Susanne Kobrow

*Der wandelnde Teppich*



Schon seit einigen Monaten stand fest, dass meine Tochter umziehen würde. Natürlich wurden Mama und ihr Freund gar nicht erst gefragt, sondern es wurde lächelnd vorausgesetzt, dass wir in das 300 km entfernte Köln kommen würden, um zu helfen.

Nun ja, was tut man nicht alles für sein Kind. Ich versprach natürlich zu helfen, zumal der Umzug auch für mich eine Abwechslung in der großen Langeweile war, da ich momentan ohne Arbeit zu Hause bin. Es wurde also abgemacht, das Jenny, meine Tochter, sich melden würde, sobald sie den Schlüssel zu ihrem neuen Domizil hätte.

Leider kam alles anders als geplant. Meine Tochter bekam den Schlüssel nicht, wie besprochen, schon am Wochenende, die Hausverwalterin war einfach nicht zu erreichen. Also versuchte Jenny es am Montag erneut und hatte Glück.

Sie erfuhr, dass sie den Schlüssel sofort abholen könne. Mein Kind rief mich dann sofort an.
„Mama, Mama! Kannst du bitte jetzt gleich kommen? Ich hab den Schlüssel und doch nur heute noch frei.“
Ich schaute entsetzt auf die Uhr, es war kurz vor Neun am Morgen. Ich fragte zurück: „Kind, wie stellst du dir das vor? Du weißt, ich habe kein Auto und komme mit der Bahn. Wie soll ich das schaffen? Bis ich bei dir bin, wird es Mittag sein, und dann bleibt nicht mehr viel Zeit.“
Worauf mein Kind nur lässig entgegnete: „Ach Mama das schaffen wir locker. Bring bitte Akkuschrauber, Zollstock. Schraubenschlüssel, Zange, Nägel und Hammer mit.“

Gesagt, getan. Eine Frau, ein Wort. Also schwang ich mich in den Bus, um mit dem Tagesticket in die Stadt und dann mit der Bahn in das schöne Köln zu reisen.
Meine Tochter hatte mir via PC schnell eine Bahnverbindung rausgesucht und teilte mir diese im Bus per Sms mit.

„So Mama…um 9.51Uhr geht es los auf Gleis 3, dann bist du 10.54 Uhr in Hamm, dort musst du dich beeilen. Von Gleis 4 auf Gleis 12, und dort weiter um 10.59 Uhr Richtung Köln Mühlheim.“

Als ich das las, brach mir der Schweiß aus. Wie sollte ich das schaffen? In 5 Minuten von Gleis 4 auf Gleis 12? Dazu bepackt mit dem Rucksack, der nicht gerade leicht war. Hoffentlich hatte der Zug nicht auch noch Verspätung, dachte ich und überlegte, ob das wohl zu schaffen sei.

Pünktlich um 10.54 Uhr lief der Zug in Hamm ein. Ich nahm meinen Rucksack und meine Beine in die Hand, eilte aus dem Zug und hastete auf Gleis 12. Als ich dort angekommen war, stand schon mein nächster Zug abfahrbereit. Nun noch rasch hinein, und der schlimmste Teil meiner Fahrt war geschafft!

Jetzt konnte ich mich für fast 2 Stunden ein wenig entspannen und beobachtete Fahrgäste beim Ein- und Ausstieg.
Ich bemerkte, was für eine bunte Mischung von Menschen mit der Bahn fuhr. Mütter mit Kindern, die ganz begeistert aus dem Fenster schauten.
Pendler, die von A nach B mussten. Sie wirkten irgendwie gehetzt, schauten in ihre Aktenkoffer, holten Papiere heraus, und hatten keine Zeit für einen Blick aus dem Fenster und die schöne Aussicht, die sich ihnen bot.

Plötzlich piepte mein Handy erneut, eine Sms meiner Tochter: „Mama wo bist du jetzt? Ist in Hamm alles glatt gelaufen?“
Ich antwortete ihr schnell, dass ich gerade an Essen vorbei fuhr und es ja nun nicht mehr lange dauerte, bis ich sie wieder sehen würde, sie möge mir jetzt schreiben, wo ich in die U-Bahn nach Holweide steigen müsste.

Sie antwortete, dass ich nicht alleine in die U-Bahn müsste, sie würde mich in Mühlheim am Bahnhof abholen. Ich freute mich riesig, dass ich meine Tochter nun schon eine halbe Stunde eher in den Arm nehmen konnte, hatten wir uns doch seit Anfang April nicht mehr gesehen.

Endlich fuhr der Zug in Mühlheim ein. Ich sah mein Kind schon von weitem und freute mich sehr auf sie. Sofort stürmten wir auf einander los, um uns zu umarmen. Einige Menschen gingen an uns vorbei und sagten leise, für mich jedoch verständlich: „Was macht diese Frau bei dieser schwarzen Gestalt?“
Zur Erklärung: Meine Tochter ist ein überzeugter Gotiker (einige nennen sie auch Gruftis) und kleidet sich nur in Schwarz. Aber deswegen liebe ich sie nicht minder! Es ist ihre Art, ihr Leben zu meistern, und ich kann damit umgehen!
Das nur am Rande bemerkt.

So, nun war ich also bei meinem Kind. Wir standen auf dem Bahnhof und Jenny meinte, in der Nähe wäre ein Baumarkt, und wir könnten doch dort gleich mal nach dem Teppichboden schauen. Schwarz sollte er sein, wie fast alles an ihr und um sie herum.

