Harald Saul

Der Mogler - oder die “Schwammdrübergeschichte“

Der volle Einkaufskorb lässt sich nur mühsam über die Schotterdecke des Parkplatzes zum Auto schieben.Die Sonne sticht erbarmungslos, obwohl der Regen noch vor einer viertel Stunde auf das Wellblechdach der riesigen Einkaufshalle, wie mit Millionen Trommelstöcken gewirbelt hatte.Ihm klebt das Hemd am Rücken fest und drückt den ungelenkigen Einkaufswagen über die groben Steine.Er flucht in sich hinein, da hat man innerhalb sehr kurzer Zeit einen großen Einkaufsmarkt an die Wiese am Fluß hingestellt.Die Warenflut, schön bunt und massenhaft, war über Nacht über den Osten hereingebrochen. Die Handelskette hier, hatte auch riesigen Profit gewittert und schnell und billig reagiert. Da wurden schon die Prospekte, mit Schnäppchenankündigungen verteilt, im umliegenden Neubauvierteln verteilt, da schoben noch die Planierraupen die im Frühjahr überschwemmte, Wiese gerade. Vom Siedlungshäuschen beobachtete Egon ja fast stündlich die Baufortschritte vom Werden des Einkaufmarktes. Wie viele ahnte er, warum es im Osten ja nichts werden konnte. Ehe immer ein Projekt von Schreibtisch zu Schreibtisch geschoben war, da war die Anfangsidee immer schon zerredet worden.... Dann war kein Geld mehr da, bemäntelt wurde es immer mit man müsse die vom Westen aufgezwungene Rüstung mithalten und dabei noch dem Volk der DDR ein Dach über dem Kopf und den Kindern eine gute Schulbildung mitgeben.Egon, der Gießereimeister und Hannelore,die Sprechstundenschwester, seine Frau, hatten ja auch daran geglaubt, bis......
Der Einkaufswagen stand nun vor dem Ford-Fiesta, ihrer ersten Errungenschaft nach der Wende.Egon schimpfte nun leise vor sich hin, auf Hannelore. Sie hatte seiner Meinung nach, wieder auch die andere Ware zu den Schnäppchen eingepackt. Na, da brauchte man noch dies und das..... Jedes Mal stritten sie sich darüber und dann gab Egon doch nach. Er hatte Hannelore bewiesen, dass das eine Kundenverdummung war, die Schnäppchen nur Lockmittel waren... Er sah viele Wagenschieber, wie er und wenige zogen ein freundliches Gesicht. Auffallend war, viele waren in seinem Alter. Im besten Alter kurz vor 60. Wir sind die Deppen der vollzogenen Einheit, sagte er immer zu sich, wenn er in seinem Keller, seinem Bastelkeller, seinem Reich war. Egon ist unzufrieden mit seinem jetzigen Leben, er haßt die veränderte Zeit, manchmal denkt er darüber nach, dass er ja auch dazu beigetragen hat, dass alles so kam. Er der ehemalige Gießerei-Meister und 2. Kampfgruppenkomandeur.
Egon haßte alles, was jetzt erfolgreich war oder so tat. 5 Jahre hätte er noch gehabt, bis zur Rente. War alles so schön ausgedacht. Selbst sein Garten war ihm jetzt vergällt, seit der Nachbar immer neue Garten-Maschinchen kaufte. Er schnitt nicht mehr die Rasenränder mit der guten alte Gartenschere, sondern mit dem Akku betriebenen Rasen-Trimmer, sogar mit langen Stiel. Stolz hatte der Nachbar ihm seinen Laubsauger gezeigt. Hannelore hatte schon mit den Kindern über sein Geburtstagsgeschenk gesorochen, einen Rasenmäher mit vielen Extras. Gut dass er es mitbekommen hatte, nach einem großen Theater, war man davon abgekommen. Mechanisch stopfte Egon die Waren in die verschiedenen Einkaufskisten. Er merkte nicht, wie ein Mann sich von hinten anschlich und ihm die Hand auf die Schulter legte, sprach ; Na, Egon alter Schwede !
Egon, dem die Stimme sehr bekannt war, drehte sich langsam um. Vor ihm stand Schrader. Schrader, der erfolgreiche Geschäftsführer. Schrader der ehemalige Betriebsleiter von Egon. Schrader der ihm jetzt joval die gepflegte Hand entgegengestreckt. Mit erzwungener Ruhe, stellt Egon die Einkaufskisten übereinander und dreht sich langsam um. Er sieht sofort den dicken Siegelring, die schwere goldenen Armbanduhr und dann diesen Schlips, über den ein rosiges Gesicht ihn anstrahlt.Er hält Egon seine Hand hin und sagt : Gib mir die Hand und Schwamm drüber, Eich geht´s doch jetzt auch gut !Egon sagt ganz leise, furchtbar beherrscht: Hau ab Du Schwein....
