Helena Ugrenovic

Romeo in Love

„Hey Baby, warum schreibst Du nicht?“
„Hey Baby! Du bist mein Baby! Ich liebe Dich! Mehr als alles auf der Welt!“
„Du bist alles für mich Baby! Alles!“
“Warum schreibst Du mir nicht? Ist es wegen diesem Sam? Idiot! Wenn es wegen ihm ist, kann er was erleben! Das schwör ich Dir!“
„Ich liebe Dich! Du meine Schöne! Meine Schönste! Meine Süsseste! Mein Supa-Babe!“
„Deine Lippen sind so voll, so weich, so sinnlich!“
„Lass mich Deine Lippen küssen, meine Geliebte, und dann sterben!“
„Du bist mein Leben! Es liebt Dich, vergöttert Dich, für immer und ewig, am innigsten, Dein Romeo! Smack!“

‚Sein Leben’, für das Romeo in Love sterben will, strapaziert seit 13 Jahren und fast 8 Monaten mein Leben. Sollte ‚sein Leben’ eines Tages tatsächlich beschliessen, aus meinem Leben zu verschwinden, hätte ich mir mit dem Geld, dass ich wegen ‚seinem Leben’ bis dahin werde verpulvert haben, entweder eine 20-Meter-High-Tech-Yacht an der Côte D’Azur oder 10-Zimmer-Luxus-Villa mit Pool kaufen können. Inklusive Tennisplatz, Sauna, Helikopterlandeplatz und Hauspersonal. ‚Sein Leben’ bemalt ihre ‚sinnlichen’ Lippen mit meinem 40-Franken-Dior-Edelstift, drückt Küsse auf unzählige A4-Blätter, die sie anschliessend zerknüllt und damit haufenweise Müllsäcke füllt; spitzt meinen Kajaalstift bis auf einen Zentimeter herunter; bedient sich, ohne mich zu fragen, meiner coolsten Klamotten; telefoniert, während ich erschöpft auf dem Sofa schlafe, mit ihrem gesamten Busenfreundinnen-Rudel, das nur auf Handys erreichbar ist, weil wir zur aussterbenden Spezies derer gehören, die noch über einen privaten Hausanschluss verfügen; zieht pikiert die linke Augenbraue in die Höhe, frage ich nach Hausaufgaben und weiteren Folterinstrumenten im Leben eines Teenagers und antwortet in einem gelangweilt genervten Tonfall, als handle es sich bei meiner Person um einen ausgedienten, quietschenden R2D2-Roboter mit Ölmangel und fehlenden Mikrochips. ‚Sein Leben’ leidet seit ein paar Monaten unter hormonell bedingten Stimmungsschwankungen und entzieht sich mit der Ausrede, ihr Gehirn werde ausserdem gerade neu strukturiert und Entgleisungen jeglicher Art seien darauf zurückzuführen, dem elterlichen Kriegstribunal mit daraus resultierender, interner Strafvollzugsanstalt.

‚Sein Leben’ wurde bis vor Kurzem von mir gewickelt, mit Brei gefüttert und nächtelang durch die Wohnung geschaukelt, weil weder I-Love-Mama-Schnuller noch Tschaikowski’s Schwanensee, es dazu dazu bewegen konnten, die Augen endlich zu schliessen, oder ohrenbetäubendes Gebrüll einzustellen. Was ich irgendwann als hinterhältiges und sadistisches Vergnügen eines 6 Kilogramm schweren und rosaroten Fleischklopses eingestuft hatte, der mich quälen und meines letzten Nervs berauben wollte. ‚Sein Leben’ ist in Wahrheit mein Leben. Die von Romeo vergötterte Julia-Supa-Babe mit den sinnlichen, vollen und weichen Lippen, gehört seit bald 14 Jahren zu meinem Inventar und behauptet, alles was mir gehöre, automatisch auch ihr gehöre und alles was ihr gehöre, nur ihr gehöre. Mein Computer mit eingeschlossen. Der ebenfalls pubertierende Romeo, der garantiert noch einen Teil der Eierschale auf seinem Kopf spazieren trägt, schindet bei ‚seinem Leben’ damit Eindruck, dass er sie mit dem Ausdruck ‚Baby’ bezirzt. So wie ich von meinem Liebsten umschmeichelt werde. Mit dem Unterschied, dass meine Eierschale schon lange zerbröckelt und verdorrt ist und ich eine erwachsene Frau bin. Ginge es nach ‚seinem Leben’, müsste ich mich schon lange in der Zwei-Quadratmeter-Mansarde unter dem Dach unseres Hauses einquartiert haben, mich um Wäsche, Essen sowie Einnahmequellen kümmern, ‚seinem Leben’ meine gesamten Besitztümer überschreiben und keine Fragen ausser „brauchst Du Geld?“ stellen. Ausserdem sollte ich endlich meine übertrieben sorgenvollen Ermahungen, im Internet als der anonymsten aller Tollwiesen, tummelten sich haufenweise Irre und Psychopaten, einstellen, da ‚Supa-Babe’ kein Kleinkind mehr sei und sowieso alle Chatpartner persönlich kenne.

