinnt er Zeit um seine Truppen in Position zu bringen. Sie haben ein Katapult. Es wird etwas dauern bis sie es gut positioniert haben, es lässt sich nicht so ohne weiteres transportieren. Sie brauchen Zeit. Sie werden vielleicht auch gleich mit der Belagerung anfangen, aber das wäre so ganz und gar nicht seine Art.“
“Woher weißt du das?“
Maraxus zog sein Schwert und betrachtete es. Die Sonne spiegelte sich auf der Klinge dieser besonderen Waffe.
“Ich habe ihn schon kämpfen sehen. Ich führte damals die sogenannten Barbarenaufstände an die er mit seinen Leuten beendet hat. Während er den Vermittler spielt umkreisen seine Männer die Stadt. Niemand wird herauskommen. In der Zwischenzeit karren sie das Katapult heran. Zu diesem Zeitpunkt ist ihre Streitkraft verteilt, sie sind verwundbar. Das wird übrigens der einzige Zeitpunkt dieser Schlacht sein wo sie verwundbar sind. Und es sind noch immer recht viele. Wir können keine Hundert Männer aus dem Hinterhalt töten ohne das es jemand bemerkt.“
Er betrachtete einige Augenblicke das reflektierende Licht der Sonne auf seiner Schwertklinge, dann steckte er die Waffe wieder in die Scheide zurück und sah Karon tief in die Augen.
“Was habt ihr jetzt vor, mein Hauptmann?“
Karon überlegte.
“Wir müssen vor ihnen in der Stadt sein, nur dort sind wir sicher.“
“Und wie lange sind wir da sicher? Einen Tag, oder vielleicht Zwei? Möglicherweise können die paar Männer aber auch nur ein paar Stunden standhalten. Wenn das Katapult erst einmal an Ort und Stelle gebracht ist wird der Kampf rasch beendet sein.“
Karons Kopf pochte.
“Du sagst er reitet mit Drei oder Vier Männern voraus und täuscht eine Verhandlung vor, die anderen Männer umkreisen die Stadt, die Stadt ist nicht riesig, aber mit Einhundert Männern dürfte es dennoch recht schwierig sein sie ganz zu umzingeln und dennoch eine einigermaßen schlagkräftige Streitmacht zu haben. Wie viele Männer können dann höchstens bei dem Katapult sein, wenn sie es durch den Wald bringen?“
“Ich denke mal es werden nicht mehr sein als nötig sind um das Ding zu transportieren. Sie wissen ja nicht das wir über diese Waffe bescheid wissen.“
“Und wie viele wären das deiner Meinung nach?“
“Schwer zu sagen, Zwei oder Drei, und Pferde die es ziehen. Aber Tobias ist andererseits nicht dumm. Möglicherweise sind es mehr.“
Karon blickte auf den Boden.
“Nein, Tobias ist nicht dumm, aber warum sollte er mehr bereitstellen? Er rechnet nicht mit Widerstand und schon gar nicht mit einem Angriff.“
Maraxus musste schmunzeln.
“Nein, er rechnet sicher nicht mit einem Angriff. Es sei denn er lernt aus seinen Fehlern.“
Karon sah Maraxus fragend an.
“Damals, bei den sogenannten Barbarenaufständen hatte er ebenfalls eine so unbezwingbare Waffe. Es war ein Belagerungsturm den er von außen an unser Lager schob. Mit dem wäre es ihm binnen weniger Minuten gelungen in unser damaliges Lager einzudringen, aber es funktionierte nicht. Einige meiner Männer sind des Nachts in die Reihen der Feinde eingedrungen und haben den Turm zu Fall gebracht. Beziehungsweise, sie haben dafür gesorgt das er zu Fall gebracht wird sobald man ihn bewegt. Schon damals hat er nicht damit gerechnet, der Turm war weitestgehend unbewacht. Es war ein Kinderspiel ihn zu manipulieren. Ihr hättet sehen sollen wie sie runtergepurzelt kamen als man den Turm bewegte. Einige stürzten von dem Turm herab und starben, andere wurden von dem umstürzenden Turm erschlagen. Es war ein schwerer Schlag für Tobias´ Leute. Möglicherweise geht er diesmal vorsichtiger mit seiner entscheidenden Waffe um und beschützt sie besser.“
“Wir müssen es versuchen. Wenn das Katapult zum Einsatz kommt ist die Stadt verloren. Ich schlage vor das Zwei von uns das Katapult außer Kraft setzen und die Männer töten die es transportieren. Der Rest von uns muss so schnell wie möglich zur Stadt und unsere Verbündeten warnen.“
Maraxus blicke sich um. Er schüttelte den Kopf.
“Nein. Ich gehe allein. Ich weiß wie das Katapult funktioniert, und mit zwei oder drei Männern werde ich schon fertig, auch wenn es nicht aus dem Hinterhalt passiert.“
Karon nickte zustimmend.
“Jetzt müssen wir nur noch vor den Angreifern in der Stadt sein. Das dürfte schwierig werden, immerhin haben die Pferde.“
Desmond hatte das Gespräch mitangehört und kam nun zu den beiden.
“Aber mit dem Pferden müssen sie die Straße nehmen. Ich kenne einen Weg, eine Abkürzung. Sie führt nicht über die Straße, sondern durch den Wald. Wir können dadurch einiges an Zeit sparen, und sicher vor Tobias Eisenglut und seinen Männern in der Stadt sein, aber wir müssen sofort aufbrechen. Die Gruppe kann diesen Weg nicht nehmen, mit ihren Pferden und Kriegsmaschinen kommen sie da unmöglich durch.“
Karon sah Maraxus an, dann sah er zu den Anderen herüber. Die Gesichter wirkten ängstlich aber zustimmend.
“Also gut. Unsere einzige Chance. Hoffentlich klappt alles. Geht schon mal vor, ich folge euch sofort.“
Desmond ging eiligen Schrittes voraus und schlug den Weg durch den Wald ein. Rajhada und Andarah folgten ihm. Auch Ötsch kam, allerdings etwas langsamer als die anderen. Er war noch mit seinem Mantel beschäftigt den er nicht über die Axt an seinem Rücken bekam. Er versuchte die Fibel zu schließen während er ging. Karon stand noch bei Maraxus und wartete bis die Anderen außer Hörweite waren.
“Versprich mir das du nichts dummes anstellen wirst, ja? Wir werden ihren Tod noch rächen, aber versuch nicht es mit seiner gesamten Streitmacht aufzunehmen. Das Katapult, die Männer die es schützen, und dann siehst du zu das du so schnell wie möglich zu uns kommst.“
Maraxus blickte Karon wütend an.
“Versprich es mir.“
“Du glaubst doch nicht etwa...“
“...du sollst es mir versprechen.“
Maraxus sah Karon wieder tief in die Augen. Sie waren kalt, der Blick eines Anführers der keinen Wiederspruch hören wollte.
“Ja, ich verspreche es.“
“Gut. Du weißt das du gut bist, aber du kannst es nicht mit Hundert Männern aufnehmen. Tobias wirst du nicht erwischen, noch nicht. Und selbst wenn du ihn erwischen würdest, selbst wenn es dir gelänge ihn zu töten, Caysha würde es doch nicht zurückbringen, und diese Schlacht würde dennoch stattfinden weil gleich ein anderer seinen Platz einnimmt. Und dann wäre dein Versteck aufgeflogen, und unser Plan gleich mit. Sie würden dich töten. Auch wenn der Tod genau das ist was du dir im Moment herbeisehnst, wir brauchen dich noch. Wenn dies alles hier hinter uns liegt, dann kannst du Rache nehmen. Dann werde ich dir sogar helfen. Aber jetzt denk zuerst einmal an die Stadt.“
Maraxus nickte. Karon klopfte ihm auf die Schulter und drehte sich weg um den Anderen zu folgen. Er hatte gerade ein paar Schritte getan als Maraxus ihm hinterher rief “Hauptmann?“
Er blieb stehen und drehte sich zu ihm um.
“Ich sehne nicht meinen Tod herbei, Hauptmann. Und auch nicht den deinen. Pass auf dich auf.“
Karon lächelte, drehte sich um und verschwand im Dickicht. Maraxus zog seine Kapuze ins Gesicht, warf den Mantel über seine Schulter und verschwand ebenfalls im Geäst, allerdings hatte er es nicht ganz so eilig und einen anderen Weg vor sich.

***

Herbert Störenfried, Besitzer und Wirt der städtischen Taverne, ehemaliger Hauptmann der Burgwache und nun wieder ihr inoffizieller Anführer, blickte mit zusammengekniffenen Augen weit in die Ferne. Neben ihm stand Ded, gewählter Hauptmann der Söldner. Die beiden Männer hatten ihre Rüstungen angelegt und standen auf der Stadtmauer in Höhe des Stadttors. Links und Rechts neben den beiden Anführern standen die wenigen Bogenschützen die sie hatten. Es waren insgesamt Acht an der Zahl. Die Stadtmauer war aus guten und dicken Steinen und verfügte über eine gute und hohe Brustwehr, aber die Schwachstelle war das Tor. Es war zwar aus robustem Holz, aber es war nicht geschaffen um einer Belagerung standzuhalten. Man hatte es von innen mit schweren Holzbalken verbarrikadiert. Zusätzlich hatte man Pferdefuhrwerke herbeigeschafft und umgestürzt. Das Tor der Stadt war dicht. Herbert starrte angestrengt in die aufgehende Sonne. Ded hatte ein Fernrohr durch das er die nahegelegene Straße beobachtete die durch den Wald vom Nebelschloss in die Stadt führte. Er nahm das Fernrohr vom Auge und sah ohne es in die Richtung.
“Siehst du was?“
“Ja, da kommen drei Reiter. Kann nicht erkennen wer es ist, aber sie tragen Rüstungen.“
“Was? Nur drei?“
Ded sah Herbert an und nickte einmal kurz. Dann sah er wieder zu den herankommenden Reitern. Sie kamen zügig, aber nicht schnell. Es schien fast so als ob sie nur unterwegs währen um jemanden einen Besuch abzustatten. Als sie nah an die Stadt herangekommen waren wurden sie langsamer.
“Haltet Eure Waffen bereit. Spannt eure Bögen und lasst die da unten sehen das ihr auf sie anlegt.“
“Hältst du das wirklich für klug? Wir haben nicht viele Pfeile, und wenn wir sie auf zwei Botschafter verschießen dann fehlen sie uns bei einem Angriff.“
“Niemand hat gesagt das du schießen sollst, Urs. Ich möchte nur den Eindruck erwecken das wir zu allem bereit sind.“
“Sind wir das denn?“
“Wir werden es sein, wenn es soweit ist.“
Ded drehte sich um und sah von der Mauer in den Burghof. Dort hatten seine Männer und die restlichen Kämpfer der Stadtwache ihre Stellung eingenommen. Sie bildeten von innen mehrere Halbkreise, trugen ihre Rüstungen und mannshohe Schilder. Man hatte die Bänke aus den Häusern geholt und umgearbeitet. Diese Truppe sah beängstigend aus, wenn auch auf sehr subtile Weise. Ded hob drei Finger und symbolisierte damit den momentanen Stand der Dinge. Er drehte sich wieder nach außen um zu sehen was geschah. Die Reiter waren nun vor dem Tor angelangt. Es waren Tobias Eisenglut und er hatte Patt und Torben bei sich. Tobias ritt weiter nach vorn, während seine beiden Begleiter etwas weiter hinten blieben. Er nahm seinen Helm ab und sah nach oben zu den Verteidigern. Die Bogenschützen spannten ihre Bögen und legten auf Tobias an.
“Guten Morgen, ihr Herren.“
Ded nickte, Herbert sah nur mit mürrischem Blick auf den Neuankömmling herab.
“Seit so gut und öffnet das Tor für mich. Ich möchte mit euch reden.“
“Wir verstehen euch recht gut, es gibt also keinen Grund für uns euch einzulassen.“
“Unhöflich, das muss ich schon sagen. So begrüßt man doch keinen Gast.“
“Ihr seit nicht unsere Gäste. Unsere Gäste suchen wir uns schon selbst aus“, brummte Herbert.
Tobias lächelte.
“Ihr müsst Herbert Störenfried sein. Man hat mir schon viel von euch erzählt. Nur Gutes, möchte ich hinzufügen.“
“So“ knurrte Herbert. “Dann hat man euch also angelogen?“
“Wenn ich ehrlich sein soll, dann stimmt das wirklich nicht. Man sagte mir ihr seit ein Trinker und Raufbold. Zügellos und verwirrt. Stimmt es das man euch aus der Burgwache entlies, kurz bevor sie aufgelöst wurde?“
“Nein, das ist eine Lüge.“
“Ich denke nicht das es eine Lüge ist. Es wurde nicht allgemein bekannt das man euch entlies, weil die Wache ohnehin aufgelöst wurde, aber es hieß ihr wäret in Ungnade bei dem Grafen gefallen, und das hätte euch zum Trinker gemacht. Stimmt es, habt ihr eine Fehde mit dem Grafen? In diesem Falle steht ihr auf der falschen Seite der Burgmauern.“
“Wenn der alte Herr Graf mit mir eine Fehde hat, dann geht sie nur ihn und mich etwas an. Fest steht jedenfalls das ich hier oben stehe und ihr dort unten. Ich stehe auf der richtigen Seite der Mauer, und wenn ihr versuchen solltet hier herüber zu kommen, dann werde ich euch mit meinen bloßen Händen den dreckigen Schädel einschlagen.“
Ded sah Herbert verwundert an. Er kannte ihn schon seit längerem, und er hatte auch schon viel von ihm gehört. Allerdings kannte er ihn als den einen ruhigen und gelassenen Menschen. Diese neue Art verwunderte ihn. Er suchte ganz offenbar die Konfrontation. Tobias Eisenglut wechselte das Thema. Es war ihm nicht gelungen Herbert so wütend zu machen das er einen schweren Fehler beging. Normalerweise war es Tobias´ Spezialität die Menschen zu reizen. Es bereitete ihm darüber hinaus große Freude zu sehen wie Menschen ärgerlich wurden und vergasen was sie taten.
“Wie ich sehe zielen eure Männer auf mich. Bitte sagt ihnen das sie die Pfeile von den Sehen nehmen sollen, sonst löst sich noch aus Versehen ein Schuss und jemand wird verletzt.“
“Seit versichert, wenn sich ein Schuss löst, dann ganz sicher nicht aus Versehen.“
Ded packte Herbert und drehte ihn zur Seite.
“Du solltest dich ein wenig im Zaum halten. Dies ist eine Verhandlung, wir sollten zuerst einmal hören was er zu sagen hat. Ihn zu provozieren ist sehr unklug.“
“Wer hat denn behauptet das ich klug bin?“
“Ich bin einfach mal davon ausgegangen. Überlass das Reden mir, bitte.“
Sie drehten sich wieder so das die drei Reiter sie sehen konnten. Ded nickte den Bogenschützen zu und sie nahmen die Bögen runter. Ein Stein fiel ihnen vom Herzen, es ist nicht gerade leicht einen Bogen über lange Zeit gespannt zu halten.
“Danke. So ist mir wirklich um einiges wohler zumute.“
“Wenn das so ist bin ich dafür das sie die Bögen wieder spannen.“ knurrte Herbert leise. Ded schenkte ihm einen kurzen aber sehr beeindruckenden Blick. Herbert beruhigte sich ein wenig.
“Also, was kann ich für euch tun?“
“Und wo ist der Rest eurer Invasionsarmee?“ brüllte Herbert von dem Tor herab. Tobias kniff die Augen zusammen.
“Also gut, wie ihr wollt. Sie befindet sich noch in ihrem Lager, nicht weit entfernt, am Fuße des Nebelschlosses. Wie ich annehme habt ihr euch auf einen Kampf eingestellt, aber dazu muss es nicht kommen. Ich bitte euch nochmals, öffnet das Tor damit wir reden können.“
“Wir werden das Tor nicht öffnen, Tobias Eisenglut. Ja, ich weiß wer ihr seit, und ich habe auch schon viel von euch gehört, und zwar nichts Gutes, wie ihr euch sicher denken könnt. Wenn ihr etwas zu sagen habt, so tut dies jetzt sofort und von dort wo ihr seid. Oder verschwindet wieder. Ihr seit hier nicht willkommen, und wir werden euch auf keinen Fall hereinlassen. Das ist mein letztes Wort.“ Damit drehte sich Herbert um und ging von der Mauer herab in den Innenhof. Er stellte sich zu seinen Männern.
“Mutig, wirklich mutig. Du hast ihn verärgert.“ sagte Eric, einer der früheren Burgwächter.
“Das will ich doch hoffen. Wenn er verärgert ist zeigt er wie er wirklich ist. Vielleicht macht er dann einen Fehler.“
“Du meinst so was wie die Stadt in Brand stecken und alle niedermetzeln? So einen Fehler?“
Herbert sah Eric wütend an. Dann blickte er wieder auf das Tor.
“Stein brennt nicht, und die haben auch keine Fackeln dabei.“
Eric konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. So kannte er seinen Hauptmann.

***

Maraxus eilte lautlos durch das dichte Unterholz. Es war eine Kunst für sich in dem ganzen Dickicht keinen Lärm zu veranstalten. Der Schnee dämpfte seine Schritte ein wenig, aber für seinen dunklen Mantel war er ein Handicap. Als er das schnauben von Pferden hörte wurde er langsamer. Er ging in die Hocke, bog einen Busch etwas zur Seite und sah das was er gesucht hatte. Das Katapult. Es wurde von zwei prachtvollen Pferden gezogen, die eigentlich viel zu schade für eine solche Arbeit waren. Angetrieben wurden sie von einem Soldaten der bei weitem nicht so gut gerüstet war wie die anderen seiner Kollegen. Er trug lediglich ein Kettenhemd und Lederhandschuhe, und auf dem Kopf hatte er eine Kettenhaube. Immer und immer wieder schlug er mit einem dünner Rohrstock auf die Pferde ein, obwohl sie sich bewegten. Er hatte einfach Freude daran den Tieren leid zuzufügen. Ein zweiter Mann saß auf dem Katapult und rauchte eine kurze Tonpfeife. Er hatte ebenfalls nur Kettenhemd und Haube an. Er beobachtete das Treiben seines Kollegen.
“Hey, muss das sein?“
“Was?“
“Das Prügeln. Die ziehen doch schon so gut sie können.“
“Sicher können sie noch schneller.“
“Und was hätten wir davon? Wir haben doch Zeit. Lass mal gut sein.“
Wieder klatschte der Rohrstock auf den Rücken des Pferdes.
“Das macht dir wirklich Spaß, oder?“
Der Pferdeprügler lachte grell auf und hob seinen Stock wieder an, doch diesmal stoppte ein Armbrustbolzen die Hand mitten im Schlag. Der Getroffenen schrie laut vor Schmerz auf und lies den Stock auf der Stelle fallen. Die Pferde wieherten laut auf und blieben stehen. Der zweite Mann nahm sofort seine Pfeife aus dem Mund, schleuderte sie fort und zog sein Schwert. Der erste war dazu nicht in der Lage, er starrte schreiend auf den Bolzen der in seiner Hand steckte.
“Was zur Hölle ist hier los?“ schrie der Mann von dem Katapult herab und sah sich verwirrt um. Das letzte was er sah war „Von-Ohr-zu-Ohr“, kurz bevor es ihn zwischen den Augen traf. Der Prügler sah dies, riss trotz seiner Schmerzen und der Verzweiflung seine bereits gespannte Armbrust hoch und richtete sie auf den Busch aus der man den Dolch geworfen hatte. Er sah Maraxus Mantel der sich mit seiner dunklen Farbe gut von dem schneeweißen Hintergrund abhob. Maraxus zog sein Schwert und sprang auf den Mann zu. Dieser zielte und – drückte ab.

***

Tobias war nicht wütend, er war auch nicht überrascht. Irgendwie hatte er damit gerechnet das man ihn nicht hereinlassen würde, aber darauf kam es auch gar nicht an. Er musste nur das Augenmerk der Verteidiger auf sich lenken, damit sie nicht bemerkten wie seine Männer hinter ihm im Wald Stellung bezogen. Sobald sie bereit für den Angriff waren würde ein Hornstoß erklingen. Niemand würde am Leben bleiben, niemand würde verschont werden. Sobald das Katapult an Ort und Stelle war würde es dieses armselige Stadttor zerfetzen und seine Soldaten würden über die Stadt herfallen wie die Ameisen. Tobias lächelte freundlich und sprach in besänftigendem Tonfall zu Ded.
“Also, ihr habt von den Plänen meines ehemaligen Herrn und Auftraggebers gehört. Er wollte euch angreifen und die Stadt einnehmen, das streite ich nicht ab. Aber er ist tot, er wurde ermordet. Sicherlich wusstet ihr das nicht, aber ihr habt es vermutet, immerhin habt ihr die Mörder geschickt die sich um ihn kümmern sollten. Leider war ihnen kein Erfolg beschert.“
Ded blickte ungläubig auf Tobias herunter.
“Ja, ihr habt richtig gehört. Sie hatten keinen Erfolg. Unglücklicherweise waren sie uns unterlegen. Wir haben sie... in unsere Obhut genommen, wenn ihr so wollt.“
“Aber ihr sagtet doch...“
“...ja, das ist richtig. Graf Ubiert ist tot. Ich habe ihn getötet. Ich, mit meinen eigenen Händen.“
Tobias genoss diesen Augenblick. Er wartete eine Sekunde bis er sagte “Überrascht?“
Ded nickte wortlos.
“Aber, warum das Alles?“
“Warum? Warum? Wegen der Macht. Wegen dem Einfluss. Und natürlich wegen der Bequemlichkeit. Ich bin nicht mehr der Jüngste, und ich will mein Leben nicht auf dem Schlachtfeld verbringen, und irgendwann einmal dort verlieren. Ich werde mich zur Ruhe setzen, und ich habe mich für ein gemütliches und schönes Domizil entschieden. Das Nebelschloss. Allerdings...“ er grinste boshaft. “...Graf Ubiert wäre damit sicher nicht einverstanden gewesen. Oder was meint ihr?“
Ded konnte es nicht fassen. Dieser verdammte Mistkerl prahlte noch mit seinem Verrat und sprach seine Pläne aus. Er war wie ein kleines Kind das ein Spielzeug bekommen hatte das jedes andere Kind wollte, aber leider nicht bekam. Jetzt musste er damit angeben.
“Und was jetzt?“ fragte Ded.
“Tja, was jetzt?“ wiederholte Tobias. “Mir liegt nichts an einer Fehde mit dieser Stadt. Graf Ubiert war verrückt, übergeschnappt. Er war blind genug mir mein eigenes Gold wiederzugeben damit ich für ihn kämpfe. Er dachte in der Tat ich wäre ein Wohltäter der ihm dabei behilflich ist seine Macht auszubauen. Ich habe mich in sein Schloss eingekauft, und er hat mir mein Gold zurückgegeben damit ich ihn beschütze. Aber vor was, hm? Er hätte wirklich Schutz gebraucht, aber vor mir. Nun gut, er hat bekommen was er verdient hat. Ich werde sein Erbe antreten. Ich werde in Zukunft in das Nebelschloss ziehen und die Provinz regieren, und ich werde sie etwas - sagen wir erweitern. Diese jämmerliche Provinz ist mir zu klein. Was meine Männer betrifft, nun, sie werden mir natürlich dabei behilflich sein, und als Gegenleistung würden sie gern in der Nähe bleiben. Diese Gegend ist sehr schön, wenn ihr wisst was ich meine. Als nette, hilfsbereite Nachbarn. Gute Nachbarschaft ist wichtig, meint ihr nicht?“
“Ich denke schon. Aber wir werden euren Männern die Stadt nicht überlassen.“
Ein Hornstoß erklang dumpf aus dem nahen Wald.
“Wer hat etwas von Überlassen gesagt?“
Tobias setzte seinen Helm wieder auf den Kopf.
“Wir werden sie uns nehmen.“
Er drehte sein Pferd um, gab ihm die Sporen und preschte in den Wald, gefolgt von Patt und Torben. Die Pfeile die man ihm hinterher schoss verfehlten ihn nur knapp. Dann, plötzlich, brach mit lautem Geschrei die Hölle aus dem Wald herein.

***

Karon hatte die anderen Assassinen rasch eingeholt. Er war ein Meister darin schnell und lautlos durch dichtes Unterholz zu laufen, er duckte sich unter Zweigen hindurch und sprang behände über Wurzeln und Wucherungen. Es dauerte nicht lange. Er hatte sich an die Spitze der kleinen Gruppe durchgearbeitet und ging nun etwas langsamer neben Desmond her.
“Du kennst dich gut hier aus, oder?“
“Fragst du das weil du Angst hast das ich den Weg nicht kenne oder ist es nur eine Feststellung?“
Karon grinste.
“Ich lege nur Wert darauf das wir vor den Angreifern in der Stadt sind.“
“Vertraust du Maraxus?“
Karon blickte während des Gehens zu Desmond herüber. Er wurde durch diese Ablenkung kein bisschen langsamer.
“Ja. Ich vertraue Maraxus, voll und ganz.“
“Und was, wenn er scheitert?“
Karon konzentrierte sich wieder auf den Weg. Er zuckte mit den Schultern.
“Er wird nicht versagen. Ist es noch weit?“
Desmond schüttelte den Kopf.
“Nein, wir sind bald da. Wir kommen übrigens seitlich an die Stadtmauer, das heißt das wir ein wenig über freies Feld müssen, um zum Tor zu gelangen.“
“Vergiss es, das Tor ist zu. Sie werden es hoffentlich verbarrikadiert haben. Es wird nicht mehr geöffnet, nicht einmal für uns.“
“Und wie kommen wir dann in die Stadt?“
Karon grinste.
“Lass das mal meine Sorge sein.“
Hinter ihnen fluchte Ötsch.
“Verdammte Äste, verdammte.“
Die beiden Männer mussten lächeln, obwohl die Situation alles andere als lustig war.


“Verdammt, das sind viele.“
Den Verteidigern stockte der Atem. Aus dem Wald kam eine ganze Heerschar von stark gerüsteten Söldnern. Sie schoben hölzerne Schutzbarrikaden vor sich her, hinter denen sich die Bogenschützen deckten. Diese legten an und schickten eine Salve von Pfeilen über die Stadtmauer. Ded konnte gerade noch ein Zeichen geben, bevor er sich hinter der Brustwehr duckte um nicht getroffen zu werden. Die Männer im Burghof rissen ihre Schilder über die Köpfe, kurz danach regneten die Pfeile auf sie hernieder. Sie prasselten schwer auf die Schilde und bohrten sich tief in sie hinein. Einige von Deds Söldnern wurden getroffen und fielen, teils tot teils schwer verwundet, zu Boden. Ded gab seinen Bogenschützen ein Zeichen, sie sollten das Feuer auf die Angreifer eröffnen. Die Bogenschützen nahmen allen Mut zusammen, kamen aus ihren vermeintlich sicheren Deckungen, legten an und schossen, ohne groß zu zielen. Es wäre auch ein sinnloses Unterfangen gewesen, die Angreifer waren so zahlreich das die Pfeile ohnehin ein Ziel trafen, allerdings richteten ihre Pfeile keinen Schaden an, sondern blieben in den Barrikaden stecken. Ded sprang von der Mauer in den Innenhof und eilte zu seinen Männern. Der festgetretene Schnee färbte sich rot vom Blut der verwundeten Kämpfer. Er rannte zu Herbert, der auf dem Boden kniete und einem seiner Kollegen ein Tuch auf eine Schusswunde drückte. Den Pfeil hatte er kurz über der Haut abgebrochen.
“Die Spitze steckt noch. Wir müssen die Verwundeten hier wegbringen, sonst haben sie keine Chance.“
“Die haben sie auch so nicht.“
Ded sprang auf und rannte auf eines der Häuser in der direkten Umgebung zu. Er hämmerte wie wild an die Türe.
“Verdammt noch mal, macht endlich auf“ schrie er.
Es dauerte nicht lange bis die Tür geöffnet wurde. Ein Mann mit einem Knüppel stand zitternd in der Tür. Weiter hinter ihm im Zimmer stand eine Frau, sie hatte zwei kleine Mädchen im Arm die vor Angst weinten.
“Wenn du schon nicht kämpfen willst, dann sorg wenigstens dafür das die Verwundeten von der Straße kommen. Und leg diesen blöden Knüppel weg, damit kannst du gegen ihre Schwerter ohnehin nichts ausrichten. Na los.“
Der Mann überlegte kurz, drehte sich zu seiner Frau um, lies den Knüppel fallen und rannte auf die Straße. Er packte den ersten Verwundeten den er sah und zerrte ihn ins Haus.
“Gut, danke“ rief Ded ihm zu. “Und sag deinen Nachbarn bescheid. Die Verwundeten müssen von der Straße, sie liegen uns im Weg. Ich will nicht das wir sie tot trampeln.“


Kurz vor dem Wald hatte Tobias sein Pferd zum stehen gebracht und wendete. Neben ihm standen nun die anderen berittenen Kämpfer, sie hatten an dem Angriff nicht teilgenommen sondern beobachteten. Tobias grinste.
“Wir werden sie bald haben, keine Frage. Die halten nicht lange durch. Wenn das Katapult erst einmal hier ist werden sie aufgeben. Vielleicht ist es gar nicht nötig es abzufeuern. Wäre gut, dann brauchen wir das Tor später nicht auszubessern.“
Er ritt zu einem großen Mann der in seiner Nähe auf einem riesigen brauen Pferd saß.
“Alles zu eurer Zufriedenheit, Hauptmann?“
Tobias nickte.
“Könnte man so sagen. Dieser Angriff wird baldigen Erfolg bringen.“
“Ja, Herr. Ich bedaure sehr das wir keine Leitern haben, Herr.“
“Leitern sind nicht nötig. Wir wollen doch keine Verletzten, jedenfalls nicht unter unseren Leuten.“
Der Mann lachte.
“Die Bogenschützen werden noch ein paar Mal schießen, immer im Ein-Minuten-Takt, und dann werden wir sehen ob diese Opfer nicht doch bereit sind uns das Tor zu öffnen.“
“Werden sie das tun?“
“Wenn sie klug sind, ja. Immerhin werde ich ihnen versprechen das ich ihnen nichts antun werde.“
“Aber...“
Tobias unterbrach den Mann.
“Ich sagte, ich werde ihnen versprechen das ich ihnen nichts antue. Was ihr macht müsst ihr selbst wissen.“
Die beiden lachten laut und böse auf.


Die Assassinen hörten Kampfeslärm. Natürlich hatten sie den Hornstoß und die darauffolgenden Schlachtgeräusche vernommen. Nun waren sie so weit vorgedrungen das sie ihr Ziel fast erreicht hatten.
“So, wir sind da. Hinter dem nächsten Busch ist die Straße.“
Karon hob sichtbar seine Faust in die Höhe. Die anderen Assassinen kannten dieses Zeichen. Es bedeutete STOP! Die Attentäter hinter Karon und Desmond blieben stehen. Karon nahm Desmonds Arm und zog ihn ein wenig weiter vor. Sie bogen den Strauch hinter dem sie standen ein wenig zur Seite und konnten so einen Blick auf das Geschehen werfen. Sie waren nicht ganz so weit von dem Stadttor entfernt wie Karon angenommen hatte. Wenn sie schnell liefen so konnten sie es in weniger als einer Minute erreichen, aber es war, wie Karon angenommen hatte, versperrt. Vor dem Tor, in einiger Entfernung, hatten die Angreifer Barrikaden errichtet. Dahinter standen sie, peilten ihr Ziel an und schossen im Abstand von einigen Minuten Pfeile auf die Stadt. Karon zog sich wieder zurück und begann zu überlegen. Er konnte Tobias auf seinem Pferd sitzen sehen, neben ihm befanden sich weitere Reiter. Von hier aus hätte Karon ihn bequem mit seiner Armbrust erledigen können, aber das hätte keinen Sinn gemacht. Desmond drehte sich zu Karon um.
“Und wenn wir jetzt in die Stadt kommen könnten ohne gesehen zu werden, war könnten wir von dort ausrichten?“
“Wir kommen rein, das ist das kleinste Problem. Kannst du uns auf die andere Seite der Burg bringen?“
“Ja, natürlich. Aber warum?“
“Dort ist ein Gang, der führt direkt in Herberts Keller.“
“Du meinst, in die Taverne?“
“Ja, er hat ihn mir mal gezeigt. Er hat ihn zufällig entdeckt, war schon da bevor er die Taverne gekauft hat. War zwar total verschüttet, aber er hat ihn vor einiger Zeit freigeräumt. Er endet direkt hinter dem Turnierplatz. Dort ist ein Loch im Boden, wir haben es mit Laub bedeckt, damit es niemand sieht. Von dort kommen wir in die Stadt.“
“Na gut. Aber wenn wir drin sind, was dann?“
“Tja, da hab ich keine Ahnung. Aber drinnen ist es ganz bestimmt sicherer als hier draußen.“
“Da wäre ich nicht so sicher. Hier draußen sind wir wenigstens nicht unter Beschuss.“
“Nein, aber da drinnen sind wenigstens Mauern zwischen uns und denen da. Diese Schlacht hat begonnen, und wie wir sie jetzt noch stoppen könnten weiß ich nicht. Wir brauchen ein wenig Zeit zum Nachdenken. Wenn wir Glück haben, und Maraxus hat es geschafft das Katapult außer Kraft zu setzen, wer weiß, vielleicht verlieren sie dann irgendwann die Lust.“

Rajhada sah Karon fragend an.
“Das ist jetzt aber nicht dein Ernst?“
“Natürlich nicht.“ beteuerte Karon. “Aber wir müssen uns etwas einfallen lassen.“
“Du solltest dich damit aber beeilen. Jeder Pfeilregen könnte der letzte sein.“
Auf einmal blickte Karon auf. Ihm war eine Idee gekommen, zwar eine verrückte, aber die war auf jeden Fall besser als keine.
“Mir ist schon etwas eingefallen. Folgt mir, wir gehen rein.“


Der zweite Pfeilregen hatte weitaus mehr Schaden angerichtet. Die Männer waren damit beschäftigt die Verwundeten wegzuschaffen und konnten somit nicht in Deckung gehen. Einige der Söldner blieben in den Gebäuden in die sie die Verwundeten geschleppt hatten. Sie wollten nicht in einer Schlacht krepieren in der sie nicht einmal eine Waffe gezogen hatten. Dicht neben Ded und Herbert schlugen einige Pfeile ein, einer streifte Deds Rüstung, verletzte ihn aber nicht.
“Ein Kampf Mann-Gegen-Mann wäre schon aussichtslos, aber auf diese Art und Weise schlachten sie uns ab ohne das wir auch nur die geringste Chance haben.“
“Wir müssen die Schwertkämpfer in die Häuser bringen, hier im Hof bringen sie ohnehin nichts.“
Ded sprang auf und brüllte “In die Häuser! In die Häuser!“, dabei winkte er hektisch mit den Armen. Dann packte er Herbert und zerrte ihn zur Stadtmauer.
“Wir nicht. Wir gehen da hoch und sehen was passiert.“
Herbert riss sich los und schubste Ded von sich.
“Du erteilst mir keine Befehle.“
Die beiden rannten die Stufen herauf und knieten sich neben den Bogenschützen auf die Stadtmauer. Ded lugte zwischen den Zinnen heraus nach den Angreifern.
“Das hat keine Sinn, sie stehen hinter Schutzwällen. Unsere Pfeile kommen da nicht durch. Jeder abgeschossene Pfeil von uns wäre Verschwendung.“
Ded sah zu dem Bogenschützen der dies gesagt hatte und nun ganz klein zusammengekauert neben ihm auf der Stadtmauer hockte. Wieder zischten Pfeile durch die Luft über die Mauer und bohrten sich in den Burghof. Allerdings waren nun fast keine Männer mehr da die hätten getroffen werden können. Ded nickte.
“Kapitulation kommt nicht in Frage. Wir werden standhalten“, murmelte Herbert. Ded nickte ihm zu.
“Aber wie lange?“
“Im Zweifelsfalle bis sie keine Pfeile mehr haben.“
Dann grinste Herbert.
“Und dann schießen wir ihnen ihre wieder zurück. Wird sicher ein nettes Spiel.“
“Deinen Sinn für Humor möchte ich haben.“
Herbert schüttelte den Kopf.
“Vergiss es, den kriegst du nie.“


“Eine Salve noch, dann reiten wir noch mal nach vorne und bieten ihnen einen Handel an. Sag das den Bogenschützen.“
Ein Hornstoß erklang, und kurz darauf wurde mit einer grünen Fahne gewunken. Die Bogenschützen wussten bescheid. Sie legten an und schossen einen weiteren Pfeilhagel über die Stadtmauern.
“Also, dann wollen wir doch mal sehen ob da drinnen noch einer lebt und ob er bei Verstand ist.“
Tobias nahm eine weiße Fahne, rückte seinen Helm zurecht und
Ritt mit Urs alleine los. Er hielt bei den Bogenschützen inne. Ein kleiner, dünner Mann, es war Gorth, der Oberste der Schützen, kam zu ihm geeilt.
“Ja, Herr?“
“Wir machen es wie immer. Wenn alles funktioniert, dann sehen wir uns in ein paar Minuten drinnen. Sag den anderen Bescheit.“
“Ja, Herr.“
Mit diesen Worten eilte Gorth wieder zurück auf seinen Posten. Tobias ritt zu den Stadtmauern, dabei wedelte er gut sichtbar mit der weißen Fahne.


