Rasmus Fuhse

Bitte Lesen

Bitte lesen Sie weiter. Ich weiß noch nicht genau, wie der Inhalt dieses Textes aussehen wird. Doch ich kann Ihnen versichern, dass er fulminant wird. Ich stelle mir vor, dass er nicht allzu effektbeladen ist, dass er mehr durch seine geniale Moral besticht. Oder der Text könnte Ihnen einen Weg zum Sinn des Lebens zeigen. Vielleicht finden Sie Erlösung darin. Zwischenzeitlich könnte es schon langweilig werden, das will ich nicht ausschließen. Aber es wird sich lohnen, ich habe auch schon eine ungefähre Ahnung, um was es sich drehen wird. Doch lassen Sie mich noch etwas nachdenken.
Es muss wirklich etwas großartiges werden. Es hat nämlich einen besonderen Wert gerade für mich als Autor. Damit meine ich nicht, dass ich Geld damit verdiene. Nein, es ist eher etwas persönliches. Nicht wirklich wichtig für die meisten Menschen, für die meisten Leser. Doch mich geht es etwas an.
Also die Geschichte dreht sich um mich. Nicht sehr einfallsreich, wenn man bedenkt, dass sich fast alles in meinem Leben um mich dreht. Und normalerweise bin ich auch nicht der Typ, der seine Erlebnisse mit Schreiben kompensieren muss. Ich schreibe aus höheren Motiven heraus.
Also ich. Ich fühle mich wie gefangen. Ich bin Gefangen in einem großen gigantischen Etwas. Es ist ein Konstrukt, eine Metapher für unsere Gesellschaft, für die Menschen, für die Erde. Es ist wie ein Labyrinth und ich stehe mitten drin. Ich weiß, Sie denken jetzt „Dann mach mal die Tür auf und lauf durch den Stadtpark.“ aber dann haben Sie – nun ja, lassen wir das; Humor war noch nie meine Stärke und Sie wissen bestimmt genau, worum es geht.
Ich muss da weg. Alle sind da. Alle. Jeder einzelne ist in diesem Labyrinth. Und das ist der Grund, warum ich nicht da sein will. Ich bin doch etwas besonderes.
Ich renne, renne immer schneller schneller. Ich muss ganz weit weg. Doch ich habe zwei Probleme. Zum einen ist dies ein Labyrinth. Nicht jeder Weg führt immer weiter. Das wäre mein schlimmster Fehler, wenn ich in einer Sackgasse stecken würde. Das wäre mein Tod.
Denn – und das ist der zweite Grund – ich lebe immer in der Gewissheit, dass es viele, viele weitere Typen gibt, die so denken wie ich. Doch gerade ich muss am weitesten kommen, ich muss am schnellsten sein. Ansonsten hat meine Reise keinen Sinn mehr, ansonsten wäre ich auch nur einer von den vielen. Stillstand ist der Tod.
Und jetzt kommt der Grund, warum Sie weiter lesen sollen. Mit jedem Satz, jeder Silbe, jedem Buchstaben, den Sie lesen, komme ich in meinem Labyrinth weiter. Nur so kann ich laufen. Diese Geschichte geht sowohl um mich wie auch um Sie. Ich würde nicht soweit gehen zu sagen, dass dieser Text interaktiv ist; Sie haben ja beim Lesen keine Entscheidungsfreiheit, können den Verlauf nicht beeinflussen. Es gibt für Sie nur lesen und nichtlesen.
Ziemlich verrückte Sache, nicht wahr? Wenn man das so schreibt, kommt es einem auch seltsam vor. Doch es ist so. Es tut unheimlich gut, wenn Sie meinen Text lesen. Und je verrückter mein Text ist, desto mehr bleibt er Ihnen im Gedächtnis. Und je mehr er Ihnen im Gedächtnis bleibt, desto weiter kann ich laufen. Desto näher komme ich meinem fernen Ziel.
Kennen Sie die Geschichte von Herostratos? Sie ist wunderbar. Sie passt zwar nicht in das Schema eines Hollywoodschinkens, weil zuwenig Spannung und Erotik darin vorkommt, doch sie ist klasse. Herostratos lebte um 356 vor Christi Geburt in Ephesos. Er war ein dämlicher kleiner Handwerker. Und er wusste das ganz genau. Deshalb ging er in den heiligen Tempel der Artemis, das vierte der sieben Weltwunder, und zündete es an. Er zerstörte es und danach stellte er sich der Stadtwache. Natürlich verurteilte man ihn sofort zum Tode, aber als man ihn nach seinem Motiv fragte, sagte er, er wollte seinen Namen unsterblich machen. Das Gericht wollte veranlassen, dass der Name nie bekannt werde, doch wie Sie dieser Geschichte entnehmen können, hat sch Herostratos’ letzter Wille dennoch erfüllt. Wir kennen seinen Namen sehr wohl.
Herostratos ist sehr weit gekommen. Und es erscheint mir wie eine Unmöglichkeit, ihn noch einzuholen. Doch dieser Text ist zumindest ein Schritt auf meinem langen Weg. Man muss hier auch beachten, dass es mir nicht um meinen Namen geht, sondern um meine Einschätzung bei den anderen und auf was ich stolz sein kann. Mir kann es egal sein, ob sich die Leute in zweitausend Jahren noch an mich erinnern, schließlich werde ich dann hochwahrscheinlich nicht mehr leben.
Aber vielleicht verstehen Sie jetzt, warum es für mich so wichtig ist, dass Sie dies alles lesen und es ist ja auch bald zuende. Der Grund ist, dass ich niemandem weh tun möchte, ich möchte nichts kaputt machen, ich will nur laufen. Weiter, weiter und weiter.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.10.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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