Der Garten meiner Kindheit

Es ist Abend, ich liege im Bett und versuche zu schlafen. Die Gedanken ablenken von Alltagsgeschäften, das ist ja immer das Beste. Also denke ich an etwas schönes. An meine Kindheit: Blühende Blumen, grüne Bäume erscheinen vor meinem inneren Auge. Ich sehe mich spielen: Stöcke schnitzen, Burgen bauen, Löcher graben, auf Bäume klettern. Der Garten meiner Kindheit: Die große Weide, erhaben über ihr Alter. Die Linde, im Frühsommer ihr Duft im ganzen großen Garten. Das Summen von Bienen. Blühender Flieder, rote Rosen, Lavendel voll mit Hummeln und Schmetterlingen. Grüne Knospen am ersten warmen Frühlingstag. Beerenpflücken im Sommer. Kastaniensammeln im Herbst. Ruhe und Stille im Winter.

Ich denke an einen Sommerabend. Ich sitze mit meinem Bruder auf dem Baum, wir schauen aus dem Garten auf den Kornacker, dahinter Wald, Obstbäume, Weißdornsträucher. Wir sind glücklich, und wir singen, während die Sonne hinter den Bäumen verschwindet.

An all dies denke ich, während ich hier im Bett liege. Doch dann kommt ein Schatten über meine Gedanken. Denn die Sonne verschwindet dort heute nicht mehr hinter den Bäumen. Sie verschwindet hinter einem großen Lagerhaus. Und wenn sie verschwunden ist, die Sonne, dann wird der Acker nicht dunkel, denn das Lagerhaus hat Scheinwerfer, die den Firmennamen beleuchten.

Und in die Gedanken an den Garten meiner Kindheit schneidet plötzlich eine Motorsäge, Kastanie, Zeder und Sträucher fallen, und es wird nur der Anfang sein. Dann kommen Bagger und Planierraupe. Und ein Kinderparadies verschwindet unter Beton.
Und sie wissen nicht, was sie tun.

Diese Geschichte ist meinem Garten gewidmet, einem weiteren Opfer unseres Wachstumsdogmas. Ich widme sie auch der Stadt Hattersheim am Main, die doch auch nichts anderes als eine blinde Marionette in diesem schlechten Spiel ist. Ich wünschte, daß die Augen eines Tages geöffnet werden. Tobias Lang, Anmerkung zur Geschichte

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