Damion Thorne

Eiszeit

Alle waren sie weg und hatten mich allein zurück
gelassen. Ich kam mir so nackt vor wie ich da in
meinem Bett lag, zugedeckt mit nichts als kalter
Dunkelheit. Zwölf waren wir gewesen, aber das war
lange her. Keiner war vorbereitet. Keiner kannte den Tag
an dem sie kamen um einen zu holen. Manchmal
gingen sogar zwei auf einmal und immer ging es ganz
schnell. Da lag ich nun und konnte nichts tun als zu
warten, bis jemand kam um den letzten zu holen. Mich.
Dabei hatte alles so gut angefangen. Ich war stets
flüssig, hatte eine klare Vorstellung vom Leben und nie
Probleme. Ich schwamm einfach so mit. Ich war jung
und nichts konnte mich aufhalten, so dachten ich. Doch
dann ging alles ganz schnell. Gerade war ich noch
mitten unter gleich Gesinnten, im nächsten Moment
schon Gefangener meines Schicksals. Die Welt wie ich
sie kannte verschwamm.
Als ich wieder zu mir kam und versuchte einen klaren
Gedanken zu fassen, fühlte ich sofort diese eisige Kälte
die mich umgab. Den anderen erging es nicht besser.
Keiner von uns wusste was mit uns geschehen war. Es
wurde immer kälter. Wir wurden unfähig uns zu
bewegen. Nach kurzer Zeit fiel uns auch das Sprechen
so schwer, dass die verhallenden Silben wie schwerer,
schwarzer Nebel um uns kreisten. Dann war es still.
Alles in mir versteifte in dieser unsagbaren Kälte die
uns umschloss. Außer vereinzeltem, kaum hörbaren
Knarren, das an ein leises, lähmendes Stöhnen
erinnerte, war nichts mehr zu hören. So blieb uns nichts
anderes übrig, als in dieser erfrorenen Welt aus
Ungewissheit, Angst und Dunkelheit zu warten, was mit
uns geschehen würde.
Irgendwann dann plötzlich ein grelles Licht. Bewegung.
Etwas zerrte an uns. Wie in Trance reagierte meine
Wahrnehmung auf die neue Situation bevor mir klar
wurde, was um mich herum geschah. Gewaltsam
rissen Sie einen aus unserer Mitte und ließen den Rest
von uns im Dunkel zurück. Wir wurden gebrochen und
unbeachtet wieder unserm kalten Gefängnis
übergeben. Alle bis auf einen.
Und er sollte nicht der einzige sein. Immer wieder die
gleiche Prozedur. Erst grelles Licht, dann wurden wir
umher geschleudert und sie nahmen einen oder sogar
gleich zwei von uns. Dann kam der Tag, an dem ich als
Letzter übrig blieb. In Gedanken stellte ich mir immer
wieder diese eine zermarternde Frage, wann es an der
Zeit war, dass sie mich holten.
Der Zeitpunkt kam schneller als ich es erwartet hatte.
Das grelle Licht blendete mich fast bis zur
Besinnungslosigkeit. Die Wände um mich herum
drehten und wendeten sich. Ich fiel hinaus, wurde in die
Luft gehoben und befand mich sodann im freien Fall. Ich
spürte es splittern, als ich hart aufschlug. Ich
verschwendete keinen Gedanken an Schmerz da mein
Schock viel zu tief saß. Für kurze Zeit verlor ich das
Bewusstsein, erlangte es aber blitzartig wieder, als sich
ein riesiger Schwall Flüssigkeit über mich ergoss.
Endlich begann ich zu begreifen, was mit mir
geschehen war.
Ich schloss meinen Frieden mit wem auch immer, der
da auf uns herab blickte und ergab mich in mein
Schicksal. Die Kälte wich von mir und mehr und mehr
verband ich mich mit dem Gin-Tonic, in dem ich
gelandet war. Und dann - war ich weg!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.11.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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