“Herr, da kommt ein Reiter. Er hat eine Friedensfahne bei sich. Was soll ich machen?“
Herbert und Ded sahen aus ihren Deckungen nach draußen. Sie erkannten den Reiter.
“Am besten wir erschießen ihn, sobald er nahe genug ist. Genau in den Hals, wenn du mich fragst, aber sicher wirst du das nicht tun“ brummte Herbert.
“Nein, ich werde es nicht tun, und du wirst es besser auch nicht. Wir sollten hören was er zu sagen hat.“
“Was er zu sagen hat, ja? Ich kann dir genau sagen was er zu sagen hat. Er wird sagen : Oh bitte, verzeiht die angerichteten Unannehmlichkeiten, wir wollten nicht das es soweit kommt, aber ihr habt euch ja eingeschlossen, wir hatten keine andere Wahl. Und dann wird er uns bitten das Tor zu öffnen, damit er in die Stadt reiten und die Restlichen abschlachten kann. Dieser Kerl ist geil auf Blut, hast du das denn noch nicht gemerkt?“
Plötzlich rannte eine junge Frau über den sonst leeren Burghof. Sie trug eine Schürze und hohe Stiefel. Es war schon ein seltsames Bild. Der sonst so überfüllte Platz war wie ausgestorben, überall hatte sich der Schnee rot gefärbt, und es lagen Teile von Rüstungen herum, die den Getroffenen abgenommen wurden, damit man sie leichter wegschaffen konnte. Und dann huschte da diese einsame Frau durch die Gegend. Sie wedelte mit den Armen und schrie nach Herbert und Ded. Diese sahen von der Mauer herab und fragten sich was dieses dumme Ding da verloren hatte. Ded winkte ihr zu, sie solle in eines der Häuser rennen. Doch sie tat dies nicht und kam rasch näher. Sie hatte weder eine Waffe noch trug sie irgendwelche Rüstungsteile, war also gänzlich ungeschützt. Sie hatte nur ein Kleid und ihre Schürze an.
“Ist die denn verrückt geworden? Verschwinde. Geh in das Haus zurück, oder willst du von einem Pfeil durchbohrt werden?“
“Warte“, sagte Herbert. “Das ist Evelina, sie arbeitet für mich, schenkt Getränke aus wenn ich – wenn ich verhindert bin. Sie sollte eigentlich in der Taverne geblieben sein.“ Und dann rief er zu ihr herunter “Ist irgendetwas mit der Taverne passiert, brennt sie, oder was ist los?“
Evelina blieb stehen und schüttelte den Kopf.
“Nein, Herr, aber du solltest besser wissen wer soeben angekommen ist.“

***

Herbert eilte den schmalen Gang seiner Taverne entlang und erreichte den Schankraum. Evelina hatte ihm gegenüber zwar schon Andeutungen gemacht, aber er weigerte sich zu glauben was man ihm da gesagt hatte. Jetzt sah er endlich das sie ihn nicht angelogen hatte. Da standen Karon, Rajhada und Ötsch mit zwei Fremden, einem Mann und einer Frau. Sie waren über und über mit Dreck beschmiert und klopften gerade die Erde und den Staub von ihren Kleidern. Er war überglücklich sie zu sehen.
“Verdammt noch mal, hol mich doch der Teufel. Wie kommt ihr denn hier herein?“
Er eilte auf Karon zu und schloss ihn in seine Arme.
“Durch den Tunnel auf dem Turnierplatz. Aber wir haben jetzt keine Zeit. Gibt es Verletzte?“
“Scheißen Bären in den Wald? Was meinst du?“
“Viele?“
“Einige, ja. Und wir haben keine Ahnung wie es weitergehen soll.“
“Uns wird sicher etwas einfallen. Sind die Verletzten von der Straße gebracht worden?“
“Ja, und die Schwertkämpfer ebenfalls. Sie sollen nicht im Pfeilhagel stehen und sich wie Lämmer abschlachten lassen. Sie sind in den Häusern und Geschäften untergebracht.“
“Gut, das ist sehr gut. Wir werden sie sicher noch brauchen.“
Herbert sah die Assassinen der Reihe nach an.
“Wo sind Maraxus und seine Gefährtin?“
“Caysha ist tot, was mit Maraxus ist wissen wir nicht.“
Herbert sah auf den Boden. Er war wütend und traurig zugleich. Caysha war ihm nie geheuer gewesen, aber sie war auf seiner Seite, oder besser, sie waren auf der gleichen Seite, gegen den gemeinsamen Feind. Ihr Tod traf Herbert wie ein Schlag in die Magengrube. Sicher, es gab einige Tote, und die meisten kannte Herbert besser als Caysha, aber Caysha war ein Assassine. Irgendwie hatte er geglaubt Assassinen würden nicht sterben.
“Was heißt das, ihr wisst nicht was mit Maraxus ist?“ fragte Herbert nach einer Weile.
“Er hat einen anderen Weg genommen um ihr Katapult außer Kraft zu setzen.“
Herbert stockte der Atem.
“Ein Katapult? Lieber Himmel.“
“Ja, aber ich bin recht zuversichtlich das Maraxus Erfolg hatte oder haben wird.“
“Ja, aber wie kommt er dann in die Stadt?“
Daran hatte Karon nicht gedacht. Wenn es Maraxus tatsächlich gelungen wäre das Katapult zu zerstören, dann war er jetzt immer noch da draußen.
“Wir müssen nach ihm sehen.“ meinte Andarah.
“Ja, aber es ist gefährlich.“
Karon sah sich um. Ötsch kam auf ihn zu und nickte.
“Ich gehe. Ich kann es sowieso nicht leiden hier drin zu sein und abzuwarten.“
“Ich sagte nein. Ich kann auf keinen verzichten. Schon gar nicht auf so eine Kampfmaschine wie dich.“
“Aber mich wirst du nicht aufhalten, Karon Sturmfels. Ich werde gehen. Schon wegen Maraxus. Er hat uns damals nicht im Stich gelassen, und ich werde ihn jetzt nicht im Stich lassen.“
Karon sah Ötsch fragend an.
“Ich bin ein Barbar, Herr Sturmfels, und mein Bruder war ein Barbar. Habt ihr euch nie gefragt wie es kam das wir damals in der Taverne gesessen haben? Habt ihr wohl für einen glücklichen Zufall gehalten. Nein. Maraxus von Keld führte damals die sogenannten Barbarenaufstände an. Mein Bruder und ich waren ebenfalls dabei. Maraxus war das Oberhaupt unseres Stammes. Er erinnert sich vielleicht nicht mehr genau an mich, aber damals haben wir Seite an Seite gegen Tobias Eisenglut und seien Eisenwölfe gekämpft. Und es sieht ganz so aus als würde sich dieser Kampf hier und heute wiederholen. Aber diesmal wird er anders ausgehen als damals. Warum glaubst du haben wir unser Leben riskiert um dich vom Galgen zu befreien? Weil du an Maraxus´ Seite bist. Er war ein guter Heerführer, und wenn er sich mit dir abgibt, dann hat das sicher seinen Grund. Ich wusste das er nicht wollte das wir helfen, darum haben wir nicht mit ihm gesprochen und auf eigene Faust gehandelt. Wir stehen zusammen, ganz gleich was auch passiert. Und ich werde Maraxus jetzt nicht da draußen sich selbst überlassen, und du, Karon, wirst mich nicht aufhalten.“
Karon sah Ötsch tief in die Augen. Sie wirkten kalt und entschlossen, ein Barbar, zu allem bereit.
“Viel Glück.“
“Wünsch mir besser viel Erfolg, den kann ich gebrauchen. An Glück glaube ich nicht.“
Karon nickte. Dann ging er mit Herbert und den anderen Assassinen aus der Taverne und zum Burgtor.


Tobias hatte inzwischen die Mauern erreicht und sein Pferd zum stehen gebracht. Ded war auf der Mauer erschienen und blickte zu ihm herunter.
“Nur weil du eine weiße Flagge trägst ist das kein Grund für mich nicht zu befehlen dich zu erschießen.“
“Nein, natürlich nicht. Aber du bist ein kluger Mann, das weiß ich, hab ich sofort gemerkt. Du wirst doch nicht das Feuer auf mich eröffnen.“
“So wie du es getan hast? Warum sollte ich nicht?“
“Weil meine Männer dann deine Stadt mit Pfeilen überziehen werden die brennen. Wir werden die ganze Stadt in Schutt und Asche legen wenn du mich erschießen lässt, und das wusstest du, nicht wahr?“
“Was willst du?“
“Das gleiche wie eben. Ich will mit euch reden. Aber drinnen, von Mann zu Mann.“
“Du bist kein Mann, Tobias Eisenglut. Du greifst aus der Ferne an, von dort wo dir nichts passieren kann. Ein Mann würde mit gezogenem Schwert antreten und dem Feind ins Gesicht sehen.“
“Das wäre mir auch lieber, aber ihr sperrt euch ja in der Stadt ein wie Feiglinge.“
“Nicht feige sind wir, aber wir sind auch nicht lebensmüde.“
“Wie auch immer, öffnet das Tor, damit wir reden können. Ansonsten muss ich weitere Schüsse anordnen, und das ist mir zuwider.“
Aus dem Hof traf ein kleines Steinchen Ded am Hinterkopf. Dieser drehte sich verärgert in den Hof um zu sehen wer dieser verdammte Mistkerl war der ihn da bewarf. Er staunte nicht schlecht als er die Assassinen erblickte. Karon hatte seinen Zeigefinger auf den Mund gelegt, er wollte nicht das Tobias von ihm wusste. Es wurden einige Zeichen gewechselt, dann drehte Ded sich wieder nach außen zu Tobias.
“Also gut, wir öffnen das Tor, aber nur für dich. Wenn einer deiner Männer näher kommt erschießen wir ihn.“
Innerlich triumphierte Tobias, er hatte gewonnen. Wieder einmal. Er stimmte zu und ritt langsam auf das Tor zu.
“Nein“, rief Ded von oben herab. “Ohne dein Pferd. Zu Fuß. Steig ab und leg dein Schwert nieder.“
Tobias stieg ab und blickte nach oben.
“Schick dein Pferd fort, und schnall deine Waffen ab.“
Tobias gab seinem Pferd einen leichten Klaps auf den Hintern woraus dieses davonlief. Doch er wollte sich nicht von seinem Schwert trennen.
“Unbewaffnet soll ich zu euch hereinkommen? Ihr alle tragt Waffen, und ich denke mir das einige von euch nicht gut auf mich zu sprechen sind. Es wäre töricht von mir unbewaffnet zu kommen.“
“Nicht törichter als es für uns wäre euch bewaffnet einzulassen. Ich kenne euch und habe schon viel von euch gehört. Wir öffnen das Tor nur wenn ihr die Waffe ablegt.“
Tobias knirschte mit den Zähnen, es passte ihm nicht wie sich die Dinge entwickelten. Notfalls hatte er noch immer seinen Dolch, und damit war er in der Lage sich zur Wehr zu setzen. Die Männer gegen die er antrat waren ihm nicht gewachsen, das wusste er nur zu genau. Wichtig war zunächst ohnehin nur das diese Narren das Tor öffneten. Er löste seinen Gürtel und sein Schwert fiel mit lautem Scheppern zu Boden. Dann hob er die Hände.
“So, ich bin unbewaffnet. Aber ihr müsst mir freies Geleit garantieren.“
“Ja, sicher. Das machen wir.“
Mit kleinen Schritten näherte sich Tobias dem Tor. Ded sah zu Tobias´ Männern, besondere Aufmerksamkeit schenkte er dabei den Reitern.
“Weißt du was, wir machen es anders. Wenn sich auch nur einer deiner Männer nähert, dann werden wir dich sofort erschießen.“
Die Bogenschützen legten an. Nur zu gerne hätten sie Tobias auf der Stelle erschossen, aber es waren loyale und treue Söldner. Solange Ded keinen Befehl gab verlies der Pfeil nicht die Sehne. Einige der anderen Söldner waren auf Geheiß von Herbert aus den Häusern gekommen und räumten nun das Tor frei. Es gab einige laute Geräusche als die Viehwagen von dem Tor geschoben wurden. Die Riegel wurden gelöst. Langsam öffnete sich das Tor, und genauso langsam schritt Tobias Eisenglut hindurch. Er triumphierte, er wähnte sich schon als Gewinner. Er sah die Männer an die ihn im Hof in Empfang nahmen. Einige von ihnen hatten Armbrüste auf ihn gerichtet, aber damit hatte er gerechnet. Ihre Rüstungen wirkten geradezu lächerlich, verglichen mit denen seiner Gruppe. Aber das war im Moment nicht von Belangen. Es kam ihm nur darauf an das er sich innerhalb der Stadt befand. Das Tor wurde hinter ihm wieder geschlossen, aber, wie er es angenommen hatte, nicht wieder verbarrikadiert. Er grinste und drehte sich zu dem Tor um. Sein Grinsen verschwand ganz plötzlich als er in das vertraute Gesicht des Mannes sah der ihm das Tor geöffnet hatte.
“Willkommen.“
“Du? Aber...“, mehr konnte er nicht mehr sagen, denn Karons Faust traf ihn hart am Kinn und schickte ihn ins Land der Träume.


Als Tobias wenige Minuten später wieder zu sich kam stellte er zu seinem Bedauern fest das man ihn gefesselt und beraubt hatte. Er spürte nicht mehr den sanften Druck seines Dolches im Stiefel, man hatte ihn ihm weggenommen. Er war umzingelt, und das Tor hatte man wieder verbarrikadiert. Sein Plan war fehlgeschlagen, und was noch viel schlimmer war, er befand sich immer noch in der Stadt, allerdings gehörte sie immer noch nicht ihm, wie er es geplant hatte. Am schlimmsten jedoch war das die Assassinen ganz offensichtlich nicht mehr in seiner Gewalt war, sondern er in ihrer. Er keuchte.
“Oh, ihr seit wieder wach. Gut. Es tut mir leid, so fest wollte ich eigentlich nicht zuschlagen. Da ist es wohl mit mir durchgegangen. Kann nichts dafür. Euer Gesicht eignet sich einfach perfekt dazu Fausthiebe einzustecken.“
Desmond trat an ihn heran. Er sah auf Tobias herab und nickte.
“Da muss ich euch allerdings zustimmen, Hauptmann. Darf ich auch?“
Tobias versuchte mit Gewalt wegzukommen, stieß jedoch beim zurückkriechen an die Stiefel von Rajhada. Panisch hielt er nach Maraxus Ausschau, stellte aber erleichtert fest das er sich offenbar nicht in seiner ummittelbaren Nähe befand. Seine einzige Hoffnung war das Katapult. Wie lange war er ohnmächtig gewesen? Er wusste es nicht, aber sein Kinn schmerzte gewaltig. Karon hatte mit ziemlicher Wucht zugeschlagen.
“Was soll das alles? Ich kam her um zu verhandeln. Ihr brecht das Kriegsrecht.“
“Kriegsrecht“ brüllte Herbert. “Krieg nennt ihr das? Wir haben keine Kriegserklärung bekommen. Ein Überfall war das, nichts anderes.“
“Und wenn schon. Wir sind in der Überzahl, und außerdem sind wir eindeutig im Vorteil. Ihr habt schon verloren, selbst wenn ihr mich jetzt tötet.“
“Töten, ja? Eine ausgezeichnete Idee, du verdammter Bastard.“
Herbert schrie und trat wütend nach Tobias´ Kopf. Dieser reagierte jedoch so schnell es ihm möglich war und wich aus, so das Herberts Stiefel ihn nur am Kinn streifte. Zu einem weiteren Tritt kam es nicht, Karon hielt Herbert zurück. Er nahm ihn beiseite und flüsterte ihm etwas zu, allerdings mit einer Lautstärke das Tobias ihn hören musste.
“Maraxus wird sehr böse sein wenn du ihn verletzt oder gar tötest. Er bereitet etwas Besonderes für ihn vor. Bitte geh sorgsam mit ihm um, ja?“
“Na gut, wenn es sein muss. Ich hoffe nur das es was ganz Besonderes ist, wenn ich bedenke was er uns alles angetan hat.“
“Sei da mal ganz beruhigt. Ich finde es fast schon unmenschlich was er mit ihm vorhat, aber Maraxus hat es sich in den Kopf gesetzt, und er wird sich ganz sicher nicht davon abbringen lassen.“
Tobias hörte dies, und die Worte verfehlten nicht ihre Wirkung. Zum ersten Mal in seiner langen Laufbahn als Soldat hatte Tobias Eisenglut, Hauptmann der gefürchtetsten Söldnergruppe weit und breit, siegreicher Feldherr in zahlreichen Schlachten und Anführer der Streitmacht welche die Barbarenaufstände niederschlug, Angst um sein Leben.

***

Ötsch hatte sich wieder aus der Stadt geschlichen und stand auf dem Turnierplatz hinter einem Busch. Er hielt nach Maraxus Ausschau und sah nervös zu den wartenden Angreifern. Sie standen unweit von ihm entfernt vor der Stadtmauer und warteten ebenfalls. Er konnte sehen wie sie hinter ihren Barrikaden standen und Witze machten. Sie wogen sich in Sicherheit, aber hätte er einen Bogen oder eine Armbrust gehabt, so hätte er sie von hier erschießen können wie Rehe auf einer Lichtung. Wo blieb nur Maraxus? Hatte er Erfolg gehabt? War er überhaupt noch am Leben? Ungeduldig strich Ötsch mit dem Daumen über die Schneide seiner Axt. Zufrieden stellte er fest wie scharf sie war. Die Ungewissheit zermürbte Ötsch. Er wollte nicht untätig in der Stadt herumstehen während draußen die Angreifer Pfeile auf sie abschossen, und jetzt stand er hier draußen und stand vor der Stadt untätig herum. Er sah zu den Belagerern herüber und schätzte seine Erfolgschancen ab. Groß wären sie nicht, aber wenigstens hätte er einige von ihnen erledigen können. Er verfluchte sich selbst. Hätte er schreiben gelernt so hätte er hier eine Nachricht für Maraxus hinterlassen können und hätte die Belagerer angegriffen. Er legte die Axt ab und strich sich die Erde von seinem Mantel. Dabei ertastete er etwas das er längst vergessen hatte. Für gewöhnlich verabscheute er den Fernkampf, aber diese Waffe konnte ihm jetzt nützlich sein. Es war die kleine Handarmbrust die man ihm gegeben hatte. Er spannte sie und legte einen Bolzen ein. Mit der anderen Hand nahm er seine Axt wieder auf. Hier stand er, Ötsch der Barbar. Tapfer. Kampferprobt. Eine Naturgewalt. Und er war wütend auf diese Männer. Sie hatten seinen Bruder getötet. Sie hatten seine Freunde getötet. Sie waren gekommen um jeden zu töten der sich ihnen in den Weg stellte. Er machte sich bereit. Er rannte los, schoss den Bolzen und traf und traf einen der Bogenschützen die ihn bemerkt hatten. Der Bolzen durchschlug die Rüstung und durchbohrte die darunter liegende Brust. Der Bogenschütze stieß einen Schrei aus bevor er zu Boden ging. Ötsch umklammerte den Griff seiner Axt nun mit beiden Händen und rannte auf die Belagerer los, einen wütenden Kampfschrei auf den Lippen. Er war eben sehr tapfer und sehr kampferprobt, aber leider nicht sehr clever.


Tobias lag auf dem Boden, die Hände zusammengebunden, umgeben von Männern die sich nichts sehnlicher wünschten als ihn tot zu sehen. Man hatte ihn in den Schankraum der Taverne gebracht. Er zitterte. Sein Gesicht war bereits an mehreren Stellen aufgesprungen und zahlreiche blaue Flecken verzierten es zusätzlich.
“Was soll das? Wollt ihr mich unter Druck setzen? Ich führe doch nur Befehle aus, verdammt noch mal.“
Herbert schlug wieder auf den gefesselten Mann ein. Einmal, mehr gestatte Karon nicht. Tobias sollte merken das es ihnen Ernst war, aber sie wollten ihn nicht umbringen. Diese Ehre sollte Maraxus zuteil werden wenn er ankam. Karon trat aus dem Schatten, er hatte auf einem lederbezogenen Holzstuhl gesessen, kam auf Tobias zu, beugte sich zu ihm herunter und schüttelte den Kopf.
“Nein, du führst keine Befehle aus, du verdammter Bastard. Du tust nur das was du willst.“
“Bitte“, flehte er nun “können wir nicht über die ganze Angelegenheit reden?“
Karon wurde allmählich wütend.
“Reden willst du, hm? Ja, ich schätze das du das ganz gut drauf hast, Tobias. Reden und kämpfen. Alles was aus deinem Mund kommt ist Lüge und Intrige. Ich werde nicht mit dir reden, es hat keinen Sinn. Bringt ihn weg. Sperrt ihn ein, aber behaltet ihn im Auge.“
Desmond und zwei der Burgwächter zerrten den sich wehrenden Tobias Eisenglut in einen Nebenraum. Bevor sie die Tür schlossen rief Karon ihnen noch hinterher “Lasst ihn bitte am Leben. Wir brauchen ihn noch.“
“Wie meinst du das, Herr?“ fragte Desmond. Er hielt Tobias an den Ohren gepackt, denn seine Haare waren zu kurz geschoren um ihn dort ordentlich greifen zu können.
“Nur am Leben lassen, nichts weiter. Tut nichts was ich nicht auch tun würde. Oder, besser, tut nichts was Herbert nicht auch tun würde.“
Desmond lächelte boshaft, riss Tobias hoch und zerrte ihn an seinen Ohren in den Raum. Dann wurde die Türe von innen verriegelt. Karon ging zu seinem Stuhl, packte ihn, stellte ihn in die Mitte des Raumes und setzte sich. Ihm gegenüber saß Herbert neben Ded auf einer Bank neben dem Knisternden Kamin. Sie tranken Met aus Hörnern. Rajhada und Andarah saßen an einem Tisch der links neben der Tür stand, sie konnten also alles sehen und hören, denn der Schankraum war nicht sonderlich groß, und außer den übriggeblieben Assassinen und den Anführern der Verteidiger war der Raum leer. Die Stimmung war merkwürdig, geradezu skurril. In diesem Raum herrschte sonst Gelächter und Musik, doch davon war jetzt nicht einmal eine Andeutung zu spüren.
“Was denkst du, Herbert?“ fragte Karon.
Herbert kratzte sich an seinem Bart.
“Tja, was denke ich? Wir haben ihren Anführer, aber ich glaube ehrlich gesagt nicht das diese Tatsache diese Wilden da draußen lange aufhält.“
“Was schlägst du also vor?“
“Die Frage ist doch wohl eher, was schlägst du vor, Karon Sturmfels? Du bist doch der mit den Ideen. Du hast doch sicher einen Plan.“
Karon blickte in das Feuer.
“Also, um ganz ehrlich zu sein...“
Jemand eilte schnellen Schrittes den schmalen Gang in die Schankstube entlang. Es war einer der Bogenschützen von der Mauer.
“Herr, kommt. Schnell!“
Karon und Herbert sprangen fast zeitgleich auf. Ded hatte gerade das Horn angesetzt, vergas aber zu schlucken. Der Met rann ihm am Kinn herab. Er nahm das Horn runter und wischte sich mit dem Hemdärmel das Gesicht sauber.
“Was ist denn los?“
“Reiter. Vor dem Tor.“
So schnell wie er gekommen war verschwand der Bote auch wieder. Ded hing sein Horn in den Gürtel und stand ebenfalls auf. Karon drehte sich zu den beiden Frauen am Tisch um.
“Andarah, komm du bitte mit uns auf die Mauer, dein Bogen könnte dort oben vielleicht gebraucht werden.“
Ded und Herbert hatten sich bereits auf den Weg gemacht, Andarah warf sich ihren Mantel über, griff ihren Köcher und den Bogen und eilte ihnen hinterher. Karon trat vor Rajhada.
“Es wäre besser wenn du hier drinnen bleibst, Schatz.“
Rajhada sah zu Karon hoch. Ihr Blick war selbst für Karon, der sie schon lange kannte, ungewöhnlich. Sie hatte schon vieles gesehen, viele Leben beendet, und viel Blut abbekommen. Sie selbst hatte auch schon mehrere Verletzungen erlitten, aber nie hatte Karon sie so gesehen. Aber auch in Karons Blick war etwas seltsames. Sorge. Er hatte sich oft gesorgt, aber diesmal war es mehr als gewöhnlich. Seine Sorge schien ihn von innen heraus aufzufressen. Er dachte an Caysha, und er wollte nicht das Rajhada ihr Schicksal teilte. Er wünschte sich er wäre mit ihr an einem fernen Ort, fernab von alledem.
“Warum sagst du das? Glaubst du etwa ich könnte nicht auf mich aufpassen?“
“Oh doch. Aber ich möchte nicht das dir etwas geschieht.“
“Wenn dir etwas geschieht, dann will ich nicht das es mir besser ergeht, Liebster. Ich kann kämpfen.“
Karon nickte.
“Das weiß ich. Du kannst kämpfen. Besser als die Meisten von denen da draußen. Aber ich möchte das du auf Tobias aufpasst. Er darf auf keinen Fall entkommen.“
“Ist das der Grund?“
“Ja, auch. Ich werde zurückkehren, das verspreche ich dir. Ich will nicht das du im Pfeilhagel stehst. Dein Schwert wird noch gebraucht, du wirst noch zeigen können was du gelernt hast.“
Karon beugte sich zu ihr herab und gab ihr einen Kuss.


Herbert, Andarah und Ded eilten die schmale Treppe zur Mauer hinauf und sahen auf die andere Seite. Zwei Reiter hatten sich vor dem Tor postiert, und zwischen sich hatten sie Ötsch. Er hatte die Hände auf dem Rücken zusammengebunden und kniete zwischen den Pferden auf dem Boden. Er sah schlimm aus. Man hatte ihn zusammengeschlagen und dann zwischen den beiden Pferden herlaufen lassen. Sie hatten ihm eine Schlinge um den Hals gelegt damit sie ihn ziehen konnten. Er keuchte schwer und ließ den Kopf hängen. Karon kam über den Hof gelaufen, sprang, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe herauf und blieb zwischen Andarah und Herbert stehen.
“Gehört der zu euch, Meuchler?“
Es war Zobiak, und der Mann auf dem Pferd neben ihm hörte auf den Namen Groak. Die beiden bildeten die traurige Elite wenn es darum ging Blut zu vergießen und sich darin zu laben. Sie waren die brutalsten und gemeinsten aus Tobias´ Trupp. Zobiak versetzte Ötsch vom Pferd herab einen Schlag auf den Hinterkopf. Ötsch konnte nur leise aufstöhnen. Zu mehr war er nicht mehr in der Lage.
“Also ist es so, nicht wahr? Zuerst dachte wir ja nur er wäre auf dem Weg in die Stadt. Wir haben uns zwar gefragt wie er entkommen konnte, aber man sagt euch ja allerhand nach. Respekt. Ich dachte mir wäre es gelungen euch daran zu hindern in die Stadt zu kommen, aber offenbar komme ich zu spät. Diese kleine Schlampe mit dem Bogen hat es ja bereits geschafft, und wie ich sehe ist es sogar euch geglückt, Karon Sturmfels. Ihr seit doch Karon Sturmfels, oder etwa nicht? Ich meine ich habe euer Gesicht schon auf den Steckbriefen gesehen, und so ein Gesichte vergisst man ja nicht. Der Bärtige, ja ja.“
Karons Blicke spieen Blitze von der Mauer herab. Zobiak lachte auf.
“Aber genug geredet. Ich denke, ihr wollt ihn wiederhaben, habe ich recht? Nun, wir würden ihn ja gerne reinbringen, aber das Tor ist leider verschlossen. Was haltet ihr denn davon wenn ihr es öffnet und uns hereinlasst. Unser Freund Tobias ist ja schon bei euch.“
Herbert zog Karon zurück und drehte ihn von der Mauer weg.
“Das ist Wahnsinn, Herr Sturmfels. Wenn wir das Tor öffnen, dann sind wir verloren.“
“Aber das ist mein Freund da draußen. Ich werde ihn nicht im Stich lassen. Ich verdanke ihm mein Leben.“
“Und wenn ihr jetzt das Tor öffnet, dann war seine Tat völlig vergebens. Dann ist eure Leben verwirkt, und ebenso das eurer Freunde, das meine und die Leben aller Menschen hier in der Stadt.“
Karon überlegte. Er dachte zu rational um nicht zu erkennen das Herbert Recht hatte. Er nickte und drehte sich wieder zu den Belagerern um.
“Niemals!“ brüllte er nach draußen. Ötsch hob den Kopf, lächelte verkrampft, nickte, und ließ den Kopf wieder sinken, diesmal noch ein wenig mehr.
“Na los, kommt schon. Öffnet das Tor.“
“Ich kann dir mal meine Axt runterwerfen, dann siehst du was sich öffnet. Deinen Schädel werde ich öffnen, nichts anderes.“ brüllte Herbert wütend von der Burgmauer herab. Er spuckte ihnen entgegen.
“Ganz wie ihr wollt, Meuchler. Wir möchten mit Tobias Eisenglut sprechen. Immerhin ist er unser Hauptmann. Er soll entscheiden was nun zu geschehen hat.“
“Euer Hauptmann ist in unserer Gewalt, Mann. Er ist unser Gefangener. Ihm wird nichts geschehen, aber ihr solltet eure nächsten Schritte sorgfältig überlegen. Sieht ganz so aus als hätten wir ein Pat.“
“Du verkennst offenbar die Situation, Bastard. Tobias Eisenglut bedeutet uns überhaupt nichts. Wenn er fällt, dann übernimmt ein Anderer die Führung, aber dieser Mann hier scheint für euch von Bedeutung zu sein. Ein Pat kann ich hier nicht erkennen. Ich befehle euch ein letztes Mal das Tor zu öffnen. Wenn dies nicht geschieht dann öffnen wir es. Mit Gewalt.“
“Dann stirbt euer Hauptmann.“
Zobiak ritt näher an das Tor heran, Groak blieb zurück und hielt das Seil fest das man Ötsch um den Hals gelegt hatte.
“Ihr könntet mir keinen größeren Gefallen tun, Meuchler. Wenn Tobias tot ist, dann übernehme ich die Macht über diese Truppe. Und ich bin nicht so freundlich wie Eisenglut.“ Zobiak grinste breit, seine faulen Zähne schimmelten Karon entgegen. Dann zog Zobiak sein Schwert und streckte es aus.
“Ihr wollt das Tor also nicht öffnen, nein?“
“Auf keinen Fall.“
“Nun Gut. Wie ihr wollt. Dies geschieht nur damit ihr seht wie ernst ich es meine, und damit ihr seht wie wenig mir ein Leben, speziell das von Tobias Eisenglut, am Herzen liegt.“
Zobiak gab seinem Pferd die Sporen und preschte los, das Pferd stürmte auf Groak und Ötsch zu. Zobiak holte mit dem Schwert aus und hieb damit auf Ötsch ein als er an ihm vorbeiritt. Ötschs Schädel klaffte auseinander und er sank auf der Stelle tot zu Boden. Karon stieß einen wütenden Brüll aus.
“Erschießt diese verdammten Schweine!“
Zobiak, sein Pferd hatte bereits das volle Tempo erreicht als der Befehl kam, hatte bereits fast die Barrikaden erreicht. Groak konnte nicht mehr reagieren, er wurde von den Pfeilen der Verteidiger getroffen als er gerade seinem neuen Anführer hinterhereilen wollte. Als er das Pferd drehen wollte traf der Pfeil ihn im Hals, er sank von seinem Pferd und lag tot zwischen den Barrikaden der Angreifer und dem gefallenen Barbaren. Vor Wut und Verzweiflung hatte Karon aufgeschrieen und auf die Mauer geschlagen. Seine Hand blutete nun, aber dies war ihm egal. Ötsch hatte ihm das Leben gerettet, und er, Karon Sturmfels, sah dabei zu wie man seinen Retter erschlug ohne das er eine Möglichkeit hatte sich zu verteidigen. Er riss Andarah den Bogen aus den Händen, legte einen Pfeil auf, spannte und schoss einen Pfeil hinter Zobiak hinterher, aber verfehlte diesen um mehr als nur Haaresbreite. Dieser lachte laut auf und verschwand hinter den sicheren Absperrungen die seine Männer errichtet hatten. Karon ließ betrübt den Bogen sinken und ein oder zwei Tränen der Wut rannen sein Gesicht herunter. Andarah trat zu ihm.
“Du hättest mir besser den Bogen gelassen, Hauptmann, dann hätte der Pfeil vielleicht sein Ziel erreicht.“
Karon sah Andarah an und verharrte einen Augenblick. Dann presste er die Lippen aufeinander und stürmte die Treppen herunter in den Burghof. Auf halbem Weg brüllte er “Wenn sich auch nur ein einziger von diesen verdammten Hunden zeigt, dann schießt ihm einen Pfeil entgegen. Auch wenn er eine weiße Flagge trägt. Diese Schweine wollen den Krieg und sie sollen ihn bekommen.“
Andarah blickte fragend zu Herbert und Ded. Ihre Augen waren gerötet. Ded sah betrübt auf den gefallenen Ötsch, aber Herbert erwiderte Andarahs Blick.
“Na ja, Kind. Was soll ich sagen. Er hat ja Recht.“
Andarah nickte.