Schrader wird auf einmal ganz schnell aschfahl im Gesicht, guckt sich schnell um und dreht sich um und rennt fast davon. Im Davonhasten, greift er sich einen Einkaufswagen und verriegelt noch aus der Ferne seinen silbrigglänzenden Sterne-Kombi.In der Einkaufszone, rennte er fast Hannelore um, die etwas in Papier eingepacktes schwenkt. Hannelore bleibt verdutzt stehen und guckt Schrader hinterher. Da ist sie auch schon bei Egon, : Das war doch Dein ehemaliger Chef ? ja, der hat`s geschafft ! Der Anzug war bestimmt teuer und ... Egon zeigt mit den Daumen auf den Sternekombi und sagt : der auch, aber da klebt Blut dran und ob der bezaht ist ?, nicht wie unser Mäuschen, hier. Egon streicht über die kurze Kofferklappe vom Fiesta, dessen blauer Lack ihn anlacht.
Sie fahren, stumm nebeneinander sitzend durch die Straßen dem Häuschen entgegen. Hannelore guckt ihn auf einmal an und fängt an in ihrem vogländischen Dialekt an zu plaudern. Früher, auch noch bis vor kurzem, konnte er nie genug davon hören, dieser leichte Singsang in ihren Redeschwällen. Sie hielt immer noch,dass eingewickelte in den Händen. Weißt Du, was das ist ? Ein Aal, frisch geräuchert, mach ich Dir dann mit knusprigen Bratkartoffeln. Egon ist still, hängt seinen Gedanken nach. Er weiß, dass Hannelore dann immer Angst um ihn hat. Oft tut sie ihnm auch leid, er manchmal so ein Rindvieh ! Ausgerechnet der Schrader, der Schrader hat als erster mit den Herren von der Treuhand gesprochen und wurde auch als erster Geschäftsführer nach 14 Tagen eingesetzt.Dabei war Schrader der große Parteisekretär gewesen, der immer gegen den Klassenfeind der DDR gewettert hatte.Was drauf hatte der, aber, er war ein ganz hoch studierter Maschinenbauer gewesen und hatte als erster, begriffen, wo man einsparen konnte. Ideen hatte der schon zu DDR-Zeiten und hatte ohne zu Zögern, den neuen Betriebsinhabern neue Varianten der Kostensenkung in der Produktion vorgeschlagen. Sie waren zu Hause, Egon stellte Hannelore, die kisten in die Küche, fuhr das Mäuschen in die Garage, holte aus dem Schlafzimmerschrank den Schlips und stieg in den Keller, seinem Reich. Er holte den Hackstock aus der Ecke hervor, prüfte die Schneide der Axt und hieb die Krawatte in kleine Stücke Stoff, der Seidenstoff platzte sofort unter der scharfen Schneide auseinander.Es war die selbe Krawatte, die er bei Schrader gesehen hatte. Zum letzten Betriebsfest hatte Schrader bei einem Studien-Kumpel, welcher in einem Exportbetrieb arbeitet, etliche hundert dieser Schlipse günstig bekommen und diese an die Männer unter großen Hallo, bei der letzten Betriebsfehde verteilt.Es ging ihm jetzt alles so durch den Kopf, wie Schrader ihm, den verdienten Meister aus der Gießerei, die geplante Kuba-Reise mit der Völkerfreundschaft vermasselt hatte.Dabei hätt er den jungen Gußputzer bloß anonym anzeigen brauchen. Schrader hätte schon das weitere besorgt. Der junge Gußputzer hatte in einem Jugendlager in Ungarn eine nette Bundesdeutsche kennen gelernt. Hatte dann sein Motorrad verkauft und war von einem Pragaufenthalt nicht wiedergekommen. Egon hatte die Bilder von dem Ferien-Ungarnaufenthalt gesehen und konnte den jungen Mann verstehen.Egon wußte auch instinktiv, warum der Junge seine heißgeliebte Maschine dann spontan an einen Kollegen weit unter Wert verkaufte. Egon hatte aber geschwiegen, als dann die Herren vom MfS in den Btrieb kamen und sich nach den Gußputzer erkundigten. Schrader wußte nach einer Stunde sofort, wer was gewußt hatte und geschwiegen hatte. Die Reise bekam dann die Kantinenleiterin im Hauptwerk, von der jeder wußte, dass sie die monatlichen Inventuren fälschte und mit einem aus der Verwaltung gelegentlich in dessen Gartengrundstück fuhr und doort mit dem schlief.Egon sollte dann eine öffentliche Stellungnahme abgeben. Er weigerte sich, weil er dachte, was kann mir, einen der von Anfang an mit hier war und Verdienste hat , schon passieren ? Als sich´s dann herumsprach, dass er und Hannelore nicht nach Kuba fahren konnten obwohl die Papiere schon alle bestätigt waren. Da war er wütend zu Schrader ins Büro gestampft.Dieser hatte ihn hinausgeworfen und übertrieben laut vom fehlenden Klassenstandpunkt gesprochen. Hannelore hatte damals bitterlich geweint, Egon hatte schon fast ein Schuldgefühl gehabt.Egon bekam einen schriftlichen Verweis mit Eintrag in die Kaderakte , eine Rüge vor der Parteigruppe und dann noch der Rausschmiss aus der betriebseigenen Kampfgruppe. Nach einen Jahr war dann die Wende da und Egon und Hannelore, waren plötzlich sie nicht mehr die “Bösen“ und die Ereignisse überschlugen sich. Sie kapselten sich noch mehr ab, weil Egon jetzt plötzlich merkte dass es noch mehr “Schrader`s “gab und diese jetzt die Diener der neuen Herren waren.