So wie Romeo. Romeo bombardiert ‚sein Leben’ nicht nur mit schwülstigen und abgedroschenen Liebeserklärungen in einer Comic-Sans-Serife-Schrift. Romeo und ‚sein-Leben-in-Wahrheit-mein-Leben’ pflegen schon sehr intensiven Körperkontakt. Zu intensiven. Der mit wasserfestem Filzstift liebevoll gemalte Graffiti Schriftzug ‚Romeo I love you 4 ever’, verunstaltet den wunderschönen, alabasterfarbenen Unterarm ‚seines Lebens’. Meines Lebens. Romeo sei nur ein ‚Bekannter’. Sie habe ihn zwar mal geliebt, aber da er eigentlich doof aussehe, liebe sie ihn jetzt nicht mehr. Auf meinen Einwand, weshalb besagter Ungeliebter und Doofer in ihren Unterarm eingebrannt sei, erntete ich die schnippische Antwort, ich sei genau so penetrant und aufdringlich wie die Mutter des Bullen von Tölz und mische mich genau so in ihr Leben ein, wie meine Eltern es bei mir immer noch zu tun beliebten. Hätte nicht ich deswegen schon mal einen Aschenbecher zertrümmert? Ich hatte. Also wisse ich besten, was sie meinte. Ich wusste es. Mit der bayrischen, grauhaarigen und zickenden Mutter eines Bullen verglichen zu werden, grenzte schon an eine schwerwiegende Beleidigung. Zu behaupten, ich sei so wie die beiden grosselterlichen Kletten, entsprach symbolisch einem Dolch, den sie mir eiskalt in die Brust gerammt hatte. Mit süffisantem Lächeln. Meine Fragen, wer dieser Romeo war, wo er wohne, in welche Klasse er gehe, wie alt er sei, wie seine Eltern hiessen, was sie beruflich taten und warum sie ihrem Sohn ausgerechnet den bescheuerten Namen Romeo verpasst hatten, kommentierte sie mit der Gegenfrage, ob ich mir zu viele Agentfilme angeschaut hätte und doppelte mit der Aussage, mein Name sei auch nicht gerade der Brüller, nach. Ausserdem solle ich mit dem plumpen Verhör aufhören. Wie ich überhaupt dazu käme? Ob ich spioniert hätte? Lauernd beobachtete sie meine Gesichtszüge.

Im selben Clint Eastwood-Stil, so wie sie es vor wenigen Minuten getan hatte, verneinte ich. Ich hatte nicht spioniert. Weder war ich wie meine Eltern noch wie die Mutter des Bullen von Tölz. Ich war schlauer. Und moderner. Eigentlich hatte ich nur das Chatprogramm schliessen wollen, mit dem ‚sein Leben’ meinen Computer normalerweise stundenlang missbraucht. Gnädig wurde mir die Erlaubnis erteilt, an meinem Eigentum zu arbeiten und das, normalerweise vor Eltern so gesicherte und geschützte Chatprogramm wie Englands Kronjuwelen, schliessen zu dürfen. Somit es sich nicht um einen hinterhältigen Akt einer eifersüchtigen Mutter gehandelt hatte. Was sie, wahrscheinlich bedingt durch Romoes betörende und schleimige Worte, vergessen hatte, waren eben genau diese Sätze, die mir sozusagen förmlich ins Auge sprangen und die ich vom ersten bis zum letzten Zeichen gierig durchgelesen und auf meinem, noch lange nicht verkalkten, mütterlichen Superchip abgespeichert hatte. Sowie sämtliche e-Mails von Romeo, die ich im gleichen Atemzug verschlungen hatte. Um danach eine Flasche Wein zu öffnen, zwei Gläser ex und hopp in den Hals zu kippen und das Gesülze ungläubig anzustarren.

Er war eingetroffen. Der Moment, vor dem ich, seit dem ersten Atemzug ‚seines Lebens’, gewarnt worden war. Die Sätze, die mir damals, als 13-jährigem Teenager, prophezeit wurden. Eines Tages, als Mutter eines Kindes, man bete darum, es würde sich um eine Tochter handeln, würde ich schon sehen. Was ich in der linken Ecke oberhalb des Bildschirms sah, war ein kleiner, aus welchen Gründen auch immer, gebräunter Junge Namens Romeo, mit zu grossen Lippen und zu viel Gel im Haar, der mein Ein und Alles mit ‚sein Leben’, ‚sein Baby’ und ‚sein Ein und Alles’ bezeichnete, sowie für einen Kuss sterben wollte. Ein paar Zeilen weiter unten las ich, dass mein Leben diesem Romeo das gleiche Gesäusel geschrieben hatte. Nach dem dritten Glas Wein drehte ich die Musik auf, zündete mir eine Zigarette an, tanzte durch die Wohnung und dankte dem Schicksal für die gerade begonnene Erfahrung, Mutter einer pubertierenden, in einen Romeo (!) verliebten Tochter zu sein. Bedankte mich auch gleich bei allen, mich soeben eingeholten, Flüchen meiner und sonstiger Eltern, die ihren Kindern, tauchte deren Nachwuchs in die interessanteste Lebensphase eines Menschen ein, genau dies prophezeit und gehofft hatten, es möge so richtig anstrengend werden.

Ich versuche mich daran zu gewöhnen, dass dieser kleine Romeo, mit der dicken Lippe und einem Topf Gel im Haar, nur der Erste im Reigen derer sein wird, der mein Leben umgarnen, mit Komplimenten überschütten und für einen Kuss sterben wird wollen. Auch versuche ich mich mit dem Gedanken zu versöhnen, dass meine Küsse angewidert weggewischt, währenddessen die von Romeo und weiterer Anwärter freudig erwiedert werden.

Ob ich es in Zukunft jedoch werde unterlassen können, weder im Internet noch sonstwo zu spionieren, weiss ich nicht. Genau so, wie mein Leben darauf hofft, von mir nicht beim Knutschen erwischt zu werden, weil ihr das äusserst peinlich ist, hoffe ich, mit weiterer Zufallslektüre auf dem Laufenden zu bleiben, und mein Wissen als ‚schliesslich war ich auch mal ein Teenager und weiss, wovon ich spreche’ deklarieren zu können.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.10.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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