***

Karon stapfte schweren aber raschen Schrittes über den Burghof. Unterwegs standen mehrer Trümmer herum. Er nahm sich einen der herumliegenden Stühle, hob ihn hoch über den Kopf und schmetterte ihn zu Boden. Er zerbrach. Karon bückte sich und nahm eines der Beine. Wie einen Knüppel packte er ihn und eilte auf die Taverne zu. Er riss die Tür auf, ging durch den Vorraum, und hämmerte wütend mit der Faust gegen die Tür der Abstellkammer.
“Ich bin es. Macht auf.“
Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann hörte man deutlich wie ein Riegel beiseite geschoben wurde. Desmond öffnete vorsichtig die Tür, doch Karon riss sie auf und trat hindurch. Desmond wurde von der Wucht des Hauptmanns mitgerissen und stolperte aus dem Raum. Karon packte den auf dem Boden liegenden und wimmernden Tobias Eisenglut am Kragen und riss ihn hoch. Er sah ihm tief in die Augen, und Tobias erkannte das in Karon eine Veränderung vorgegangen war. Er war nun nicht mehr so ruhig und besonnen wie noch vor wenigen Minuten. In seinen Augen funkelte der pure Hass.
“Du bist tot, Tobias Eisenglut. Deine Männer haben dich verraten, so wie du deinen Herrn verraten hast. Auch wenn du ihn von Anfang an nur benutzt hast, so standest du doch in seinem Dienst, also kann man hier von Verrat sprechen. Und nun bist du es der verraten wurde. Deine Männer haben nun einen Neuen Anführer, und ich habe einen Handel mit ihnen abgeschlossen. Dein Leben für das von meinem Freund Ötsch. Sie haben ihn in ihrer Gewalt. Und sie haben ihn getötet. Sie haben dich getötet, Tobias Eisenglut. Dich. Du bist eine Leiche, du weißt es nur noch nicht.“
Dann holte Karon mit seinem improvisierten Knüppel aus und wollte Tobias den Kopf einschlagen, doch seine Hand wurde festgehalten. Von jemandem mit dem Karon nicht gerechnet hatte. Es war Herbert. Herbert hatte Tobias Eisenglut das Leben gerettet. Er war dem wütenden Karon hinterhergeeilt, denn er ahnte das Karon einen Fehler begehen würde. Herbert und Desmond rissen Karon zurück und zogen ihn aus der Abstellkammer. Sie hatten alle Mühe damit ihn zu halten.
“Bindet diese Missgeburt los. Ich will gegen ihn kämpfen. Niemand soll sagen das er keine Chance gehabt hätte sich zu wehren. Na los. Bindet dieses Stück Scheiße los und bringt ihn zu mir.“ Karon hatte Schaum vor dem Mund. Er war mehr als wütend. Er raste vor Wut. Rajhada hatte das mitangehört und eilte nun zum Ort des Geschehens. Sie stellte sich zwischen Tobias und ihren Liebsten. Tobias lag nun, zusammengekauert wie ein waidwundes Tier, in der Abstellkammer und verkroch sich in der hintersten Ecke vor dem wahnsinniggewordenen Assassinen. Als Karon Rajhada erblickte wurde er etwas ruhiger. Desmond lockerte seinen Griff und auch Herbert hielt ihn nicht mehr ganz so fest. Karon stand nun frei, ließ die Hände sinken, der Knüppel rutschte ihm aus der Hand und Karon fiel Rajhada in die Arme.
“Wie viel Blutvergießen wird es noch geben, nur wegen dem Größenwahn dieses Schlächters?“
Rajhada hatte Karon fest umarmt. Herbert legte Karon seine Hand auf die Schulter und löste ihn aus Rajhadas Armen.
“Es wird schon wieder gut, Karon.“
Karon drehte sich um und sah Herbert aus blutunterlaufenen Augen an.
“Wie viele Tote, Herbert? Wie viele Tote? Und wie viele werden es noch?“
“Nicht halb so viele wie ihr nach all den Jahren auf dem Gewissen habt. Wie viele Männer habt ihr und euresgleichen getötet, Karon Sturmfels.“ Diese Worte kamen von Tobias Eisenglut. Er keuchte sie nur, aber er hatte nichts mehr zu verlieren. Karon hatte ihn zu einem Kampf herausgefordert, und Tobias wollte kämpfen. Er war schwach, er war verwundet, aber er wollte eine Entscheidung, hier und jetzt. Er wollte Karon reizen. Reizen, bis er einen Fehler machte. Karon drehte sich zu ihm um.
“Da haben wir beide uns wohl nichts vorzuwerfen, Tobias. Ihr tötetet aus reiner Lust und aus Habsucht. Ich tötete stets nur im Auftrag. Jeder den ich umgebracht habe hatte den Tot verdient, und jeder hatte eine Chance.“
“Oh, ja. Der edle Held. Ein wahrer Wohltäter. Nur weil ihr unter dem Deckmantel der Ehre gemordet habt sind eure Taten um so viel besser als die meinen. Wisst ihr was, Karon Sturmfels. Ihr seit nichts weiter als ein gemeiner, hinterhältiger Mörder. Genau wie ich. Ihr wollet kämpfen? Bitte. Ich bin bereit dafür. Ein Mörder gegen einen Mörder.“
Karon sah in Tobias Augen. Sie funkelten.
“Bringt diesen schlimmen Mann weg, er macht mir Angst.“ Pure Ironie klang in Karons Stimme. Er hatte sich wieder voll in der Gewalt. Er lächelte süffisant.
“Sperrt ihn wieder ein und bewacht ihn gut. Er ist gefährlich.“
Mit diesen Worten drehte sich Karon auf dem Absatz um, griff nach Herberts Arm und zog ihn hinter sich her in den Schankraum. Er sah sich kurz um und setzte sich neben Rajhada auf die Bank. Ihre Augen glühten als sie ihren Arm um Karons Schultern legte.
“Offener Krieg also. Nun gut.“
Herbert ging wieder aus dem Raum und verschwand in einer kleinen Kammer. Karon und Rajhada sahen sich tief in die Augen, Karon atmete tief durch, nahm den auf dem Tisch stehenden Krug mit Met, setzte ihn an und leerte ihn in einem Zug.
“Findest du es gut das du dich vor einem Kampf wie diesem betrinkst?“
“Was sollte es bringen wenn ich nüchtern bin? Betrunken stirbt es sich leichter.“
Rajhada sprang von ihrem Platz auf und eilte aus der Schänke. Im Gang blickte sie noch einmal zurück.
“Ganz wie du meinst. Du weißt ja was du tust, aber ein kühler Kopf wäre sinnvoller.“
Karon blickte auf den leeren Krug der vor ihm stand, griff nach der Karaffe, goss neuen Met in seinen Krug, nahm ihn, führte ihn zum Mund – und hielt inne. Er blickte auf das goldene Elixier, presste die Lippen zusammen und stellte den Krug wieder zurück auf den Tisch. Er lehnte sich zurück und entspannte sich. Einige Zeit später kam Herbert wieder zurück. Er trug einen Gegenstand unter dem Arm der in ein Laken eingeschlagen war. Er reichte das Bündel Karon. Dieser sah Herbert fragend an.
“Was ist das?“
“Ein Laken, siehst du doch, oder?“
“Und was ist darin?“
“Falte es auseinander, dann siehst du es.“
Karon beäugte das vor ihm liegende Bündel. Er löste die Kordel mit der es umwickelt war und schlug das Laken zurück. Vor ihm auf dem Tisch lag ein dunkelbrauner Lederharnisch, wunderschön gearbeitet und mit Nieten an den Schultern verziert.
“Was soll ich damit?“
Herbert zuckte mit den Schultern.
“Wie wäre es wenn du ihn anlegst? Wenn er dir passt, dann gehört er dir.“
Karon sah Herbert an, dann erhob er sich von seinem Platz, griff den Harnisch und zog ihn über den Kopf. Herbert kam heran und befestigte die Schnallen an den Seiten unter den Armen, damit der Harnisch geschlossen war. Er passte wie angegossen. Herbert trat einen Schritt zurück und begutachtete den neu gewandeten Assassinen. Er nickte zustimmend.
“Ja, das sieht gut aus, Hauptmann Karon. Komm mit. Im Gang hängt ein Spiegel.“
“Die beiden Männer traten aus dem Raum in den Gang, und Karon betrachtete sich in Spiegel. Ihm fielen die Schnallen unter den Armen auf.
“Die kann man einstellen. Er hätte mir auf jeden Fall gepasst, nicht wahr?“
“Ja, natürlich hätte er das. Ich habe ihn ja für dich anfertigen lassen.“
“Womit habe ich denn das verdient?“
“Ich kann doch einen Verteidiger der Stadt nicht ungerüstet auf das Feld ziehen lassen.“
Karon blickte Herbert verlegen an. Herbert grinste und freute sich das er Karon eine Freude gemacht hatte.
“Aber das beste kommt ja erst noch, Karon Sturmfels.“
Er griff unter seinen Mantel und holte ein Schwert darunter hervor. Es war ein wundervoll gearbeitetes Langschwert. Die Klinge spiegelte sich im Schein der Kerzen. Die Parierstange war nur ganz leicht gebogen und schien aus feinstem Stahl zu bestehen, viel besser und edler gearbeitet als alles was er vorher gesehen hatte, und er hatte schon viele Dinge gesehen. Der Griff war mit feinstem Leder umwickelt, und der Knauf bildete den Kopf einer wunderschönen Frau ab.
“Das ist die Schutzgöttin deines Stammes, König.“
Karon blickte Herbert fassungslos an.
“Ja, ich weiß Bescheid über dich, Karon Sturmfels. Ich weiß vermutlich mehr als die meisten Anderen hier. Dieses Schwert wurde nur für dich geschmiedet. Ich habe es in Auftrag gegeben als du herkamst und sich zeigte das du ein Freund bist. Der Graf hat es bezahlt. Er meinte du solltest nicht mit deinem schweren und plumpen Ding in die Schlacht ziehen. Wenn du diese, seine Stadt verteidigst, dann sollst du auch die besten Mittel dafür bekommen. Damit bist du noch schneller und effektiver. Nicht das ich denke du wärst nicht gut. Ich weiß das du gut bist, aber mit diesem leichten Schwert bist du einer der Besten.“
Karon wog das Neue Schwert in der Hand. Es war in der Tat um einiges leichter und wendiger als sein Zweihänder. Aber mit diesem hatte er in all den Jahren gelernt umzugehen. Viele Leben hatte es beendet, und das seine hatte es schon so oft gerettet. Aber dieses Schwert – es war als hätte er es schon immer besessen.
“Nimm es, Karon Sturmfels. Nimm es und kämpfe damit. Es ist ein Geschenk des Grafen. Es ist ein Dankeschön für die Verteidigung seiner Stadt.“
“Ich kann es nicht annehmen, Herbert.“
“Doch, das kannst du. Du musst es sogar. Der Graf wäre enttäuscht wenn du es ablehnst. Komm schon. Gib mir deine alte Waffe. Ich werde sie für dich aufbewahren. Du sollst sie bald schon an die Wand hängen können. Sie hat dir lange genug gedient. Gehe jetzt und schlage die Schlacht deines Lebens. Möge der neue Harnisch dein Leben schützen und das neue Schwert das deiner Feinde beenden.“
Karon blickte auf die Waffe in seiner Hand. Dann legte er sie beiseite, zog seinen Zweihänder und reichte ihn Herbert.
“Gib gut darauf acht, Freund. Dieser Persönlichkeitsspalter bedeutet mir sehr viel.“
“Und dem Grafen bedeutet es sehr viel das du mit seiner Waffe kämpfst.“
“Und das werde ich.“
Karon steckte das Schwert in die Schlaufe an seinem Gürtel, straffte sich und schritt erhobenen Hauptes aus der Taverne heraus ins Freie. Herbert sah im nach.
“Ein neuer Anführer, fürwahr. Auf beiden Seiten gibt es einen neuen Anführer. Aber der Unsere wird siegreich sein.“

***

Karon stand nun im hellen Sonnenlicht vor der Taverne. Er bemerkte wie wenig Last an seinem Gürtel hing, das neue Schwert zog bei weitem nicht so sehr nach unten wie sein alter Zweihänder. Desmond eilte zu ihm heran. Er blieb kurz vor ihm stehen und blickte ihn von oben bis unten an.
“Gut siehst du aus.“
“Danke. Was gibt es neues?“
“Was soll es schon geben. Da draußen tut sich nicht viel. Wir warten nur darauf das sie das Feuer wieder eröffnen, aber es hat den Anschein als hätten sie bemerkt dass das nicht viel bringt.“
“Irrtum. Es hat viel gebracht. Sehr viel.“
“Ja, aber es wird nichts mehr bringen. Allerdings – wenn sie wüssten das du hier so offen und ohne Deckung stehst würden sie sicher wieder schießen. Was hast du jetzt vor?“
“Hol Andarah von der Mauer. Ich möchte das sie dabei ist.“
“Wobei dabei?“
“Mach es einfach, mein Freund. Du wirst schon sehen.“
Desmond eilte los um Andarah zu holen. Rajhada trat hinter Karon ins Freie. Sie hatte seinen Mantel in den Händen und legte ihn Karon um.
“Es ist kalt.“
“Ja, das ist es. Danke.“
Karon drehte sich um während er den Verschluss seines Mantels zuband. Dann warf er sich die eine Seite über die Schulter, damit der Mantel ihn ganz umschloss. Es war kalt, Karon wusste dies, aber es war ihm nicht bewusst als er aus der Taverne getreten war. Alles wirkte irgendwie so fremd. So Anders. Alles war wie vorher, aber irgendwie fühlte er sich unwohl. Etwas großes war im Begriff auf die Stadt niederzuprasseln. Etwas das die ganze Welt verändern würde. Es war still. Von einer Schlacht oder einer Belagerung war nichts zu sehen, aber der Marktplatz war wie leergefegt. Lediglich auf der Mauer standen noch einige Bogenschützen. Dann eilten Andarah und Desmond quer über den Hof zu Rajhada und Karon herüber.
“Was ist los?“
“Ich werde Tobias jetzt freilassen. Ich möchte das ihr dabei seit wenn ich es tue.“
“Du willst was?“
Andarahs Stimme überschlug sich fast.
“Du kannst ihn doch nicht freilassen.“
“Warum nicht? Hier drinnen stellt er eine größere Gefahr dar als draußen.“
“Was denn für eine Gefahr? Er ist gefesselt und wird bewacht.“
“Aber wir wissen auch was er für ein Mensch ist, auch wenn er diese Bezeichnung gar nicht verdient.“
“Bring ihn um, wenn du willst, aber lass ihn um Himmelswillen nicht frei.“
Karon zog die Stirn in Falten.
“Umbringen, ja? Das ist auch eine gute Idee. Aber ich denke ich weiß schon was ich tue. Da draußen ist die Armee deren Hauptmann er war. Und jetzt hat sie einen neuen Anführer. Und so wie er auf mich wirkt lässt er sich seinen Rang nicht so ohne weiteres streitig machen, erst recht nicht von einem unbewaffneten, geprügelten Wicht, denn etwas anderes ist Tobias momentan nicht. Er kann kaum aufrecht gehen. Aber man wird sich draußen fragen warum wir ihn freigelassen haben. Sicher werden einige noch hinter Tobias stehen, und andere stehen bereits fest hinter dem Neuen. Es wird zu Meinungsverschiedenheiten kommen, und genau das ist es was wir im Moment gebrauchen können. Unentschlossene, entzweigerissene Belagerer. Wenn sie nicht wissen was sie tun sollen, dann verschafft uns das etwas Luft zum Atmen.“
“Oder auch nicht. Vielleicht schlagen sie auch sofort los, immerhin hält sie dann nichts mehr auf.“
“Ich denke nicht das sie das tun. Aber wenn, dann wäre die Lage auch nicht schlimmer als jetzt.“


Es war dunkel in der Abstellkammer. Tobias lag gefesselt auf dem Boden, und nur der Schein einer kleinen Petroleumlampe spendete ein wenig Licht. Im Schein der Lampe konnte er die Regale erkennen. In ihnen lagen diverse Flaschen deren Inhalt Tobias lieber nicht erkunden wollte. Auch Fässer standen herum, sicherlich befanden sich Früchte oder ähnliches darin. Es roch nach Staub. Die Luft war kalt und trocken. Zusammengekauert lag er da und beobachtete aus den Augenwinkeln die beiden Männer die auf Fässern saßen und ihn bewachten. Sie hatten Schwerter auf dem Schoss liegen und unterhielten sich über alltägliche Dinge. Anfangs hatten sie noch versuch ihrem Gefangenen Angst zu machen indem sie davon sprachen was Maraxus mit ihm vorhätte, aber sie wiedersprachen sich einige Male, und letztendlich glaubte Tobias so etwas wie Unsicherheit herauszuhören. Könnte es möglich sein das Maraxus überhaupt nicht mehr am Leben war? Er war jedenfalls fest davon überzeugt das die beiden Männer nicht ganz sicher waren ob es so war oder nicht. Maraxus befand sich jedenfalls nicht in der Stadt, soviel stand für Tobias fest. Wie war es ihnen überhaut gelungen so schnell freizukommen? Er hatte Stümpern die Verantwortung gegeben, verdammt. Ist nicht schade um sie, dachte er sich. Er fragte sich wie die Assassinen unbemerkt in die Stadt gekommen waren. Sie konnten unmöglich durch die Belagerungslinie gedrungen sein, das hätte Tobias bemerkt. Es musst einen anderen, einen geheimen Weg in die Stadt geben, und die Assassinen mussten ihn kennen. Natürlich, dachte er, kennen sie den Weg. Sie wohnen hier, sind mit allen gut Freund und gelten gemeinhin als die Verteidiger der Stadt und der Burg. Der Graf hielt sehr viel von ihnen. Tobias fragte sich auch ob und wann der Graf in das Geschehen eingreifen würde. Er saß oben in seiner Burg während diese belagert wurde. Das sah dem alten Irren ähnlich. Bemerkt nicht das seine Burg in Flammen steht. Er würde schon noch bemerken das er Besuch hatte, oh ja. Tobias dachte angestrengt nach. Es war nur eine Frage der Zeit bis das Katapult da war, und dann würde es nicht mehr lange dauern bis er frei war. Frei und wieder Anführer der Eisenwölfe. Da fiel ihm ein das Karon etwas von einem Neuen Hauptmann gesagt hatte. Das konnte nur Zobiak sein, dieser Verräter. Er war schon immer aufmüpfig gewesen. Tobias würde ihm schon noch zeigen wer der Hauptmann der Eisenwölfe war. Plötzlich klopfte es wieder an die Tür. Tobias schrak aus seinen Gedanken auf. Einer der Männer erhob sich von der Tonne und ging zur Tür.
“Ja?“
“Ich bin es“, klang Karons Stimme dumpf durch das dicke Holz der Türe zu ihnen herein. “Macht auf.“ Er klang ruhiger und gefasster als eben. Schade. Es wäre vorteilhafter gewesen wenn er wütend wäre, dann hätte man ihn so weit provozieren können das er Tobias losbinden lies. Der Mann schob den Riegel beiseite und öffnete die Tür.
“Hebt ihn auf. Und haltet ihn fest, ich glaube nicht das er aus eigener Kraft stehen kann.“
Feste Hände griffen Tobias unter den Achseln und zogen ihn auf die Beine. Er konnte sehr wohl aus eigener Kraft stehen, aber er hielt es für das beste wenn er diese Tatsache noch für sich behielt. Sollten sie doch denken er wäre kraftlos. Müde hob Tobias den Kopf und grinst Karon frech an.
“Oh, Karon Sturmfels höchstpersönlich. Seit ihr gekommen um noch mal mein hübsches Gesicht zu sehen?“
Karon schüttelte den Kopf.
“Nein. Ich bin nicht gekommen um euch zu sehen. Ehrlich gesagt steht mir der Sinn nach etwas radikalerem.“
Sofort verschwand das Grinsen aus Tobias´ Gesicht.
“Ihr seit gekommen um mich zu töten, wie? Na los, nur zu. Ich wusste schon immer das ihr ein Feigling seid.“
“Vielleicht bin ich das. Aber ich bin nicht gekommen um euch zu töten, jedenfalls nicht persönlich.“
Sämtliche Farbe wich aus Tobias´ Gesicht. Maraxus von Keld. Er musste gekommen sein. Angst befiel den großen Anführer.
“Ich bin gekommen um euch mitzuteilen das ihr nicht weiter die Gastfreundschaft des Grafen geniest. Ihr verschwindet aus dieser Stadt, und zwar so schnell wie möglich. Wenn ihr diese Stadt nochmals betreten solltet, so wisst das ihr innerhalb der Stadtmauern als Vogelfrei geltet, Tobias Eisenglut. Man wird euch zum Tor bringen und dort gehen lassen wohin ihr wollt. Allerdings wird man euch weder Rüstung noch Waffe mit auf den Weg geben. Verschwindet von hier und lasst euch nie wieder blicken. Als Stellvertreter des Grafen Gotard spreche ich hiermit das Urteil für eure Schandtaten aus, und das Urteil lautet Verbannung. Dies ist mein Wort.“
Damit drehte sich Karon um und ging fort. Die beiden Männer die Tobias gepackt hielten wussten nicht recht was sie denken sollten. Herbert trat in den Raum herein.
“Tobias Eisenglut, habt ihr die Worte von Karon Sturmfels, bestimmter Vertreter des Grafen Gotard, vernommen und Recht verstanden?“
Tobias nickte, auch wenn er nicht wirklich wusste was er denken sollte. Er kam sich wie Schauspieler vor der in einem Stück mitspielte dessen Text er nicht kannte.
“Nun denn, bringt ihn zum Stadttor und führt das Urteil aus.“
Die beiden Männer schoben Tobias aus der Abstellkammer heraus und bugsierten ihn ins Freie. Vor der Tür im Hof standen Karon und die übrigen Assassinen. Jetzt erst erkannte Tobias das Karon anders aussah als bisher. Er trug einen ledernen Brustpanzer der ihm irgendetwas edles und überlegenes verlieh. Tobias sah Karon in die Augen und blitzte ihn an. Noch immer lies er sich hängen, niemand sollte merken wie gut seine Verfassung noch war. Dies war im Moment seine einzige Waffe. Die Männer zogen ihn bis zum Tor, dort ließen sie ihn zu Boden sinken. Karon trat neben ihn.
“Öffnet das Tor.“
Die beiden die Tobias bis hierher geschleppt hatten setzten sich jetzt in Bewegung um Karons Befehl auszuführen. Tobias blickte zu Karon empor.
“Nein, tut das nicht. Das wäre dumm von euch.“
Karon hob die Hand, und die Männer blieben stehen. Dann kniete er neben Tobias nieder.
“Warum wäre das dumm von uns?“
“Wegen der Reiter“ keuchte Tobias. Er tat so als würde er um Atem ringen, und Karon schien darauf reinzufallen.
“Wegen der Reiter?“
“Ja. Sie würden sofort heranpreschen und in die Stadt reiten, und ich kann mir nicht vorstellen das ihr das wollt.“
“Und ich kann mir nicht vorstellen das sie so schnell hier sind wie wir das Tor wieder geschlossen haben. Außerdem haben wir Bogenschützen auf der Mauer stehen.“ Er wand sich wieder zu den Männern zu um den Befehl erneut zu geben, aber Tobias packte Karon am Kragen und zog ihn, mit letzter Kraft wie er Karon glauben lassen wollte, zu sich herunter.
“Nein, bitte. Es ist nicht wegen der Reiter. Es ist – wegen mir. Bitte, Herr, überlasst mich nicht meinem Schicksal. Bitte, lasst Gnade walten.“
Karon schüttelte Tobias ab und stand wieder auf. Er hatte gemerkt das Tobias noch mehr Kraft hatte als er zeigte.
“Und um welche Gnade bittest du, Tobias Eisenglut? Wir werden dich nicht in der Stadt lassen.“
“Sicherlich gibt es einen anderen Ausgang. Einen bei dem ich nicht gleich meinen Männern in die Arme laufe. Sie würden mich töten wenn sie mich so säen. Bitte, bringt mich auf einem sicheren Weg heraus.“
Tobias weinte. Er wimmerte. Er spielte Karon etwas vor, und Karon schien darauf reinzufallen. Er ging zu Herbert und flüsterte etwas mit ihm. Rajhada stand bei den beiden. Andarah und Desmond standen gut sechs Schritte weiter von ihm entfernt, Karon und Herbert waren miteinander am reden, und Rajhada hörte den beiden Männern zu. Die zwei Soldaten standen noch immer am Tor und warteten auf weitere Befehle. Kurz, niemand achtete auf Tobias. Er war noch immer gefesselt und er hatte keine Waffe. Es war ein tollkühner Plan einfach aufzuspringen, eine Waffe zu greifen und Karon zu töten. Er war so tollkühn das Tobias ihn sofort wieder verwarf. Das Gespräch war offenbar beendet denn Karon kam nun wieder zurück.
“Ich habe mit dem Hauptmann der gräflichen Burgwache beraten, und wir sind zu einem Entschluss gekommen.“
Tobias lachte leise vor sich hin.
“Gräfliche Burgwache, wie?“
“Du sollst auf einem anderen Weg aus der Stadt geschafft werden, Tobias Eisenglut. Auf einem Weg der dich vor dem Unmut deiner Männer bewahrt.“

***

Die Belagerer standen angespannt vor den Stadtmauern. Es hatte angefangen zu schneien. Sie hatten entschlossen keine weiteren Pfeile zu verschwenden, denn sie wussten das die Verteidiger weder dumm noch naiv waren. Sie hatten ihnen gezeigt das sie es Ernst meinten. Der Barbar hätte ihnen lebend vielleicht noch behilflich sein können, aber dafür war es jetzt zu spät. Jetzt hieß es warten. Sie warteten darauf das etwas geschah. Eigentlich warteten sie darauf das ihnen etwas einfiel. Und sie warteten auf ihre mächtigste Waffe – das Katapult. Sie waren ziemlich sicher das diese mächtige Kriegsmaschine den Verteidigern schon bald den Garaus machen würde. Diese Maschine war ein absolutes Meisterstück. Unglücklicherweise konnten sie nur ein einziges Geschoss abfeuern. Zum Beladen der Waffe war eine spezielle Apparatur nötig. Die Eisenwölfe besaßen diese Apparatur zwar, aber sie war sperrig und nicht ganz so beweglich wie das Katapult. Hier hatte der Erfinder nicht ganz so gute Arbeit geleistet. Aber das spielte ohnehin keine große Rolle, denn mehr als einen Schuss brauchten sie sicher nicht abzufeuern. Der erste Schuss würde auf das morsche Holztor zielen und es zerschmettern, und dann wäre die Stadt im Handumdrehen eingenommen. Zobiak freute sich schon darauf. Er saß auf seinem Pferd, das Schwert hatte er bereits weggesteckt, denn mit der Axt konnte er noch besser umgehen. Er hatte auch den Helm abgelegt, denn er ritt nicht mehr unter Tobias Banner sondern war jetzt der Anführer. Und dem Anführer gebührte ein besonderer Helm. Er sah furchtbar aus wie er dort auf seinem Schwarzen Ross saß, den Helm auf dem Kopf der sein gesamtes Gesicht verhüllte, in den Händen mächtige Streitäxte an denen noch das verkrustete Blut seiner Feinde klebte. Niemand der Eisenwölfe, und es waren furchtlose und brutale Schlächter die zu allem in der Lage waren, hätte sich Zobiak entgegengestellt oder ihm gar den Dienst verweigert. Wer sich mit dieser Ausgeburt des Satans anlegte konnte schon mit seinem Leben abschließen. Nicht einmal Tobias, so dachten die Männer, nicht einmal er wäre jetzt noch in der Lage gegen Zobiak zu bestehen.


Während die Eisenwölfe vor den Toren der Stadt warteten das ihre mächtigste Waffe eintraf hatte Karon überlegt welchen Plan Tobias Eisenglut verfolgte. Er wirkte ausgelaugt und schwächlich, aber er war es nicht. Doch ihm war viel daran gelegen die Assassinen glauben zu lassen das er es war. Er führte irgendetwas im Schilde, das wusste Karon, aber Karon wusste auch das es eine dumme Idee war für Tobias das Tor öffnen zu lassen. Nicht weil die Eisenwölfe ihren ehemaligen Hauptmann abschlachten würden wenn er ihnen in die Arme lief, unbewaffnet und schwach, weinend wie ein geprügelter Hund, sondern weil ein offenes Tor riskant war. Es war zwar schnell wieder geschlossen, aber man konnte nie wissen ob sich bei den Angreifern nicht ein Held befand der seinem Pferd auf der Stelle die Sporen gab, in die Stadt preschte und die Torwächter daran hinderte das Tor wieder zu verriegeln, auch wenn es nur für die kurze Zeit war welche die Angreifer brauchten um scharenweise in die Stadt zu strömen und alles dem Erdboden gleichzumachen. Tobias Einwand war nicht dumm, auch wenn nicht aus dem Grund den er genannte hatte. Karon war sicher das Tobias von seinen eigenen Leuten kaltblütig gelyncht worden wäre, schon alleine um dem neuen Anführer zu huldigen und ihm seine Treue unter Beweis zu stellen. So gerne Karon dies auch mitangesehen hätte, er war nicht bereit diese Gefahr einzugehen, und genau das war es was er mit Herbert besprochen hatte. Herbert war dafür ihm seinen Wunsch zu gewähren. Wenn er nicht durch das Tor die Stadt verlassen wollte, warum ihn dann nicht einfach von der Mauer in den Burggraben werfen? Auf der Anderen Seite der Burg, wie sich von selbst versteht, denn er wollte ja nicht in unmittelbarer Nähe seiner ehemaligen Söldner die Stadt verlassen. Karon fand die Idee recht gut, und darum hatte er zugestimmt.
“Du sollst auf einem anderen Weg aus der Stadt geschafft werden, Tobias Eisenglut. Auf einem Weg der euch vor dem Unmut eurer Männer bewahrt.“
Als Tobias diese Worte vernahm war er mehr als glücklich. Diese Narren, dachte er sich. Sie würden ihm den Geheimgang preisgeben, und dann wäre es ein Leichtes die Stadt von unten zu unterwandern. Die beiden Männer die Tobias bewacht hatten kamen auf ein Zeichen Karons herbei, packten Tobias wieder unter der Schulter und zogen ihn auf die Beine. Karon trat an ihn heran.
“Auf einem Weg der euch vor dem Unmut eurer Männer bewahrt, in der Tat. Wir werden euch auf die andere Seite der Burg auf die Mauer bringen. Von dort könnt ihr alsdann in den Burggraben springen, Tobias Eisenglut. Das Wasser wird euren Sturz sicher abfangen.“
Tobias protestierte. “Aber- Das wäre mein Sicherer Tod.“
“Ja, vielleicht. Aber damit entgeht ihr sicherlich dem Unmut eurer Männer. Und der Tod ist mehr als gerecht für das was ihr getan habt. Und wenn ihr meine Meinung hören wollt, dann ist der schnelle Tod durch einen tödlichen Sturz eine Gnade für die ihr mir Danken solltet.“
“Danken?“ Tobias zeigte nun welche Kraft noch in ihm steckte.
“Dank erwartet ihr von mir, Karon Sturmfels? Den könnt ihr haben.“ Blitzschnell ergriff Tobias den Dolch des Wächters der links neben ihm stand. Die Wächter waren wie paralysiert. Mit dem Dolch in der Hand sprang Tobias auf Karon zu, Karon wich aus, doch er konnte dem Stich nicht entgehen. Er traf ihn in die linke Seite, dort wo der vordere und der hintere Teil des Brustpanzers zusammenstießen und ein Lücke bildeten. Karon versuchte Tobias Hand mit aller Kraft zu stoppen, aber der Dolch war bereits in seine Seite eingedrungen. Schwarze Punkte tanzen vor Karons Augen als er diese fest zusammenpresste. Er stieß einen grellen Schmerzensschrei aus. Das warme Blut lief ihm an der Seite herab.
“Das ist mein Dank, Karon Sturmfels. Der schnelle Tod für eure Taten, ebenso wie der den ihr mir zugedacht habt. Wenn nicht sogar ein wenig schneller.“
Die Wachen hatten sich wieder gefangen, sie stürmten heran und rissen Tobias von Karon fort und schlugen ihn zu Boden. Sofort hatten sie ihre Speere wieder zur Hand und hielten Tobias damit auf dem Boden. Der harte Schlag hatte Tobias einen Schneidezahn gekostet, er spuckte aus und blutete aus dem Mund. Und doch lachte er. Er lag auf dem Boden, die Spitzen zweier Speere ruhten auf seiner Kehle, er blutete aus dem Mund. Aber er lachte. Sofort eilte Desmond herbei und fing seinen Hauptmann auf. Andarah, die auf der Mauer stand, schrie laut auf. Doch am schlimmsten hatte es Rajhada erwischt. Sie schrie so laut auf das man es über Meilen hinweg hören konnte. Herbert hielt sie fest, denn sie hatte ihr Schwert gezogen und wollte zu Tobias. Karon sank auf die Knie und ergriff das Heft des Dolches der in seiner Seite steckte. Desmond war nun da und hielt ihn davon ab.
“Du solltest es besser nicht herausziehen, Herr. Das würde alles noch schlimmer machen.“
Karon sah Desmond aus müden Augen an.
“Es tut so verdammt weh, Desmond.“
Desmond nickte. Eine Träne rann ihm an der Wange herab.
“Ja, Herr. Aber wenn du den Dolch herausziehst, dann ist das dein sicherer Tod. Keine Angst, wir kriegen dich wieder hin.“
Karon nickte. Er blickte zu Rajhada, sah sie an und lächelte ihr zu, aber seine Augen waren trüb und leer. Dann schloss er sie und sank in Desmonds Armen zusammen. Rajhada hatte dies alles wütend mitangesehen. Sie hätte dort an Desmonds Stelle sein müssen, sie hätte ihren Liebsten in der Stunde des Todes im Arm halten müssen. Und vor allen Dingen hätte dieser Zeitpunkt in weiter Ferne liegen müssen. Rajhada tobte vor Trauer und Wut, Herbert hatte alle Mühe die rasende Rajhada zu bändigen. Er hatte ihr das Schwert vorsorglich abgenommen und zur Seite geworfen. Sofort war jemand herbeigeeilt und hatte es in Gewahrsam genommen. Herbert sah zu Tobias herüber der noch immer auf dem Boden lag und brüllte laut: “Bringt dieses Stück Scheiße hier weg. Sperrt ihn wieder in die Kammer, bewacht ihn gut. Er wird hängen! Hängen!“
Die Wächter rissen Tobias wieder auf die Beine, drehten ihm die Arme auf den Rücken und schafften ihn fort. Er drehte sich nochmals um, sah auf Karon herab und grinste zufrieden. Das war zuviel. Rajhada riss sich los und gab Herbert einen Stoß der ihn von den Beinen riss. Dies alles und noch viel mehr hatte sie von Karon gelernt. Sie lief auf Tobias zu, stieß die Wächter beiseite und riss dem linken von ihnen den Speer aus der Hand. Tobias drehte sich ruckartig um, sah was passiert war und rannte fort. Er hatte keine Waffe, und diese Frau schien zu allem entschlossen. Er sah sich um, wusste nicht wohin, dann fiel sein Blick auf den Weg der oben hinter der Brustwehr der Mauer entlang führte. Dort standen einige Männer mit Bögen, sie alle waren zu perplex um die Lage einschätzen zu können. Andarah hatte ihren Posten ebenfalls nicht verlassen, doch sie kniete auf dem Boden, hatte ihren Bogen weggelegt und begann zu weinen. Aber etwas Anderes war es was Tobias Aufmerksamkeit erregte. Ganz hinten, am Ende des Ganges, standen Schwerter an die Wand gelehnt. Er erkannte das dies seine letzte Chance war hier lebend rauszukommen, oder wenigstens die Möglichkeit zu haben sich zu verteidigen. Er rannte die schmale Treppe der Burgmauer hinauf, stieß diejenigen die ihm im Weg waren von der Mauer herab und versuchte an die Schwerter zu kommen die am Ende des Ganges lagerten. Merkwürdigerweise wurde er nicht verfolgt, wie er verdutzt feststellte. Er sah nur noch die Schwerter vor sich und rannte so schnell er konnte. Aber er erreichte sie nicht mehr. Noch etwas hatte Rajhada in all den Jahren von Karon gelernt. Das Töten auf Distanz mit nahezu jeder nur denkbaren Waffe. Rajhada stieß einen lauten Kampfschrei aus und schleuderte den Speer in Tobias´ Richtung. Tobias drehte sich kurz zur Innenseite der Stadt um zu sehen was passiert war, da traf ihn der Speer mitten in der Brust. Er taumelte, drehte sich um und sah noch mit tränenden Augen wie seine Männer vor der Stadt Stellung bezogen hatten. Und noch etwas sah er. Er sah wie etwas Großes durch das Unterholz geschoben wurde. Er lächelte ein letztes Mal zufrieden.
“Das Katapult. Wir haben gesiegt.“ Dann sank er leblos zu Boden. Es dauerte nicht lange da kam Rajhada zu ihm empor. Sie ging langsam und bedächtig. Katzenhaft erklomm sie die steile und schmale Treppe. Alle machten ihr Platz und niemand versuchte sie daran zu hindern. Neben Tobias blieb sie stehen. Sie zog den Speer aus seiner Brust und stand triumphierend vor ihm. Das Blut färbte den Schnee rot. Sie stand einfach nur da, ihre Haare und ihr Mantel flatterten im aufkommenden Wind. Sie genoss den Sieg über diesen Mann sehr. Sie brachte ihr ihren Karon zwar nicht zurück, aber die Genugtuung war ihr viel wert. Nach einiger Zeit drehte sie sich um und sah auf das weite Feld vor der Stadt herab. Und was sie dort sah erfreute sie gar nicht. Die Belagerer hatten begonnen mit ihren Schwertern eine Schneise in den Wald zu schlagen, denn sie waren dabei etwas großes durch das dichte Unterholz zu bewegen, und einige Äste hinderten sie daran. Es war das Katapult. Rajhada warf von der Mauer den Speer zu dem Wächter der ihn bisher getragen hatte und eilte die Treppe wieder herunter. Karon hatte man mittlerweile in den Schankraum der Taverne gebracht. Sie rannte über den Hof und in das Gebäude hinein. Karon lag seitlich auf einem langen Tisch, er trug noch immer den Brustpanzer, aber das Schwert hatte man ihm abgenommen und neben ihm auf die Bank gelegt. Herbert, Desmond und einige der Söldner standen in einigem Abstand um den Tisch herum. Rajhada drängte sich an den Leuten vorbei und kniete sich neben den Tisch, so das ihr Gesicht auf einer Höhe mit Karons war. Herbert stand mit verschränkten Armen vor dem Kamin und beobachtete die beiden.
“Ich habe schon nach dem Medikus geschickt, er müsste jeden Moment hier eintreffen. Er hat viel mit den anderen Verletzten zu tun und ließ ausrichten das er der Reihe nach vorgeht. Ein Leben sei soviel Wert wie jedes andere, hat er gesagt.“
Rajhada nickte weinend. Sie sah das Karon noch immer der Dolch in der Seite steckte. Er hatte viel Blut verloren und war sehr blass. Aber er atmete noch.
“Hörst du mich, Liebster?“
Karon öffnete die Augen einen Spaltweit, schloss sie aber sofort wieder. Er nickte langsam. Rajhada ergriff seine schlaffe Hand und drückte sie. Sie spürte nahezu keinen Gegendruck.
“Er könnte durchkommen, schätze ich mal, aber kämpfen wird er vorerst wahrscheinlich nicht.“
“Das Katapult ist da. Es wird nicht mehr lange dauern dann können sie es einsetzen.“
Herbert nickte.
“Einige Stunden werden wir noch haben, der Wald ist gerade an seinem Ausgang sehr dicht bewachsen. Es wird dauern bis sie die Bäume abgetragen haben. Aber wenn es erst einmal soweit ist dann kann sie nichts mehr aufhalten. Wenn sie es abfeuern dann fällt diese Stadt. Wir können sie zwar verteidigen, aber nicht für lange Zeit.“
Karon öffnete den Mund. Er wollte etwas sagen, aber es gelang ihm nicht. Rajhada brachte ihr Ohr ganz nah an Karons Mund. Aber mehr als ein leises keuchen konnte sie nicht verstehen. Dann hörte sie eilige Schritte die den Gang entlang kamen. Es war Horatio, der Medikus. Er legte Rajhada die Hand auf die Schulter, nicht fest aber fordernd.
“Junge Dame, jetzt lassen sie mich mal machen. Und die anderen Herren verlassen bitte den Raum. Außer Herbert. Er soll mir eine Schüssel heißes Wasser bringen.“
Herbert eilte sofort los. Er brachte das Wasser ohne den blöden Spruch den er sonst immer brachte wenn von Wasser die Rede war. Als er wiederkam hatten alle bis auf Horatio und Rajhada den Raum verlassen. Rajhada wollte sich nicht fortschicken lassen. Herbert setzte das Wasser auf die Feuerstelle auf der er sonst immer den Met erhitzte. Langsam wurde das Wasser warm.
“Nicht kochend, Herbert, nur gut heiß.“ Der Medikus drehte sich um und erinnerte sich daran woher Herbert das Wasser holte. “Nun, eigentlich wäre es doch besser wenn du es kochen würdest. Anschließend stellen wir es einige Minuten nach draußen damit es abkühlen kann. Es ist nicht eilig.“
Rajhada hielt noch immer Karons Hand. Sie konnte nicht mit ansehen was der Medikus mit ihrem Liebsten trieb. Als er das Messer herauszog keuchte Karon vor Schmerzen, bäumte sich kurz auf und fiel dann wieder auf den Tisch zurück. In diesem Moment hatte Rajhada in Karons Hand seine Alte Kraft gespürt.
“Wird er wieder gesund?“
Horatio blickte Rajhada von unten herab an. Er nickte und zuckte wenige Sekunden später mit den Achseln.
“Wenn er einen guten Gott hat an den er glaubt, und dieser ihm wohlgesonnen ist, dann vielleicht. Ich tue was ich kann, aber er hat sehr viel Blut verloren. Der Dolch ging tief, aber er hat offenbar kein wichtiges Organ verletzt.“
Rajhada drückte Karons Hand. Herbert nahm den blubbernden und dampfenden Topf vom Feuer und brachte ihn durch den schmalen Gang nach draußen. Als Herbert weg war beugte sich Horatio zu Rajhada herüber.
“Das war übrigens ein ganz ausgezeichneter Wurf, junge Dame.“
Rajhada lächelte gequält und traurig. Dann nahm Horatio Rajhadas freie Hand und drückte sie. Seine Hände klebten vor Blut.
“Keine Sorge. Ich bin sicher das er es schaffen wird.“

