Rita Latz-Orlowski

Spaziergang in Berlin

Ich schreibe für alle, die mal einen Spaziergang in Berlin machen und etwas Neues sehen wollen. Es geht um ein Stückchen Friedrichstrasse, vom S-Bahnhof bis in die Gegend des U-Bahnhofs Französische Strasse.


In dieser Gegend pulsierte immer das Leben. Als ich aber vor Jahren dort war, überfiel mich ein Grauen. Ich stand zwischen entkernten Gebäuden, bei denen man nicht wusste, ob sie gerade aufgebaut oder abgerissen werden. Ausser an der Kreuzung “Unter den Linden“ war die Strasse begrenzt von Bauzäunen, die kaum einen Durchgang frei hielten. Wenn man mal einen Blick hinter die Zäune machen konnte, sah man gewaltige Löcher in der Erde.


Jetzt sind die Bauzäune weg, die Löcher geschlossen. Wie Ihr wisst, bin ich kein Verfechter der modernen Architektur. Was aber hier entstanden ist, ist durchaus sehenswert! Man sieht eine Mischung aus alter Baussubstanz in preussischer Strenge und geradezu verspielten Neubauten, wobei das Alte nicht von dem Neuen erdrückt wird, sondern sich beide ergänzen. Ausnahmsweise hat das Berliner Bauamt einmal segensreich gewirkt, weil es auf das Einhalten von Fluchtlinien geachtet hat. In der Presse gab es seinerzeit darüber langatmige Diskussionen. Die Architekten fanden sich eingeengt.


Hier sind also die neuen Einkaufstempel. Kein Wunder, dass es mit dem ehrwürdigen KADEWE bergab geht. Hier findet man alles, was man sich nur erträumen kann. Luxus pur!


VW hat eine Ausstellungfläche. Man kann dort nicht nur den neuen Touran sehen, sondern auch einen neuen Bugatti neben einem uralten aus den 20er oder 30er Jahren. Schon das wäre einen Ausflug wert.


Es gibt dort Buchhandlungen, Juweliere, Uhrmacher - kurz alles, was für die persönliche Ausstattung und die einer gediegenen Wohnung gebraucht werden könnte wie Porzellan von der KPM, der Königlich Preussischen Porzellan-Manufaktur, und auch eine Galerie, aus der meine Augen schmerzhaft von einem modernen Gemälde über das Brandenburger Tor angezogen wurden, dass in einem aggressiven Rot gehalten war. Dieses Bild in meinem Wohnzimmer, und ich würde es kaum wieder betreten!


Natürlich gibt es keinen Döner- oder Würstchenstand, aber verhungern muss man trotzdem nicht. Ein Blick in eine Nebenstrasse, und ich entdeckte nicht nur das grossartige Kaffee Möhring, sondern auch eine “Suppenauktion“, herzhafte Suppen ab 4 Euro zum Mitnehmen. Eine Strasse weiter warb ein Chinesisches Restaurant mit Soushi, so viel man essen mag, für 15 Euro.


Vieles ist sehenswert, manches für meine Begriffe restlos überteuert. Ich sah beispielsweise ein Armband aus dünnem, silbrigem Drahtgeflecht, in das Halbedelsteine eingeflochten waren, für mehr als tausend Euro. Peinlich fand ich die Auslagen in Uhrengeschäften, in denen nicht eine einzige Uhr die korrekte Zeit angab.


Der Clou in diesem Strassenabschnitt ist allerdings das Kaufhaus La Fayette. Die Preise für die ausgestellte Kleidung sind hoch, aber nur selten für einen gut bezahlten Angestellten unerschwinglich. Bei einem Kleidungsstück verschlug es mir allerdings die Sprache: Ein lustiger Damenpulli aus drei Materialien: Ein Schulter verhüllte ein flauschiger Stoff, ein buntes, silberdurchwirktes damastähnliches Material umschloss schräg geschnitten einen Teil des Körpers und der Rest war wieder aus einem anderen Stoff. Der Pulli sah fröhlich aus, erinnerte mich aber trotzdem an einen Griff in Muttis Restekiste. Der Preis war es nicht: 230 Euro! Junge, junge, man sollte sich überlegen, ob man nicht auch aus den diversen Resten mit Fantasie etwas nähen sollte?


Wenn Ihr aber beim Bummeln die Türen mit der Aufschrift Friedrichpassage sehen solltet, dann rate ich Euch, auf jeden Fall hineinzugehen! Hier ist die Erklärung für jene gewaltigen Löcher, die ich seinerzeit gesehen hatte: Es ist fast eine kleine Stadt unter der Stadt, aber durchaus nicht eng und dunkel, sondern grosszügig und lichtdurchflutet. Ein mehrere Stockwerke hoher zentraler Raum mit Fussboden aus Marmor in verschiedenen Farben und einer gewaltigen Lichtanlage aus Kristall in der Mitte lässt einen vergessen, dass man unter der Erde ist.


Von diesem zentralen Raum führen Wege in verschiedene Richtungen mit Geschäften, die zwar auch gediegen sind, aber doch nicht ganz so luxuriös wie oben. Hier gibt es diverse Gaststätten. Ich landete schliesslich unter dem Kaufhaus La Fayette und sozusagen in seinem Bauch: Hier gibt es alles zu Futtern, was das Herz begehrt. Man kann einkaufen oder es dort verzehren. Ab 2,50 Euro gibt es belegte Baguettes, ein herzhaftes, sättigendes Mittagsessen für 6 bis 7 Euro, etwas Ausgefallenes wie Lachsgerichte ab 9 oder 10 Euro. Übrigens, hier gibt es auch das einzige öffentlich zugängliche WC, das ich finden konnte.


Da herumzustreifen, lohnt sich wirklich, auch wenn man nichts kaufen mag oder kann!


Keine Kritik? Doch. Es gibt keinen Platz, wo man sich ausruhen und erholen kann, ohne wenigstens etwas zu trinken. Es gibt keinen Park, keine Grünanlage, in dem sich die Augen erholen können. Es ist ein riesiger Konsumtempel, allemal sehenswert - aber auch nicht mehr.

Viel Spass beim Bummeln!
Rita

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.11.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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