Egon kehrte die Reste der Krawatte sorgfältig auf die Kehrschaufel und stellte, diese auf die Werkbank. Holte hinter dem Holzregal, mit den sorgsam aufgeschichteten Drechselholz, eine Schnapsflasche hervor und ließ den Wacholderschnaps einfach in sich hinein laufen. Er merkte nicht, dass sich die Tür öffnete und Hannelore leise zu ihm sagte, bevor sie die Tür wieder schloss, : Nim Dir wenigstens ein Glas.....
Er schraubt die Flasche wieder zu und geht hoch zu Hannelore. Die Bratkartoffel riechen gut und den Aal hat sie auch schon filetiert, obwohl dass sonst immer Egon machen muß. Er setzt sich auf die alte Kohlenkiste, die schon lange keine Kohlen mehr fassen muß, jetzt haben sie ja Öl. Er schaut Hannelore zu, flink deckt sie den Tisch und guckt ihn fragend an. Hast die Krawatte ja richtig hingerichtet, sagt sie. Schrader hatte seine immer noch um, meint sie noch. Sie setzt sich zu Egon und nimmt einfach seine Hand und sagt, ja als Frau hat man immer zu tun im Haus, die Familie, vielleicht mal die Enkel.... Aber ihr Kerle, so noch voller Saft und Kraft und kneift ihn sopilerisch in den Oberschenkel. Etwas zu nahe dem Hosenbund und lächelt ihn an, wie am Anfang ihrer Ehe.Egon steht auf und streichelt ihre Wange; Der Kerl hat mich so verraten und später nochmal, als die ersten entlassen worden sind. Weißt Du noch, gerade als wir das erste mal nach Südtirol in den ersten Urlaub nach der Wende fahren wollten. Die Ölheizung war abbezahlt und keine Schulden mehr.... Egon sagt mit klarer Stimme und schaut zur Decke, der bekommt auch noch das zurück, was er anderen angetan hat.Aber Schwamm drüber sagt er ud beugt sich über seinen Teller.
Sie lassen sich die Bratkartoffeln und den frischgeräucherten Aal gut schmecken.


3 Wochen später,
Egon bastelt an einer Wiege für`s Enkel, das in einem halben Jahr erwartet wird. Er hört Hannelore die Treppe runtereilen, sie reißt die Tür auf, setzt sich hin und berrichtet ganz aufgeregt von dem eben geführten gespräch mit der Nachbarin, deren Mann noch im Werk arbeitet.
Schrader sei bei einem Autounglück getötet worden. Er habe in der letzten Zeit sehr viel arbeiten müssen und zu wenig Schlaf gehabt, die drohende Arbeitsverlagerung nach Polen, da wo er der neue btriebsleiter sein sollte, haben ihm nur noch wenig Freizeit gelassen. Etwas gehässig habe die Nachbarin aber noch geäussert, dass seine Sekretärin ein Kind von ihm erwarte.
Als Egon die Traueranzeige zwei Tage später in der Zeitung liest und das Frau Ellen jetzt mit den 3 Kindern allein ist, schaut er zur Küchendecke hoch und haucht fast: Das wollt ich nicht....

Viele Menschen im Osten glauben ihre Ideale verloren zu haben, die eigentlich keine Ideale waren.Harald Saul, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.09.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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