***

Andarah und Desmond standen auf dem Tor und blickten heraus auf das Feld wo sich die Belagerer langsam aber stetig postierten. Sie hatten tatsächlich alle Mühe den Wald soweit zu roden das sie mit dem Katapult hindurchkamen. Es würde sicherlich noch einige Stunden dauern bis sie soweit waren, aber wenn es erst einmal soweit war konnte sie nichts mehr aufhalten.
“Warum sollten wir sie nicht ein wenig behindern? Wir könnten dafür sorgen das es länger dauert. Wir bräuchten ihnen nur ihre Pfeile wieder zurückzuschicken.“
Aus Andarah sprach der pure Hass. Sie war es nicht gewöhnt soviel Leid und Tod zu sehen. Auf dem wohlbehüteten Hofe ihres Vaters hatte sie zwar den Umgang mit dem Bogen erlernt, aber sie hatte keine Vorstellung wie viel Schaden er in der Lage war anzurichten. Natürlich hatte sie schon einige Menschen getötet, aber hier herrschte Kriegszustand. Die Verletzten konnten nicht recht versorg werden, die Gefallenen häuften sich in den Kellern. Über allem schwebte der unheilvolle Schatten des Todes.
“Welchen Sinn würde es machen. Unsere Bögen, und wir haben Weißgott nicht viele, sind nicht dazu gemacht Pfeile wie diese über eine so große Distanz in ein so kleines und bewegliches Ziel zu bringen. Es wäre Verschwendung.“
“Verschwendung von was? Verschwendung von Zeit? Zeit haben wir im Überfluss, und doch wird sie knapp. Aber etwas anderes haben wir im Moment nicht zu tun.“
“Nein, Andarah, wir verschwenden Pfeile. Wenn du wirklich glaubst das du mit deinem Bogen diese Pfeile sicher in ein Ziel zu bringen, dann warte ab bis das Ziel auch eines ist. Wenn diese verdammten Schweine erst einmal angreifen wirst du über jeden verfügbaren Pfeil froh sein.“
Andarah blickte zu Tobias´ Leichnam herüber. Er lag noch immer so da wie Rajhada ihn zurückgelassen hatte.
“Warum schlagen wir ihm nicht den Kopf ab und werfen ihn herunter, dann können die sehen zu was wir in der Lage sind.“
Desmond lächelte gütig.
“Sind wir das? Sind wir tatsächlich dazu in der Lage?“
“Karon wäre es“ sagte Andarah trotzig. “Er ist ein Kelte. Die Kelten haben die Köpfe ihrer Feinde als Trophäen mitgenommen und an ihre Unterkünfte gehängt.“
“Ich glaube nicht das Karon so etwas jemals gemacht hat. Und wenn es so wäre, dann ist er sicherlich nicht damit einverstanden das wir seine Trophäe wegwerfen.“
Andarah konnte sich das Lächeln nicht verkneifen. Sie stellte den Bogen weg und fiel Desmond in die Arme.
“Ich hab Angst. Was sollen wir nur tun?“
Desmond drückte Andarah an sich.
“Warten. Das ist alles was wir tun können. Nur warten.“


Horatio hatte alle Mühe mit Karon. Er hatte es geschafft die Blutung zu stoppen, hatte die Wunde gereinigt und verbunden.
“Sie müsste genäht werden, aber dafür fehlt im Moment das Material und die Zeit. Es ist wichtig das der Verband ganz fest aufliegt, habt ihr verstanden? Es muss ein ständiger Druck auf die Wunde ausgeübt werden, sonst wird sie wieder anfangen zu bluten. Wenn wir Frieden hätten würde ich sagen er kann in ein paar Stunden kurz aufstehen damit sein Kreislauf wieder in Bewegung kommt, aber an seiner Stelle würde ich liegen bleiben. Anstrengungen Ich muss fort. Überall in der Stadt werde ich gebraucht. Hier habe ich getan was ich konnte.“
Horatio stand auf, packte die wenigen Dinge die er hatte und begab sich zum Ausgang. Rajhada stellte sich ihm in den Weg.
“Ich wollte euch danken, Medikus.“ Sie reichte dem Arzt die blutverkrustete Hand. Horatio lächelte sie an.
“Danken sie mir nicht. Niemand weiß was noch auf uns zukommt. Möglicherweise wäre er tot besser dran als lebendig, wenn diese Horde vor der Stadt wütend über uns hereinbricht.“
Mit diesen Worten verabschiedete sich Horatio und machte sich auf den Weg zu den nächsten Verletzten. Karon keuchte. Er hatte sich wieder ein wenig gefangen und sich auf die Seite gerollt. Rajhada eilte zu ihm.
“Du hast gehört was der Medikus gesagt hat, Liebster.“
Karon öffnete die Augen einen winzigen Spalt. Er brachte nur mühselig ein paar Worte heraus.
“Was meinst du? Das mit dem Druck der nicht nachlassen darf, oder das ich besser tot wäre?“ Er lächelte. Rajhada hatte einen dicken Klos im Hals, aber sie schluckte ihn so gut es ging herunter. Es gelang ihr nicht ganz. Ihr Unterlippe zitterte beim Sprechen.
“Das mit dem Druck der nicht nachlassen darf. Du wirst wieder gesund.“
Karon blickte Rajhada aus müden Augen an.
“Werde ich das?“
“Ja, aber der Druck auf deiner Wunde darf nicht nachlassen, sonst beginnt sie wieder zu bluten.“
“Hilf mir hoch, ich muss sehen was draußen vor sich geht.“
Karon stützte sich mit dem Ellbogen auf der Tischplatte ab und drückte sich mit aller Kraft hoch, aber alleine gelang es ihm nicht aufzustehen. Er war noch zu schwach.
“Ich bitte dich, bleib liegen.“
“Hilf mir hoch, Rajhada, bitte. Ich will sehen was draußen vor sich geht. Ich will mit eigenen Augen sehen was ich gehört habe. Der Medikus hat gesagt ich kann aufstehen, nur der Druck muss aufrecht erhalten werden.“
“Er sagte du könntest aufstehen wenn Frieden herrschte.“
“Ich höre keine Kampfschreie, hörst du welche?“
Rajhadas Augen füllten sich mit Tränen, eine einzelne lief an ihrer Wange herab. Karon blickte zu Herbert herüber der noch immer an dem Kessel stand.
“Hörst du Kampfschreie, Herbert?“
Herbert schüttelte den Kopf, aber er war nicht glücklich über diese Bewegung.
“Dann helft mir gefälligst hoch. Ich will nur sehen ob es wahr ist.“
“Ob was wahr ist?“ Rajhada versuchte Karon mit ihren Worten am Aufstehen zu hindern. Ihre Stimme klang böse.
“Ob es wahr ist dass dieses verdammte Katapult vor der Stadt steht.“
Herbert antwortete, denn er sah das es Rajhada schwerer fiel als ihm.
“Es ist nicht wahr, Herr Karon. Noch nicht. Aber es wird bald soweit sein. Sie kommen nicht durch den Wald, er ist hier am Ende zu dicht. Sie schlagen eine Schneise hinein, aber es wird noch einige Stunden dauern.“
“Einige Stunden?“ Karon schmunzelte. Ihm gefiel der Zusammenhang. “Es wird einige Stunden dauern bis sie das Katapult so nahe an die Stadt gebracht haben das sie es einsetzen können, und in einigen Stunden kann ich ohne größere Probleme alleine aufstehen. Das trifft sich gut.“ Er lies sich schwer wieder auf den Tisch fallen, rollte sich wieder auf den Rücken und schloss seine Augen.
“Ihr weckt mich wenn es soweit ist, ja? Versprecht es mir. Ich will von euch geweckt werden, nicht von einem der Eisenwölfe.“
Rajhada nickte nur, auch wenn ihr Liebster es nicht sehen konnte. Er schlief auf der Stelle ein.


“Es ist zu sehr verwundet. Er kann nicht kämpfen. Es wäre Wahnsinn wenn er es versuchen würde.“
Desmond stand auf der Mauer und beobachtete was die Angreifer taten. Sie versuchten mit ihren Äxten und Schwertern Bäume zu fällen, aber sie stellten sich recht ungeschickt dabei an.
“Hörst du mir überhaupt zu?“
Desmond sah kurz zu Andarah herüber, wand dann den Blick aber wieder Richtung Wald.
“Warum ignorierst du mich eigentlich?“
Desmond sah Andarah jetzt an. Sein Blick war hart und kalt.
“Er ist nicht irgendein Krieger. Es ist Karon Sturmfels, verdammt noch mal. Du hast ihn nicht kämpfen sehen. Aber ich habe es. Er ist ein verdammt guter Kämpfer.“
“Aber er ist verwundet.“
“Das mag sein, aber er wird alles tun was in seiner Macht steht um diese Stadt zu verteidigen.“
“Aber es liegt nicht in seiner Macht. Nicht mehr. Wir müssen ihn aus der Stadt schaffen solange die Eisenwölfe noch damit beschäftigt sind die Bäume zu fällen.“
“Und was, denkst du, geschieht dann?“
Desmonds Augen funkelten jetzt. Den letzten Satz hatte er beinahe gebrüllt. Andarah war nicht in der Lage dem Blick lange standzuhalten. Sie blickte verlegen auf den Boden und zuckte mit den Schultern.
“Ich werde es dir sagen. Die Eisenwölfe werden das Katapult heranbringen, es auf das Tor abfeuern. Das Tor wird in tausend Teile zerspringen, die Eisenwölfe werden wie eine Naturgewalt über die Stadt herfallen und jeden töten der sich ihnen in den Weg stellt.“
“Und wenn wir nichts unternehmen wird Karon einer dieser Jemande sein der sich ihnen in den Weg stellt.“
Desmond tat so als hätte er die letzte Bemerkung überhört.
“Anschließend werden sie die Häuser besetzen und die Stadt einnehmen, wenn das tatsächlich ihr Vorhaben ist, jetzt wo Tobias Tod ist. Wahrscheinlich werden sie nur ein paar Feuer legen, alles was irgendwie wertvoll ist mitnehmen und die Stadt niederbrennen lassen. Das wird passieren, genau das.“
“Und was könnte Karon daran jetzt noch ändern?“
Nun war Desmond derjenige der mit den Schultern zucken musste. Er sah wieder über die Mauer und beobachtete das Treiben weiter.
“Ihm wird schon etwas einfallen.“
“Dann sollte ihm aber schnell etwas einfallen.“
Karon war wieder erwacht, aber er fühlte sich matter und schwächer als vorher. Der Schlaf hatte ihm keine neuen Kräfte gebracht, sondern alte geraubt. Er sah sich in der Taverne um. Neben ihm saß Rajhada auf dem Stuhl und hielt seine Hand in ihrer. Mit der anderen streichelte sie über Karons behaarten Handrücken. Sie hatte sich nach vorne gebeugt und die Augen geschlossen. Es war totenstill.
“Wie spät ist es?“ fragte Karon leise. Rajhada sah zu ihm auf.
“Oh, du bist wach. Wie geht es dir?“
“Nicht besonders gut. Mit brummt der Schädel.“
“Du hast viel Blut verloren. Du hättest besser nicht soviel getrunken.“
“Ich werde damit aufhören.“
“Das hast du schon zu oft gesagt als das ich dir glauben kann.“ Rajhada lächelte gequält. Es tat ihr weh ihren Liebsten, den Anführer der Assassinen, einen gestandenen Mann der immer eine Würde und Gelassenheit ausstrahlte, dermaßen schlaff und erschlagen zu sehen. Er beugte sich mit letzter Kraft auf und setzte sich. Schlagartig änderte sich seine Gesichtsfarbe und er wurde leichenblass. Ihm wurde schwarz vor Augen, und er legte sich wieder auf den Tisch.
“Verdammt.“
Rajhada nickte. Ihr schossen Tränen in die Augen, aber sie erlaubte nicht das sie flossen. Rasch wischte sie die Tränen mit dem Hemdärmel weg.
“Ich kann nicht kämpfen.“
“Nein, das kannst du nicht.“
“Verdammt.“
Er schloss die Augen wieder. Es war einen kurzen Moment ruhig, dann kamen Schritte näher, nicht rennend, aber recht schnell. Es war Herbert, Rajhada erkannte es bereits am klirren seines Kettenhemdes.
“Es ist soweit. Sie wollen mit dir sprechen.“
“Das ist unmöglich“ warf Rajhada sofort ein.
“Nein, das ist es nicht. Ihr müsst mir nur helfen. Weiter nichts.“
Karon stemmte sich mit aller Kraft auf, blieb einen Augenblick mit gesenktem Haupt und geschlossenen Augen auf der Tischkante sitzen damit sich sein Blutdruck normalisierte. Dann stand er langsam auf. Rajhada stützte ihn. Herbert kam herbei und nahm Karons andere Seite. Zu zweit halfen sie dem verwundeten Hauptmann aus der Taverne. Im Hinausgehen griff Herbert sich noch Karons Schwert und trug es in der anderen Hand. Als sie auf den Hof traten war es als würde die Welt den Atem anhalten. Die übriggebliebenen Stadtwächter und die kampffähigen Söldner hatten sich im Hof versammelt, die Bogenschützen standen auf der Burgmauer. Alle sahen zu Karon. Er hob seinen Kopf und straffte die Gestalt. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Er stand nun gerade, Rajhada und Herbert hatten ihn zwar noch immer unter den Armen gepackt, aber ihre Griffe lockerten sich. Sie stützten ihn nicht mehr, sondern hielten sich nur noch bereit ihn aufzufangen falls er die Kraft verlieren würde. Er stand nun ganz gerade und blickte in die Gesichter der letzten Verteidiger. Er nickte zufrieden und ein leichtes Lächeln umspielte seinen Mund.
“Herbert“, keuchte er. Herbert ging um Karon herum und blieb vor ihm stehen.
“Ja. Ich bin hier.“
“Wo ist mein Schwert?“
“Ich habe es.“
Karon sah Herbert in die Augen. Sein Blick war klar und wach, auch wenn sein Körper kraftlos und schlapp wirkte.
“Dann bitte ich dich es mir zu geben.“
Herbert hielt kurz inne.
“Wenn du meinst. Aber ich würde an deiner Stelle nicht kämpfen.“
“Du bist aber nicht an meiner Stelle.“ Nun brachte Karon seinen Mund ganz nah an Herberts Ohr. “Und zum Glück bist du es nicht. Denn wenn es so wäre, dann wäre diese Stadt verloren. Ich habe nicht vor zu kämpfen, aber das müssen diese verdammten Dreckskerle da draußen nicht unbedingt sehen. Es genügt wenn sie glauben das ich kämpfen werde um ihnen einen gehörigen Schreck einzujagen. Oh, ich wünschte Maraxus wäre hier, dann ständen unsere Chancen besser.“
Herbert reichte Karon sein neues Schwert. Er nahm es, wog es schätzend in seiner Hand ab und hob es dann hoch über seinen Kopf in die Luft.
“Lang lebe der König.“ brüllte Desmond Funkenschlag von der Mauer herab. Es dauerte nur Sekundenbruchteile, und alle Anwesenden stimmten in diesen Ruf mit ein.
“Lang lebe der König!“ brüllte ein jeder der sich auf der Mauer oder im Hof befand. Selbst die Frauen und Kinder erschienen in den Türen und Fenstern ihrer Häuser und stimmten in den Ruf mit ein. Karon lächelte. Er hielt das Schwert noch immer über seinem Kopf. Er spürte wie die Kraft in seine Glieder zurückkroch, aber es war ein trügerisches Gefühl, das war ihm durchaus bewusst.
“Ich bin kein König mehr. Ich bin nur ein Mörder“, flüsterte er. Herbert erwiderte “Ja, vielleicht. Aber genau das ist es was wir im Moment am meisten brauchen.“
Karon nahm das Schwert wieder runter, steckte es in die Schlaufe an seinem Gürtel und wankte über den Hof auf die Treppe zu. Langsam erstieg er sie, Herbert half ihm nach indem er ihn von hinten ein wenig anschob. Als er oben angekommen war trat Desmond gleich an seine Seite.
“Wie geht es dir?“
“Dir geht es besser.“
Desmond lächelte. Karon sah über die Mauer hinweg nach draußen. Die Belagerer hatten das Katapult in Position gebracht und geladen. Karon sah es jetzt mit eigenen Augen. Das Katapult das Maraxus hätte unschädlich machen sollen stand vor der Stadt und war schussbereit. Maraxus hatte offenbar versagt. Wo war Maraxus? War er tot? War er verwundet? Was war geschehen? Zobiak, der Söldner mit den beiden Äxten und der furchterregenden Rüstung kam an die Burgmauer herangeritten. Er hatte die beiden Äxte in Halterungen am Sattel stecken, eine links die andere rechts. Er ritt langsam näher. Schon von weitem rief er : “Ich will mit euch reden.“
Karon hob die Hand und deutete den Bogenschützen an nicht zu schießen. Zobiak war nun so nahe herangeritten das er sich normal sprechend mit Karon verständigen konnte.
“Hört mich an, Karon Sturmfels. Ich komme in Friedlicher Absicht.“
“Ja, natürlich. Was auch sonst? Von euch kann doch nur Frieden und Wohlwollen ausgehen. Mit etwas anderem haben wir gar nicht gerechnet.“
“Spart euch eure dummen Bemerkungen. Ich bin gekommen um mit euch zu reden.“
“Ich wüsste nicht was wir zu bereden hätten.“
“Es ist so. Wie ihr sicherlich seht haben wir im Moment die besseren Argumente. Ein Schuss auf euer Tor und es würde zerschmettern. Und ihr wisst auch ganz gewiss das wir die Stadt im Handumdrehen eingenommen hätten, ohne große Verlust einzustecken. Daher mache ich euch ein Angebot. Ihr öffnet das Tor, verlasst die Stadt, und niemandem wird etwas geschehen. Das ist uns auch lieber. Denn wenn wir erst einmal Feuer gelegt haben müssten wir die Stadt wieder aufbauen um darin wohnen zu können. Ich schenke euch eure Leben, wie gefällt euch das Angebot?“
“In der Tat, verlockend. Aber wie kommt ihr darauf das wir euch vertrauen? Ihr seit nicht gerade ein glaubwürdiger Mensch.“
Zobiak schmunzelte.
“Das mag richtig sein, Herr Sturmfels, aber dir Frage lautet ja wohl nicht ob ihr mir vertrauen könnt sondern ob ihr es euch erlauben könnt mir nicht zu vertrauen. Ach, übrigens. Das Angebot die Stadt zu verlassen gilt nicht für Tobias Eisenglut.“
Karon warf einen Blick auf den kopflosen Kadaver, der noch immer im blutroten Schnee lag.
“Das wäre auch nicht möglich. Aus eigener Kraft wäre er sicher nicht mehr in der Lage die Stadt zu verlassen.“
Zobiak überlegte kurz.
“Ihr habt ihn also bereits selbst umgebracht? Nun ja, wie könnte ich euch das übel nehmen. Dann sind wir ja quitt. Ihr habt einen von uns getötet, und wir einen von euch. Also gut. Das wäre es dann. Öffnet das Tor, verschwindet und alle werden mit dem Leben davonkommen.“
Karon sah in den Hof hinunter. Die Söldner und Stadtwächter waren gut bewaffnet. Sie waren bereit zu kämpfen, und sie waren bereit zu sterben. Und das würden sie, denn dieser Kampf war von vorneherein aussichtslos.
“Gebt mir Zeit um darüber nachzudenken.“
Zobiak ritt mit seinem Pferd von links nach rechts.
“Ihr habt Zeit bis zum Sonnenuntergang. Dann werdet ihr das Tor öffnen. Oder wir werden es tun.“
Dann wendete Zobiak sein Pferd und preschte in vollem Ritt wieder zurück zu seinen Söldnern. Bis Sonnenuntergang waren noch zwei Stunden Zeit.

***

Der rotglühende Sonnenball näherte sich mehr und mehr dem Boden. Wenn die Sonne untergegangen wäre, so würden die Eisenwölfe ihr Katapult abfeuern und das Stadttor zerschmettern. Sie würden treffen, soviel war absolut sicher. Mit dieser Waffe war es nahezu unmöglich nicht zu treffen. Nun war erst einmal Waffenstillstand, aber nur für kurze, sehr kurze Zeit. Karon saß am Kopf des Tisches in der Schankstube, Rajhada saß zu seiner Rechten. Links neben ihm saßen Desmond, daneben Andarah und Herbert. Neben Rajhada saß Ded. Nun hieß es Kriegsrat halten und entscheiden was zu geschehen hatte. Niemand wollte die Stadt so ohne weiteres preisgeben, zumal es ohnehin nicht so kommen würde wie Zobiak es versprochen hatte. Die Eisenwölfe waren blutgierige Söldner die ihren Spaß daran fanden wehrlose Menschen abzuschlachten. Nur eines machte ihnen noch mehr Spaß: Menschen abzuschlachten die sich wehrten. Niemals würden sie die Bürger einfach so abziehen lassen. Die Stadt verteidigen konnten die wenigen kampffähigen Männer allerdings auch nicht, erst recht nicht wenn das Tor erst einmal in Trümmern lag.
“Wir müssen nur verhindern das sie das Tor zerstören, oder irgendeinen anderen Weg in die Stadt finden. Wenn uns das gelingt, können wir einen Sieg erringen“ sagte Ded.
“Einen Sieg? Und was stellst du dir unter einem Sieg vor? Nur weil sie da draußen stehen und wir hier drinnen sind kannst du noch nicht von einem Sieg reden. Sieg würde bedeuten das wir diese verdammten Hund los wären. Aber wir werden sie nicht los, es sei denn wir töten sie“ erwiderte Herbert.
“Töten? Wie willst du mit den Paar Mann die wir hier haben gegen ein solches Heer zu Felde ziehen und einen nach dem anderen Töten?“ Deds Worte waren laut und erregt.
“Für das Töten haben wir doch schließlich einen Spezialisten hier. Karon, was schlägst du vor?“
Die Blicke richteten sich nun auf Karon der bisher auf seinem Stuhl gesessen und nichts gesagt hatte. Er hatte die Arme verschränkt und sog langsam an seiner Pfeife. Er blies mit spitzen Lippen den blauen Rauch aus und sah dabei zu wie er sich über den Köpfen der Anwesenden verteilte.
“Was ich dazu sage? Was wollt ihr denn von mir hören? Sicher, ich könnte gehen und sie töten, einen nach dem anderen, allerdings nicht in so großer Anzahl. Meine Künste verstehen sich darauf aus dem Schatten zuzuschlagen, schnell zu handeln und effektiv zu töten. Es handelt sich um Attentate. Hier ist jedoch kein Attentat von Nöten, sondern ein Feldzug gegen eine waffenstarke Armee die schon viele Kämpfe ausgefochten hat. Ihr braucht einen Heermeister, keinen Assassinen. Das ist meine Meinung.“
“Aber das seid ihr doch, oder etwa nicht? Immerhin seit ihr ein König, wenn auch ohne Volk.“
“Ihr sagt es, Ded. Ein König ohne Volk ist nichts anderes als ein Bettler ohne Unterkunft. Ich kann vielleicht ein Volk in den Krieg führen, vielleicht sogar zum Sieg. Aber es gibt hier weder ein Volk noch eine geeignete Armee.“
“Die Söldner stehen fest hinter dir.“
“Und wie viele sind es, Ded? Sind es Zwanzig, oder sind es weniger? Selbst mit den Paar Wächtern die noch in der Lage sind zu kämpfen wäre es aussichtslos. Es wäre sogar aussichtslos wenn all eure Söldner noch unverwundet wären.“
“Ihr schlagt also vor zu kapitulieren?“
Karon sog wieder an seiner Pfeife. Diesmal blies er den Rauch jedoch nicht aus sondern sprach los, wobei ihm der Rauch zusammen mit den Worten aus dem Mund quoll. Es hatte etwas mystisches an sich.
“Nein. Kapitulation kommt ebenfalls nicht in Frage. Wir müssen uns etwas einfallen lassen, und zwar schnell.“
“Aber was? Wir sind alleine, niemand kommt uns zur Hilfe. Selbst wenn die Nachbarprovinzen von unserer Lage wüssten, so würde es sie doch nicht interessieren. Sie sind mit ihren eigenen Belangen genug ausgelastet. Und der Graf ist nicht unbedingt ein Mann dem man selbstlos zur Hilfe eilen würde.“
“Was ist mit den Barbaren aus dem Norden?“ fragte Desmond. Alle sahen ihn an. Es herrschte einige Augenblicke fragendes Schweigen.
“Was soll mit den Barbaren sein? Ich weiß gar nicht wovon ihr sprecht“ fand Herbert als erster Worte.
“Ötsch und Boron, es waren doch Barbaren aus dem Norden. Und wo sie hergekommen sind gibt es sicherlich auch noch mehr. Soweit ich weiß lassen sie es sich nicht so ohne weiteres gefallen wenn zwei ihrer Brüder so ermordet werden wie sie.“
Karon sah Desmond an.
“Ja, die Barbaren sind eine Sache für sich. Selbst wenn die Eisenwölfe heute niemanden aus ihrem Geblüt getötet hätten, so hätten sie doch sicherlich noch die ein oder andere Fehde mit ihnen. Immerhin waren sie es die sie damals aus ihrem Land vertrieben haben. Aber leider sind sie weit verstreut, und wir wissen weder wo sie sich aufhalten, noch wer zu ihnen gehört. Maraxus wüsste es wahrscheinlich, aber leider wissen wir nicht was mit ihm ist. Er könnte tot sein, vielleicht schlimmeres.“
Karon sah betrübt auf den Tisch. Desmond ließ sich jedoch nicht so leicht von seiner Idee abbringen.
“Man erkennt sie an ihrer starken Statur und der enormen Größe. Es dürfte kein Problem sein einen Boten nach ihnen zu entsenden.“
“Wenn es danach geht könnten einige der Eisenwölfe auch zu dem Barbaren gehören. Abgesehen davon wüsste ich nicht wie wir sie benachrichtigen sollten. Ein Bote käme zu spät, selbst wenn wir ihn gestern geschickt hätten. Er wüsste ja nicht einmal wo er suchen sollte. Außerdem, wenn die Barbaren in der Nähe wären, so hätte Maraxus sie sicherlich bereits mobilisiert. Er wusste was auf uns zukommen würde, und er hat nichts unternommen.“
Herbert stand auf.
“Also, das spielt im Moment keine Rolle. Wir sind auf uns allein gestellt, so sieht es nun einmal aus. Wenn diese Bastarde in einer Stunde das Katapult auf das Tor abschießen sind wir erledigt.“
Karon hatte diesen Punkt schon die ganze Zeit in seinen Gedanken durchgespielt. Er hatte eine Idee, aber die war mehr als riskant.
“Nicht unbedingt“ sagte er schließlich. Er sog wieder an seiner Pfeife. Diesmal lies er sich Zeit mit dem Auspusten. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Die Spannung war förmlich spürbar.
“Wir sind nur erledigt wenn das Katapult das Tor beim ersten Schuss zerstört. Einen Zweiten gibt es nicht.“
“Aber genau das wird es tun. Das Tor ist nur aus Holz, es wird dem Schuss nicht standhalten. Herrje, diese verdammte Maschine wäre sogar in der Lage ein Loch in unsere Mauer zu reißen, und die ist aus massivem Stein.“
“Ja, aber das wäre zu riskant. Sie werden auf das Tor schießen, und wenn der erste Schuss keinen Erfolg hat, dann ist die Waffe nutzlos. Einen Zweiten Schuss kann das Ding nicht abfeuern.“
“Aber warum sollte der erste Schuss keinen Erfolg haben? Du hast doch selbst gesagt das man mit diesem Ding auf keinen Fall das Ziel verfehlt.“
“Das ist richtig. Aber wer sagt denn dass das Katapult das Ziel verfehlt?“
“Ich kann dir nicht ganz folgen.“
“Wenn gar kein Ziel da ist, dann kann das Katapult auch keines zerstören.“
Herbert sah Karon fragend an, die anderen verstanden ebenfalls nicht worauf Karon hinaus wollte.
“Willst du die Stadt einfach so verschwinden lassen?“
“Nein. Ihr versteht nicht. Es ist doch ganz einfach. Wenn das Tor nicht in der Schussbahn des Geschosses ist, dann wird das Geschoss das Tor nicht zerstören, klar?“
“Ja, sicher. Aber wie willst du das denn anstellen? Das Tor ist da, und du kannst es nicht verschwinden lassen. Und wenn du es verschwinden lassen würdest dann würden sie auf die Mauer schießen, und dafür müssten sie nicht einmal besonders gut zielen.“
“Nein. Aber sie zielen genau auf das Tor.“
“Und weiter?“
“Wenn wir das Tor nicht zum Hindernis machen wenn das Geschoss ankommt, dann wird es auch nicht zerstört.“
“Verdammt noch mal. Ich kann dir immer noch nicht folgen. Sprich doch bitte in verständlichen Sätzen.“
Rajhada schien zu begreifen.
“Ich glaube ich weiß was Karon meint.“
Karon lächelte Rajhada an und legte die Hand auf ihr Knie.
“Natürlich. Wir verstehen uns eben.“
“Könntest du es dann vielleicht Gütigerweise auch uns anderen erklären“ forderte Ded.
“Wenn sie das Katapult abfeuern, wird das Geschoss auf das Tor zurasen. Wenn das Tor getroffen wird dann wird es zerstört. Aber wenn kein Tor da ist, dann kann es auch nicht zerstört werden. Wir müssen nur das Tor aus der Schusslinie verschwinden lassen.“
“Und wie willst du das Tor verschwinden lassen?“
Karon grinste breit. Er sog wieder an seiner Pfeife, spitzte die Lippen und blies einen dünnen Rauchstrahl aus.
“Wir öffnen es einfach.“
Stille. Absolute Totenstille. Die Anwesenden wussten nicht was sie sagen, nicht einmal was sie denken sollten. Herbert fand als erster Worte.
“Du meinst wir sollen das Tor öffnen?“
“Sobald sie das Katapult ausgelöst haben, ja.“
“Und dann wird das Geschoss nicht das Tor treffen sondern ins Leere gehen.“
“Das ist mein Plan.“
Ded sprang auf. Er war bisher noch recht ruhig gewesen, angesichts seines erhitzten Gemüts. Nun platzte alles auf einmal aus ihm heraus.
“Das ist der größte Wahnsinn der mir je untergekommen ist. Wenn wir das Tor aufreißen, dann ist es auf, es dauert eine gewisse Zeit bis es wieder geschlossen und verriegelt ist. Und selbst wenn, was wenn wir das Tor nicht schnell genug aufbekommen, und ich gehe davon aus das wir es nicht schnell genug aufbekommen, dann trifft das Geschoss immer noch. Außerdem können wir es uns nicht leisten kampffähige Männer am Tor zu postieren die es öffnen wenn das Geschoss heranfliegt. Sie würden sich damit der Gefahr aussetzen selbst getroffen zu werden. Es tut mir leid das sagen zu müssen, Herr Sturmfels, aber diese Idee kann nur einem kranken Geist entsprungen sein.“
“Und genau aus diesem Grund kann es funktionieren. Niemand rechnet damit.“
“In der Tat rechnet niemand damit das wir so etwas dummes tun.“
Herbert trat einen Schritt in den Raum, er ging langsam auf und ab.
“Die Idee ist nicht einmal so schlecht wie sie sich anhört.“
“Was?“ brüllte Ded. “Das ist ja wohl ein Witz. Das ist das dümmste was ich je gehört habe.“
Herbert nickte.
“Ja, vielleicht. Aber so schützen wir unser Tor. Und ganz nebenbei setzen wir damit ihr Katapult außer Gefecht.“
Andarah kam eine Idee.
“Das Katapult außer Gefecht setzen, das ist es.“
“Das ist was?“
“Es braucht sich doch nur einer durch den Geheimgang in ihr Lager zu schleichen und das Katapult außer Gefecht zu setzen.“
“Und wer, bitte schön, soll das machen? Das Katapult wird bewacht, und es steht mitten unter ihnen. Ihr würdet nicht ungesehen hineinkommen. Und wenn ihr es dennoch schafft, wie wollt ihr es außer Gefecht setzen?“
“Es müsste nur abgefeuert werden, dann wäre es nicht mehr zu gebrauchen.“
“Es ist genau auf das Tor ausgerichtet, und ein Mann alleine kann das Katapult nicht so großartig anders einstellen das es die Stadt verfehlen würde. Das ganze Gerät müsste verschoben werden, und das wird niemand von uns schaffen.“
Andarah blickte ein wenig traurig auf den Tisch.
“Und was wäre wenn Herr Sturmfels oder einer seiner Attentäter herausschleicht und den tötet der diese Teufelsmaschine bedient?“
“Jeder kann diese Teufelsmaschine bedienen, das ist ja gerade das Schlimme.“
Karon sprach, diesmal lauter und drängender als zuvor.
“Es ist so wie ich gesagt habe. Wir öffnen das Tor. Das ist die einzige Chance die wir haben.“
“Dann können wir auch kapitulieren. Dann kommen wir wenigstens mit dem Leben davon.“
“Ach, glaubt ihr wirklich? Ich sage euch, diese Männer werden keinen von uns gehen lassen.“
“Nein.“
“Also“, sagte Karon leise. “Dann ist es beschlossen. Sobald sie das Katapult auslösen reißen wir das Stadttor auf. Das Geschoss geht ins Leere, wir schließen das Tor wieder...“
“...und stehen genauso da wie jetzt auch.“ warf Ded ein.
“Nein, nicht ganz. Dann können wir in aller Ruhe unseren Richtigen Plan in die Tat umsetzen.“
“Was denn für einen Richtigen Plan?“
Karon lächelte. Und dieses lächeln verhieß etwas besonders gerissenes.

