Eveline Dächer

Fürchtekirschen

Fürchtekirschen
Endlich mal einer, der wenigen Sommertage, die ihren Namen verdienen.
Heute wollen wir in unserm Garten Sauerkirschen pflücken.
Mein kleiner Enkel Christoph will mir, mit seinen dreieinhalb Jahren ,
eine große Hilfe sein, er schafft das schon, meinte er.
Wir beginnen zu pflücken, Oma hat eine große Leiter und einen großen Eimer –
Christoph eine kleine Leiter und einen kleinen Eimer.
„Oma,“
„Ja? “
„Mach ich das richtig , Oma?“
„Aber ja, mein Liebling, du machst das goldrichtig“
„Was ist goldrichtig?“
„Goldrichtig – ist etwas besonders gut zu machen, zum Beispiel:
goldrichtig Kirschen pflücken“
„Oma, die Kirschen in meinem Eimer sind aber nicht so schön, wie die auf dem Baum,
die sind viel schöner.“
„Trotzdem müssen wir die Kirschen pflücken, mein Schatz.“
„Warum?“
„Weil wir Marmelade kochen wollen.“
„Ich mag viel lieber Nutella, Oma“
„Man kann auch Saft davon pressen, der ist sehr gesund“
„Ich mag aber lieber Kindercola, Oma“
„Du hast doch diesen Saft noch nicht probiert, komm Schatz, wir pflücken weiter“
„Oma, ich mag bestimmt lieber Kindercola, glaubst du?“
„Warum? Hast Du keine Lust mehr zum Pflücken?“
„Doch, ich helfe dir weiter.“
„Vorsicht, Schatz, fall mir nicht von der Leiter!“
„Oma, ich kann nicht mehr, meine Finger bluten, die sind ganz rot schon“
„Christoph, deine Hände bluten nicht, das ist der Kirschsaft,
du hast die Früchte zu sehr gedrückt“
„Ich hab hier keine Früchte, Oma, nur Kirschen“
„Kirschen sind auch Früchte“
„Warum?“
„Schau mal Christoph, Erdbeeren, Himbeeren, Äpfel all das sind Früchte“
Christoph überlegt – schüttelt den Kopf
„Nein, ich hab jetzt genug „Fürchte“ – ich kann nicht mehr!“
„Das sind keine Fürchte , sondern Früchte, Christoph“
„ich will aber nicht mehr Fürchte pflücken, so !“ Er steigt von der Leiter
„Komm, gib mir deinen Eimer, ich helfe dir.“
Sein kleiner Eimer ist schon zur knappen Hälfte gefüllt, kein Wunder,
dass er die Nase voll hat. „na, Du warst aber fleißig, mein Schatz,
du hast mir sehr geholfen und ganz rote Bäckchen hast du vor lauter Eifer“
„Oma, ich schwitze, ich gehe schwimmen“ er läuft über den Gartenweg
auf das Planschbecken zu.
Seine Hose rutscht, hängt fast auf den Knien. Ich ziehe sie ihm aus,
er steigt in das, von der Sonne angenehm erwärmte Wasser.
„Wir beide haben gut gearbeitet, Christoph, ich gehe nun in die Küche Mittag machen,
dann können wir gleich essen.“
„Was kochst du, Oma?“
„Gartenmöhren und Klopse“
„Und Nudeln?“
„Nein, Kartoffeln.“ „ Ochhhh, keine Nudeln“
Ich decke den Tisch vor der Gartenlaube, es ist heut ein wunderschöner Tag.
Die Sonne meint es gut, die Vögel zwitschern, kein Stress, kein Büro – nur Sommer,
Sonne , Oma und Christoph..
Wir essen Mittag, danach springt Christoph in die Gartenschaukel, er will sich ausruhen.
Ich lege mich mit in die Sonne zum Mittagsschlaf – wenigstens entspannen.
Ach was tut das gut! – denkste!
„Oma, wann kommt der Opa her?“
„Später, mein Schatz“
„Oma, spielst Du mit mir?“
„Ja sicher, aber bitte später, lass mich erst etwas ausruhen.“
„Oma, hast du Schläger ?“
“Was für Schläger?“
„Tennisschläger, Oma“
„Wofür brauchst Du Tennisschläger ?“
Ich kann das spielen, wie Boris Becker“
Mir verschlägt es die Sprache: „Woher kennst du denn Boris Becker?“
„Im Fernsehen ist das doch immer, Oma“ ganz vorwurfsvoll klingt das,
na ja ich hätte wissen müssen.
„Wo sind denn die Schläger, Oma ?“fragt er ungeduldig.
Im Schuppen müssen sicher Federballschläger sein, ich gebe sie ihm -
Riesenenttäuschung –
„Die sind falsch, Oma, mit soonen kann ich nicht spielen!“
Er ist den Tränen nahe. Ich finde noch Softballschläger.
„Ja, die gehen, Oma komm wir spielen“
Er holt sich einen Tennisball aus seiner Kindergartentasche und gibt ihn mir.
In gebückter Haltung, pendelt er, wie ein Profi von einem Bein auf das andere,
wie Borris in seiner besten Zeit.
Dank der Mittagshitze dauert das Spiel nicht lange, nicht nur ich bin erschöpft,
Klein-Borris ist es auch.
Nach kurzer Ruhepause beginne ich die Kirschen zu entsteinen.
Er schaut mir zu.
„Das kann ich auch, Oma, mit der Maschine“.
Er hilft unermüdlich, woher nimmt so ein kleiner Kerl diese Ausdauer ?
Tack- tack- tack - ich fülle auf, er drückt auf den Entkerner – tack – tack- tack.
Warum ist er plötzlich so still ? Er wird langsam müde.
Urplötzlich, wir hatten gut einen halben Eimer entsteint, schmeißt er alles hin.
Springt wie ein kleiner Wilder auf und brüllt:
„Ich hier verrückt, tausend Stück, ich verrückt.“
Ich schnappe ihn mir, will ihn in den Arm nehmen, er reißt sich los,
läuft auf die Schaukel und brüllt : „Ich verrückt, immer Kirschen , tausend Stück“
Es gelingt mir ihn zu beruhigen, ich setze mich mit auf die Schaukel
„Oma, mag nicht mehr, tausend Kirschen, nein, keine Kirschen mehr;“
Ich trockne ihm ein paar Tränchen –
irgendwie kommt mir so ein Ausbruch bekannt vor,
Ist schon lange her, ----aber war meine Tochter nicht genau so ?