Im Baumarkt angekommen, ging es los, und oh Schreck, schwarzen Teppichboden gab es nicht. Ich atmete innerlich auf, weil ich schon die ganze Zeit überlegte, wie sie sich vorgestellt hatte, den Teppichboden zu sich nach Hause zu bekommen? Meine Tochter fand nach weiterer Suche doch einen. Zwar nicht schwarz, dafür knallrot und versuchte mich zu überzeugen, dass dieser Teppichboden genau der Richtige sei. Sie eilte los, um einen Verkäufer zu finden.

Nach kurzer Zeit kam mit einem jungen Mann zurück, dem sie ihre Wünsche mitteilte. Sofort kam die Frage: „Wie viele Meter dürfen es nun sein?“

Jenny konnte diese Frage zu meinem Schreck nicht beantworten, sie hätte doch keinen Zollstock, wie hätte sie messen können? Aber schätzungsweise müsste das Zimmer 4.00 x 4.50m sein, und da sie nicht vor hatte, noch einmal den weiten Weg zu machen, würde sie jetzt auch soviel mitnehmen wollen. Ich ließ nebenbei verlauten: „Und wie kommt der Teppichboden nach Holweide, Jenny?“

„Den müssen wir tragen, Mama“, war ihre Antwort. Wir sind doch zu zweit.“
Der junge Verkäufer schaute mich ganz mitleidig an, maß dann den Teppichboden für uns ab, verschürte ihn und sagt: „Na dann viel Spaß beim Tragen!“
Ich bedankte mich, und wir machten uns mit unserem Teppich unterm Arm (4 m lang wohl bemerkt!) auf den Weg zur U-Bahnstation.

Wir hatten Glück. Wenige Minuten später kam bereits die richtige Bahn. Leider war jetzt Mittagszeit und Schulschluss, so dass die Bahn reichlich voll war. Ich bekam das große Grausen und überlegte, wie das jetzt wohl gehen sollte? Doch Jenny sah es reichlich locker und stürzte mit dem Teppich und mir am Ende der Bahn in ein Abteil.

Nun hieß es, vier Stationen in dem reichlich überfüllten Waggon aushalten. Ich kam mir vor wie ein orientalischer Teppichhändler und überlegte…was wäre, wenn der Teppich jetzt nicht passte, falls das Zimmer größer sein würde. Auch fragte ich mich, wie man einen Teppichboden fachgerecht verlegt.

Meine Tochter riss mich aus meinen Überlegungen, als sie sich beim Halt der Bahn plötzlich in Bewegung setzte und mich und Teppich mit sich zog.

Nun hieß es, noch ein Stückchen zu laufen, bis wir am Schwesternwohnheim ankommen sollten, in dem meine Tochter während ihrer Ausbildung wohnt. Dann musste dieses Ungetüm noch in den Aufzug verfrachtet und zur achten Etage transportiert werden.

Ich stellte mir nun vor: Ein Aufzug für max. sechs Personen, vielleicht zwei Meter hoch. Dort hinein sollten wir einen Teppich von vier Metern Länge bekommen. Es war fast ein Schauspiel: Wir schoben und zerrten, doch endlich hatten wir es geschafft, und die letzte Fahrt stand an.

Oben angekommen, legten wir den Teppich ab und hofften, er würde passen.
Nun lag er zusammen geschnürt in dem neuen Zimmer auf dem Boden, und ich stellte mich Erschrecken fest, dass er ca. 20 cm zu kurz war. Was nun? Mir wurde ganz schlecht, wusste ich erstens sowieso nicht, wie ich ihn verlegen sollte, und nun auch noch dieses Problem. Das Zimmer war also mehr als vier Meter lang.

Plötzlich fiel mir ein, dass wir 4.00 x 4.50m gekauft hatten, also müsste er anders herum passen. So war es auch. Mir viel ein Stein vom Herzen, nachdem wir ihn umgedreht hatten. Das war erst mal geschafft! Nun noch an den Wandkanten grade schneiden. Das hatte ich schon etliche Male beobachtetet, was sollte also schief gehen? Ich machte mich an die Arbeit, schnitt immer schön an der Wand entlang, nachdem ich ihn an der gegenüberliegenden Wand richtig angelegt hatte.

Zentimeter für Zentimeter arbeitete ich mich vorwärts und siehe da: Es klappte …(jedenfalls so gut wie)!

Ein Kontrollblick zeigte, dass mein Verlegen krumm und schief geworden war. Mir wurde angst und bange! Wenn das ein Mann sehen würde! Meine Tochter aber lobte mich und meinte, Männer hätten in ihrer Wohnung sowieso keinen Zutritt. Sie fände es schön, und das wäre wichtig. Was andere sagen würden, interessierte sie nicht!

Nun wurden schnell noch ein paar Möbel und Kisten geschleppt, dann musste ich leider auch schon wieder zur Bahn.

Der Tag war viel zu schnell vorüber gegangen und ich musste sagen, es hatte mir sehr viel Spaß gemacht. Auch wenn es recht anstrengend war und ich drei Tage lang Muskelkater hatte.

Meine Große ist nun glücklich in ihrem neuen Reich.

Und das ist für mich das Wichtigste.


© by Su

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.10.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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