***

Nachdem Karon seinen Plan erläutert hatte und auf allgemeine Zustimmung gestoßen war begannen Ded und Herbert alle noch kampffähigen Männer zu mobilisieren. Jeder der nicht zu verletzt war um ein Schwert zu halten postierte sich im Hof vor dem Stadttor. Ded, Karon, Desmond und die Bogenschützen standen oben auf dem Tor und sahen dabei zu was die Eisenwölfe trieben. Sie schienen einfach nur dazustehen und abzuwarten. Als sie sahen das Karon wieder auf der Mauer stand brachten sie Zobiaks Pferd herbei. Zobiak stieg mit Hilfe von zwei seiner Männer auf und kam zum Tor geritten. Er hatte zwar seine Waffen am Sattel befestigt, machte allerdings keine Anstalten sie zu ziehen. Es hätte ihm auch nichts gebracht, denn mit gezogenen Waffen hätte man ihn sofort erschossen, auch wenn er dort wo er sich momentan befand keine Gefahr darstellte. Er hob die Hand wie zum Gruße und ritt auf Hörweite an das Tor heran.
“Ich sehe das ihr euch entschieden habt. Allerdings sieht es nicht so aus als würdet ihr uns die Stadt überlassen.“
“Nicht ohne einen Kampf, nein“ schrie Karon.
“Nun gut, dann soll es also so sein. Wisset das ich nicht bereit bin Gnade walten zu lassen, wenn ihr so uneinsichtig seid.“
“Wisset das wir euch von hier oben mit Leichtigkeit erschießen können, wenn dies mein Wunsch wäre.“
Zobiak grinste frech.
“Ja, aber das würde doch nur halb soviel Spaß machen, nicht wahr?“
“Nur halb soviel Spaß im Gegensatz zu was?“
“Zu einem offenen Kampf. Ein offener Kampf, Mann gegen Mann. Ihr, Karon Sturmfels, gegen mich. Der Sieger bekommt alles.“
Karon grinste zurück.
“Ihr lasst nichts unversucht das wir das Stadttor freiwillig öffnen, nicht wahr? Mir kommt der Gedanke ihr wollt gar nicht kämpfen. Kann es sein das ihr eure Wunderwaffe nicht einsetzen wollt weil ihr nicht wisst wie man damit umgeht?“
Zobiaks Grinsen verschwand aus seinem Gesicht und machte beleidigter Ehre platz.
“Wir werden euch zeigen das wir das Katapult beherrschen, und dann werden wir euch zeigen das wir das Schwert beherrschen. Und dann, elender Meuchler, werde ich euch persönlich zeigen was ich noch alles beherrsche.“
“Tut mir leid, junger Mann, aber ich denke nicht das ich mit euch tanzen möchte. Das war es doch was ihr mir zeigen wolltet, oder etwa nicht?“
Die Männer auf der Burgmauer lachten, und sie lachten Zobiak aus. Er wusste nicht was er darauf antworten sollte. Er war sauer, er war erzürnt. Das war ein Teil von Karons Plan. Jemand der wütend und erzürnt war neigte dazu Fehler zu machen. Zobiak wendete sein Pferd und gab ihm die Sporen. Er gab seinen Männern ein Zeichen, woraufhin sich einige von ihnen zu dem Katapult begaben, während andere ihre Waffen zogen und wieder andere auf ihre Pferde stiegen. Auch Karon gab ein Zeichen. Er drehte sich zum Innenhof um und hob die Hand. Sechs starke Männer begannen das Tor zu entriegeln und öffneten es einen winzigen Spalt, gerade soweit das es offen war, kaum sichtbar von außen. Anschließend packten jeweils drei der Männer einen Torflügel und machten sich bereit das Tor auf Karons Befehl hin aufzureißen. Die Restlichen Verteidiger der Stadt standen hinter dem Tor, bildeten jedoch eine Gasse für das Geschoss. Sie hatten ebenfalls ihre Waffen gezogen. Es waren gerade noch Dreiundzwanzig Männer, und nur Vierzehn von ihnen waren gänzlich unverletzt. Karon sah sich sein letztes Aufgebot an. Verglichen mit den Eisenwölfen war es ein lächerliches Grüppchen. Herbert kam über aus der Taverne über den Hof gerannt, hob den Daumen der Rechten Hand und zeigte ihn Karon. Dann zog er sein Schwert und eilte zu den Restlichen Kämpfern. Karon war zufrieden. Er klopfte auf Deds Schultern, worauf sich dieser straffte. Er hatte jetzt die Befehlsgewalt, ganz so wie es abgesprochen war. Karon wand sich zu Desmond und nickte. Desmond setzte sich in Bewegung und sprang behände die schmale Treppe herunter. Karon drängte sich an Ded vorbei und ging zu Andarah. Sie hatte ihren Bogen in der Hand, ein Pfeil lag auf der Sehne, aber sie hatte den Bogen noch nicht gespannt.
“Also, alles Gute.“
“Das klingt nicht gut.“
“Was sollte ich sonst sagen?“
Andarah blickte zu Karon.
“Wie wäre es mit Wir sehen uns? Oder Bis Bald?“
“Klar. Wir sehen uns. – Bald. Viel Glück.“
“Glück brauche ich nicht.“
Karon grinste Andarah an.
“Nein, das brauchst du wirklich nicht. Jedenfalls nicht wenn es ums Bogenschießen geht.“
Damit wand sich Karon von Andarah ab, ging an Ded vorbei und stieg ebenfalls die schmale Treppe herab. Desmond wartete auf ihn am Ende der Treppe.
“Also gut, dann mal los.“
Die beiden eilten über den Hof und steuerten geradewegs auf die Taverne zu. Karon machte dabei einen Schlenker an den wartenden Kämpfern vorbei und nickte ihnen zu. Sie hatten Angst, aber wenn Karons Plan aufging, dann brauchten sie die nicht zu haben. Karon und Desmond erreichten die Taverne und eilten schnellen Schrittes in den Schankraum. Dort wartete bereits Rajhada vor dem offenen Geheimgang. Sie nickte Karon und Desmond zu. Karon sah auf den Gang, blieb stehen und drehte sich nochmals zum Ausgang hin um. Desmond war derweil bereits in dem Tunnel verschwunden. Rajhada ging zu ihrem Liebsten und legte ihm die Hand auf die Schulter.
“Es ist keine Flucht. Es ist nicht einmal ein Sich-in-Sicherheit-bringen.“
“Ich lasse diese Männer da draußen allein. Ich überlasse sie ihrem Schicksal.“
“Nein, das tust du nicht. Du nimmst ihr Schicksal in die Hand. Wenn dein Plan aufgeht, dann ist es ihre einzige Chance davon zukommen.“
Karon blickte Rajhada in die Augen. Die seinen hatten sich mit Tränen gefüllt.
“Und was wenn er nicht aufgeht?“
“Dann haben wir alles in unserer Macht stehende getan.“
Karon nickte, wischte sich die Tränen fort und trat ebenfalls in den Tunnel. Gleich darauf folgte Rajhada und schloss die Geheimtür hinter sich. Die Assassinen waren nun in dem Tunnel der sie vor nicht einmal einem Tag in die Stadt hineingebracht hatte und waren nun in der anderen Richtung unterwegs. Karons Plan war gut durchdacht gewesen, aber er barg dennoch ein gewisses Risiko. Und das war sogar noch weit untertrieben.


Die Sechs Männer die am Tor standen zitterten wie Espenlaub. Sie hatten mit Abstand die gefährlichste Aufgabe. Alle starrten wie gespannt auf Ded der dort oben auf der Mauer stand und hinter seinem Rücken die offene Hand zeigte. Ded wiederum starte angespannt über die Mauer auf das Katapult. Die Männer warteten darauf das Ded die Hand zu einer Faust ballte, das war ihr verabredetes Zeichen. Daraufhin würden sie das Tor so schnell es ging aufreißen, warten bis das Geschoss durch das geöffnete Tor geflogen kam und anschließend das Tor wieder so schnell es ging schließen und verriegeln. Die kampffähigen Männer hatten nur die Aufgabe eventuell heranpreschende berittene Soldaten zurückzudrängen, oder sogar zu töten, wenn sie sich nicht verdrängen ließen. Die Fußsoldaten wären sicher nicht schnell genug gewesen, aber Reiter könnten es schaffen, wenn sie gleich reagierten. Die Anspannung war nahezu unerträglich. Ded zitterte ebenfalls. Er wusste nicht wie lange es dauerte bis das Geschoss sein Ziel erreicht hatte, aber er hoffte das genug Zeit verging um das Tor zu öffnen. Wenn nicht – daran wollte er gar nicht denken. Fast all seine Gedanken waren nur auf das Katapult und die Männer die es bedienten gerichtet. Nur ein winziger anderer Gedanke spukte in seinem Kopf herum. Dieser beschäftigte sich mit Karon, den letzten beiden Assassinen die bei ihm waren, und um deren mehr als tollkühnen Plan. Karon hatte Andarah Glück gewünscht, aber er selbst war es der Glück brauchte. Und Glück alleine, so dachte Ded sich, würde ihm nicht genügen.


Zobiak war nun bei seinen Männern angekommen, gab ihnen ein Zeichen worauf die Fußsoldaten sich langsam in Bewegung setzten. Er ritt zu den Übrigen Reitern.
“Worauf warten wir noch? Das Katapult soll endlich den Weg frei machen, Zobiak. Gib den Befehl zu schießen, ich will noch heute nacht in einem warmen Bett schlafen das ich mir redlich erkämpft habe.“
“Sicher, Broak, sicher. Und wahrscheinlich willst du dein Nachtlager mit einer Schlampe teilen die du dir redlich gefügig gemacht hast?“
Broak, ein großer Mann mit struppigen, fettigen Haaren und einem langen ungepflegten Bart grinste Zobiak zahnlos an.
“Du hast es erfasst. Weiber die sich wehren sind mir ohnehin am liebsten. Ich finde es richtig geil wenn sie dabei zappeln.“
“Du wirst schon noch dein Zappelndes Weibsbild bekommen, Broak. Aber zuerst einmal gilt es Narren abzuschlachten die sich zur Wehr setzen.“
Broaks Grinsen wurde noch breiter als es ohnehin schon war.
“Ja, das ist mir beinahe sogar noch lieber als das andere.“
Zobiak lachte. Broak lachte auch. Die beiden verstanden sich, sie waren beide verrückt genug laut lachend in eine Gruppe bewaffneter Kämpfer zu reiten und jauchzend vor Freude das Schwert in deren Fleisch zu bohren.
“Also los. Worauf warten wir noch, Zobiak. Lass uns anfangen. Mein Schwert verlangt nach Blut.“
“Und es wird welches bekommen, aber noch nicht. Irgendetwas stimmt da nicht.“
“Was meinst du damit?“
“Sie machen nicht den Eindruck als ob sie sich fürchten. Sie sind zu ruhig. Irgendetwas planen sie, da bin ich sicher.“
Broak sah nervös zum Stadttor hin, dann warf er einen Blick auf das schussfertige Katapult. Es stand da und wartete nur darauf das man es auslöste. Oder etwa nicht?
“Es könnte etwas mit den Morden zu tun haben.“
“Blödsinn, Peet hat einfach nicht aufgepasst. Er ist tot, na und? Dieser Meuchler hat ihn getötet, und Groul hat ihn daraufhin getötet. Sie hätten einen besseren schicken sollen, dann hätten wir dumm dagestanden, aber jetzt stehen sie dumm da. Und um diesen Idioten ist es nicht weiter schade. Aber das ist es nicht. Dieser Karon hat ganz schön blöd geschaut als er das Katapult gesehen hat. Hat eben gedacht das sein Angriff Erfolg gehabt hat. Musste wohl erkennen das seine Meuchler nicht einmal in der Lage sind zwei einfache Wagenfahrer von uns zu beseitigen, obwohl sie im Vorteil waren.“
“Was ist denn dann nicht in Ordnung?“
“Diese Leute da drinnen sind einfach zu ruhig.“
“Und was schlägst du vor?“
“Ich will kein Risiko eingehen. Warten wir bis unsere Männer am Tor sind, dann schießen wir es auf und stürmen gleich hinein. Das ist das Sicherste. Wir gehen ihnen gar nicht erst die Chance eine Neue Barriere aufzubauen.“
“Und wenn sie die schon aufgebaut haben.“
“Dann wird das Katapult sie mit wegfegen.“
Zobiak ritt zu dem sich langsam der Stadt nähernden Fußsoldaten. Er ritt an deren Spitze und brüllte “Schneller. Wir schießen das Tor auf wenn ihr an der Mauer seit. Sobald es auf ist stürmt ihr die Stadt. Lasst keinen am Leben, auch keine Kinder und Frauen, es sei denn sie gefallen euch und ihr habt noch etwas besseres mit ihnen vor. Vergesst nicht, versucht die Bauten so gut es geht zu schützen. Denn schon morgen sind alle Häuser in der Stadt unser Eigentum, und ich möchte nicht das unser Eigentum beschädigt wird.“
Die Männer stimmten mit einem lauten Grölen zu und setzten sich nun schneller in Bewegung. Zobiak ritt zu dem Katapult und blieb neben dem Mann stehen der es bediente. Es war Groul, der Mann der Maraxus erschossen hatte. Zobiak hatte ihn bisher noch nicht gesehen, es war einfach keine Zeit gewesen. Groul und Peet hatten nur die Aufgabe das Katapult hierher zu bringen, man hatte versucht sie aufzuhalten, aber Groul war schneller gewesen.
“Gute Arbeit, Groul. Wir warten noch ab. Sobald die Männer am Tor sind schießt du.<
“Ja.“
Groul hatte seine Rüstung an. Er trug darüber hinaus die Kettenhaube und einen Helm darüber, dessen Visier geschlossen war.
“Das Katapult steht gut? Du triffst doch wohl das Tor, oder etwa nicht?“
Groul nickte.
“Sicher treffe ich. Wäre ja gelacht.“
Irgendetwas stimmte nicht. Zobiak kannte Groul nicht besonders gut. Er war überhaupt noch nicht lange bei den Eisenwölfen, ein Ruhiger Typ, aber irgendetwas stimmte trotzdem nicht.
“Warum ziehst du nicht den Helm aus, dann kannst du besser zielen.“
“Ich treffe auch so.“
Zobiak wurde misstrauisch. Die Stimme kannte er irgendwoher, und sie klang so gar nicht nach den Eisenwölfen. Sie klang dumpf und rau, aber das konnte an dem Helm liegen.
“Ich glaube du hast nicht ganz verstanden. Als ich dir sagte du sollst den Helm ausziehen, da war das keine Bitte. Und auch kein Vorschlag. Zieh ihn aus. Sofort.“
Groul sah Zobiak an. Langsam hob er die Hände an den Helm um ihn abzunehmen. Zobiak hatte mit der Rechten bereits den Griff seiner Axt gepackt. Langsam hob Groul den Helm an und schob ihn über seinen Kopf. Nun war das Gesicht zu sehen. Zobiak kannte es irgendwoher, aber er konnte nicht sagen von wo. Er wollte nicht ausschließen das es sich um einen der Eisenwölfe handelte. Er sah Groul fragend an.
“Ich wollte nur in das Gesicht des Mannes sehen der das Katapult so heldenhaft verteidigt hat. Du bist noch nicht lange bei uns, aber Tobias fand du wärst ein Guter Mann. Wir kennen uns noch nicht persönlich, nicht wahr Gronk?“
“Nein, wir kennen uns nicht.“
Zobiak lächelte. Er zog seine Axt und hielt sie an Grouls Hals.
“Sieh mal einer an. Wer hätte das gedacht. Wir kennen uns zwar nicht, aber im Gegensatz zu dir weiß ich wenigstens deinen Namen, und der lautet nicht Gronk.“

***

Es hatte wieder angefangen zu schneien. Fast lautlos sanken die weißen und kalten Flocken auf die heraufnahende Schlacht nieder. Angespannt stand Ded auf der Stadtmauer und beobachtete das Geschehen vor der Stadt. Irgendetwas war geschehen, er wusste nicht genau ob er es gut oder schlecht finden sollte, aber etwas ging im Lager des Feindes vor sich. Etwas das der Feind nicht geplant hatte. Wobei er sicher sein konnte das er es schlecht fand war die Tatsache das sich die Fußsoldaten mehr und mehr der Stadtmauer näherten. Wenn sie erst einmal nahe genug ran waren dann konnte Karons Plan das Tor aufzureißen und gleich wieder zu schließen nicht funktionieren. Er überlegte kurz ob es Sinn machen würde das Feuer zu eröffnen, aber er erkannte schnell das dies keinen Sinn machen würde, denn die Angreifer waren bei weitem zu zahlreich.
“Sieh mal einer an. Wer hätte das gedacht. Wir kennen uns zwar nicht, aber im Gegensatz zu dir weiß ich wenigstens deinen Namen, und der lautet nicht Gronk.“
Der Mann, der eben noch Gronk gewesen war, verlor auf einen Schlag alle Farbe aus dem Gesicht. Jedenfalls fast, denn die Farbe die sein Gesicht jetzt bot war die Gleiche wie der fallende Schnee hatte. Er hatte allerdings auch nicht die Gelegenheit zu fliehen oder sonst etwas zu unternehmen, denn Zobiaks Axtschneide befand sich an seinem Hals, und zwar an einer Stelle welche von der Kettenhaube nicht mehr geschützt war.
“Und nun“, fing Zobiak an “nun wollen wir doch mal sehen wer du bist und was du vorhattest. Tritt von dem Katapult zurück.“
Der Fremde trat einige Schritte auf Zobiak zu, jetzt war es ihm nicht mehr möglich das Katapult zu berühren. Zobiak rief, ohne seinen Blick von dem Fremden zu nehmen, nach einem Mann namens Horth, der auf einem Pferd weiter hinten bei den anderen Reitern saß. Horth setzte sein Pferd sofort in Bewegung und ritt zu den beiden Männern am Katapult.
“Was ist los, Herr?“
“Kennst du diesen Verräter?“
Horth musterte den Fremden der mit erhobenen Händen und Zobiaks Axt am Hals vor ihm stand von Kopf bis Fuß. Er schürzte die Lippen und schüttelte mit dem Kopf.
“Nein, Herr. Aber ich kenne lange nicht jeden von uns. Seit Tobias ständig neue Söldner rekrutiert fällt es schwer jeden zu kennen.“
“Gehört er zu uns?“
“Da bin ich nicht sicher.“
Zobiak hob mit der Schneide seiner Axt unter dem Kinn des Fremden dessen Kopf ein wenig an.
“Kenne ich dich? Gehörst du zu uns, oder tust du es nicht? Jedenfalls bist du nicht der für den du dich ausgibst. Wer bist du?“
“Ich bin einer von euch, Herr.“
“Bist du das? Und wie kommt es das du deinen eigenen Namen nicht kanntest?“
“Ich habe ihn nicht richtig verstanden. Der Helm, Herr. Er dämpft die Geräusche von außen.“
“Also gut. Wenn das so ist, dann will ich dir glauben. Aber nur wenn du mir sagen kannst wie dein Name ist.“
Der Fremde schaute Zobiak ängstlich an. Sein Kopf war in den Nacken gelehnt, er musste also die Augen verdrehen um Zobiak ins Gesicht sehen zu können.
“Was ist los? Hast du deinen Namen vergessen?“
“Nein.“
“Also? Wie lautet er? Und ich warne dich, wenn mir dein Name nicht gefällt, dann wirst du deinen Kopf verlieren. Und das meine ich nicht im übertragenen Sinne.“
“Mein Name, er lautet...“
“Ja?“


Auch Andarah hatte bemerkt das im gegnerischen Lager etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Langsam und vorsichtig, den Pfeil noch immer auf der Sehne liegend, schlich sie zu Ded herüber.
“Was geht da vor sich?“
Ded wand seinen Blick nicht von dem Geschehen ab.
“Ich weiß es nicht, aber irgendetwas scheint nicht in Ordnung zu sein.“
“Warum bedroht dieser verdammte Hund seinen Mann am Katapult.“
“Keine Ahnung, aber irgendwie scheinen sie Probleme zu haben. Das kann für uns eigentlich nur von Vorteil sein.“
“Was mir weniger gefällt ist das die Fußsoldaten näher rücken.“
“Das beunruhigt mich auch. Ich bin nicht sicher ob ich den Befehl zum öffnen des Tors geben soll oder nicht. Wenn wir es öffnen strömen die Angreifer herein, und ich denke nicht das wir ihnen Widerstand leisten können.“
“Wenn wir es nicht machen dann haben wir kein Tor mehr das uns vor den Angreifern schützt.“
“Was würde Karon tun?“
Nun wand Ded seinen Blick ab und sah Andarah an.
“Ich weiß es nicht, und er ist nicht hier das wir ihn fragen könnten.“


Karon befand sich, gemeinsam mit Rajhada und Desmond, in dem geheimen Tunnel der von Herberts Schankraum unterirdisch bis hinter den Turnierplatz außerhalb der Stadt führte. Er spürte wie seine Kräfte langsam zurückkehrten, während er geduckt zwischen seinen Kollegen langsam durch den Tunnel schlichen.
“Wir haben es gleich geschafft, Karon. Wir sind gleich außerhalb der Stadt. Wir können nur hoffen das die Belagerer noch immer dort sind wo sie waren. Wenn sie die Stadt umzingelt haben dann kommen wir genau unter ihren Füßen aus der Erde.“
“Das wird nicht geschehen, Desmond. Sie sind zu sicher das ihr Katapult das Tor öffnen wird. Sie werden ihre Streitkräfte nicht verteilen, wenn sie glauben an einer bestimmten Stelle herein zu können.“
“Hoffen wir es mal, Karon. Hoffen wir es mal.“
Karon blickte auf den Boden, obwohl es zu dunkel war um etwas zu sehen. Auch er hatte Desmonds Bedenken gehabt. Wenn irgendetwas schief lief, dann konnte man nicht wissen wie die Angreifer reagierten. Er war so in seine Gedanken versunken das er nicht bemerkte das Desmond plötzlich stehen geblieben war. Er lief langsam gegen Desmonds Rücken und stubbste ihn ein wenig nach vorne. Desmond jedoch prallte auf ein weiches Hindernis das den gesamten Gang auszufüllen schien. Es war zu eng um die Waffen zu ziehen, und es war zu eng für einen Kampf. Aber Desmond fühlte plötzlich wie eine rasiermesserscharfe Klinge an seinen Hals gelegt wurde. Vor ihm stand ein Schatten, mehr als Schemen konnte er nicht sehen. Er spürte nur die Klinge an seinem Hals.
“Was ist los, warum gehst du nicht weiter?“ fragte Karon. Er bemerkte das die drei nicht alleine waren und griff langsam zu seinem Dolch und nahm ihn in seine rechte Hand. Er machte dies verborgen unter seinem Mantel, so wie er es gewohnt war, obwohl es zu dunkel war als das ihn jemand hätte sehen können. Lautlos hatte Karon seinen Dolch aus der Lederscheide gezogen und hielt ihn jetzt mit der Schneide zum Arm gerichtet in der Hand. Deutlich hörte Karon das vor ihm zwei Menschen atmeten. Der eine war Desmond, und er atmete flach. Karon spürte das Desmond bedroht wurde, auch wenn er es nicht sah. Seine jahrelange Erfahrung ließ ihn spüren wie ein Mensch fühlte der den Tod vor sich sah. Die andere Person atmete ebenfalls flach, allerdings nicht so wie einer der um sein Leben bangte, sondern so wie jemand der vorhatte ein anderes Leben auszulöschen. Die andere Person atmete wie Karon selbst wenn er sich heimlich an seine Opfer herangeschlichen hatte. Das Atmen war erst dann zu hören wenn es bereits zu spät war. Dies war die hohe Kunst eines Attentäters. Aber wer war diese Person die vor Desmond stand und ihn bedrohte. Es musste jemand sein der den Geheimgang kannte. Oder es war jemand der ihn zufällig gefunden hatte. Und dieser Jemand war bewaffnet und kam von außerhalb der Stadt. Karon musste fragen, es war wichtig. Und wenn es hier und jetzt zu Ende gehen sollte, dann war es eben so.
“Wer ist da?“
Karon konnte förmlich spüren wie die noch unbekannte Person begann zu lächeln.


“Was geht denn jetzt vor sich? Siehst du das auch?“
Ded sah angestrengt zu den Belagern herüber. Allerdings galt seine Aufmerksamkeit jetzt nicht mehr Zobiak und dem Mann am Katapult, sondern dem schmalen Waldstück hinter ihnen. Es war fast so als würden sich die Bäume bewegen. Zwar noch weit hinter ihnen, aber doch deutlich. Der Wald bewegte sich. Es war nicht so das die Bäume ihre Plätze verließen, aber sie bogen sich deutlich hin und her, so als ob jemand unter ihnen stand und daran rüttelte.
“Der Wald. Was ist mit dem Wald los?“ fragte Andarah die dieses Schauspiel ebenfalls bemerkt hatte. Alle Bogenschützen schienen es bemerkt zu haben, es war durchaus deutlich zu sehen, denn sie sahen sich gegenseitig fragend an. Die Belagerer hingegen schienen keine Notiz davon zu nehmen. Die Bäume waren hoch, und nur in den Spitzen konnte man die Bewegung sehen, und die Spitzen konnten sie von ihrem Standort aus nicht sehen. Die Bewegung vollzog sich ungefähr Vier Kilometer weiter im Wald drinnen, bewegten sich aber langsam nach vorne zum Waldrand, dort wo die Belagerer standen.
“Ich weiß nicht was das ist, aber es scheint etwas großes zu sein.“
“Womöglich eine weitere Kriegsmaschine“ mutmaßte Andarah.
“Wäre möglich. Dann sollten die Götter uns wohlgesonnen sein, denn damit wären wir verloren.“
“Das sind wir ohnehin schon, verloren. Die Fußtruppen stehen jetzt nicht weit neben dem Tor. Wenn wir es öffnen dann werden sie in die Stadt eindringen.“
Ded schüttelte den Kopf.
“Sie werden nicht in die Schussbahn des Katapultes hineinlaufen. Siehst du, sie stehen in einigen Metern abstand neben dem Tor. Sie vertrauen auch nicht so ganz auf die Zielgenauigkeit.“
“Ich könnte sie von hier spielend leicht erledigen, ohne hohe Zielgenauigkeit.“
“Wenn es dir gelänge die Barrikaden mit deinen Pfeilen zu durchschlagen.“
“Käme auf einen Versuch an.“
“Nein, auf keinen Fall. Es wäre verschwendete Munition.“
“Für was willst du sie denn aufheben?“
Ded schwieg.

***

Zobiak war drauf und dran die Geduld zu verlieren. Horth stand auf seinem Pferd neben den beiden Männern und beobachtete gespannt wie sich die Situation entwickelte.
“Also? Wie lautet er? Und ich warne dich, wenn mir dein Name nicht gefällt, dann wirst du deinen Kopf verlieren. Und das meine ich nicht im übertragenen Sinne.“
“Mein Name, er lautet...“
“Ja?“
Ein nervöses Zucken ging durch das Gesicht des Fremden.
“Groul.“
Zobiak musterte den Mann der vor ihm stand. Er sah nicht ängstlich aus, und das obgleich er ihm seine Axt unter den Hals hielt. Zobiak sah zu Horth herüber. Horth zuckte mit den Schultern.
“Eben sagtest du noch das dein Name Gronk sei. Warum?“
“Wie ich bereits sagte, Herr, ich habe es nicht recht verstanden.“
Zobiak sah Groul in die Augen. Dann nickte er und ließ die Axt sinken. Groul entspannte sich ein wenig.
“Also gut, Groul. Dann denke ich mal es ist soweit mir zu beweisen das du ein Eisenwolf bist.“
Noch immer hatte Zobiak seine Axt gepackt. Er hätte sie in Sekundenbruchteilen hochreißen und den Mann enthaupten können, und Groul sah dies mit gemischten Gefühlen.
“Die Männer sind angekommen. Es wird Zeit das Tor zu öffnen. Ich werde noch ein letztes mal mit ihnen reden. Wenn ich die rechte Hand hebe, dann feuerst du das Geschoss auf das Tor ab, hast du verstanden?“
Groul nickte. Zobiak wand sich nun zu Horth.
“Wenn er nicht schießt, oder wenn er das Ziel verfehlt, dann wirst du ihn erschießen, hast du mich auch verstanden?“
Horth grinste über das ganze Gesicht, nahm seine Armbrust hervor und spannte sie behände.
“Gut. Wartet auf meinen Befehl.“
Dann drehte Zobiak sein Pferd und ritt im vollen Galopp auf die Stadtmauer zu.


“Das wäre ja wohl kaum ein verschwendeter Pfeil. Ich könnte diesen Mistkerl von hier sauber erledigen.“
“Er kommt ohne Waffen. Er will reden.“
“Reden will er? Sicher will er das. Aber alles was er redet ist heimtückisch und falsch. Er will diesen Kampf, und er will ihn sofort. Wenn ich ihn erschießen würde...“
“...würde er sofort losbrechen. Und wie es dann für uns aussieht dürfte ja wohl klar sein. Entspann deinen Bogen und bitte – nimm den Pfeil von der Sehne.“
Andarah sah Ded entrüstet an. Der Bogen entspannte sich zwar, aber der Pfeil blieb immer noch auf der Sehne liegen. Sie hatte zwar großen Respekt und große Ehrfurcht vor Ded, aber sie war nicht gewillt seine Befehle zu befolgen. Indessen hatte Zobiak die Mauer erreicht. Er hielt sich gar nicht erst damit auf einen Blick zu seinen Fußsoldaten herüberzuwerfen die mittlerweile das Stadttor erreicht hatten. Er wusste das dies so war, und ihm war ebenfalls bewusst das die Verteidiger es sahen. Er brachte sein Pferd zum stehen und sah lächelnd nach oben zu Ded und Andarah. Der Schnee fiel ihm dabei ins Gesicht, und er musste das ein oder andere mal blinzeln.
“Nun“, rief er zu den Leuten auf der Mauer hinauf. “Ich denke ihr seit nicht einsichtig geworden, oder etwa doch? Wo ist euer Anführer?“
“Du stehst vor ihm“ rief Ded zu Zobiak hinunter. Zobiak beobachtete die Bogenschützen die links und rechts neben Ded auf der Mauer standen und ihn beobachteten. Lediglich ein einziger, eine Frau die gleich neben dem neuen Anführer stand, hatte noch einen Pfeil auf der Sehne, auch wenn sie ihren Bogen nicht gespannt hatte, die anderen hatten ihre Bögen neben sich stehen.
“Sooo, ihr seit also der Neue Anführer? Erstaunlich wie schnell dieser Posten neu vergeben wird.“
“Ist es bei euch anders?“ rief Ded hinunter. Zobiak kratzte sich an seinem Bart.
“Nein, eigentlich ist es bei uns anders. Tobias war unser Anführer, bis er einen schweren Fehler machte. Dann habe ich sein Amt übernommen. Aber bei euch... Ich dachte zuerst ich müsse mit dem Grafen verhandeln, dann war es dieser versoffene Schankwirt, gefolgt von dem feigen Meuchler und nun rede ich mit einem Söldner. Was ist aus Karon geworden? Hat auch er einen schweren Fehler gemacht das ihr ihn absetztet?“
Andarah schoss das Blut in den Schädel. Ihr Gesicht wurde knallrot, und Zobiak bemerkte dies.
“Habe ich da einen wunden Punkt getroffen, Fräulein? Dann tut es mir aufrichtig leid.“
“Was willst du?“ brüllte Andarah. Zobiak grinste jetzt noch breiter.
“Oh, schon wieder ein neuer Anführer? Es geht ja wirklich schnell, nicht wahr?“
Andarah spannte ihren Bogen und legte auf Zobiak an. Sofort wich sein Grinsen und er schaute ernst.
“Das würde ich nicht machen.“
Sofort war Ded beistelle und riss Andarahs Arm herunter, sodass der Bogen nicht weiter auf Zobiak gerichtet war.
“Haltet eure Bogenschützen im Zaum, neuer Herr dieser Stadt. Es wäre zu schade wenn sie einen nicht wiedergutzumachenden Fehler begännen. Auf kurz oder lang werde ich der Herr dieser Stadt sein, und somit auch Herr über diese Schützen. Und ich bin niemandem freundlich gesinnt der die Waffe gegen mich erhebt.“
“Aber sie hat vollkommen recht. Sie hat gefragt was du willst. Und nun frage ich dich. Was willst du?“
“Nun, was werde ich wohl wollen? Ich kann dir sagen was diese Männer“ er deutete auf die Fußsoldaten die sich neben dem Stadttor postiert hatten “wollen. Sie wollen in die Stadt, und zwar am liebsten sofort, ohne einen langen und mühseligen Kampf. Die Frage ist nur, was wollt ihr? Wollt ihr einen Kampf? Mit meinen Männern? Wie viele Kämpfer habt ihr denn noch? Und wie viele werden es sein wenn dieser Tag zu ende geht? Wenn ihr Widerstand leistet, so kann ich nicht einmal für euer Leben garantieren. Ihr seit ein Söldner, und damit seit ihr der Erste mit dem ich glaube das es Sinn hat zu sprechen. Es machte keinen Sinn mit dem Grafen, da er ein törichter, alter Mann ist. Es machte auch keinen Sinn mit dem romantischen Säufer zu reden, denn er hat sein Herz der Stadt verschrieben. Und auch der Meuchler war kein guter Verhandlungspartner, offenbar hatte er einen geschäftlichen Packt mit dem Grafen. Aber ihr, mein Freund, ihr versteht mich. Ihr seid ein Söldner, ebenso wie ich. Habt ihr das herumziehen nicht auch satt? Das Morden und Plündern? Schließt euch uns an. Öffnet das Tor für die Eisenwölfe, und sie werden euch kein Leid antun.“
Ded sah zu Zobiak herunter. Er warf einen Blick auf das Katapult, blickte herüber zu den Fußsoldaten, allesamt schwer gerüstet und bewaffnet. Dann drehte er sich um und warf einen Blick in den Burghof. Seine demoralisierten Männer, die Meisten verwundet, ein aussichtsloser Kampf. Er drehte sich wieder um, sah Zobiak in seiner furchterregenden Rüstung auf diesem riesigen Pferd sitzen, die beiden Äxte in Halterungen am Sattel hängen, die eine Schneide noch verkrustet vom Blute des Barbaren namens Ötsch. Er dachte an Karon und die anderen Assassinen, die durch den Geheimgang die Stadt verlassen hatten. Dann blickte er zu den Bogenschützen auf der Mauer, hob seine linke Hand und brüllte “Bogenschützen!“ Mit diesem Ausruf zogen die Bogenschützen Pfeile aus den Köchern, legten sie auf die Sehnen ihrer Bögen und spannten diese. Sie legten auf Zobiak an. Ded grinste.
“Dann also nicht?“ flüsterte Zobiak, wendete sein Pferd und preschte so schnell das Pferd in der Lage war zu laufen los.
“Entspannen!“ rief Ded. Die Bogenschützen entspannten ihre Bögen wieder und stellten sie neben sich. Nur Andarah nicht. Sie hatte noch immer den Bogen gespannt und zielte auf den davon reitenden Zobiak. Ded sah sie wütend an.
“Ich sagte Entspannen.“ sagte er mit Nachdruck in der Stimme. Andarah nickte nach vorne, Ded sah worauf sie deutete. Zobiak hatte seinen Arm weit nach oben gehoben, und die Männer am Katapult begannen sich in Bewegung zu setzen. Dann geschah alles gleichzeitig. Andarah ließ den Pfeil los, rasend schnell flog er auf Zobiak zu, dieser schlug in der gleichen Sekunde eine andere Richtung ein – als hätte er es gewusst - und der Pfeil streifte nur seinen Helm. Wütend drehte er sich um, begriff zuerst nicht was geschehen war, sah Andarah und lachte laut auf. Diese hatte blitzschnell einen neuen Pfeil aufgelegt, aber Zobiak war bereits außer Schussweite. Ded drehte sich schnell in den Hof um und gab den Männern am Stadttor ein Zeichen. Diese packten den Torflügel. Der Mann am Katapult hatte die Hand am Auslösegriff, betätigte ihn, im gleichen Augenblick gab Ded das Zeichen, die Männer rissen das Stadttor auf so schnell sie konnten. Es gab einen lauten Knall, der Wurfarm des Katapults schwang nach vorne, immer und immer weiter, blieb jedoch nicht stehen, schlug nach vorne auf den Boden auf und wirbelte das Katapult herum. Es überschlug sich, knallte auf dem Boden auf und zerschellte in unzählige Einzelteile. Fast gleichzeitig packte der Mann der das Katapult ausgelöst hatte den Reiter der neben ihm stand und riss ihn von seinem Pferd. Der Reiter schoss mit der Armbrust, war aber viel zu perplex um zu treffen. Der Katapultrist hatte bereits den Dolch gezogen und ihn dem auf dem Boden liegenden Reiter in den Hals gerammt. Rasch nahm er dem mit dem Tode ringenden und Blut spuckenden Mann noch sein Schwert ab, schwang sich auf das Pferd und preschte los in den Wald hinein. Zobiak sah dies, brüllte laut auf vor Wut und ritt hinter dem Verräter her. Die übrigen berittenen Eisenwölfe preschten ebenfalls los, allerdings Richtung Stadt. Sie hatten zwar gesehen dass das Katapult offenbar manipuliert worden war, aber dennoch stand das Tor auf. Es war sogar noch vor dem Katapultabschuss geöffnet worden. Ded sah dies alles, verwirrt und verwundert sogleich, doch nach einer kurzen Schrecksekunde wand er sich wieder den Männern am Tor zu.
“Zumachen, schnell. Schließt es! Schließt es!“
Doch es war zu spät. Die Eisenwölfe strömten in die Stadt wie Ameisen. Die Stadt war gefallen.