Wir spielen mit Wurfringen und dem Ball .
„Oma,“ schluchzt er , ich will keine Fürchtekirschen mehr, hast du Kindercola?“
„Aber sicher mein kleiner Liebling, oder möchtest du noch ein großes Eis?
Du hast dir das heute nämlich verdient..“
„O ja, ein Schoko-Eis, Oma!“
„Opa, Opa ich hab ein Eis verdient“, rief er dem Opa zu, der gerade über den Weg kommt.

„Hallo kleiner Christoph, womit hast du dir das verdient?“ fragt Opa
und nimmt ihn auf den Arm..
„Mit den Fürchtekirschen da.“ „Welche Fürchtekirschen?“
Ich erzähle dem Opa die Geschichte mit den Früchten.

Für Christoph waren es zehn Jahre später
immer noch
F ü r c h t e k i r s c h e n .



Jedes Jahr, wenn die Sauerkirschen reif sind,
fällt mir die Geschichte mit meinem kleinen Enkel ein.
Ich schrieb sie damals noch am gleichen Abend auf,
weil mich sein Verhalten 1.sehr an meine Tochter erinnerte, 2. weil ich die Ausdauer dieses kleinen Kerlchens immer bewundert habe.
Christoph ist mittlerweile 20 Jahre alt und heute sind es gewiß keine Fürchtekirschen mehr, sondern einfach Schattenmorellen
Eveline Dächer, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.10.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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