***

“Wer ist da?“
Karon konnte förmlich spüren wie die noch unbekannte Person begann zu lächeln. Dieses Lächeln beunruhigte Karon ein wenig. Er hörte wie Rajhada hinter ihm ihren Mantel zur Seite schob. Offenbar suchte sie nach ihrer Armbrust. Sie hatte doch wohl nicht vor zu schießen? Es war zu dunkel um seine eigene Hand vor Augen sehen zu können, und in dieser Dunkelheit auf ein Ziel zu schießen, noch dazu wenn zwei Hindernisse in Form von befreundeten Menschen vor einem Standen, dies war eine Leistung die nicht einmal Caysha trotz ihrer herausragenden Fähigkeiten vollbracht hätte. Karons Hand glitt sachte nach hinten und hielt Rajhadas Hand fest. Nun hörte Karon wie Desmond leicht ausatmete. Der Fremde hatte das Messer sinken lassen.
“Ihr wollt doch nicht etwa fliehen, oder doch?“
Die Stimme war nur geflüstert, doch irgendwie kam sie den drei Assassinen bekannt vor.
“Flucht kommt gar nicht in Frage. Wir sind Attentäter, keine Feiglinge.“
Karon lächelte nun auch. Es war ein freudiges und entspanntes Lächeln. Er freute sich sehr, zum einen war der Fremde ihnen nicht feindlich gesonnen, und zum anderen freute er sich sogar noch mehr, da er bis vor einigen Sekunden noch geglaubt hatte Maraxus wäre tot.
“Lass mich durch, Desmond, lass mich durch. Ich will ihn umarmen, diesen verräterischen Hund.“ Maraxus drängte den wesentlich schmaleren Desmond zur Seite und ging auf Karon zu. Dieser empfing ihn mit offenen Armen. In der Dunkelheit umarmten sie sich. Maraxus drückte Karon so fest an sich das dieser einen wehenden Laut von sich gab. Maraxus löste seine Umarmung sogleich.
“Was ist los?“
“Tobias Eisenglut“ sagte Rajhada an Karons Stelle. “Er hat ihn mit seinem Dolch in der Hüfte erwischt. Er hat viel Blut verloren. Er kann unmöglich kämpfen.“
“Dieser Mistkerl“ sprudelte des aus Maraxus heraus. “Wenn ich ihn in die Finger kriege...“
“...zu spät“, unterbrach ihn Desmond.
“Was soll das heißen?“
“Rajhada hat ihn bereits in die Finger bekommen.“
In der Dunkelheit konnte Karon deutlich ein hastiges aber kurzes Nicken vernehmen.
“Gut“ sagte Maraxus knapp. “Und wegen der Verwundung verlasst ihr die Stadt?“
“Nein, nicht nur wegen der Verwundung. Wegen dir, mein Freund?“
“Wegen mir? Ich konnte mir schon denken wie ihr in die Stadt gekommen seid, immerhin hat Herbert mit diesen Weg ja auch gezeigt. Am Abend vor deiner Hinrichtung. Er dachte, es wäre vielleicht nicht möglich durch das Stadttor zu entkommen, weil sie es eventuell verriegeln würden. Also hat er mir diesen Geheimweg gezeigt.“
Plötzlich bekam Karon es mit der Angst zu tun.
“Wer kennt diesen Geheimgang denn noch alles?“
“Keine Ahnung. Wir kennen ihn, Herbert kennt ihn, und ganz sicher auch die Mitglieder der ehemaligen Stadtwache.“
“Wenn das alle sind können wir uns glücklich schätzen.“
“Der Feind kennt ihn sicherlich nicht“ beruhigte Maraxus. “Sonst hätte er ohne Probleme in die Stadt eindringen können.“
“Ja, eine gute Überlegung.“
“Aber das erklärt noch nicht warum ihr wegen mir heraus seid. Ihr wolltet mich doch nicht etwa retten?“ Maraxus Stimme klang ein wenig erheitert.
“Nein, wir dachten ehrlich gesagt du seiest tot.“
“Was? Ich und tot? Wie kommt ihr denn darauf?“
“Das Katapult. Wir dachten du hättest versagt. Also sind wir auf dem Weg nach draußen um zu retten was noch zu retten ist.“
“Das Katapult? Was habt ihr denn gedacht was ich mache? Das Katapult zerstören und verhindern das es ankommt? Wie hätten die Eisenwölfe wohl reagiert? Indem das Katapult angekommen ist habe ich euch Zeit verschafft. Es wird keinen Schuss abfeuern, und wenn doch, dann fliegt es ihnen um die Ohren. Ich habe den Blockierbolzen entfernt der den Wurfarm aufhält und das Geschoss freigibt. Wenn sie es abfeuern dann schlägt der Wurfarm ungebremst auf den Boden und das Katapult überschlägt sich.“
“Und wenn sie herausfinden das es manipuliert wurde“ gab Rajhada zu bedenken.
“Nein, auf keinen Fall. Immerhin ist der Anschlag auf diese Waffe ja vereitelt worden, wenn auch nur in allerletzter Sekunde. Tobias hatte zwei Männer mitgeschickt die es bewachen sollten. Den Ersten habe ich sauber erledigt, aber der Zweite war schnell. Er hat auf mich geschossen, allerdings nicht getroffen. War wohl zu sehr abgelenkt. Also habe ich ihm ein breites Lächeln verpasst. Mit meiner Klinge, Von-Ohr-Zu-Ohr, wenn du weißt was ich damit meine. Anschließend sah mein Plan so aus das ich die Rüstung des Mannes anziehen und mit dem Katapult weiterziehen sollte. Ich würde wahrheitsgetreu erzählen das wir angegriffen und mein Kollege getötet worden war, ich aber in der Lage gewesen bin den Angreifer, offenbar ein Assassinen, zu töten und meinen Auftrag ausgeführt hätte. Niemand hätte Verdacht geschöpft. Ihr hättet somit ein wenig Zeit gewonnen. Vielleicht sogar mehr Zeit als Nötig gewesen wäre.“
“Diese Information wäre vor einigen Minuten besser gewesen. Damit ist unser Plan nicht nur Überflüssig, sondern stellt ein Risiko dar das wir nicht hätten einzugehen brauchen.“
“Wieso Risiko? Ich verstehe nicht.“
“Wenn das Katapult betätigt wird, dann reißen wir das Tor auf.“
“Warum?“ fragte Maraxus ernsthaft verwundert.
“Weil“ sagte Karon, mittlerweile recht wütend “Weil das Geschoss dann durch das geöffnete Tor hindurchfliegt und es nicht zerstört.“
Betroffene Stille herrschte.
“Aber damit gebt ihr die Stadt preis.“
“Wir hatten keine andere Wahl, immerhin glaubten wir du wärest tot und das Katapult wäre voll einsatzbereit“ fluchte Desmond.
“Aber eines verstehe ich nicht“, sagte Karon.
“Das Katapult ist angekommen, aber du bist hier bei uns. Wer ist dann bei dem Katapult?“
In diesem Moment hörten die Assassinen tief unter der Stadt den Knall der das Katapult zu Fall gebracht hatte. Im gleichen Augenblick ertönte Kampfgeschrei.
“Ich hoffe nur das die Zeit gereicht hat“ sagte Maraxus leise. Dann folgte Stille, allerdings nur unter der Erde. Oben tobte ein blutiger und brutaler Kampf.


“Zumachen, schnell. Schließt es! Schließt es!“
Doch es war zu spät. Die Eisenwölfe strömten in die Stadt wie Ameisen. Die wenigen Kampffähigen Verteidiger leisteten erbitterten Widerstand. Herbert selbst kämpfte wie ein Löwe. Gleich die ersten zwei die durch das Tor kamen bekamen sein Schwert zu spüren. Der Erste bekam Herberts Schwert quer durch das Gesicht gezogen, es fegte ihm den Helm vom Kopf und spaltete seinen Schädel. Mit einem lauten Schrei ließ er das Schwert fallen und stürzte zu Boden. Der Zweite bekam Herberts Schwert aus der Drehung heraus in die Brust. Der Panzer leistete kurzen Widerstand, aber Herberts Kraft stach so schnell und so stark zu das der Brustpanzer des Eisenwolfs und der darunter liegende Brustkorb durchbohrt wurden. Der Mann fiel rücklings zu Boden und riss Herbert so das Schwert aus der Hand. Rasch bückte er sich und ergriff das Schwert des Mannes den er als erstes getötet hatte. Von oben flogen Pfeile auf die hereinströmenden Eisenwölfe hernieder, doch die meisten prallten an den blanken Brustpanzern oder Helmen ab. Herbert warf das neu gewonnene Schwert zu einem der eigenen Kämpfer herüber.
“Hier, das ist besser als deines, Tom.“
Dann setzte er sein Bein auf die Brust des auf dem Boden liegenden Mannes, ergriff das Heft seines Schwertes und zog es mit einem Ruck heraus. Blut schoss aus der klaffenden Wunde in der eben noch das Schwert gesteckt hatte. Herbert rannte auf das Tor zu.
“Was ist los? Macht es zu! Macht es zu!“ rief er, aber die Männer hatten bereits die Flucht ergriffen. Herbert drehte sich kurz zu seinen Männern um.
“Na los, ihr da. Schließt das Tor!“ dann wand er sich nach oben zu den Bogenschützen.
“Ihr schießt nur auf die die hereinwollen, nicht auf die die schon drinnen sind. Um die kümmern wir uns!“
Ded war die schmale Treppe herunter gesprungen. Noch im Sprung hatte er sein Schwert gezogen und sprang, die Klinge am ausgestreckten Arm voran, auf einen der angreifenden Eisenwölfe zu. Er durchbohrte dessen Kehle und zog das Schwert zur linken Seite wieder heraus, so das der Kopf des Angreifers zur Hälfte von den Schultern getrennt war. Sogleich hechtete Ded auf das offenstehende Tor zu durch das immer mehr Angreifer hereinkamen. Herbert hatte bereits den linken Torflügel erreicht und begonnen ihn wieder zu schließen, aber es war nicht leicht, denn er drückte gegen die anstürmenden Belagerer und schwang mit der anderen Hand noch sein Schwert. Ded schlug kräftig auf einen weiteren Angreifer ein während er versuchte den rechten Torflügel zu erreichen. Beinahe hätte ihn ein Axthieb von hinten getroffen, doch in letzter Sekunde durchbohrte Andarahs sicher abgeschossener Pfeil die Stirn des Angreifers. Ded bekam nicht mit das Andarah ihm das Leben gerettet hatte, und Andarah schoss unentwegt weiterhin Pfeile auf die hereinbrechende Flut der Eisenwölfe ab. Nun hatten auch die Verteidiger ihren Kampfeswillen zurück. Sie stürzten sich in die Schlacht, eilten Ded und Herbert zu Hilfe, doch sie konnten das Tor nicht mehr schließen. Von weitem sahen sie die Pferde heranpreschen, die schrecklich schnell näher kamen. Dann waren sie da. Mit vollem Galopp, nicht auf die eigenen noch weniger auf die Feinde achtend, sprangen die Mannshohen Pferde in die Stadt. Die Reiter erschlugen jeden der sich ihnen entgegenstellte. Ein Reiter hieb mit seiner Axt auf Herbert ein, von oben herab. Herbert hielt schützend sein Schwert entgegen, doch die Stärke des Mannes hieb es ihm aus der Hand und traf Herberts Schulter. Leblos sank der Hauptmann der Stadtwache nieder. Ded sah dies und brüllte laut auf, doch auch er wurde von einer herabsausenden Axt getroffen, allerdings nicht so schwer wie Herbert. Die Axt schleuderte ihm sein Schwert aus der Hand, doch er konnte sich unter dem zweiten Schlag hinwegducken, rollte herum, ergriff ein anderes, auf dem Boden liegendes Schwert und sprang wieder auf die Beine. Der Reiter war bereits fort und schlug auf andere Verteidiger ein. Die meisten hatten seinen Schlägen nichts entgegenzusetzen. Einige der Männer, die noch in der Lage waren zu laufen, rannten durch das offenstehende Tor davon. Ein Kampf hätte das Leben gekostet, aber niemals einen Sieg errungen. Auch Ded erkannte dies. Er warf einen Blick zu Andarah die noch immer auf der Mauer stand, nun aber wesentlich besser überlegte wohin sie ihre Pfeile verschießen sollte, denn es waren nur noch wenige übrig. Sie beachtete ihn zuerst nicht. Dann plötzlich trafen sich ihre Blicke. Ded schüttelte den Kopf. Auch Andarah schüttelte den Kopf. Ded rannte mit gezogenem Schwert aus der Stadt, hieb hie und da noch auf den ein oder anderen Angreifer ein, aber letztendlich war nur noch die Flucht entscheidend. Wenigstens mit dem Leben wollte er davonkommen, so wie seine Männer, wenn sie es noch schafften die Welle der Angreifer zu durchbrechen. In der Zwischenzeit waren alle Eisenwölfe in der Stadt und schlugen mit ihren Schwertern und Äxten auf alles ein was sich bewegte, selbst wenn die betreffende Person unbewaffnet und schwer verwundet auf dem Boden lag. Mehrere Eisenwölfe waren nun am Tor zugange und begannen es zu schließen. Sie wollten verhindern das ihnen noch mehr entkamen. Es bereitete ihnen bestialische Freude wenn sie töten konnten. Und in der Tat waren die Verluste recht einseitig. Die Eisenwölfe waren fast unverletzt, und die wenigen Toten oder Verletzten fielen in der Woge der kämpfenden kaum ins Gewicht. Andarah sah dies, ihr brannte der Kopf und ein dicker Klos lag ihr im Hals, aber sie sah bereits wie Angreifer die schmalen Stufen erklommen. Die übrigen Bogenschützen hatten bereits die Flucht ergriffen, und Andarah entschied sich ebenfalls dafür. Sie legte den letzten verbliebenen Pfeil auf, rannte los, schoss auf den Mann der am obersten auf der Treppe war, nahm den Bogen herunter, und rannte so schnell sie konnte über die Stadtmauer, hinüber zur anderen Seite. Dann sprang sie von der Mauer in den zugefrorenen See, hoffte dass das Eis nicht dick war und brach hindurch. Sofort sogen sich ihr Mantel und ihre Kleidung mit dem eisigen Wasser voll. Sie löste mit einem Ruck den Mantel ab und kämpfte sich nach oben. Das Eis war gebrochen, aber die Stelle an der sie eingetreten war lag ganz woanders. Mit der Faust versuchte sie ein Loch in das Eis zu schlagen um wieder an die Oberfläche zu kommen. Der Vierte Schlag ließ langsam Risse erkennen, und der Fünfte durchbrach es. Als sie wieder auftauchte hörte sie aus der Stadt ein lautes Siegesgeschrei. Das Tor war indessen vollkommen verschlossen und wieder verriegelt worden, aber das konnte sie nicht sehen. Langsam kämpfte sie sich zum Ufer vor, ihren Bogen hatte sie verloren, ebenso ihren Mantel. Langsam kroch sie ans Ufer und ging hinter einem Busch in Deckung. Sie lauschte den Rufen der Eisenwölfe die aus der Stadt drangen.
“Die Stadt ist unser! Wir haben gesiegt!“

***

Zwei Pferd waren es die so schnell durch den Wald preschten als wäre der Teufel persönlich hinter ihnen her, wobei das erste dabei gar nicht so falsch lag. Der Fremde Mann der das Katapult ausgelöst und damit außer Kraft gesetzt hatte ritt voran. Er floh vor Zobiak. Zobiak hingegen wurde nicht verfolgt, aber ihn trieb der blanke Hass an. Die Stadt wurde soeben von seinen Männern eingenommen, daran bestand nicht der geringste Zweifel, aber dieser verdammte Sohn einer räudigen Hündin würde bezahlen. Er hatte das Katapult zerstört, und ganz gleich ob es nun ein Eisenwolf war der zum Feind überlief oder ein Feind der sich als Eisenwolf getarnt hatte, Zobiak wollte seinen Kopf. Der Fremde ritt um sein Leben. Äste schlugen ihm ins Gesicht und rissen Wunden hinein. Zobiak war einige hundert Meter hinter ihm, er hatte also einen recht guten Vorsprung, angesichts der dichte des Waldes. Aber er wollte sich nicht einfach nur verstecken. Er zügelte seine Pferd, wurde etwas langsamer, damit Zobiak zu ihm aufschließen konnte. Aufschließen, aber nicht einholen, das war der Plan des Fremden. Zobiak sollte näher kommen. Er hatte eine Überraschung für ihn.


Unter der Stadt hörten die Vier Assassinen das Kampfgebrüll das sich nur über ein paar wenige Minuten hinzog und anschließend vernahmen sie das Siegesschreien der Eisenwölfe. Sie standen da und hörten angestrengt zu, unfähig etwas unternehmen. Die Eisenwölfe waren in die Stadt eingedrungen, und Karon hatte den Befehl gegeben das Tor zu öffnen. Sie konnten ohne die geringsten Probleme in die Stadt gelangen. Man hatte ihnen das Tor geöffnet. Karon hätte sich ohrfeigen können. Nun war alles zu spät. Er konnte nur von Glück sagen das die Frauen und Kinder, und auch die Verletzten, in die Ruinen unter der Burg geschafft worden waren. Der Graf selbst war in seiner Burg verschanzt, die war nicht groß, aber sie bot ihm genug Schutz. Er war in Sicherheit. Die Zurückgebliebenen unter der Burg waren ebenfalls in Sicherheit, solange die Burg nicht eingenommen wurde. Dort waren sie sicher vor den Angriffen der Eisenwölfe. Vielleicht, so hofften sie, würden die Eisenwölfe erst gar nicht nach ihnen suchen, jetzt wo die Stadt ihnen gehörte. Wie er sie einschätzte ließen sie den Grafen in seiner Burg verrecken, die Burg war weder schön noch geräumig, was sollten sie also damit? Wenn sie irgendwann einmal die Burg stürmen sollten, wenn sie suchten, dann würden sie früher oder später den Zugang zu den Ruinen finden. Doch bis dahin hatten sie nichts zu essen, nichts zu trinken, und es war kalt. Vielleicht würden sie verhungern oder verdursten, vielleicht erfrieren, daran hatte Karon nicht gedacht. Er hatte nur für eine sichere Unterkunft gesorgt die sie vor den Eisenwölfen und deren Schwertern schützte. Karon überlegte jetzt was das geringer Übel gewesen wäre. Alle Entscheidungen die er getroffen hatte schienen falsch gewesen zu sein. Ohne seinen törichten Plan stünden die Eisenwölfe noch immer vor der Stadt und kämen nicht hinein. Karon schloss seine Augen die sich langsam aber unaufhaltbar mit Tränen gefüllt hatten. Rajhada spürte dies und umarmte ihn von hinten.
“Es gibt nichts das du hättest tun können.“
“Nicht ganz. Ich hätte auf Maraxus vertrauen sollen und niemals das Tor preisgeben dürfen. Ich bin ein verdammter Narr gewesen.“
“Nein, das warst du nicht“ sagte Maraxus leise. “Ich hätte dir sagen sollen was ich vorhatte, dann wäre es nicht so weit gekommen. Aber nun ist es zu spät. Ich hatte gehofft das die Zeit ausreichen würde, aber offenbar hat sie nicht gereicht.“
“Ausreichen – wofür?“
“Das spielt jetzt keine Rolle mehr. Was habt ihr jetzt vor?“
Einige Sekunden herrschte betretene Stille. Dann war es Rajhada die als erste das Wort ergriff.
“Wir müssten zusehen dass wir hier heraus kommen, und zwar so schnell wie möglich. Wenn wir Glück haben werden wir nicht gesehen.“
“Und dann, Schatz? Was machen wir dann?“
“Das was Assassinen am besten immer nach Gethaneer Arbeit machen. Wir tauche unter.“
“Und wo willst du untertauchen? Bisher sind wir immer in dieser Stadt untergetaucht, und die nächste Stadt ist meilenweit entfernt. Ohne Verpflegung und ohne Pferde werden wir nicht lebend dort ankommen, wenn die Eisenwölfe nicht schon nach uns suchen. Und ins Söldnerlager können wir auch nicht, weil es nicht mehr existiert.“
“Natürlich existiert es noch“ sagte Desmond. “Die Zelte sind noch da, und ich vermute auch das sie nicht alles an Verpflegung mitgenommen haben. Das könnte unsere einzige Chance sein. Also?“
“Auf jeden Fall sollten wir erst einmal raus aus dieser Dunkelheit. Ihr wisst doch sicher noch was das letzte mal passiert ist als wir, geblendet durch die Sonne, aus der Dunkelheit kamen?“
“Sicher, aber draußen ist es ebenfalls dunkel, mittlerweile. Der Perfekte Tarnmantel für uns.“
“Also, dann lasst uns keine Zeit verlieren.“
Die Assassinen setzten sich in Bewegung.


Immer gewagtere Manöver durch den dicht zugewachsenen Wald ritt der Fremde auf der Flucht vor Zobiak. Zobiak hingegen trieb sein Pferd mit aller Macht an. Er wollte diesen verdammten Bastard endlich in die Finger kriegen, und dann würde er ihn töten. Ganz langsam, nicht so human wie er es noch vor wenigen Minuten getan hätte. Von fernem konnte er die Siegesschreie seiner Mannen in der nahen Stadt vernehmen. Er war zufrieden. Nun war ihm klar was er tun würde. Er würde diese Missgeburt hinter seinem Pferd in die Stadt zerren, ebenso wie er es mit diesem Barbaren gemacht hatte, dann würde er ihn vor den Augen seiner Gefangenen, und Karon Sturmfels war sicher darunter, ganz langsam zu Tode quälen. Und dann kämen die Assassinen an die Reihe, ganz zuletzt dann Karon Sturmfels. Oder noch besser wäre es einen Zweikampf mit ihm zu führen. Karon würde vor den Augen seiner Mitstreiter eine tödliche Niederlage einstecken müssen. Dies alles beschäftigte Zobiak derart das er nicht bemerkte wie der Flüchtige plötzlich stehen blieb. Er zügelte sein Pferd und beobachtete was er da sah. Nur noch ein paar Bäume, dann kam ganz offenbar eine Lichtung. Und auf dieser Lichtung hatte der Verräter sein Pferd zum stehen gebracht und war tatsächlich so wahnsinnig abzusteigen. Zobiak triumphierte. Auch er sprang von seinem Pferd, griff in jede Hand eine Axt und stampfte schweren Schrittes auf die Lichtung zu. Mit der Schneide der Axt in seiner Rechten hieb er die letzten Äste und Zweige die zwischen ihm und der Lichtung lagen hinfort. Dort stand er. In der Hand hatte er ein Langschwert, so wie es seine Männer trugen. Er stand nur da und schien auf Zobiak zu warten. Zobiak trat einen Schritt auf die Lichtung und stand dann ebenfalls nur da und musterte den Fremden.
“Und nun, dürfte ich freundlicherweise deinen wahren Namen erfahren, bevor ich dich in deine Einzelteile zerlege, so wie du es mit meinem Katapult getan hast?“
Der Fremde stand da und lächelte Zobiak nur an. Zobiak kochte vor Wut, aber er ließ es sich nicht anmerken. Es wäre ein Fataler Fehler gewesen wenn er es getan hätte.
“Groul, Gronk oder wie du auch heißen magst? Willst du als Namenloser sterben? Hat deine Mutter dir keinen Namen gegeben, oder wollte sie dich nach deinem Vater benennen und konnte sich nicht daran erinnern welcher dieser Hurenböcke es war?“
Der Fremde lächelte noch mehr. Und dann tat er etwas das Zobiak nicht erwartet hatte. Er hob das Schwert hoch über seinen Kopf, ließ es herunterschnellen und rammte es fast mit der halben Schneide in den gefrorenen Boden hinein. Es wippte hin und her als er es losließ.
“Mein Vater war Gerlach, der Färber. Ein anständiger Mann. Und meine Mutter war Brunata, Tochter von Markus dem Schmied. Ebenfalls eine ehrbare Frau. Wir kamen in dieses Land als freie und anständige Männer und Frauen. Wir lebten und arbeiteten in Frieden und Ehre. Bis ihr kamt und uns alles nahmt was wir hatten. Und mein Name, den du ja so unbedingt wissen möchtest, ist Marius. Ich stamme aus dem Geschlecht der von Kelds. Und wenn du es genau wissen willst, ja, wir kennen uns. Wir kennen uns, und jeder der Eisenwölfe kennt mich. Denn vor Jahren sind wir uns schon einmal begegnet.“
Zobiak war einen kurzen Augenblick lang verwirrt. Er sah den Mann genauer an. Ja. Er kannte ihn. Und er kannte auch die Männer von denen er seine Herkunft abzuleiten vorgab. Diese Namen waren ihm bekannt. Und das Geschlecht der von Kelds war ihm ebenfalls bekannt. Er grinste.
“Du bist also einer der Barbaren? Ja, offenbar bist du das. Du siehst schon so aus.“
“Das nehme ich als ein Kompliment auf.“
“Ein Kompliment? Ganz wie du meinst. Sag, wie hat es dir gefallen zum zweiten Male zuzusehen wie eine Stadt unter den Angriffen der Eisenwölfe fällt, wenn du den Bretterhaufen aus dem du gekrochen bist eine Stadt nennen willst?“
“Es hat mich gefreut zum zweitenmal zu sehen wie Eisenwölfe abgeschlachtet werden, wenn du das meinst. Vor Jahren, als ihr uns überfallen habt, da wart ihr wesentlich mehr, und wie ich hörte habt ihr ständig Männer rekrutiert. Haben wir euch tatsächlich so dezimiert?“
“In der Tat, ihr habt damals gut gekämpft. Aber letztendlich haben wir gesiegt. Damals, und heute auch. Hörtest du nicht die Siegesschreie meiner Männer drüben in der Stadt? Es ging sogar noch viel schneller als damals.“
Marius nickte.
“Damals haben wir euch gejagt, einen nach dem anderen haben wir euch gejagt, und ich erlaube mir zu behaupten das wir auch die meisten von euch bekommen haben.“
“Und dabei sind viele von euch auf der Strecke geblieben.“
Marius hatte Recht. Zwar hatte Tobias seine Eisenwölfe auf die Jagd nach den Barbaren über das ganze Land geschickt, aber hauptsächlich hatte er es auf Maraxus abgesehen. Und den konnte man nie fassen. Im Gegenzug dazu kehrten viele seiner Eisenwölfe nicht mehr zurück. Für Tobias war dies damals ein Zeichen gewesen das genau dieser seiner Männer Maraxus gefunden hatte. Weiterhin war es ein Zeichen für Tobias den Gerüchten über Maraxus mehr und mehr Glauben zu schenken. Nun wusste er das die Gerüchte stimmten. Zobiak tat so als hätte diese Tatsache ihn nicht weiter getroffen, aber in Wahrheit belastete es ihn sehr das so viele Eisenwölfe damals von den Barbaren getötet worden waren.
“Aber sag mir, wie kommt es das du schon wieder deinen Hals für eine Stadt riskierst die du nicht zu retten vermagst?“
“Wie kommst du darauf das ich sie nicht zu retten vermag.“
Nun lachte Zobiak ernsthaft auf.
“Aber du hast sie nicht gerettet. Ihr habt verloren. Wieder einmal. Und nun, Barbar, endet es. Hier und jetzt endet es. Von euch sind nicht mehr viele übrig, Maraxus von Keld vielleicht, und du. Deine beiden Freunde haben wir bereits ausgeschaltet, und auch Maraxus ist...“ er hielt kurz inne. Woher wollte er wissen was aus Maraxus geworden war? Wenn er es war der das Katapult manipuliert hatte, dann lebte er vielleicht noch. Seine beiden Männer, oder besser gesagt Tobias´ Männer, waren offenbar nicht in der Lage gewesen ihn aufzuhalten. Sie waren tot, und Maraxus hatte es tatsächlich bewerkstelligt das einer seiner Leute anstelle eines Eisenwolfes ungesehen mit dem Katapult in ihr Lager gekommen war. Dieser Maraxus war leider gerissener als Zobiak sich zuerst eingestehen würde. Aber die Barbaren waren besiegt! Vor langer Zeit schon waren sie besiegt worden, und die wenigen die überlebt hatten waren geflohen. Es konnte nur ein Zufall sein das diese paar Barbaren in der Stadt waren. Maraxus hatte sich Karon Sturmfels angeschlossen, gut. Und diese beiden anderen Barbaren standen zu Maraxus, aber beide hatten ihren Kopf verloren, einer sogar durch seine eigene Hand. Aber nun stand hier schon wieder ein Barbar vor ihm. Vielleicht gab es sogar noch mehr von ihnen, aber wenn es so war, dann hätten sie sich sicher den Streitkräften der Stadt angeschlossen, und dann wären sie jetzt auch besiegt. Aber wo war Maraxus? Hätte er in die Stadt gelangen können ohne von ihnen gesehen zu werden? Wohl kaum. Aber wo war er dann?
“...Maraxus ist – was?“ unterbrach Marius ihn in seiner Überlegung.
“Maraxus ist tot, oder wenigstens so gut wie tot. Und die übrigen Barbaren sind es auch. Nur noch du bist übrig, und das werde ich jetzt ändern. Es wird Zeit das du dich zu deinen Freunden gesellst.“
Damit hob Zobiak seine Äxte an und wirbelte mit ihnen vor sich herum. Marius stand da und beobachtete das Spiel interessiert.
“Du kannst ganz gut damit umgehen, Söldner.“
Zobiak hielt inne. Lange hatte ihn niemand mehr so genannt. Er war nicht einfach ein Söldner, er war ein Eisenwolf, und das war eine ziemlich genaue Bezeichnung, denn jeder kannte die Eisenwölfe und jeder fürchtete sie. Nur dieser Marius, und überhaupt die Barbaren, schienen dies nicht zu tun. Dabei hatten sie am eigenen Leibe verspürt zu was die Eisenwölfe fähig waren.
“Ich werde dir zeigen wie gut, Barbar.“
Mit schwingenden Äxten schritt Zobiak, langsam einen Fuß vor den Anderen setzend, auf Marius zu. Marius hingegen stand einfach nur da, die Arme über der Brust ineinander verschränkt. Diese Ruhe wirkte auf Zobiak irgendwie einschüchternd. Und dann lächelte Marius ihn auch noch an. Ganz plötzlich hörte Zobiak den Lärm. Er war die ganze Zeit über da, wurde stetig lauter und lauter, aber Zobiak hatte es nicht bemerkt. Jetzt bemerkte er es. Es war das Getrappel von Hunderten von Pferdehufen, das grunzen von Schweinen, das Geklapper von Stahl, Schwertern, Lanzen, Rüstungen, das Getöse von Hunderten von Menschen. Und dann sah Zobiak es. Und er ließ vor Schreck seine Äxte fallen. Vor ihm bewegten sich die Bäume, sie bogen sich nach links und rechts, beinahe als würde ein Riese sie schütteln. Und dann brachen sie. Sie fielen zu beiden Seiten um und Zobiak sah was die Bäume so in Bewegung gesetzt hatte. Hunderte von berittenen Männern, offenbar Barbaren, stürmten aus dem Wald auf die Lichtung. Sie trugen Helme und Felle, ebenso wie damals als die Eisenwölfe sie besiegten. Lange, krumme Schwerter, scheinbar aus dem Osten, trugen sie, und riesige Wildschweine liefen zwischen den Reitern. Nun kamen sie um Rache zu üben, und es waren viele. Viel mehr als es Eisenwölfe gab. Diese Schlacht, wenn es zu einer kommen würde, würde kurz sein. Doch diesmal schien den Eisenwölfen kein Sieg beschert zu sein. Zobiak sank auf die Knie und bat um Gnade. Eine Gnade welche die Eisenwölfe nie gewährt hatten.


Geduckt und im Schutze der Dunkelheit kroch Andarah von Irendor durch die einbrechende Nacht. Der Mond stand am Himmel, war aber zum Glück von dunklen Wolken behangen. Ihr fror. Ihre Kleidung war durchnässt, und die Kälte begann nun langsam Eis in ihrer Kleidung zu bilden. Ihr Mantel lag vollgesogen auf dem Grunde des Sees, und auch er hätte ihr nicht viel genutzt. Sie wusste nicht wohin. Wohin waren die anderen geflohen? Waren sie zurück zum Lager im nahen Wald gerannt? War das Lager sicher? War es überhaupt noch da, oder hatten die Eisenwölfe es gesehen und zerstört? Es war egal, denn es war ihre einzige Chance. Sie kroch langsam herüber zum Turnierplatz, denn von dort konnte sie in den Wald gelangen ohne allzu oft über das offene Feld zu müssen, denn dort hätte man sie von der Burgmauer aus mit Sicherheit gesehen. Sie wusste es - immerhin hatte sie ja vor kurzem noch dort oben gestanden. Wie konnte das passieren? Was war eigentlich passiert? Offenbar hatte Maraxus doch Erfolg gehabt, denn das Katapult war ja definitiv zerstört. Aber wo war Maraxus? Hatte der Feind ihn? Spielte das jetzt überhaupt noch eine Rolle? Sie kroch immer weiter, jetzt hatte sie den Turnierplatz erreicht. Mit etwas Glück waren Karon, Rajhada und Desmond noch nicht aus dem Tunnel gekommen, dann war sie wenigstens nicht alleine. Nicht das sie Angst hatte alleine zu sein, sie war auf dem Gehöft ihres Vaters oft alleine gewesen, darum hatte man ihr ja den Umgang mit dem Bogen beigebracht, und in der Einsamkeit hatte sie es damit zur Meisterschaft gebracht. Auch mit dem Schwert konnte sie umgehen, aber nicht so gut. Sie war eine perfekte Fernkämpferin. Sie hatte jetzt den Zugang zum Geheimgang erreicht. Es sah nicht so aus als wären sie bereits herausgekommen. Es hatte geschneit, kurz bevor die Eisenwölfe ihren Sturm begannen, und der Schnee lag noch immer auf der Geheimtür. Wenn sie geöffnet worden wäre, und das erst vor kurzem, so wäre der Schnee doch sicher nicht mehr da. Aber was wenn Karon ihn wieder auf dem Geheimzugang verteilt hatte um ihn zu verstecken? Selbst dann, dann hätte man Fußspuren im Schnee sehen müssen. Fußspuren! Verdammt, daran hatte sie nicht gedacht. Im frischen Schnee konnte man ihre Kriechspuren deutlich sehen. Sie war zwar ganz im Verborgenen gekrochen, aber der Schnee zeichnete ihren Weg deutlich ab. Würden die Eisenwölfe nach ihr suchen? Das spielte im Moment auch keine Rolle. Nichts spielte im Moment eine Rolle. Sie öffnete die Geheimtür, und fast im Gleichen Augenblick in dem sie daran zog wurde von innen gedrückt. Andarah fiel Rücklings in den Schnee und kroch auf allen vieren, auf dem Rücken liegend, in Deckung, griff nach ihrem Dolch, riss ihn hervor, und sah in das verdutzte Gesicht von Maraxus von Keld. Sofort drehte sie sich um, sprang auf den Assassinen zu und fiel ihm in die Arme. Sie weinte vor Glück. Maraxus hatte alle Mühe mit der an ihm hängenden Andarah aus der schmalen Öffnung zu kriechen. Nach ihm krochen Desmond, gefolgt von Karon und Rajhada aus dem Geheimgang. Andarah war mit Maraxus bereits hinter einem Busch verschwunden, auch Desmond suchte bei den beiden Deckung als Karon und Rajhada den Geheimgang wieder schlossen und, genau wie Andarah angenommen hatte, Schnee darauf verteilten.
“Was ist passiert?“ fragte Desmond ganz schockiert über Andarahs Zustand. Sie zitterte, war kaum in der Lage zu sprechen. Mit krummen Fingern zeigte sie hoch zur Burgmauer und beschrieb einen Halbbogen in der Luft der im Wasser endete.
“Du bist von der Mauer gesprungen?“ Desmonds Worte klangen ungläubig. Andarah nickte. Ihre Lippen waren bereits hellblau angelaufen. Nun kamen auch Karon und Rajhada in das enge Versteck. Maraxus hatte seinen Umhang ausgezogen und um Andarahs Schultern gelegt.
“Die Stadt, ist sie gefallen?“
Andarah nickte.
“Was ist mit den Männern? Alle tot?“
“Andarah schüttelte mühselig den Kopf. Dann zeigte sie auf den nahen Wald.
“Geflohen?“
“Was hast du erwartet, großer Krieger? Das sie sich abschlachten lassen?“ In Maraxus Stimme klang zum ersten Mal so was wie Ironie. Er respektierte Karon, aber wie konnte er erwarten das sich Söldner ohne Bezahlung von einer weit überlegenen Armee für eine Stadt niedermetzeln ließen die ihnen nicht gehörte? Selbst sein Volk war geflohen als sie sahen das es nicht siegen würde, um wenigstens mit dem Leben davonzukommen.
“Nein, es ist gut so. Zum Glück sind sie geflohen. Kommt, wir müssen sie suchen. Sicher sind sie auch zum Lager zurückgekehrt. Ich muss mit Ded und mit Herbert sprechen. Wir müssen so schnell wie möglich etwas unternehmen.“
Andarah hielt den aufbrechenden Karon am Arm fest, ihre Hände waren kalt und nass. Ihr Finger waren fast genauso blau wie ihre Lippen. Sie stammelte ein paar Worte.
“Her.. Her...ert...“
Karon sah sie mit offenem Mund an.
“Herbert? Was ist mit Herbert?“
Andarah schloss die Augen. Karon sah sie traurig an, senkte seinen Blick zum Boden und schloss dann die Augen.
“Er ist tot, oder?“
Andarah nickte, nur einmal. Karon presste die Lippen aufeinander und nickte ebenfalls.
“Wir müssen die Anderen finden. Maraxus, bist du sicher das deine Leute kommen werden?“
Maraxus nickte.
“Absolut. Ich habe dir doch schon gesagt, ich hoffte sogar das sie noch kommen würden bevor die Eisenwölfe in der Stadt sind.“
“Und sie wären es wenn ich Idiot...“
“...jetzt hör damit auf“ unterbrach ihn Desmond.
“Du bist kein Idiot. Du bist ein hervorragender Heerführer. Und aus der Situation heraus mit den Informationen die du hattest, war es der einzig vernünftige Plan. Jetzt kommen die Barbaren eben später, aber mit ihrer Hilfe können wir es vielleicht schaffen die Stadt zurückzuerobern.“
Karon sah Desmond an. Er nickte. Dann sprang er auf, ging jedoch gleich wieder in die Hocke und machte sich auf zum Wald. Die anderen Assassinen folgten ihnen.


Indessen feierte man in der Stadt den Sieg. Man hatte es sich in Herberts Schankraum gemütlich gemacht, die Leiche des Wirtes hatte man mit Stricken vor die Türe gebunden und das Türschild heruntergerissen. Man hatte ein Neues aufgehängt, die Taverne hieß nun ZUM TOTEN SÄUFER. Die Eisenwölfe fanden das ungemein witzig. Sie fragten sich nur was aus Zobiak geworden war, auch wenn es sie nicht sonderlich interessierte. Die berittenen Eisenwölfe bildeten die Elite, durch sie konnte der Sieg ja auch letztendlich errungen werden, auch wenn niemand daran zweifelte das die Fußsoldaten es auch alleine geschaffte hätten.
“Also“, schrie ein besonders Großer und stämmiger Mann, der den Krug mit Met bei jedem Wort hin und herschwang, wobei das goldene Getränk in der ganzen Gegend verteilt wurde. “Wenn Zobiak nicht zurückkommt, dann bin ich hier der Anführer, oder ist irgendjemand dagegen?“ Allgemeines Gemurmel machte sich breit.
“Wieso du?“ brüllte ein anderer, der ebenso groß und stämmig war wie der erste. Dieser zog seinen Dolch aus dem Gürtel und warf ihn auf den Zwischenrufer, traf ihn sicher im Hals, worauf der Mann röchelnd zu Boden ging.
“Genau darum!“ brüllte der Messerwerfer jetzt.
“Ich bin der Anführer, wenn Zobiak nicht zurückkommt, und jeder von euch bekommt ein schnuckeliges Haus hier in der Stadt und kann fressen und saufen bis er umfällt. Gefällt euch das?“
Die Anwesenden rissen ihre Becher hoch und jubelten.
“Auf Broxa, unseren neuen Hauptmann!“


Auf der Stadtmauer über dem Tor, das mittlerweile wieder geschlossen und verriegelt war, standen zwei Eisenwölfe als Wächter für den Fall das Zobiak wieder zurückkehrte. Sie waren nicht einmal sicher ob sie ihn einlassen sollten, denn Broxa war ebenso gut wie Zobiak, wenn auch nicht ganz so selbstsüchtig, was allerdings auch an dem Alkohol liegen könnte. Was Broxa nicht wusste, er war nicht der Einzige der sich für einen Anführer hielt. Alle berittenen Eisenwölfe erhoben Anspruch auf diesen Posten, und aller berittenen Eisenwölfe genossen das Ansehen ihrer Männer. Die Fußsoldaten hörten aufs Wort wenn sie etwas befohlen, und das wussten sie. Die Eisenwölfe hatten also auf einen Schlag Vierzehn neue Anführer bekommen. Die Eisenwölfe waren euphorisch, nur wenige von ihnen waren ernsthaft verletzt, noch weniger getötet worden. Zu den verbliebenen Vierzehn Reitern gesellten sich noch Neunundfünfzig Fußsoldaten, und somit war ihre Streitmacht noch immer größer als die der Verteidiger der Stadt es jemals war. Und jetzt, da das Katapult zerstört und die Stadt in ihrer Hand war, die Meisten der Verteidiger erschlagen, und die vielleicht Zehn Überlebenden geflohen waren, wer sollte sie jetzt noch aufhalten? Diesen Winter würden sie in der Stadt verbringen, es waren genügend Vorräte da, und im Frühling würden sie ihren Siegeszug fortsetzen, stets mit der Gewissheit im Rücken eine Stadt zu besitzen zu der sie zurückkehren konnten. Das Leben konnte so schön sein.


Für Zobiak hingegen war das Leben nicht schön. Er lebte zwar noch, aber er wünschte sich mittlerweile dass es anders wäre. Er wurde gefesselt und geknebelt mit verbundenen Augen auf den Rücken eines riesigen, stinkenden Wildschweins gebunden und sie ritten nun schon eine ganze Weile. Marius wurde von den Männern freudig empfangen. Er hörte wie sie sich nach Maraxus erkundigten, und so hatte er erfahren das Maraxus bereits in der Stadt war um die Assassinen abzuholen, für den Fall das die Eisenwölfe es doch irgendwie schaffen sollten in die Stadt zu kommen. Es musst eine Art Geheimgang geben, hatten sie gesagt. Warum war er nicht selbst darauf gekommen. Tobias hatte sich schon gefragt wie die Assassinen in die Stadt gelangen konnten ohne gesehen zu werden, jetzt wusste Zobiak wie es möglich war. Irgendwo gab es immer einen Geheimgang. Nun befanden sie sich auf dem Weg in das verlassene Söldnerlager. Auch davon wussten die Eisenwölfe, warum um alles in der Welt hatten sie es nicht dem Erdboden gleich gemacht, als Aufwärmübung sozusagen. Jetzt hatten diese verdammten Mistkerle auch noch eine Zufluchtsstätte. Und an dieser Zufluchtsstätte waren sie offenbar angekommen, denn die Tiere blieben stehen. Dann hörte Zobiak wie die Männer abstiegen und einige davon auf ihn zukamen. Sie redeten nicht weit von ihm entfernt mit anderen Männern die offenbar schon auf sie gewartet hatten. Grob packte man Zobiak und warf ihn auf den Boden. Er fiel hart, denn seine Hände waren auf dem Rücken zusammengebunden worden. Man trat ihm in die Rippen und drehte ihn auf den Rücken, anschließend riss man ihm die Augenbinde ab. Um ihn herum standen Sieben oder Acht Barbaren, alle trugen Helme auf dem Kopf und hielten diese merkwürdigen, dünnen Schwerter in den Händen. Genau vor ihm stand ein Mann den er nur allzu gut kannte. Es war Ded, er hatte eine blutende Wunde auf der Stirn die er mit einem Stück Leinen notdürftig verbunden hatte. Er sah zornig auf Zobiak herunter und nickte.
“Da habt ihr einen guten Fang gemacht, Freunde. Das ist der Anführer dieser verdammten Bande.“
Ein über zweimetergroßer Hüne stand gleich neben Ded und ließ den Anführer der Söldner aussehen wie ein Kind.
“Dann haben wir ja ein Druckmittel gegen sie in der Hand.“
“Das glaube ich nicht.“ Diese Stimme kam von weiter weg, aber sie war laut und deutlich zu hören. Sie gehörte zu dem Mann der Zobiak noch allzu gut im Gedächtnis war. Maraxus von Keld.
“Wieso nicht?“ brummte der Riese der vor Zobiak stand.
“Weil diese Männer da drinnen keinen Wert auf Leben legen, nicht einmal auf das ihrer Männer, noch nicht einmal auf das ihres Anführers. Habe ich nicht recht?“
Zobiak versuchte zu erkennen wo Maraxus stand. Er wollte ihn mit seinen eigenen Augen sehen, wollte wissen ob er sich nicht verhört hatte. Jahrelang hatte er viel von Maraxus gehört, Legenden und Mythen, so glaubte er jedenfalls. Er glaubte noch immer nicht dass Maraxus noch lebte. Der Halbkreis um den auf dem Boden liegenden Zobiak öffnete sich und Maraxus trat hinein. Er sah auf Zobiak herab und nickte abfällig.
“Habe ich nicht recht? Ein Anführer ist so gut wie der nächste. Sie werden dir nicht nachweinen, und das weißt du. Du bedeutest ihnen nichts, und daher bist du für uns ohne Wert.“
“Nein!“ schrie Zobiak. “Das ist nicht wahr. Sie werden alles dafür tun das ich freikomme. Ich bedeute ihnen sehr viel. Ehrlich.“
“Etwa soviel wie ihnen Tobias Eisenglut bedeutet hat?“ Diese Stimme erklang hinter Zobiak, und sie gehörte einwandfrei zu Karon Sturmfels. Er stand die ganze Zeit über da, aber Zobiak konnte ihn nicht sehen, da er seine Augen starr nach vorne gerichtet hatte. Mühselig versuchte er den Kopf zu drehen. Es schmerzte, aber es gelang ihm. Er konnte Karon sehen. Er stand einfach nur da und paffte an seiner Pfeife. Verachtend sah er auf Zobiak herunter.
“Es ist etwas anderes. Tobias war ... er war... die Leute hatten Angst vor ihm.“
“Und du, du bist wahrscheinlich die Güte in Person, was?“
Diese Worte kamen wieder von Maraxus. Zobiak sah ihn an und bemühte sich zu lächeln. Er nickte eilig.
“Ja, so ist es. Ich war immer gut zu den Männern. Sie haben mich zu ihrem Anführer gewählt, während Tobias sich selbst dazu gemacht hat.“
“Wie dem auch sei, wir werden morgen früh sehen ob es stimmt oder nicht. Morgen früh holen wir uns die Stadt zurück.“

***

Jeder Gedanke an eine Flucht war vergebens. Die Barbaren wurden ihrem Namen wirklich gerecht. Man hatte Zobiak die Augen wieder verbunden, ihn geknebelt, ihm die Hände auf dem Rücken zusammengebunden und sie mit einer Schlinge um seinen Hals verbunden. Jede Bewegung seiner Hände hätte ihn stranguliert. Außerdem hatte man ihn an irgendetwas festgebunden, er befürchtete das es sich um eines der riesigen Wildschweine handelte. Diese Tiere waren wirklich furchterregend. Fast so groß wie Pferde, mit riesigen Hauern und glühenden Augen. Diese Viecher sahen fast so aus als hätte der Leibhaftige sie persönlich gezüchtet. Zobiak hatte Angst. Was, wenn diese Ausgeburt der Hölle ihn mitten in der Nacht als Häppchen verspeiste? Nun, dann hätte er es wesentlich abgekürzt, denn er war sich sicher das die Assassinen recht behalten würden. Seine Männer gaben nichts um sein Leben, wenn sie erst einmal das hatten was sie wollten. Sie würden die Stadt nicht wieder hergeben um ihn zu retten, er selbst hätte dies nicht einmal getan. Er war sich bewusst das dies für ihn die letzte Nacht auf dieser Welt sein würde.


Die Barbaren, die letzten Söldner und der letzte verbliebene Mann der ehemaligen Stadtwache saßen gemeinsam mit den Assassinen bei einem wärmenden Feuer und berieten was zu tun sei. Es waren zweihundertvierunddreißig Barbaren aus dem Norden gekommen, die meisten gehörten zu Maraxus altem Clan, aber einige waren auch neu, kamen ebenfalls aus dem Land der Barbaren und hatten von den Eisenwölfen und ihren Taten gehört. Sie hatten sich zusammengerottet und warteten nur auf einen Grund loszuschlagen. Schon vor Wochen, als alles begonnen hatte, hatten sie zwei Boten geschickt. Es waren die Brüder Eisenfaust, Boron und Ötsch, beide, ironischerweise, aus Maraxus´ Dorf, Ötsch sogar ein enger Vertrauter, Maraxus hatte ihn nur nicht erkannt, zuviel Zeit war vergangen. In alle Richtungen hatten sie Späher ausgesandt, aber nachdem Boron und Ötsch nicht zurückkamen sondern einen Boten schickten, machten sie sich auf um ihrem ehemaligen Heerführer zur Hilfe zu eilen. Marius war ein Vorreiter, der den Weg erkundschaften sollte. Zufälligerweise war er auf Maraxus getroffen, ein glücklicher Zufall, wie sich herausstellte, denn Maraxus war gerade damit beschäftigt das Katapult der Eisenwölfe auszuschalten. Die beiden erkannten das es riskant sei Maraxus selbst mit dem Katapult loszuschicken, und so übernahm Marius diese Waghalsige Aufgabe, während Maraxus durch den Geheimgang in die Stadt gelangen und die Assassinen benachrichtigen wollte. Leider war er zu spät gekommen, die Eisenwölfe konnten in die Stadt eindringen und sie besetzen. So sah die Situation jetzt aus. Acht Männer waren noch übrig und konnten fliehen, Ded, Sieben seiner Söldner und Haag von der Stadtwache. Ein hoher Preis, doch sie würden die Eisenwölfe dafür bluten lassen. Nun waren sie es die in der Überzahl waren. Das kleine Söldnerlager ähnelte nun schon fast einem Kriegslager. Mehr als Hundert Zelte hatten die Barbaren aufgestellt, unzählige Pferde hatten sie, Waffen und Rüstungen trugen sie selbst, wenn sie abgelegt worden wären, so hätte man mehrere Wagen gebraucht um sie zu transportieren. Die siegreichen Eisenwölfe würden sich am Morgen umsehen wenn sie aufwachten, mit schweren Schädeln vom Siegesumtrunk, und feststellten das sie umzingelt waren. Sie befanden sich nun in der Situation in die sie andere so gerne brachten. Wie Lämmer auf dem Schlachtfeld würden sie sich fühlen.


“Was immer wir auch tun, Karon kann nicht mitkommen. Er ist verletzt.“ Rajhadas Sorge um ihren geliebten Karon ging weit. Die Barbaren sahen Karon fragend an. Maraxus glaubte nicht was er soeben gehört hatte.
“Sie hat Recht, so leid es mir tut. Aber ich werde dennoch mitkommen, so schlimm ist es nicht.“
Wie aus dem nichts erschien eine blonde Frau. Ihre Haare hatte sie nach hinten gesteckt, und sie trug einen blauschimmernden Umhang.
“Das ist Edain, unsere Heilerin.“
“Das hat sich schon ein Heiler angesehen, Horatio, er hat es verbunden, aber er sagte das Karon nicht kämpfen kann.“
“Darf ich mir das mal ansehen?“ fragte Edain. Sie wirkte fröhlich und keck, so gar nicht wie eine Barbarin, und doch war sie eine, wie ihre Größe verriet. Sie war zwar nicht so groß wie die Männer, aber dennoch recht groß für eine Frau. Rajhada beäugte sie recht misstrauisch. Sie konnte es nicht ertragen wenn jemand fremdes ihren Karon anfasste, und schon gar keine Frau. Karon zog den Panzer mit Maraxus Hilfe über den Kopf, zog das Hemd aus und löste den Verband. Sogleich begann die Wunde zu bluten.
“In mein Zelt mit ihm, schnell“ rief Edain und eilte geschwind davon. Zwei Barbaren stützten Karon und schafften ihn in Edains Zelt. Sie hievten ihn auf eine Liege die in der Mitte des Zeltes stand und gingen gleich wieder. Rajhada trat hastig in das Zelt hinein und stand da wie ein Rachegott.
“Horatio hat mich nicht fortgeschickt, und du wirst mich auch nicht fortschicken.“
Edain sah Rajhada fröhlich an.
“Nein, warum sollte ich auch?“
Rajhada kam sich ein wenig blöd vor. Karon lag auf der Seite, die Wunde nach oben. Edain rieb sie mit verschiedenen Kräutern ein, Karon schrie leise auf. Rajhada blutete das Herz ihren Liebsten abermals leiden zu sehen. Sie presste die Augen zu um nicht alles mit ansehen zu müssen.
“Das werde ich nähen“ sagte Edain fröhlich.
Das war zuviel für Rajhada, sie verließ das Zelt, blieb aber davor stehen, so das sie im Notfall eingreifen konnte.


Es dauerte nicht lange, da kam Karon, alleine und wohlauf, wieder aus dem Zelt heraus. Um seinen Nackten Oberkörper war ein Verband gewickelt, aber er sah zufrieden aus. Nach ihm trat Edain ins Freie. Sie hielt einen Becher mit einer dampfenden Flüssigkeit in den Händen. Rajhada musterte sie argwöhnisch.
“Ich will wissen was das ist, bevor er das trinkt.“
Karon warf Rajhada einen strafenden Blick zu.
“Das ist nicht für ihn, sondern für das Mädel das in den See gefallen ist. Sie soll sich doch nicht den Tod holen.“
Damit stapfte Edain fröhlich an den beiden vorbei und ging auf Andarah zu.
“Was hat sie gemacht?“
Karon sah Rajhada frech grinsend an.
“Nichts schlimmes, jedenfalls nichts wo du etwas gegen haben könntest. Sie hat die Wunde genäht und irgendetwas darauf geschmiert. Sie meint das ich bereits morgen wieder normal kämpfen kann.“
Rajhada nickte, aber diese Antwort, so sehr sie ihr auch gefiel, passte ihr nicht.
“Sie ist eine Heilerin, nichts weiter.“
“Eine hübsche Heilerin“ gab Rajhada zu bedenken.
Karon nickte. “Ja.“ Rajhada sah ihn wütend an.
“Aber nicht so hübsch wie du, meine Liebe.“
Die beiden setzten sich zu den anderen ans Feuer. Wie durch ein Wunder war Karon offenbar doch bald wieder Einsatzfähig, auch wenn Rajhada die Art der Heilung nicht gefallen hatte.
Nur ein Problem galt es noch zu lösen. Wie sollte man in die Stadt gelangen?
Desmond ergriff das Wort.
“Ehrlich gesagt glaube ich nicht das die sich auf einen Kompromiss einlassen werden. Dieses elende Stück Dreck dahinten ist ihnen nicht mehr wert als uns. Die haben was sie wollten, die Stadt ist in ihrer Hand. Sie werden nicht so einfach das Tor öffnen wie wir es getan haben.“ Er sah zu Karon herüber der ein Gesicht zog als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen. “Tut mir leid, so hab ich es nicht gemeint.“
Karon nickte ihm zu. Er nahm den kleinen Tabaksbeutel heraus den er von Maraxus geschenkt bekommen hatte, öffnete ihn und stopfte sich seine Pfeife.
“Es gibt keine Schwachstelle an der Stadt, außer dem Tor, richtig?“ brummte der Riesenhafte Barbar, einer von fünf die sich mit ans Feuer gesetzt hatten. Die übrigen Barbaren lagen in ihren Zelten, hielten Wache oder saßen an anderen Feuern die sie entzündet hatten. Sie hatten keine Angst gesehen zu werden, der Wald war um das Lager herum recht dicht, und von der Stadt aus konnte man es ohnehin nicht sehen.
“Das ist soweit richtig. Die Stadtmauer ist robust und hoch, am hinteren Teil erstreckt sich die Burg des Grafen, aber die ist absolut uneinnehmbar. Der Graf ist soweit in Sicherheit, es sei denn sie zünden die Burg an, und das werden sie nicht tun, weil sie das Feuer dann nicht unter Kontrolle hätten. Am anderen Ende der Stadt ist der Turnierplatz, daneben liegt gleich der See. Dort ist die Mauer nicht ganz so hoch, aber der See ist ein Hindernis für sich.“
“Der Graf ist also in Sicherheit, das ist gut. Was ist mit den Frauen und Kindern? Und wo sind die Verletzten?“
“Die sind in den Ruinen unter der Burg, der Eingang wird sicher nicht von den Mistkerlen gefunden, jedenfalls nicht bis morgen. Aber wir müssen sie so schnell wie möglich dort herausholen.“
“Aber wie kommen wir in die Stadt?“ brummte der Riese.
Karon blies eine Wolke aus dichtem, blauen Rauch aus, räusperte sich und alle sahen ihn an.
“Wir kommen in die Stadt wie wir schon einmal hinein und auch wieder hinausgekommen sind.“
Desmond, Andarah, Rajhada, alle sahen Karon an.
“Durch den Geheimgang natürlich.“
Maraxus schüttelte den Kopf.
“Das ist Wahnsinn. Wir kommen dann genau in der Taverne raus, und ich schätze mal da halten sich die meisten dieser Hunde auf.“
“Ja, das kann sein, aber fällt dir etwas besseres ein?“
“Wie wäre es wenn wir es mit ihm da versuchen würden?“ Der Riese deutete mit dem Daumen über seine Schulter auf den gefesselten Zobiak.
“Er geht hin, alleine versteht sich, klopft an, und sobald das Tor auf ist – bang – kommen wir und sorgen dafür das es nicht mehr zugeht.“
Maraxus musterte den Gefangenen argwöhnisch.
“Nein. Ich glaube nicht dass das funktioniert. Sie werden uns sehen. Zweihundert Reiter kann man nicht einfach so übersehen. Um nahe genug an das Tor ranzukommen müssen wir uns zeigen.“
Der Riese nickte betrübt und stimmte Maraxus zu.
“Also machen wir es so wie ich gesagt habe. Wir schleichen uns rein, bringen ein paar von denen um, öffnen das Tor, und dann nimmt die Sache ihren Lauf.“
“Das klingt sehr gefährlich. Ihr wollt euch also bei Nacht und Nebel hineinschleichen, ein paar Morde begehen, ungesehen zum Tor marschieren, eventuelle Torwächter ausschalten, und dann das Tor für uns öffnen?“
“Jaah“, sagte Karon, lächelte und sog an seiner Pfeife. Maraxus sah ihn an und grinste. “Genau so, warum nicht? Das ist es, was wir am besten können.“


Die Nacht schien einfach nicht vergehen zu wollen, Stunde um Stunde rückte der Morgen näher. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, da erwachte Desmond neben Maraxus und Andarah. Die beiden schienen noch zu schlafen, beide hatten die Decken bis unters Kinn gezogen, aber Karon und Rajhada standen bereits im Zelt und begannen ihre Kleidung anzulegen, beziehungsweise waren bereits damit fertig. Sie legten nur noch ihre Umhänge um. Karon ging es gut, besser als je zuvor. Die Wunde war von Edain perfekt verbunden worden. Diese Frau schien mehr von der Heilkunde zu wissen als Horatio, obgleich er Horatio dankbar war das er ihn wieder zusammengeflickt hatte. Desmond sah das Karon nicht den Brustpanzer trug, sondern nur ein dunkles Hemd, seine braune Lederhose und darüber den schwarzen Kapuzenumhang. Er trug leichte Stiefel und schwarze Handschuhe. Ein breiter Gürtel spannte sich über seinem Bauch, er schien mehrere Messer zu enthalten, Wurfmesser um genau zu sein. Karon stand nun zum ersten mal in seiner Arbeitskleidung vor Desmond. Er hatte ihn als König gesehen, und als Assassinen, doch noch nie als Assassine der sich zum Töten bereitgemacht hatte. Karon bemerkte das Desmond erwacht war. Er überprüfte nochmals den Sitz des Messergürtels, blickte nicht auf als er Desmond einen guten Morgen wünschte, und strich sein Hemd glatt.
“Morgen“ wünschte Desmond verschlafen.
“Hast du gut geschlafen? Ich hoffe doch wir haben dich nicht geweckt, das wäre doch ein Zeichen dafür das wir zu laut sind.“
“Nein, nein. Ihr habt mich nicht geweckt.“
“Gut.“ Karon sah jetzt hoch und deutete auf Andarah. “Du solltest sie aber auch langsam wecken. Es wird Zeit.“
Desmond drehte sich und rüttelte sanft an Andarah. Sie erwachte, schaute sich um, gähnte und reckte sich ein wenig.
“Es wird Zeit.“
Andarah schob langsam die Decke zurück, stand auf und ging zu einer Ecke des Zeltes wo sie ihre Kleidung niedergelegt hatte. Desmond wollte Maraxus gerade wachrütteln als dieser die Augen aufschlug, die Decke zurückwarf, hochsprang, Desmond zu fall brachte und ihm das Messer an den Hals hielt. Er war bereits gänzlich bekleidet, nur der Mantel fehlte noch. Er saß auf dem völlig verschreckten Desmond und lächelte ihn diebisch an.
“Ich dachte mir doch das ich dir noch mal heimzahlen kann was damals an dem Weiher passiert ist, Desmond. Der Schnelle, ja?“
Maraxus nahm das Messer, steckte es wieder weg und stieg von Desmond herunter. Karon hatte alles aus dem Augenwinkel beobachtet und schmunzelte. Als Desmond ihn ansah zuckte er nur mit den Achseln.


Als sich alle angekleidet hatten, Maraxus hatte ein ganzes Arsenal an Wurfmesser, Wurfsternen und ähnlichem Zeug am Körper verborgen, und nur der Teufel wusste was Karon alles trug, strafften sich die Assassinen und gingen zum Zeltausgang.
“So, dann wollen wir diese Barbaren mal Wachklopfen, was?“ posaunte Desmond und schlug die Zeltplane zurück. Vor dem Zelt standen die Barbaren bereits marschfertig neben ihren Pferden, einige saßen sogar schon auf. Die Zelte hatten sie bereits abgebaut, nur die wenigen die den Söldnern gehörten standen noch. Der Riese vom Vorabend saß auf einem gigantisch wirkenden Schwarzen Ross und schaute auf die Assassinen herab.
“Wachklopfen, ja?“ er lachte aus vollem Hals. “Dafür müsst ihr schon früher aufstehen.“
Karon lächelte. Er nickte den Barbaren zu, und alle nickten zurück. Maraxus trat an Karon vorbei und ging auf den Riesen zu.
“Also, Klaas, eine Vorhut aus drei Reitern, der Rest hinter ihnen im Wald verborgen. Wir gehen rein, sobald das Tor auf ist stürmt ihr los. Wenn wir in einer Stunde nicht zurück sind, dann reitet auf das Feld und zeigt euch, aber nicht alle. Nur die Hälfte von euch. Der Rest bleibt verborgen im Wald. Ihr lenkt dann alle ab, damit wir entkommen können.“
“Und wenn ihr geschnappt werdet, Herr?“
Maraxus schüttelte den Kopf.
“Wir werden nicht geschnappt. Entweder wir siegen oder wir sterben. Alles klar?“
Die Barbaren nickte. Mit flauem Gefühl im Bauch gingen die Assassinen los, sie schlichen sich durch den Wald auf den Turnierplatz. Niemand sah sie im anbrechenden Morgen. Ein langer, dunkler Weg lag vor ihnen, und was sie am anderen Ende erwartete konnte niemand ahnen.

***

Langsam tasteten sich die Assassinen durch den schmalen Geheimgang unter der Stadt hindurch. Ihnen war klar das der Schankraum in dem sie herauskommen würden voll war mit Eisenwölfen. Sie hofften nur das sie genug oder besser noch mehr getrunken hatten und schliefen. So war es leichter das Vorhaben in die Tat umzusetzen. Ein Assassine hätte niemals einen schlafenden Ermordet, aber dies waren besondere Umstände, und selbst Karon war unter diesen Umständen bereit eine Ausnahme zu machen. Er ging vor, gefolgt von Rajhada, dahinter Maraxus, Desmond und zum Schluss Andarah. Sie wollten Andarah zuerst nicht mitnehmen, am Abend ging es ihr nicht gut, aber Edain hatte ihr ein Getränk zubereitet das ihre Beschwerden nicht nur gelindert sondern nahezu vollkommen vertrieben hatte. Karon hatte die Unterkühlung Andarahs natürlich nur als Vorwand genommen, er wollte sie nicht dabei haben. Nicht das er ihr nicht vertraute, aber sie war ohne ihren Bogen aufgeschmissen, und mit einem Bogen konnte sie in der Situation in der sie sich momentan befanden auch nichts großartiges Bewirken. Andarah hatte jedoch drauf bestanden das sie ebenfalls ein Assassinen sei, von Karon und Maraxus als solche im Geheimorden aufgenommen und selbstverständlich mitkommen würde. Sie wollte „etwas lernen“. Karon hatte mehrere Male darauf hingewiesen das es hier nicht nur um „etwas lernen“ ging, sondern eine Haufen Morde zu begehen war, dies glich eher einer Meisterprüfung als einer Lehrstunde. Andarah erwiderte darauf das sie dann erst recht mitkommen müsse, denn es käme ja schließlich auf jeden Mann an. Also gab man ihr eine Reihe Wurfmesser und nahm sie mit. Im Prinzip hatte sie ja auch Recht.


Allmählich hatten die Fünf das Ende des Ganges erreicht. Karon horchte angestrengt. Er drückte die Geheimtür ein wenig auf und sah in den Schankraum hinein. Dort lagen mindestens Fünf der verhassten Männer, aber Karon konnte nur ein kleines Stück des Raumes sehen, es war also gut möglich das es Zehn oder gar mehr waren. Aber zum Vorteil der Assassinen schliefen die Männer tief und fest. Leise drückte Karon die Geheimtür ganz auf, schlug die Kapuze über den Kopf und trat in den Schankraum, leise – ohne das geringste Geräusch zu machen. Die anderen Assassinen folgten ihm. Nun standen sie alle Fünf da, in schwarze Mäntel gehüllt, mit den Kapuzen tief im Gesicht, die Hände unter den Kutten verborgen. Sie sahen aus wie schwarze Dämonen die direkt aus der Hölle gekommen waren. Andarah, die als letzte aus dem Gang gekommen war und einen Ersatzmantel von Maraxus trug, schloss lautlos die Geheimtür und stellte sich neben die anderen. Es waren Vierzehn Eisenwölfe die hier lagen, auf den Tischen, Bänken und Stühlen, einige lagen sogar auf dem Boden. Es grenzte an ein Wunder das sie niemanden angestoßen hatten als sie die Geheimtür öffneten. Sie lagen so dicht das es nahezu unmöglich schien den Raum zu durchqueren ohne sie zu berühren und wach zu stoßen. Karon sah kurz zu Maraxus und den anderen, nickte kurz. Die Assassinen erwiderten das nicken, und darauf ließ Karon einen lauten Brüll los.
“Aufwachen, ihr verdammten Schweine. Der Tag des Jüngsten Gerichts ist angebrochen!“
Der gewünschte Effekt blieb aus. Zwar regte sich etwas in den schlaftrunkenen Söldnern, aber irgendwie schien niemand besonders erpicht darauf schnelle Bewegungen zu machen. Einer, derjenige der dort saß wo sonst immer Karon gesessen hatte erwachte als erster, sah die Fünf Attentäter dort stehen, riss sofort die Augen weit auf und wollte gerade losschreien als Andarah den Mantel zurückwarf und ihm einen Wurfdolch entgegenschmiss der ihn in der Brust traf und im Schrei verstummen ließ. Er sank auf den Tisch zurück, packte den Dolch und riss ihn aus der Brust heraus. Sofort begann die Wunde wie verrückt zu bluten und Andarah lächelte unter ihrer Kapuze zu dem Mann herüber der mit beiden Händen versuchte die Blutung zu stoppen.
“Das war ein Fehler, Mistkerl.“
Das hatten auch die anderen gehört die schlagartig wach wurden und versuchten aufzuspringen. Fünf Mäntel flogen zurück und gaben zehn handliche Armbrüste frei. Die Bolzen flogen quer durch den Raum und trafen. Der Rest war nahezu unübersehbar. Die Eisenwölfe sprangen auf, griffen zu ihren Waffen, doch die Assassinen waren schneller. Sie warfen ihre Armbrüste, die nun nutzlos waren, beiseite, und wirbelten herum. Jeder hatte in jeder Hand einen Dolch, damit sprangen sie wie Gespenster durch den Raum und schlitzten einem nach dem anderen die Kehle auf. Die Eisenwölfe waren viel zu perplex um sich zu wehren. Der Kampf dauerte keine Minute, dann waren Vierzehn Leichen im Schankraum des TOTEN SÄUFERS verteilt, Bolzen ragten ihnen aus der Stirn und aus der Brust, der Boden war rutschig vom Blut das aus offenen Hälsen und Mündern lief. Langsam blickten sich die Assassinen, jeder in einer anderen Ecke stehend an. Sie standen merkwürdig gekrümmt da, die Dolche immer noch bereit zum zuschlagen, aber es gab kein Ziel mehr. Die Assassinen hatten erste Rache genommen.


Die Barbaren ritten durch den Wald, hintereinander, was dazu führte das die letzten noch immer im Lager standen als die Ersten bereits auf dem freien Feld vor der Burg angekommen waren. Sie brachten ihre Pferde zum stehen und betrachteten die Burg im aufgehenden Licht der Sonne. Sie lag ganz ruhig da, nichts aber auch gar nichts ließ darauf schließen das vor nicht einmal Zwölf Stunden hier ein Kampf getobt hatte, und das die Stadt gefallen war. Oben, auf der Stadtmauer in Höhe des Tores, stand ein einsamer Wächter, er schien zu schlafen. Von dem Zweiten war nichts zu sehen, offenbar hatte er sich ebenfalls schlafen gelegt. Der Riese betrachtete ihn belustigt.
“Ich nehme an wenn wir klopfen und freundlich um Einlass bitten wird er das Tor öffnen. Er sieht nicht gerade aus als wäre er kampfeslustig.“
Ein Zweiter Barbar, nicht ganz so groß aber dennoch recht hochgewachsen ritt gleich neben ihn.
“Ich weiß nicht, Klaas, könnte schon sein, aber ich will eigentlich dass sie spüren was sie uns angetan haben.“
“Uns und so vielen anderen, Wit. Sie müssen bezahlen.“


Indessen hatten sich die Assassinen durch die Taverne geschlängelt, ihre Bolzen und Armbrüste wieder eingesammelt und gespannt und traten nun langsam in den Vorraum der Taverne. Die Treppe die nach oben auf den Burghof führte war verschneit. Sie standen noch unten und blickten durch die beglaste Tür nach draußen. Schon einmal war Karon dort in eine Falle gelaufen, und er hatte nicht vor es nochmals zu machen. Er lugte kurz durch das schmutzige Glas. Irgendetwas stand dort, gleich neben der Tür, und es schien ein Mann zu sein. Konnte es sein das man sie gehört hatte? Im Allgemeinen Tumult hatte Karon kein Gespür für Lautstärke entwickelt, er war stets leise, aber konnte es sein das ihre Opfer geschrieen hatten? Und wenn ja, warum stand dann draußen jemand und wartete auf sie, hätte er doch drinnen mehr ausrichten können (Nicht wirklich, aber das mussten sie doch denken). Karon konnte jedenfalls niemanden sonst auf dem Hof ausmachen, wahrscheinlich lagen sie alle in gemachten Betten der Bewohner und ließen es sich gut gehen, diese verdammten Hurensöhne. Karon warf seinen Mantel beiseite, legte die Armbrust an und schoss durch das halb geöffnete Fenster. Die Person bewegte sich nicht, und sie schien auch sonst nicht zu reagieren. Offenbar hatte Karon sich getäuscht. Er legte einen neuen Bolzen ein, spannte die Armbrust abermals, öffnete leise die Tür und trat ins Freie, gefolgt von den übrigen Assassinen. Gleich oben neben der Treppe stand ein Karren, dahinter gingen sie in Deckung und sahen sich um. Karon warf einen Blick auf den Gegenstand den er für einen Feind gehalten hatte. Er hatte Recht, es war ein Menschlicher Körper, wenn auch der eines Toten. Er erschrak und wurde kreidebleich. Auch die anderen Assassinen hatten gesehen was Karon sah. Der Tote der dort angebunden war und dem nun Karons Pfeil in der Seite steckte war niemand anders als Herbert. Sie hatten ihn dort mit ausgebreiteten Armen festgebunden, wie eine makabere Puppe die einen einlud hereinzukommen. Karon unterdrückte einen Schrei. Er warf einen Blick auf das Schild das oben über Herberts Leiche angenagelt war. ZUM TOTEN SÄUFER. Das war zuviel. Karon schnaubte vor Wut, doch Desmond hatte es noch schlimmer erwischt. Er trat gegen den Karren und schritt auf den Hof. Er brüllte aus vollem Hals “Kommt raus, ihr verdammten Schweine, ihr. Hier bin ich, los, kommt raus, damit ich jeden einzelnen von euch zum Teufel schicken kann.“
Die anderen Assassinen beobachteten das Geschehen voller Entsetzen. Natürlich war es hart dies mit anzusehen, aber Desmond sollte sich doch besser unter Kontrolle haben. Blitzschnell reagierte Karon, sprang vor, griff sich Desmond und sprang mit ihm in Deckung. Keine Sekunde zu früh, denn in jenem Augenblick drehte sich der Torwächter um, sah Desmond und brüllte laut “Alarm! Die Assassinen sind hier! Alarm!“ Dann griff er seine Armbrust, legte auf Desmond an, aber Andarah war schneller. Sie riss aus ihrem Versteck hinter dem Karren ihre Armbrust hervor, legte an und erschoss den Mann auf der Mauer, der hart getroffen zurücktaumelte und rücklings über die Mauer nach draußen aus der Stadt fiel.


Die Barbaren vor der Stadt hörten ebenfalls den Schrei von Desmond, so laut hatte er gebrüllt. Kurz darauf sahen sie wie der Wächter, den sie so gespannt beobachtet hatten, sich umdrehte und kurz darauf von der Mauer herunterfiel. Er klatschte hart auf den Boden vor der Stadt auf und sein Schädel zersprang auf dem gefrorenen Boden.

“Ich denke es geht los“ sagte Wit emotionslos. Der Riese namens Klaas hob die Hand und langsam setzten sich die Reiter in Bewegung, ritten auf das offene Feld hinaus und schwenkten dann zur Seite, so das sie nebeneinander ritten. Jetzt konnte man es wirklich mit der Angst zu tun bekommen, denn im Handumdrehen war das freie Feld vor der Stadt gesäumt mit Riesigen Reitern die auf noch riesigeren Pferden ritten und aussahen als wären sie zu allem bereit. Und der Schein täuschte nicht.


Karon und Desmond hatten hinter einer Bank Schutz gefunden, aber ihre Deckung war aufgeflogen. Desmonds Ruf hatte die Eisenwölfe geweckt, und nun traten sie der Reihe nach auf den Platz um zu sehen was geschehen war. Der zweite Torwächter war nun auch erwacht, hatte zwar bemerkt das er alleine dastand, hatte aber zu spät gesehen was geschehen war. Die Armbrust im Anschlag blickte er nervös über den Platz. Einer der Eisenwölfe rief “Was ist los, Hank?“
Hank, der Torwächter, wusste keine Antwort zu geben.
“Was heißt das, die Assassinen sind hier?“ brüllte ein anderer.
Karon blickte zu den drei Kollegen hinter dem Karren herüber. Sie sahen aus als wollten sie das gleiche sagen wie er. Es waren einfach zu viele. Mindestens Dreißig Eisenwölfe, zwar ohne Rüstungen aber dafür bewaffnet, standen überall auf dem Platz verteilt. Sie konnten von Glück reden das sie noch nicht entdeckt worden waren. Ihr einzige Chance war nun das Tor zu erreichen und es zu öffnen, damit die Barbaren in die Stadt kommen konnten. Aber wer sollte das tun? Wer war verrückt genug loszurennen, quer durch die Belagerer, auf das Tor zu um es zu öffnen? Eine schwere Entscheidung.

***

Die Barbaren hatten nun vor der Stadt Stellung bezogen. Sie sahen den zweiten Torwächter nun nervös auf und ab laufen.
“Siehst du, da ist noch ein Zweiter. Hab ich ja gleich gesagt.“
“Und ich habe gleich gesagt wir sollen es mit anklopfen probieren.“
“So nervös wie der ist könnte das eine gute Idee sein.“
“Oder eine verdammt schlechte.“
“Wie sollen wir es jemals herausfinden wenn wir es nicht probieren.“
Klaas und Wit, die beiden Riesigen Barbaren die an der Spitze des Reiterheeres waren ritten im leichten Galopp auf die Burg zu. Klaas hatte in Horn an seiner Seite hängen, er nahm es, hob es an den Mund und blies fest hinein. Ein lauter und dumpfer Ton war zu hören. Auf der Stelle drehte der Torwächter sich um und sah was dort vor der Burg auf ihn zugeritten kam, und vor allem sah er was da noch stand. Fünfzig oder mehr Reiter standen dort in Drei Reihen hintereinander, und aus dem Wald kamen immer mehr und mehr. Vor Schreck ließ der Wächter einen lauten Schrei los und richtete die Armbrust auf die Männer die vor der Stadt standen, er konnte sich aber nicht entscheiden wohin er zielen sollte, so riss er die Armbrust stets von einer Seite auf die Andere.
“Was ist da draußen los?“ fragte einer der Eisenwölfe der mitten auf dem Hof stand. Der Wächter drehte sich um und deutete mit zitternder Hand nach draußen auf das Feld.
“Da sind Männer. Mit Pferden. Viele.“
Die auf dem Hof stehenden Männer sahen sich fragend an und redeten wild miteinander. Im Allgemeinen Tumult stoben die Männer auseinander. Einer brüllte “Holt die Reiter! Holt die Reiter! Sie sind in der Kneipe! Holt sie raus! Wir werden angegriffen! Zu den Waffen!“ Dann rannten die Männer auseinander, der Reihe nach in die Häuser hinein, andere aus den Häusern heraus. Mehr und Mehr Eisenwölfe befanden sich nun auf dem Platz, und nach und nach trugen sie ihre Rüstungen, wenigstens zum Teil, und hatten ihre Waffen. Einige rannten auf die Taverne zu, sprangen die Stufen herunter und rannten in das Gebäude hinein. Sie waren so in Panik das sie die Assassinen nicht bemerkten die gleich neben der Treppe hinter dem Karren verborgen waren. Karon und Desmond schlichen geduckt zu ihnen herüber. Es war nun etwas sicherer, denn im Allgemeinen Durcheinander fielen sie kaum auf.
“Was jetzt, du Riesenrindvieh?“ fluchte Andarah zu Desmond herüber. Dieser war zwar wütend aber hatte sich wieder einigermaßen unten Kontrolle, was er nicht zuletzt Karons Schlag verdankte den er ihm verpasst hatte gleich als sie hinter der Bank in Deckung gegangen waren.
“Einer muss zum Tor rennen und es öffnen.“
“Ja, das wäre vor einer Minute kein Problem gewesen. Ein Spaziergang, sozusagen, aber jetzt...“
“Ist ja gut - ist ja gut!“ fluchte Desmond, laut aber dennoch zurückhaltend. “Ich habe uns den Mist eingebrockt, ich werde es auch wieder gutmachen. Ich gehe!“ Desmond warf einen Blick zum Tor herüber. Zwischen ihm und der Torflügeln lagen gut Zweihundert Meter und mindestens Zehn Eisenwölfe. Er schätzte seine Chancen ab und nickte trotzig.
“Du wirst nicht gehen“ sagte Karon bestimmend.
“Ach, und warum nicht?“
“Weil sie dich dann töten werden.“ Karon war nun auch zornig.
“Na und wenn schon. Ich fürchte den Tod nicht.“
Desmond wollte gerade losrennen, da packte Karon seinen Arm, riss ihn zurück, zog seine Armbrust und hielt sie ihm an den Kopf.
“Nein?“ Karon blickte Desmond tief und fest in die Augen. Desmond schien offenbar keine Angst zu haben das Karon abdrückte. “Nein?“
“Nein!“ sagte Desmond bestimmend.
“Warte noch ein paar Sekunden.“
Sie hörten Schritte aus durch den Gang zur Taverne rennen. Rasch wurde die Tür aufgerissen und die Männer sprangen die Treppe wieder hoch auf den Hof.
“Alle Tot! Sie sind alle Tot!“
Karon nickte den anderen zu. Desmond gab er einen Stoß in Richtung Tor.
“Jetzt!“ schrie er. Die Assassinen sprangen aus ihrem Versteck, Maraxus stürzte sich auf die Männer die gerade aus der Taverne getreten waren und stieß sie die Stufen wieder herab. Desmond rannte auf das Tor zu so schnell er konnte. In der rechten Hand hatte er noch eine Armbrust die er auf den ersten Mann abfeuerte der ihm im Wege stand. Dann warf er die Waffe weg und rannte noch schneller. Die Eisenwölfe wussten nicht was sie zuerst tun sollten. Einige stürmten auf Desmond zu, sie wollten ihn aufhalten, die anderen stürzten sich auf die anderen Assassinen, die ihre Armbrüste ebenfalls weggeworfen hatten nachdem sie die Waffen abgefeuert hatte. Sie rissen ihre Wurfmesser hervor und erledigten einige der heranstürmenden Söldner, doch dann waren sie zu nah an ihnen. Mit den Dolchen die sie gerade in der Hand hatten setzten sie sich zur Wehr. Sie wirbelten blitzschnell herum und setzten den Eisenwölfen zu, aber es wurden immer mehr und mehr. Plötzlich kamen Männer mit Schwertern auf sie zugerannt.
“Schnell, in die Taverne! Los!“ brüllte Rajhada. Sie sprang auch schon die Treppe herunter, ihre Hände und ihr Gesicht waren blutverschmiert. Andarah folgte ihr. Sie hatte ihre Fähigkeiten wirklich überschätzt, wie sie leider zugeben musste. Gerade als sie sich umdrehen wollte traf sie der Schwerthieb eines Halbnackten Mannes. Er war noch nicht dazu gekommen seine Rüstung anzulegen, aber leider hatte er bereits sein Langschwert gepackt. Sie taumelte herum, stieß den Dolch den sie in der Hand hatte vor und rammte ihn dem Mann in den Hals. Rajhada fing die stürzende Andarah auf und schleppte sie in die Taverne, legte sie hin, trat wieder aus der Taverne ins Freie und verriegelte die Tür. Sie schützte die Tür mit ihrem Leben, niemand sollte in die Taverne eindringen, nicht solange sie lebte. Die Wölfin kämpfe und machte ihrem Namen alle Ehre. Desmond rannte und rannte. Er hatte das Tor erreicht. Er griff nach dem Riegel, hob ihn an, dann traf ihn ein Pfeil, der von irgendwo auf ihn geschossen wurde, im Rücken. Mit letzter Kraft riss er an dem Torflügel, er schwang auf, dann kippte er nach hinten weg und starb an der gleichen Stelle an der auch Herbert gestorben war. Nur das er das Tor öffnete, während Herbert verzweifelt versucht hatte es zu schließen.


Die Barbaren sahen wie das Tor aufschwang und preschten los. Der völlig verdutzte Torwächter schoss seine Armbrust ab, aber der einzige Schuss den er hatte ging ins Leere, dabei mangelte es nicht an Zielen. Die Eisenwölfe kamen angerannt um das Tor wieder zu verriegeln, doch die Hufe der Pferde sprengten es vollends auf und die Barbaren ritten in die Stadt. Und es wurden immer mehr und mehr. Die Eisenwölfe setzten sich zur Wehr, aber es war hoffnungslos. Der Kampf war sogar noch schneller beendet als der dreiste Überfall am Abend zuvor. Die Eisenwölfe saßen in der Falle, und sie waren nicht auf eine Schlacht vorbereitet. Die Barbaren verriegelten das Tor, niemand konnte entkommen, ein jeder wurde getötet. Nur jene die ohne Waffen und mit erhobenen Händen um Gnade schrieen, denen wurde sie auch gewährt. Man sperrte sie in die Ruinen unter der Burg, nachdem man die Bewohner der Stadt aus ihrem freiwilligen Gefängnis befreit hatte. Vierzehn Männer waren es, die von den Eisenwölfen übrig blieben. Sie wurden allesamt aus dem Lande verbannt, wie einst die Barbaren verbannt wurden. Die Assassinen hatten schwere Verluste erlitten. Desmond Funkenschlag war tot, Caysha war schon viel Früher gefallen. Die Barbaren Boron und Ötsch weilten ebenfalls nicht mehr unter ihnen. Andarah von Irendor, vielleicht die beste Bogenschützin der Welt, erholte sich ebenfalls nicht von dem tödlichen Schlag. Nur Maraxus, Rajhada und Karon überlebten diesen Tag an dem die Barbaren nach vielen Jahren ihre Rache an den Eisenwölfen nehmen konnten.


Am Abend nach der Schlacht, die Leichen der gefallenen Eisenwölfe wurden hinaus in den Wald gebracht, aufgehäuft und verbrannt, die Gefallenen Verbündeten wurden in Herberts Keller untergebracht, ebenso wie Herbert, der sogar auf dem Tisch niedergelegt wurde auf dem er bösen Zungen zufolge oft genächtigt hatte. Das Schild über der Tavernentür wurde ebenfalls mitverbrannt. Es schneite wieder, und der jungfräuliche Schnee verdeckte das Blut der Gefallenen. Bald wies nichts mehr darauf hin das in dieser Stadt jemals ein Kampf stattgefunden hatte. Es gab eine kurze Siegesfeier, aber sie hielt sich in Grenzen. Denn es war nicht nur eine Siegesfeier, sondern zugleich ein Leichenschmaus. Zu viele waren unnötigerweise gefallen, zu viele in einer Schlacht gestorben die mehr als Sinnlos war. Karon und Rajhada saßen in ihrem kleinen Zimmer, irgendwo in der Stadt. Maraxus hatte sich zu ihnen gesellt. Sie saßen einfach nur da und tranken. Maraxus und Rajhada tranken Met, Karon hingegen trank von dem heißen Getränk das Edain zuvor Andarah bereitet hatte. Kräuter die in heißem Wasser verrührt wurden. Er trank nicht mehr so viel, zumindest nicht jetzt. Er fühlte sich matt und müde. Es klopfte an der Tür. Es war ein leises und sanftes Klopfen. Maraxus sah die beiden an, stand dann auf und ging leise zur Tür. Als er sie öffnete staunte er nicht schlecht. Vor ihm stand ein Alter Mann der aber immer noch braune Haare hatte. Er trug einen Bart und Kleidung die aus Samt zu sein schien. Karon und Rajhada nickten ihm ehrfürchtig zu, Maraxus kannte ihn nicht. Dennoch gab Maraxus den Weg frei und der Fremde trag in die kleine Kammer. Er stand kurz vor dem Tisch an dem die beiden saßen, Karon bedeutete ihm Platz zu nehmen, doch der Fremde schüttelte den Kopf.
“Ihr habt gut gekämpft, Karon Sturmfels, und ihr auch, Maraxus von Keld, wenn ich mich nicht täusche.“
“Ihr täuscht euch nicht, ich habe gut gekämpft.“
Der Fremde schmunzelte.
“Daher tut es mir leid was ich euch mitzuteilen habe.“
Karon blickte den Fremden fragend an.
“Nun, da keine Gefahr mehr für uns besteht, nimmt der Graf die Herrschaft über diese Stadt wieder an sich.“
“Natürlich“ sagte Karon sichtlich entrüstet. Er hatte ganz vergessen das er für kurze Zeit Herr der Stadt war.
“Und der Graf möchte von nun an keine Verbrecher mehr innerhalb den Mauern seiner Stadt sehen. Er ist der Meinung das diese Individuen das Böse anziehen. Er will nicht das sich der gestrige und der heutige Tag wiederholen, daher wünscht er, mit Verlaub, das alle Assassinen oder ähnliche Personen bis zum Einbruch des morgigen Abends die Stadt verlassen haben und nie wieder zurückkehren.“
Karon und Rajhada sahen den Fremden mit offenem Mund an. Maraxus war ebenfalls entsetzt. Er wollte etwas sagen, wusste aber nicht was.
“Verbrecher?“ sagte Karon.
“Was sind sie denn sonst? Sie morden für Geld.“
“Aber, - wir haben diese Stadt verteidigt. Ohne uns wäre diese Stadt immer noch in der Hand der Eisenwölfe.“
“Der Graf vertritt die Ansicht das die Eisenwölfe gar nicht erst gekommen wären, wenn man euch keinen Unterschlupf gewährt hätte. Dennoch, für die Verteidigung der Stadt dürft ihr als Dank den Brustpanzer und das Schwert behalten das man euch zukommen ließ. Das ist mehr als ihr erwarten könnt. Ab Morgen Abend gilt jeder Assassine als geächtet innerhalb dieser Stadt. Das Wort des Grafen ist Gesetz.“
“Ach“ sagte Maraxus wütend. “Und wer wird dieses Gesetzt durchsetzen?“
“Nun, wenn ihr euch weigert, so sieht der Graf sich gezwungen das Königliche Regiment zur Hilfe zu holen. Und das würde er, angesichts der Taten die ihr für ihn vollbracht habt, nur äußerst ungern machen.“
Karon nickte. “Wir haben verstanden.“
Der Fremde drehte sich um und ging wieder. Als er die Türe erreicht hatte sagte Karon “Ach übrigens, Herr Graf“ Der Graf drehte sich zu Karon um. “Von nun an, werde ich selbst einen Auftrag der euch betrifft nicht mehr ablehnen.“
Der Graf nickte. “Das hat der Graf befürchtet.“
Damit ging er, und es war in der Kammer noch ruhiger als zuvor.


Als am nächsten Abend Männer in das Zimmer von Karon und Rajhada kamen um zu sehen ob sie tatsächlich verschwunden waren, da war das Zimmer vollkommen leer. Nur der Brustpanzer und das Schwert lagen fein säuberlich auf dem Tisch. Die Assassinen hatten die Stadt noch in der gleichen Nacht verlassen.


Am Fuße des Nebelberges auf dem das Nebelschloss lag, dort wo der Geheimgang endete der aus dem Thronsaal hinaus in die Freiheit führte, standen Vier Gestallten. Einer von ihnen war Klaas, der Riesige Barbar. Er war gekommen um Abschied zu nehmen. Der Graf hatte den Barbaren erlaubt einen Teil des Waldes zu roden und dort eine neue Siedlung aufzubauen. Die anderen Drei waren in schwarze Kapuzenmäntel gehüllt. Klaas hatte den Dreien Pferde mitgebracht, die mit ausreichend Proviant beladen waren. Er drückte der größeren der Drei Personen die Hand, drehte sich um und verschwand. Die Drei blieben alleine zurück. Sie standen einfach nur da und starrten die schmale Felsspalte an aus der sie herausgekommen und in Tobias Eisengluts Falle getappt waren. Maraxus von Keld stand da. Karon Sturmfels ging auf die schmale Spalte zu und verschwand darin. Hier hatten sie Caysha zurückgelassen, und sie hatten sich geschworen sie ordentlich zu beerdigen, wenn sie Zeit dazu hätten. Zeit war alles was sie jetzt noch hatten. Karon kam aus der Höhle wieder heraus und sah fragend zu Maraxus hinüber.
“Sie ist weg.“
“Was soll das heißen, sie ist weg?“ fragte Rajhada entrüstet, und um sich selbst zu überzeugen schritt sie schnell auf die Höhle zu, aber Karon hatte Recht. Er sah Maraxus an. Dieser lächelte zufrieden und nickte.
“Ja. Natürlich ist sie weg. Aber ich werde sie schon finden.“
Er schwang sich auf sein Pferd und ritt langsam zu den beiden Assassinen, die verdutzt dastanden und nichts von alledem verstehen konnten.
“Wurde die Leiche gestohlen?“ fragte Rajhada.
Maraxus lächelte und schüttelte mit dem Kopf.
“Macht es gut, Freunde. Vielleicht sieht man sich ja mal.“
Damit gab Maraxus seinem Pferd die Sporen und ritt in den Wald hinein. Zurück ließ er Karon und Rajhada, die völlig verständnislos dastanden. Karon warf einen Blick auf den Boden. Der Schnee zeigte Fußspuren, die von ihm und Rajhada recht deutlich, und, schon etwas älter und überschneit, aber dennoch leicht sichtbar, die eines anderen, die aus der Höhle in den Wald hinein führten.
“Man hat ihren Kopf wieder so an die Schultern gelegt wie er zu Lebzeiten war. Man erzählte sich so einiges über Caysha, weißt du?“ sagte Karon.
“Aber der Kopf kann doch unmöglich wieder angewachsen sein.“ Sie starrte Karon an. “Oder?“
Karon lächelte jetzt auch.
“Wer weiß das schon? Wer weiß schon was auf dieser Welt alles möglich ist und was nicht. Das sind merkwürdige Zeiten, vielleicht kommen irgendwann mal andere, aber wer weiß ob die besser sind?“
Karon nahm Rajhada in den Arm und drückte sie an sich. Eine tiefe Zufriedenheit durchströmte ihre Körper. Und dann begann es wieder zu schneien.

***

Siebenunddreißig Jahre waren ins Land gegangen. Man erzählte sich lange von dem Sieg der Assassinen und der Barbaren, wie sie nach langer Zeit Rache an den Eisenwölfen nahmen, und so ihr verdientes Land und ihre Ruhe zurückgewannen. Viele erzählten sich von Karons Sieg, obwohl die Niederlage so nah stand. Karon, so sagte man, sei gen Westen gezogen. Der berühmte und gefürchtete Attentäter hätte nie wieder einen Mann getötet, hieß es.

Brochstett, eine kleine Stadt an der Nördlichen See, ganz in Ruhe und Frieden lag es da. Ihre Bewohner waren fast ausschließlich Bauern und ein paar Fahrende Händler die sich hier zur Ruhe gesetzt hatten. Es war Winter. Der Schnee bedeckte das ganze Land und es war kalt. Einmal in der Woche war in Brochstett Markt. Da kamen sie alle zusammen und handelten, der Bader kam in die Stadt, und wer Lust auf ein heißes Bad hatte, der konnte es sich, sofern er über Geld verfügte, gut gehen lassen. Lukas hatte anderes im Sinn. Er war auf dem Weg zum Bader, doch ihm stand nicht der Sinn nach einem heißen Bad zur kalten Jahreszeit. Auch war er kein Freund von heißem Met, wie der Bader ihn servierte, den besten im Umkreis von Einhundert Meilen, hieß es. Lukas hatte es eilig. Er ging rasch, den ein oder anderen der ihm im Wege stand rempelte er dabei an. Sein Weg war mit unzähligen “Verzeihung“ und “Entschuldigung“ Sprüchen gepflastert. Jetzt war er angekommen. Er stand vor seinem Ziel, dem Baderzelt. Vor dem Zelt saß ein Mann mit langen, dunkelbraunen Haaren, die von silbernen Strähnen durchzogen waren. Er hatte einen spitzen Bart, und er war recht dick. Das Alter des Mannes schätzte Lukas auf ungefähr Fünfzig, aber er könnte auch älter sein, und damit hatte er es mit einem recht erfahrenen, wenn nicht sogar alten Mann zu tun. Der Bader lächelte Lukas an.
“Na, junger Herr. Was kann ich denn für dich tun? Willst du etwa ein Bad nehmen? Kannst du das denn auch bezahlen?“
Lukas sah den Bader an. Die Augen des Baders waren wach und hell, freundlich zwar, aber tiefgründig und verschwiegen. In ihm lauerte etwas das Lukas nicht erkannte. Lukas schüttelte mit dem Kopf.
“Du kommst doch nicht etwa wegen dem Honigwein? Du bist noch recht jung. Sag, wie alt bis du?“
“Siebzehn“ log Lukas. Der Bader sah ihn von oben herab an und musterte ihn.
“Siebzehn?“
Lukas spürte das er den Mann nicht belügen konnte.
“Vierzehn, Herr.“
Der Bader lachte.
“Vierzehn. Das trifft es doch schon eher. Also, was kann ich für dich tun?“
“Habt ihr einen Gast, Herr?“
Der Bader sah den jungen Lukas fragend an.
“Im Zuber, Herr. Ist da ein Gast?“
“Ja, natürlich ist da ein Gast. Es wird dir nicht gelingen den Zuber leer vorzufinden. Wenn du also schüchtern bist, dann wird aus dem heißen Bad wohl nichts. Es sei denn du kannst es dir leisten den Zuber vollkommen für dich zu mieten, aber das kostet eine Menge Geld. Hast du eine Menge Geld, Junge?“
“Kann ich mit ihm reden, Herr?“
Nun war der Bader recht verwirrt.
“Mit wem willst du reden?“
“Mit dem Gast, Herr. Ich will mit eurem Gast reden. Er ist doch allein, oder nicht?“
“In der Tat ist er das, und dafür hat er auch bezahlt. Er möchte nicht gestört werden. Was willst du denn von ihm?“
“Ich möchte mit ihm reden. Über...“
Der Bader wurde hellhörig. Lukas unterbrach sich, gerade so als hätte er begonnen ein Geheimnis preiszugeben das er für sich behalten musste.
“Über was willst du mit dem edlen Herrn reden?“
“Ich möchte in die Lehre gehen, Herr.“
Der Bader wurde immer aufmerksamer.
“Was für eine Lehre?“
“In der Taverne traf ich einen Mann, er redete von den – na ja – von den Assassinen.“ Das letzte Wort hatte Lukas geflüstert, so als ob es ein Wort wäre das er nicht aussprechen durfte.
“Assassinen sagtest du?“ Auch der Bader flüsterte jetzt. Es klang fast verschwörerisch, fand Lukas.
“Und was, frag ich dich, hat das mit dem edlen Herrn im Zuber zu tun? Willst du etwa unterstellen er wüsste wo man einen Assassinen treffen könnte, oder sogar“ jetzt riss der Bader unheilvoll theatralisch die Augen auf “oder sogar, das er selbst ein Assassine ist?“
“Nein, Herr, es ist nur... ich habe gehört, das der Herr im Zuber... nun ja... er kennt Karon Sturmfels.“
Der Bader sprang auf, beugte sich etwas nach vorne und stemmte die Hände auf seine Oberschenkel.
“Potzblitz, was du nicht sagst, er kennt Karon Sturmfels. Etwa den Karon Sturmfels, den berühmten Assassinen.“
Der Bader hatte jetzt lauter gesprochen, Lukas spürte wie er rot anlief. Jeder auf dem Markt hätte es hören müssen, so dachte Lukas, aber niemand schien auf die beiden zu achten. Der Bader lachte leise und setzte sich wieder auf seinen Stuhl. Lukas wartete eine kurze Weile, dann nickte er mit dem Kopf, ganz langsam und bedächtig.
“So, und wenn der Herr Karon Sturmfels nun kennt, was dann? Was willst du von ihm wissen?“ Der Bader klang nicht so streng wie die Wort waren. Er klang eher freundlich und ein wenig amüsiert.
“Nun, ich wollte fragen ob er weiß wo er sich aufhält, Karon Sturmfels, meine ich.“
“Hmmhm“ machte der Bader.
“Nun ja, und ob er mir verraten würde wo er ist.“
“Und dann?“
“Ich möchte ein Assassine werden, genauso wie Karon Sturmfels.“
Der Bader lächelte Lukas an.
“Ein Assassine, soso. Und warum willst du ein Assassinen werden, Junge?“
Lukas dachte kurz nach und zuckte dann mit den Achseln.
“Angenommen ich wäre Karon Sturmfels, und ich hätte dir diese Frage gestellt, und du wüsstest keine Antwort darauf, glaubst du ich hätte dir beigebracht wie man Leute ermordet?“
Lukas wurde bleich und schreckte zurück.
“Ja, du hast richtig gehört, wie man Leute ermordet? Denn etwas anderes macht ein Assassine nicht. Er tötet Leute für Geld. Was hast du denn gedacht. Nein, sieh mich nicht so an, ich bin nicht Karon Sturmfels.“
“Aber was ist denn mit der Stadt die er damals...“
“...das, mein Junge, das sind Geschichten. Und selbst wenn sie wahr sind, was hat Karon denn getan? Er hat diese Stadt verteidigt, das mag sein, aber warum, hast du dir das mal durch den Kopf gehen lassen? Weil sie ihm Unterschlupf gewährt hat, weil er von dort aus seine Attentate planen und ausführen konnte, und weil er immer wieder dorthin zurückgehen konnte, weil niemand wusste das er sich dort versteckt. So ist das, und nichts anderes. Nichts romantisches, nur kaltblütiger Mord gegen Bezahlung.“
Der Bader war nun aufgestanden und auf Lukas zugekommen. Er war einen guten Kopf größer als Lukas, sodass er sich zu ihm herunterbeugen musste. Er senkte seine Stimme jetzt auf ein Minimum ihrer Lautstärke.
“Stellst du dir so dein Leben vor, Junge. Ständig auf der Flucht, von einem Mord zum Nächsten?“
Der Junge sah dem Bader tief in die Augen. Sie funkelten ein wenig.
“Wenn die Person es verdient hat, und ich etwas dabei verdienen kann, dann ja, Herr, dann will ich so mein Leben verbringen.“
Der Bader ging zurück zu seinem Stuhl, setzte sich und begann sein Geld zu zählen. Lukas stand vor dem Zelt. Nach einigen Sekunden sah der Bader den Jungen an, griff mit einer Hand zum Zelteingang und zog die Öffnung auf, sodass der Junge hindurchgehen konnte. Lukas schritt langsam in das Zuberzelt hinein. Es roch nach Seife und nach Honigwein. Das ganze Zelt war von einem Dampf umnebelt. In der Mitte stand der Zuber, von den Stützbalken des Zeltes hing eine Kette mit einem Brett herab, das genau in der Mitte über dem Zuber hing. Darauf stand eine Karaffe und ein Becher. Ein Mann lag mit geschlossenen Augen im Zuber und paffte genüsslich an seiner Pfeife. Als er den Jungen bemerkte öffnete er die Augen und sah ihn an. Er nahm die Pfeife aus dem Mund und legte sie auf das Brett, griff nach dem Becher und trank einen kleinen Schluck Met.
“Wer bist du?“ fragte der Mann im Zuber.
“Ich bin Lukas, Herr, Sohn des Buchbinders.“
“Und was willst du, Lukas, Sohn des Buchbinders?“
“Ich wollte mit euch sprechen, Herr.“
Der Mann sah Lukas an, konnte aber durch den Dampf kaum etwas sehen.
“Komm näher, Lukas, Sohn des Buchbinders.“
Lukas ging mit kleinen Schritten auf den Zuber zu. Als er nur noch wenige Schritte entfernt stand blieb er stehen. Der Mann im Zuber war alt, noch älter als der Bader vor dem Zelt. Er hatte einen langen weißen Bart und die ebenfalls weißen Haare hingen ihm weit über die Schultern herab. Jetzt bemerkte Lukas das noch ein winziger Tabaksbeutel auf dem Brett über dem Zuber lag, gleich neben der Pfeife.
“Also“, begann der Alte. “Über was willst du mit mir sprechen?“
“Über Karon Sturmfels und über die Assassinen.“ Lukas war nun mutiger als zuvor bei dem Bader. Zum einen konnte ihn nicht die halbe Stadt hören, und zum anderen wirkte dieser alte Mann, so nackt und hilflos wie er da im Zuber saß, bei weitem nicht so bedrohlich wie der Bader. Der Alte starrte ihn ungläubig an.
“Über Karon Sturmfels willst du sprechen? Mit mir?“
“Ja, Herr, ich hörte das ihr ihm begegnet seit.“
Der Alte nickte.
“Begegnet? Ja, ich bin ihm begegnet, vor langer Zeit einmal.“
“Wisst ihr wo ich ihn finde?“
“Finden willst du ihn? Nun, ich sage es dir nur ungern, Junge, aber ich fürchte er ist tot.“
“Tot?“ Lukas wollte dem Alten nicht glauben. “Aber wie?“
Der Alte lachte leise in sich hinein.
“Nun ja, es ist viel Zeit verstrichen seit seinem letzten Kampf. Niemand lebt ewig, weißt du?“
“Wurde er getötet?“
“Wie man es nimmt, Junge. Einerseits wurde er getötet, andererseits auch wieder nicht. Er wollte sterben.“
“Aber warum? Warum wollte er sterben?“
Der Alte sah in das heiße Wasser und wog seinen Kopf hin und her.
“Vielleicht hatte er das Morden satt, vielleicht hatte er das Leben satt, wer weiß das schon?“
“Woher wisst ihr das er tot ist, oder vermutet ihr es nur?“ Lukas´ Stimme klang trotzig. Er wollte nicht akzeptieren das Karon Sturmfels tot war.
“Ich weiß es. Weiß es sogar genau. Ich war bei ihm, als er starb. Man könnte sogar sagen das ich es war der ihn tötete.“
Lukas erschrak. Wenn dieser Alte Mann vor ihm im Zuber Karon Sturmfels tatsächlich umgebracht hatte, dann hieß das doch das dieser Mann ein besserer Attentäter war. Aber er glaubte ihm nicht, und das sagte er dem Mann auch.
“Glaub mir oder glaub mir nicht, es spielt keine Rolle. Karon Sturmfels ist tot, das ist nun mal so. Und du kannst nichts daran ändern. Sag mal, was wolltest du eigentlich von ihm?“
“Das spielt jetzt keine Rolle mehr, jetzt da er tot ist.“
Der Alte lächelte traurig. Lukas war betrübt und senkte seinen Blick. Er wollte sich gerade umgehen und das Zelt verlassen als der Alte ihn nochmals ansprach.
“Ich denke, ich habe lange genug gebadet. Sei so gut, Junge, und gib einem Alten Mann ein Handtuch.“
Lukas drehte sich um, griff nach dem Handtuch das fein säuberlich gefaltet in einem kleinen Holzregal lag und reichte es dem Mann. Dieser stand auf, griff nach dem Handtuch und begann sich abzutrocknen. Der Alte hatte noch reichlich viele Muskeln für sein Alter. Obwohl es sich nicht geziemte sah Lukas den Alten verwundert an. Plötzlich fiel sein Blick auf die rechte Hüfte des Mannes. Dort, ganz deutlich zu sehen, leicht gerötet durch die Hitze des Wassers, war eine kleine Narbe, etwa drei Finger breit. Lukas konnte sie genau sehen.
“Woher habt ihr die?“
Der Mann sah Lukas fragend an.
“Die Narbe, woher habt ihr die Narbe?“
Der Alte sah Lukas an und lächelte. Lukas lächelte zurück.


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.09.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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